Die Chorea Huntington (HD), auch Huntington-Krankheit oder Veitstanz genannt, ist eine autosomal-dominant vererbte, fortschreitende neurodegenerative Erkrankung des Gehirns. Sie ist durch eine Mutation im Huntingtin-Gen (HTT) auf Chromosom 4 (4p16.3) gekennzeichnet, die zu einer erhöhten Anzahl von Cytosin-Adenin-Guanin (CAG)-Trinukleotid-Wiederholungen führt. Diese Mutation führt zu Nervenschäden in den Basalganglien, einer Gruppe von Hirnregionen, die für die Bewegungskontrolle, kognitive Funktionen und das Verhalten zuständig sind.
Einleitung
Die Chorea Huntington manifestiert sich typischerweise im mittleren Lebensalter (30-50 Jahre), obwohl sie in seltenen Fällen auch früher (juvenile Form) oder später auftreten kann. Die Erkrankung ist durch eine Trias von Symptomen gekennzeichnet: Bewegungsstörungen (Chorea), kognitive Beeinträchtigungen (Demenz) und psychiatrische Störungen (Verhaltensauffälligkeiten). Der Verlauf der Erkrankung ist progressiv und führt letztendlich zum Tod, meist 17-20 Jahre nach dem ersten Auftreten der Symptome.
Ursachen und Pathophysiologie
Genetische Ursache
Die HD wird durch eine Expansion der CAG-Wiederholungen im HTT-Gen verursacht. In der Normalbevölkerung finden sich ≤26 CAG-Wiederholungen, während bei HD-Patienten die Anzahl pathologisch erhöht ist. Eine Wiederholungsrate von ≥40 führt mit voller Penetranz zur Erkrankung. Wiederholungsraten von 36-39 werden als „intermediär“ bezeichnet und können zu einem späteren Krankheitsbeginn oder zum Ausbleiben der Erkrankung führen. Eine CAG-Wiederholungsrate von 27-35 wird als „hochnormal“ bezeichnet.
Die CAG-Wiederholungsrate ist in den Gameten instabil, was zu einer Antizipation führen kann, insbesondere bei Vererbung vom Vater. Dies bedeutet, dass die Anzahl der Wiederholungen in den nachfolgenden Generationen zunehmen kann, was zu einem früheren Krankheitsbeginn führt.
Huntingtin-Protein
Das HTT-Gen kodiert für das Huntingtin-Protein (Htt), dessen genaue Funktion noch nicht vollständig geklärt ist. Es wird angenommen, dass das normale Htt-Protein eine wichtige Rolle bei der Transkription, mitochondrialen Funktionen und dem Vesikeltransport spielt. Das mutierte Huntingtin-Protein (mHtt) mit der verlängerten Polyglutaminsequenz erhält eine toxische Funktion („gain of function“).
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Das mHtt aggregiert im Zellkern und Zytosol und bildet Einschlusskörperchen, die die Transkription, die Aktivität des Proteasoms, die mitochondriale Funktion, die Apoptose und die exzitatorische synaptische Transmission beeinträchtigen.
Pathophysiologie der Basalganglien
Die HD führt zu einer Atrophie des Striatums, insbesondere des Nucleus caudatus und des Putamen. Dabei degenerieren vor allem die mittelgroßen, fortsatzreichen („spiny“) inhibitorischen GABAergen Projektionsneurone zum Globus pallidus externus (GPE).
Gemäß dem vereinfachenden Modell von Albin et al. (1989) führt der Untergang dieser Neurone indirekt über den Nucleus subthalamicus zu einer verminderten Aktivität in den Ausgangsstrukturen der Basalganglien, Substantia nigra pars reticulata (SNR) und Globus pallidus internus (GPI). Dies führt zu einer gesteigerten thalamokortikalen Erregung, die als Ursache der Chorea angesehen wird.
Im weiteren Krankheitsverlauf degenerieren auch die direkt zum GPI projizierenden striatalen Efferenzen, was zu einer gesteigerten Erregung dieser Ausgangsstruktur führt. Die in späteren Krankheitsstadien auftretende Rigidität, Akinese und Dystonie wird auf die daraus resultierende verminderte thalamokortikale Erregung zurückgeführt.
Exzitotoxizität
Eine besondere Bedeutung kommt der Exzitotoxizität über eine pathologische glutamaterge Transmission zu. Die für die HD typischen neuropathologischen und biochemischen Veränderungen im Striatum können durch eine lokale Injektion von exzitatorischen Aminosäuren oder durch eine systemische Injektion von Inhibitoren der mitochondrialen Atmungskette induziert werden.
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Die Exzitotoxine bewirken über eine Stimulation von Glutamatrezeptoren, insbesondere von N-Methyl-D-Aspartat(NMDA)-Rezeptoren, den Untergang der striatalen Projektionsneurone. Der neuronale Zelltod wird durch eine intrazelluläre Überladung mit Kalziumionen und die Bildung zytotoxischer freier Radikale induziert.
