Die Huntington-Krankheit (Morbus Huntington, HK), auch Chorea Huntington genannt, ist eine erbliche neurodegenerative Erkrankung, die durch fortschreitende Bewegungsstörungen, kognitive Beeinträchtigungen und psychiatrische Symptome gekennzeichnet ist. Obwohl die Erkrankung meist im mittleren Lebensalter auftritt, können auch späte Manifestationen, definiert als ein Ausbruch nach dem 70. Lebensjahr, vorkommen.
Was ist Chorea Huntington?
Chorea Huntington ist eine fortschreitende Erkrankung des Gehirns, bei der Nervenzellen langsam absterben. Dies führt zu einer Trias von Symptomen:
- Motorische Symptome: Unwillkürliche, plötzliche, rasche, unregelmäßige und nicht vorhersehbare Bewegungen (Chorea), Gleichgewichtsstörungen, Koordinationsprobleme und Gangunsicherheiten. Im späteren Verlauf kann es zu Muskelsteifheit und Bewegungsarmut kommen.
- Kognitive Symptome: Konzentrationsschwierigkeiten, Gedächtnisstörungen, verminderte Belastbarkeit, Schwierigkeiten bei der Planung und Entscheidungsfindung, verlangsamtes Denken und Demenz.
- Psychiatrische Symptome: Verhaltensauffälligkeiten (Reizbarkeit, Aggressivität, Enthemmung), Depressionen, Angstzustände, Apathie, Impulskontrollstörungen, Zwänge, Unruhe, Aggressivität und psychotische Symptome (Wahnvorstellungen, Halluzinationen).
Ursachen und Vererbung
Die Huntington-Krankheit wird durch eine Mutation im Huntingtin-Gen (HTT) verursacht, das sich auf Chromosom 4 befindet (4p16.3). Diese Mutation besteht in einer übermäßigen Wiederholung von drei Basen (CAG) im Exon 1 des HTT-Gens.
Jeder Mensch besitzt zwei Kopien des Huntingtin-Gens, eine von der Mutter und eine vom Vater. Die Huntington-Krankheit wird autosomal dominant vererbt. Das bedeutet, dass es nur einer verlängerten Kopie bedarf, um die Krankheit zu verursachen. Trägt ein Elternteil eine verlängerte Huntingtin-Kopie, wird diese mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 % an die Nachkommen weitervererbt. Männer und Frauen sind in gleicher Weise betroffen. Die Erkrankung überspringt keine Generationen.
Die Anzahl der CAG-Wiederholungen bestimmt, ob eine Person an der Huntington-Krankheit erkrankt.
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- Normale CAG-Längen: Bis zu 35 CAG-Wiederholungen.
- Intermediäre Längen (IL): 27 bis 35 CAG-Wiederholungen. Nicht mit Krankheitssymptomen assoziiert, aber erhöhtes Risiko einer Expansion in den pathologischen Bereich bei Nachkommen.
- Reduzierte Penetranz (RP): 36 bis 39 CAG-Wiederholungen. Nicht alle Menschen mit dieser CAG-Länge erkranken.
- Volle Penetranz: 40 oder mehr CAG-Wiederholungen. Führt ohne Ausnahme zur Erkrankung.
Es besteht eine inverse Beziehung zwischen der Anzahl der CAG-Wiederholungen und dem Erkrankungsalter: Je mehr CAG-Wiederholungen, desto früher bricht die Erkrankung aus. Die CAG-Länge erklärt jedoch nur etwa 50-70 % der Varianz im Manifestationsalter. Neben Umwelteinflüssen bestimmen auch weitere genetische Faktoren, ob die Erkrankung früher oder später ausbricht.
Spätes Ausbruchsalter (über 70 Jahre)
Obwohl das mittlere Erkrankungsalter bei etwa 40 Jahren liegt, gibt es Fälle, in denen die Huntington-Krankheit erst nach dem 70. Lebensjahr manifest wird. Ein später Krankheitsbeginn kann mit einer geringeren Anzahl von CAG-Wiederholungen assoziiert sein. Es ist zu beachten, dass sich die HK im höheren Lebensalter (unabhängig von der Zahl der CAG-Wiederholungen) häufiger motorisch, seltener psychiatrisch manifestiert.
Symptome im späten Ausbruchsalter
Die Symptome der Huntington-Krankheit können im späten Ausbruchsalter variieren. Einige Studien deuten darauf hin, dass motorische Symptome wie Chorea im Vordergrund stehen, während psychiatrische Symptome möglicherweise weniger ausgeprägt sind. Es ist jedoch wichtig zu beachten, dass die Symptome von Person zu Person unterschiedlich sein können.
Diagnose
Die Diagnose der Huntington-Krankheit basiert auf:
- Klinische Untersuchung: Erhebung der Krankengeschichte, neurologische Untersuchung zur Feststellung von motorischen, kognitiven und psychiatrischen Symptomen.
- Familienanamnese: Erfassung von Fällen von Huntington-Krankheit in der Familie.
- Molekulargenetische Diagnostik: Bestimmung der CAG-Länge im Huntingtin-Gen durch eine Blutentnahme.
