Chorea Huntington, auch Huntington-Krankheit genannt, ist eine gefürchtete Krankheit, die zu einem unaufhaltsamen körperlichen und geistigen Verfall führt. Betroffene weltweit setzen große Hoffnungen in die Forschung, um Durchbrüche zu erzielen. Die Deutsche Huntington-Hilfe e.V. setzt sich für die Belange von Betroffenen ein und fördert die Forschung.
Aktuelle Forschungslage
Der Ausbruch der Huntington-Krankheit lässt sich derzeit nicht verhindern, ebenso wenig wie das Verlangsamen oder Stoppen des Fortschreitens. Allerdings gibt es erfreulicherweise zahlreiche Studien zur Erforschung der Huntington-Krankheit. Diese Studien sind entscheidend, um innovative Wirkstoffe am Menschen zu untersuchen und die Ergebnisse für Zulassungen oder Folgestudien zu nutzen. Ein Überblick über laufende Studien in Deutschland ist verfügbar, um Interessierten die Teilnahme zu ermöglichen.
Hoffnungsschimmer durch Gentherapie
Im September wurde durch die Veröffentlichung einer Studie ein Hoffnungsschimmer genährt. Ein Londoner Forschungsteam berichtete über eine Studie, in der 29 Erkrankte über drei Jahre beobachtet wurden. Bei zwölf ausgewerteten Patientinnen und Patienten habe die experimentelle Gentherapie AMT-130 das Fortschreiten der Erkrankung durchschnittlich um 75 Prozent verlangsamt. Expertinnen und Experten äußerten sich hoffnungsvoll und bezeichneten die Ergebnisse als historischen Fortschritt und potenziellen Wendepunkt in der Behandlung der Krankheit, sollten sie sich in weiteren Studien bestätigen.
Das niederländische Unternehmen uniQure, das AMT-130 entwickelt hat, wollte im kommenden Jahr die Zulassung in den Vereinigten Staaten beantragen. Die FDA, die US-amerikanische Behörde für Lebensmittel- und Arzneimittelzulassung, hatte bereits den sogenannten Breakthrough-Therapy-Status gewährt, der die Entwicklung neuer Medikamente gegen schwere oder lebensbedrohliche Erkrankungen beschleunigen soll. AMT-130 hat von der Europäischen Arzneimittelagentur EMA den Status einer Orphan Medicinal Product Designation erhalten. Als Orphan-Arzneimittel können Medikamente eingestuft werden, die zur Behandlung, Prävention oder Diagnose lebensbedrohlicher oder seltener Krankheiten gedacht sind und die strenge Kriterien erfüllen müssen.
Anfang November teilte uniQure jedoch mit, dass die FDA die Daten aus den bisherigen Studien zu AMT-130 nicht länger als ausreichend für das Einreichen eines Zulassungsantrags erachtet. Die weitere Vorgehensweise ist derzeit unklar, aber das Unternehmen will dringend mit der FDA in Kontakt treten, um einen Weg für eine beschleunigte Zulassung von AMT-130 zu finden.
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Ursachenforschung und neue Therapieansätze
Morbus Huntington ist eindeutig genetisch bedingt. Bisher war jedoch unklar, warum die Erkrankung meist erst im mittleren Lebensalter ausbricht und was das Absterben der Nervenzellen verursacht. Ein 18-köpfiges Forschungsteam hat herausgefunden, dass die eigentliche vererbte Veränderung im Huntingtin-Gen (HTT) von Betroffenen lange Zeit harmlos bleibt. Zum Problem wird sie erst, wenn sie sich im Laufe der Jahre in bestimmten Gehirnzellen explosionsartig vermehrt.
Die Mutation besteht in einer 36- bis 55-fachen Wiederholung der DNA-Sequenz »CAG« in einem bestimmten Abschnitt des Huntingtin-Gens. Menschen ohne erbliche Vorbelastung besitzen nur zwischen 15 und 35 Kopien des Tripletts. Zum Absterben von Hirnzellen kommt es erst dann, wenn die Wiederholungen auf 150 und mehr anwachsen - ein Prozess, der »repeat expansion« genannt wird. Je länger die Wiederholungsstrecke schon bei Geburt ist, desto früher treten erste Symptome auf, die in unkontrollierte Bewegungen, schwere kognitive Probleme bis hin zu Schluckschwierigkeiten und schließlich dem Tod münden.