Symptome
Die Symptome der HD sind vielfältig und können sich von Patient zu Patient unterschiedlich manifestieren. Typischerweise treten die ersten Symptome zwischen dem 30. und 50. Lebensjahr auf, obwohl es auch Fälle mit frühem oder spätem Beginn gibt.
Bewegungsstörungen (Chorea)
Die Chorea ist das auffälligste Symptom der HD. Es handelt sich um unwillkürliche, abrupt einschießende, nichtrepetitive, distal betonte Hyperkinesien, die am ganzen Körper auftreten können. Die Bewegungen sind unkoordiniert und wirken oft zappelig oder tanzartig. Initial können die choreatischen Bewegungen in scheinbar sinnvolle Bewegungen eingebaut und so verschleiert werden (Parakinesie).
Im Verlauf der Erkrankung kann die Chorea in den Hintergrund treten, und es kann ein Parkinsonoid mit muskulärer Rigidität, Akinese oder athetotisch-dystonen Hyperkinesen resultieren.
Weitere motorische Symptome können sein:
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- Hypokinese (Verlangsamung der Bewegungen)
- Bradykinese (verlangsamte Willkürbewegungen)
- Dystonie (anhaltende Muskelkontraktionen, die zu abnormen Haltungen und repetitiven Bewegungen führen)
- Schluckbeschwerden (Dysphagie)
- Sprechstörungen (Dysarthrie)
- Gleichgewichtsstörungen
Kognitive Beeinträchtigungen (Demenz)
Kognitive Beeinträchtigungen sind ein weiteres Kennzeichen der HD. Sie können sich in Form von Gedächtnisproblemen, Konzentrationsschwierigkeiten, Problemlösungsdefiziten und einer Verlangsamung der Denkprozesse äußern. Im fortgeschrittenen Stadium der Erkrankung kommt es häufig zu einer Demenz.
Psychiatrische Störungen (Verhaltensauffälligkeiten)
Psychiatrische Störungen sind bei HD-Patienten häufig und können das erste Anzeichen der Erkrankung sein. Zu den häufigsten psychiatrischen Symptomen gehören:
- Depression
- Reizbarkeit
- Aggressivität
- Angst
- Zwangsstörungen
- Psychosen (paranoid-halluzinatorische Symptome)
- Apathie
- Persönlichkeitsveränderungen (z. B. vermehrte Reizbarkeit, Aggressivität, unmotivierte Impulshandlungen, sexuelle Enthemmung oder Gehemmtheit)
Diagnose
Die Diagnose der HD basiert auf einer Kombination aus klinischer Untersuchung, Familienanamnese, bildgebenden Verfahren und genetischer Testung.
Klinische Untersuchung
Die klinische Untersuchung umfasst eine neurologische Untersuchung zur Beurteilung der Bewegungsstörungen, eine kognitive Beurteilung zur Erfassung von Gedächtnis- und Denkproblemen sowie eine psychiatrische Beurteilung zur Identifizierung von Verhaltensauffälligkeiten.
Familienanamnese
Eine positive Familienanamnese für HD ist ein wichtiger Hinweis auf die Erkrankung. Da die HD autosomal-dominant vererbt wird, haben Kinder von betroffenen Eltern ein 50%iges Risiko, die Krankheit zu entwickeln.
Bildgebende Verfahren
- Magnetresonanztomographie (MRT): Die MRT kann eine Atrophie des Striatums (insbesondere des Nucleus caudatus) und eine Erweiterung der Seitenventrikel zeigen. Im späteren Verlauf der Erkrankung können auch Zeichen einer kortikalen Atrophie sichtbar sein.
- Positronen-Emissions-Tomographie (PET): Die PET kann einen striatalen und kortikalen Hypometabolismus nachweisen, der bereits in frühen Stadien der Erkrankung oder sogar bei asymptomatischen Genträgern auftreten kann.
- HMPAO-SPECT und FDG-PET: Diese Verfahren können ebenfalls einen striatalen und kortikalen Hypometabolismus feststellen.
- 11C-Racloprid-PET und IBZM-SPECT: Diese Verfahren können eine Abnahme der striatalen Dopaminrezeptoren zeigen.
Genetische Testung
Die genetische Testung ist der Goldstandard für die Diagnose der HD. Dabei wird die Anzahl der CAG-Wiederholungen im HTT-Gen bestimmt. Eine Wiederholungsrate von ≥36 bestätigt die Diagnose der HD.