Eine genetische Untersuchung kann von jeder Ärztin und jedem Arzt nach Aufklärung gemäß §10 Gen-DG und schriftlicher Einwilligung vorgenommen werden. Für gesunde Angehörige von betroffenen Patienten ist eine prädiktive genetische Diagnostik möglich.
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Ablauf einer genetischen Beratung zur prädiktiven Testung
Jede Person, die von sich glaubt, ein Risiko für die Huntington-Krankheit zu haben, kann eine genetische Beratung in Anspruch nehmen. Ein internationales Gremium hat Richtlinien erarbeitet, nach denen die prädiktive Diagnostik in einem Zeitplan mit Mindestreflexionszeiten für jeden Beratungsabschnitt durchzuführen ist.
- Erstgespräch: Informationen über die Erkrankung, deren Erbgang und die Erkrankungsrisiken. Ausführliche Familien- und Eigenanamnese. Besprechung der Möglichkeiten, Aussagekraft und Konsequenzen der molekulargenetischen Diagnostik.
- Psychologische Beratung: Gespräch mit einem Psychologen, der mit den Besonderheiten der Huntington-Krankheit und der prädiktiven Diagnostik vertraut ist.
- Auswahl einer Vertrauensperson: Begleitung während der Vorbereitungsphase auf die Diagnostik sowie bei der Befundmitteilung und auch danach.
- Blutentnahme und molekulargenetische Untersuchung: Wenn die Rahmenbedingungen gewährleistet sind und die Risikoperson und der/die psychotherapeutische Berater(in) ihre Zustimmung gegeben haben.
- Ergebnismitteilung: Durch den Arzt/die Ärztin, der/die die genetische Beratung durchgeführt hat. Die Risikoperson kann jederzeit erklären, dass sie an der Fortsetzung der Untersuchung bzw. der Befundmitteilung nicht mehr interessiert ist.
Differentialdiagnostik
Bei der Differentialdiagnostik sind andere seltene neurologische Erkrankungen in Erwägung zu ziehen, die der Huntington-Krankheit ähneln und auch als „HK-Phänokopien“ bezeichnet werden. Dazu gehören andere genetische Krankheiten wie die Kupferspeicherkrankheit Morbus Wilson, spinocerebelläre Ataxien, Friedrich-Ataxie, Huntington’s disease like-Erkrankungen und Neuroakanthozytose. Weitere Erkrankungen mit Chorea können infolge von Schlaganfällen, Schilddrüsenstörungen oder durch Einnahme von Medikamenten entstehen.
Therapie
Eine Heilung der Huntington-Krankheit gibt es derzeit nicht. Die Behandlung zielt darauf ab, die Symptome zu lindern und die Lebensqualität der Betroffenen so lange wie möglich zu erhalten.
- Medikamentöse Therapie:
- Überbewegungen: Dopaminrezeptorantagonisten (Tiaprid), Dopamin-entspeicherer (Tetrabenazin, Deutetrabenazin) oder atypische Antipsychotika.
- Minderbewegungen: Parkinson-Medikamente.
- Depressionen: Serotoninwiederaufnahmehemmer oder Dopamin-Rezeptorantagonisten.
- Reizbarkeit, Aggressivität oder Psychosen: Atypische Neuroleptika.
- Nicht-medikamentöse Therapie:
- Physiotherapie, Logopädie und Ergotherapie.
- Psychologische und psychosoziale Maßnahmen.
- Hochkalorische Ernährung bei Gewichtsverlust.
- Schluckstörungen: Logopädische Behandlung, Andicken der Nahrung, ggf. Anlage einer Magenfistel (PEG).
- Experimentelle Therapien:
- Transplantation von Stammzellen in das Gehirn.
- Tiefe Hirnstimulation mit experimenteller Implantation eines Hirnschrittmachers.
- Gen-Editing-Techniken (z.B. CRISPR-Cas9).
Bedeutung von Forschung
Die Entdeckung des die Huntington-Krankheit verursachenden Gens im Jahr 1993 hat die Forschung intensiviert und zu einer Reihe klinischer Studien geführt. Obwohl bisher kein krankheitsmodifizierender Therapieansatz gefunden wurde, gibt es vielversprechende neue Ansätze wie die Gen-Editierung und die Beeinflussung der Mitochondrienfunktion.
Aktuelle Forschungsergebnisse
Forschende haben das Gen CHCHD2 mit Chorea Huntington in Verbindung gebracht und als mögliches therapeutisches Ziel identifiziert. Mutationen im Huntington-Gen HTT beeinflussen auch CHCHD2, das eine Rolle bei der Aufrechterhaltung der normalen Mitochondrienfunktion spielt. Die Wiederherstellung der CHCHD2-Genexpression konnte die schädigende Wirkung auf die neuronalen Zellen rückgängig machen.
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Leben mit der Huntington-Krankheit
Die Diagnose der Huntington-Krankheit hat weitreichende Folgen für die Betroffenen und deren Familien. Es ist wichtig, dass Patienten und Angehörige Zugang zu umfassender medizinischer, psychologischer und sozialer Unterstützung haben. Selbsthilfegruppen und das Europäische Huntington-Netzwerk bieten wertvolle Informationen und Unterstützung.
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