Die kritische Schwelle von 150 CAG-Wiederholungen wird offenbar bloß in bestimmten Nervenzellen erreicht, die im Striatum liegen, einer tief im Gehirn liegenden Struktur mit zahlreichen Funktionen. Wenige Monate später sterben die Neurone ab. Den neuen Beobachtungen zufolge gerät im Zuge der rapiden CAG-Vermehrung die Expression von mehr als 500 Genen aus dem Lot, was letztlich zum Zelltod führen dürfte. Ein Stoppen oder Verlangsamen der Expansion im HTT-Gen könnte laut dem Autorenteam den Ausbruch der Krankheit verzögern oder sogar verhindern.
Die Arbeitsgruppe untersuchte Hirngewebe von 53 Huntington-Betroffenen und 50 Menschen ohne die Erkrankung. In mehr als 500 000 einzelnen Zellen analysierte sie mit einer speziellen, von ihnen entwickelten Technik sowohl die Genexpression als auch die Zahl der CAG-Wiederholungen im fraglichen DNA-Abschnitt. Die meisten Zelltypen enthielten noch die ererbte CAG-Anzahl. Lediglich in manchen »striatalen Projektionsneuronen« war es zu einer starken Vervielfältigung gekommen. Einige von ihnen enthielten im HTT-Gen nun 800 CAGs in Folge! Überraschenderweise beobachtete die Gruppe, dass selbst 40 bis 150 CAG-Repeats noch keine offensichtlichen Auswirkungen auf die Gesundheit eines Neurons hatten. Erst ab 150 CAGs kam es zum Umbruch bei der Genexpression von hunderten Genen. Durch Modellierung fanden die Forscher außerdem heraus, dass ein Expansionsereignis in den ersten beiden Lebensjahrzehnten weniger als einmal pro Jahr stattfindet. Sobald die Zahl von 80 CAGs erreicht ist, beschleunigt sich der Prozess jedoch dramatisch.
Bestimmte DNA-Wartungsproteine helfen der Zelle normalerweise, Mutationen zu begrenzen. Allerdings verleiten Schleifen des DNA-Strangs, die durch zu viele CAGs entstehen, das Reparaturprotein MSH3 dazu, CAG-Repeats zu vervielfältigen, statt sie zu beseitigen. Könnte man fehleranfällige Reparaturproteine wie MSH3 hemmen, müsste das die Expansion verlangsamen. Der Ansatz könnte auch die Therapie bei anderen Erbkrankheiten voranbringen.
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Revolutionäre Gentherapie verlangsamt Krankheitsverlauf
Das Biotech-Unternehmen uniQure meldet nach ersten Studiendaten der University College London (UCL) deutliche Effekte. Die Behandlung habe den Krankheitsverlauf „spektakulär“ verlangsamt, erklärt Prof. Sarah Tabrizi, Direktorin des Huntington’s Disease Centre am UCL, gegenüber der „BBC“. „Wir hätten uns in unseren kühnsten Träumen nicht vorstellen können, dass das klinische Fortschreiten um 75 Prozent gebremst wird“, sagt sie.
Die Behandlung erfolgt in einem hochkomplexen neurochirurgischen Eingriff, der 12 bis 18 Stunden dauern kann. Das Virus wirkt wie ein molekularer Postbote: Es schleust laut Tabritzi eine maßgeschneiderte DNA-Sequenz in die Nervenzellen ein. Dort werde sie aktiv und bringe die Zellen dazu, winzige Stücke genetischen Materials - sogenannte microRNA - herzustellen. Diese würden die Bauanleitung für das mutierte Huntingtin-Protein abfangen, das für den Zelltod verantwortlich sei. Nach Angaben von uniQure führt dieser Mechanismus zu einer deutlichen Senkung der toxischen Proteinkonzentration im Gehirn.