Differenzialdiagnose
Es ist wichtig, die HD von anderen Erkrankungen mit ähnlichen Symptomen zu differenzieren. Zu den wichtigsten Differenzialdiagnosen gehören:
- Andere Formen der Chorea: Sydenham-Chorea, medikamenteninduzierte Chorea, Chorea bei Stoffwechselerkrankungen (z. B. Morbus Wilson)
- Tic-Störungen und Tourette-Syndrom: Diese Erkrankungen sind durch repetitive, stereotype Bewegungen und/oder Lautäußerungen gekennzeichnet.
- Arzneimittelinduzierte Bewegungsstörungen: Spätdyskinesie, Dystonie
- Schizophrenie: Diese psychiatrische Störung kann mit Halluzinationen, Wahnvorstellungen und desorganisiertem Denken einhergehen.
- Morbus Wilson: Diese Stoffwechselerkrankung kann sich mit neurologischen und psychiatrischen Symptomen manifestieren.
Therapie
Es gibt derzeit keine kurative Therapie für die HD. Die Behandlung zielt darauf ab, die Symptome zu lindern und die Lebensqualität der Patienten zu verbessern.
Medikamentöse Therapie
- Neuroleptika/Dopaminantagonisten: Tiaprid, Haloperidol oder Sulpirid können zur symptomatischen Therapie der Hyperkinesen eingesetzt werden. Allerdings können diese Medikamente Nebenwirkungen wie okulomotorische Störungen, Schluckbeschwerden, Feinmotorikstörungen, kognitive Beeinträchtigungen, Parkinsonoid und Dystonien verursachen.
- Tetrabenazin/Deutetrabenazin: Diese VMAT2-Inhibitoren sind zur Therapie der Chorea bei HD zugelassen. Sie können jedoch zu Sedierung und Verschlechterung der Depression mit Suizidalität führen.
- Atypische Neuroleptika: Olanzapin, Risperidon, Quetiapin, Zotepin und Ziprasidon können bei der Behandlung von psychiatrischen Symptomen und Verhaltensauffälligkeiten hilfreich sein. Olanzapin kann auch die Gangstörung verbessern und der Gewichtsabnahme entgegenwirken.
- Antidepressiva: Selektive Serotoninwiederaufnahmehemmer (SSRI) oder Mirtazapin können bei Depressionen eingesetzt werden. Trizyklische Antidepressiva sollten aufgrund ihrer anticholinergen Wirkung vermieden werden.
- Stimmungsstabilisierer: Carbamazepin, Valproat und Lamotrigin können bei Stimmungsschwankungen und Reizbarkeit nützlich sein.
- Weitere Medikamente: Für Zwangsstörungen können SSRI versucht werden. Es gibt erste Hinweise, dass Rivastigmin die Demenz positiv beeinflussen kann.
Nicht-medikamentöse Therapie
- Physiotherapie: Physiotherapie kann helfen, die Beweglichkeit, Koordination und das Gleichgewicht zu verbessern.
- Ergotherapie: Ergotherapie kann helfen, die Selbstständigkeit im Alltag zu erhalten und die Lebensqualität zu verbessern.
- Logopädie: Logopädie kann bei Sprech- und Schluckbeschwerden helfen.
- Psychotherapie: Psychotherapie kann helfen, mit den emotionalen und psychischen Belastungen der Erkrankung umzugehen.
- Psychosoziale Unterstützung: Eine psychosoziale Betreuung und Unterstützung im Alltag sind für HD-Patienten und ihre Familien von großer Bedeutung.
Tiefe Hirnstimulation (DBS)
Die Tiefe Hirnstimulation ist ein experimentelles Verfahren, bei dem Elektroden in bestimmte Hirnregionen implantiert werden, um die unwillkürlichen Bewegungen zu unterdrücken. Dieses Verfahren wird im Rahmen von klinischen Studien untersucht und kann einigen Betroffenen helfen.
Forschung
Es gibt intensive Bemühungen, neue Therapien für die HD zu entwickeln, die den Krankheitsverlauf verlangsamen oder aufhalten können. Zu den vielversprechenden Forschungsansätzen gehören:
- Gen-basierte Therapien: Diese Therapien zielen darauf ab, die Expression des mutierten Huntingtin-Gens zu reduzieren oder die schädlichen Auswirkungen des mHtt-Proteins zu neutralisieren.
- Neuroprotektive Therapien: Diese Therapien zielen darauf ab, die Nervenzellen vor dem Untergang zu schützen.
- Kausale Therapien: Diese Therapien zielen darauf ab, die zugrunde liegenden Mechanismen der Erkrankung zu beeinflussen.
Prognose
Die HD ist eine fortschreitende neurodegenerative Erkrankung mit einer schlechten Prognose. Es gibt derzeit keine Möglichkeit, die Entwicklung der Krankheit zu verhindern oder sie zu heilen. Die Lebenserwartung von HD-Patienten ist verkürzt, meist versterben sie 17-20 Jahre nach dem ersten Auftreten der Symptome. Häufigste Todesursachen sind Schluckstörungen, die zu Erstickung oder Lungeninfektionen führen.
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