Drei Jahre nach dem Eingriff war das Fortschreiten der Krankheit bei den 29 Behandelten im Schnitt um rund drei Viertel gebremst. Auch die biologischen Marker stützen diesen Befund: Normalerweise steigt der Gehalt an Neurofilamenten in der Rückenmarksflüssigkeit - ein Anzeichen für sterbende Nervenzellen - mit dem Fortschreiten der Krankheit deutlich an. Die Effekte waren nicht nur messbar, sondern auch sichtbar: Manche Teilnehmende, denen längst ein Rollstuhl prognostiziert worden war, konnten weiterhin laufen. Ein anderer Patient, der bereits berentet war, kehrte in den Beruf zurück.
Auch die Frage nach den Risiken stand im Fokus der Untersuchung. Nach den bislang veröffentlichten Daten wurde die Gentherapie insgesamt als sicher eingestuft. Einige Patientinnen und Patienten entwickelten entzündliche Reaktionen, die mit Kopfschmerzen und Verwirrtheit einhergingen. Diese Beschwerden klangen jedoch entweder von selbst ab oder ließen sich mit Steroiden kontrollieren.
Hohe Kosten und langer Weg zur Zulassung
Gentherapien gehören zu den teuersten Behandlungen der modernen Medizin. Für eine vergleichbare Therapie bei Hämophilie B zahlt der britische Gesundheitsdienst NHS derzeit rund 2,6 Millionen Pfund pro Patient. Auch die Huntington-Therapie dürfte in einer ähnlichen Größenordnung liegen - hinzukommt der hoch spezialisierte, bis zu 18 Stunden dauernde Eingriff. Das Biotech-Unternehmen uniQure will nach eigenen Angaben im ersten Quartal 2026 in den USA einen Zulassungsantrag einreichen.
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Hoffnung für Tausende Betroffene
Nach Angaben des University College London (UCL) leben in den USA, Europa und Großbritannien rund 75.000 Menschen mit der Huntington-Krankheit. Die nun vorgestellte Gentherapie könnte für viele erstmals die Aussicht auf ein längeres und besseres Leben eröffnen. Prof. Sarah Tabrizi nennt die Ergebnisse „den Anfang“ und „ein Tor zu Therapien, die künftig noch mehr Menschen erreichen können“. Gemeinsam mit einer Gruppe junger Menschen, die das defekte Gen zwar in sich tragen, aber noch keine Symptome zeigen - das sogenannte Stadium null - bereitet sie die erste Präventionsstudie vor.
UniQure's Gentherapie ATM-130
Am Mittwoch verkündete das niederländische Start-up UniQure in Amsterdam neue Ergebnisse seiner Studie an Huntington-Patienten in einem frühen Stadium der Erkrankung. UniQures Gentherapie namens ATM-130 hat in der höchsten Dosis nach drei Jahren Beobachtung den Verlauf des degenerativen Leidens um 75 Prozent verzögert. Erste Befunde hatten diesen Erfolg im vergangenen Jahr bereits angedeutet. Die neuen Ergebnisse haben die Erwartungen aber klar übertroffen, urteilen Fachleute und Analysten. "Dieser Durchbruch in der Gentherapie ist ein historischer Fortschritt in der neurodegenerativen Medizin", sagt etwa die australische Neurowissenschaftlerin Nela Durisic vom Queensland Brain Institute. Vorerst allerdings muss die Untersuchung noch in einem wissenschaftlichen Fachjournal veröffentlicht und dafür von anderen Forschenden begutachtet werden. Und dann müssen sich die erstaunlichen Ergebnisse noch erhärten - denn bisher hatten nur 12 Probanden die höchste Dosis von der Therapie erhalten. Eine Heilung, das ist wichtig, verspricht diese Behandlung nicht.
Wesensveränderungen und kognitive Verluste
Huntington, benannt nach dem US-amerikanischen Arzt George Huntington, der das Leiden als Erster beschrieben hatte, ist eine erbliche Erkrankung. Die Symptome beginnen meist im mittleren Lebensalter, es kann aber auch schon Jugendliche treffen. Oft entwickeln die Patienten starke Wesensveränderungen, werden sehr ängstlich, aggressiv oder auch depressiv.
Ausgelöst wird die Huntington-Krankheit durch eine ungewöhnliche Genveränderung in dem Huntingtin-Gen. Am Anfang dieser Erbanlage gibt es bei allen Menschen eine Stelle, in der sich die drei DNA-Bausteine CAG immer wiederholen. Solche Wiederholungen, im Fachjargon "tandem repeats", sind aber etwas instabil, sie können sich bei der Zellteilung verlängern. Bei gesunden Menschen gibt es nicht mehr als 36 dieser CAG-Wiederholungen. Wird diese Zahl aber überschritten, droht Huntington. Der genaue Mechanismus der Krankheit ist noch nicht eindeutig geklärt. Der Genfehler wirkt dominant - das Leiden bricht also bereits aus, wenn er nur von einem Elternteil vererbt wurde.
Bislang blieben betroffenen Menschen kaum Möglichkeiten, das zu verhindern - allenfalls, wenn ein Paar von vornherein eine künstliche Befruchtung und eine Präimplantationsdiagnose (PID) vornehmen ließ. Dabei werden die im Labor gezeugten Embryos auf die Huntington-Mutation getestet und nur die nicht betroffenen in den Mutterleib übertragen. Die Untersuchung ist in diesem Fall auch in Deutschland möglich, weil Huntington auch vor dem 18. Lebensjahr ausbrechen kann.
Bis zu 18 Stunden dauert der Eingriff
Nun aber bekommen Betroffene womöglich eine neue Option - für sich selbst und für ihre Kinder. Die neuartige Behandlung muss nur einmal durchgeführt werden, sie erfordert allerdings eine bis zu 18-stündige Präzisionsoperation am Gehirn. UniQures Wirkstoff ist nur formal eine Gentherapie: Dabei wird ein harmloses modifiziertes Schnupfenvirus, das ein künstliches Gen in sich trägt, in die Basalganglien tief im Hirn gespritzt. Das Virus dient als Bote: Es infiziert erst dort die Nervenzellen und soll sich dann im ganzen Hirn verbreiten. Die Neurone lesen von dem transportierten Gen eine spezielle RNA (Ribonukleinsäure) ab, die sich dann an die vom Huntingtin-Gen abgelesene mRNA haftet. Dadurch kann die mRNA nur schlecht von den Eiweißfabriken der Zellen genutzt werden, um das schädliche Huntington-Protein zu bilden. Und die mRNA selbst wird auch von den Zellen abgebaut. Es entsteht also von der mutierten mRNA und dem Protein weniger.
UniQure will nun im ersten Quartal 2026 eine beschleunigte, aber auch bedingte Zulassung bei der US-amerikanischen Arzneimittelbehörde FDA beantragen. Die Firma müsste dann kontinuierlich weitere Ergebnisse nachliefern. Wie teuer UniQures Therapie einmal werden wird, ist offen. "Mit den bislang vorhandenen Daten könnte es eine Chance für eine vorzeitige, bedingte Zulassung in den USA geben", sagt der Neurologe Carsten Saft vom Bochumer Universitätsklinikum St. Josef- und St. Elisabeth-Hospital und dem Huntington-Center NRW in Bochum.
Weitere Entwicklungen sorgen derzeit für Begeisterung in der Huntington-Szene: Eine ganze Reihe von Pharmaunternehmen wie Skyhawk, Alnylam oder Wave hat inzwischen vielversprechende Wirkstoffe entwickelt, die bereits in Studien getestet werden. Auch sie zielen auf die von dem mutierten Gen abgeschriebene mRNA. Womöglich kommen also noch weitere Therapien gegen die Nervenkrankheit in das Arsenal der Neurologen. Vorerst aber liegt UniQure vorn. Bis zum Donnerstagmittag schnellte die Aktie des Unternehmens um 257 Prozent in die Höhe.
Bisherige Behandlungsmöglichkeiten
Bisher können Medikamente lediglich die Symptome von Chorea Huntington lindern, eine ursächliche Behandlung ist nicht möglich. Die Krankheit manifestiert sich meist im Alter zwischen 30 und 50 Jahren, in seltenen Fällen aber auch schon im Kindesalter. Sie führt zu einer Veränderung der Bewegungsfähigkeit und der Persönlichkeit, bis hin zum kompletten Kontrollverlust über die Muskeln und tiefgreifenden psychischen Veränderungen.
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