Training beginnt im Gehirn: Grundlagen und Anwendung des neurozentrierten Trainings

Die Trainingslehre und der Spitzensport erleben derzeit eine Revolution durch neurowissenschaftliche Erkenntnisse. Optimale körperliche Leistung ist untrennbar mit der Qualität der Informationen verbunden, die das Gehirn von Augen, Gleichgewichtssystem und Körper empfängt. Neuroathletik, auch bekannt als neurozentriertes Training, bietet einen revolutionären Ansatz, um die Informationsaufnahme und -verarbeitung gezielt zu trainieren und die sportliche Leistung erheblich zu verbessern.

Was ist Neuroathletik?

Neuroathletik ist ein gezieltes Training des Gehirns, um Bewegungsabläufe zu verbessern und Schmerzen zu lindern. Es basiert auf der Erkenntnis, dass jeder Bewegung eine Informationsverarbeitung im Gehirn vorausgeht. Durch gezieltes neurologisches Training bestimmter Hirnareale lassen sich Koordination, Wahrnehmung und Bewegungssteuerung optimieren.

Der US-amerikanische Arzt Dr. Erik Cobb entwickelte Anfang der 2000er Jahre das Neuroathletiktraining. Sein Ziel war es, das Nervensystem gezielt zu stärken, da es bereits vor der eigentlichen Bewegung die entscheidenden Prozesse im Hintergrund steuert.

Die drei zentralen Steuerungssysteme

Neurowissenschaftler haben herausgefunden, dass optimale körperliche Leistungen nur dann möglich sind, wenn das Gehirn hochwertige Informationen aus den drei zentralen Steuerungssystemen erhält:

  • Visuelles System (Augen): Spezielle Augenübungen verbessern die Informationsverarbeitung im Kopf, was die Bewegungssteuerung optimiert.
  • Vestibuläres System (Gleichgewichtssinn): Übungen für den Gleichgewichtssinn fördern eine stabile Körperhaltung und eine präzise Bewegungskoordination.
  • Propriozeptives System (Körpergefühl): Durch gezielte Reize und Bewegungen wird das Körpergefühl geschult, um Haltungs- und Bewegungsfehler zu korrigieren.

Wie funktioniert Neuroathletik?

Das Gehirn steuert Körperfunktionen, Bewegungen und Schmerzempfinden. Neuroathletik zielt durch das Training des Gehirns darauf ab, die Aufnahme und Verarbeitung von Informationen im Nervensystem zu optimieren. Mithilfe der verbesserten Koordination zwischen Gehirn und Muskeln lassen sich Fehlhaltungen korrigieren, Bewegungsmuster optimieren und die eigene Leistungsfähigkeit steigern.

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Ein Beispiel: Eine einfache kreisende Bewegung der rechten Hand kann Rezeptoren aktivieren, die Signale an das rechte Kleinhirn senden. Diese Informationen kreuzen in die linke Hirnrinde und aktivieren dort den linken Hirnstamm. Tatsächlich hat das Gehirn bereits 90 Prozent der kognitiven Leistung erbracht, bevor der Körper sich bewegt. Das Training des Nervensystems verbessert somit die Informationsaufnahme und -verarbeitung, wodurch die Steuerung von Bewegungen präziser ausfällt.

Anwendungsbereiche der Neuroathletik

Neuroathletiktraining ist vielseitig einsetzbar und eignet sich für verschiedene Anwendungsbereiche:

  • Leistungssteigerung: Im Profisport entscheiden oft kleinste Details über Erfolg oder Misserfolg. Unregelmäßigkeiten in Atmung, Wahrnehmung oder Bewegungssteuerung können die Leistung mindern und das Verletzungsrisiko erhöhen.
  • Verletzungsprävention: Durch die Optimierung der Bewegungssteuerung und die Verbesserung der Stabilität können Verletzungen vorgebeugt werden.
  • Behandlung von Beschwerden: Viele Beschwerden wie Schmerzen, Verspannungen oder Gangunsicherheiten haben ihren Ursprung in fehlerhaften Bewegungen oder einer gestörten Wahrnehmungsverarbeitung. Auch Symptome wie Schwindel oder Gleichgewichtsstörungen lassen sich durch Neuroathletik oft verbessern.

Neuroathletik eignet sich dabei für:

  • Patienten, deren Beschwerden auf fehlerhafte Bewegungen oder Haltungen zurückzuführen sind.
  • Professionelle Athleten, die aktiv ihre Leistungsfähigkeit verbessern wollen.
  • Trainer, die ihre Trainingsmethoden optimieren und Sportler gezielt unterstützen wollen.
  • Hobbysportler, die ihre Bewegungsmuster verbessern und Verletzungen vorbeugen wollen.

Der Ablauf eines Neuroathletiktrainings

Zu Beginn eines neuroathletischen Trainings führen Arzt oder Experte eine detaillierte Anamnese durch. Dabei erfassen sie körperliche Verspannungen, Bewegungseinschränkungen oder neurologische Auffälligkeiten. Auf dieser Grundlage erstellt ein Trainer für Neuroathletik einen individuellen Trainingsplan mit gezielten Korrekturübungen.

Ein zentraler Bestandteil der Neuroathletik ist die Optimierung der Reizverarbeitung. Dazu gehören Übungen zur Stärkung der drei wichtigsten neurologischen Systeme:

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  • Visuelles System: Spezielle Augenübungen verbessern die Informationsverarbeitung im Kopf, was die Bewegungssteuerung optimiert.
  • Vestibuläres System: Übungen für den Gleichgewichtssinn fördern eine stabile Körperhaltung und eine präzise Bewegungskoordination.
  • Propriozeptives System: Durch gezielte Reize und Bewegungen wird das Körpergefühl geschult, um Haltungs- und Bewegungsfehler zu korrigieren.

Beispiele für Übungen im Neuroathletiktraining

  • Augenübungen: Die visuelle Wahrnehmung spielt eine entscheidende Rolle bei der Bewegungssteuerung. Durch gezielte Fixpunkt- und Blicksprungübungen kann das Gehirn lernen, Bewegungen präziser zu koordinieren. Eine Verbesserung der Augenbeweglichkeit hilft zudem, Verspannungen im Nackenbereich und Fehlhaltungen zu reduzieren.
  • Gleichgewichtstraining: Das vestibuläre System beeinflusst maßgeblich die Haltung und Stabilität. Übungen auf instabilen Untergründen, Kopfbewegungen oder gezieltes Training der Gleichgewichtsnerven verbessern die Koordination und Körperkontrolle.
  • Atemtraining: Die Atmung beeinflusst nicht nur die Sauerstoffversorgung des Körpers, sondern auch die Spannung der Muskulatur und die Stabilität der Gelenke. Atemtechniken, wie zum Beispiel die bewusste Bauchatmung oder das Training des Zwerchfells, können Verspannungen lösen und die Leistungsfähigkeit steigern.
  • Propriozeptives Training: Die Körperwahrnehmung wird durch spezielle Reize geschult. Übungen mit gezieltem Druck auf bestimmte Körperstellen oder das bewusste Ansteuern einzelner Gelenke helfen, Bewegungsfehler zu korrigieren und präzisere Abläufe zu ermöglichen.
  • Reflex- und Reaktionsübungen: Durch bestimmte Impulse, wie plötzliche Lichtreize oder unerwartete Gleichgewichtsverlagerungen, wird das Nervensystem dazu trainiert, Bewegungen schneller und effizienter anzupassen.

Während des Trainings überwachen Therapeuten der Neuroathletik die korrekte Ausführung der Übungen. So wird sichergestellt, dass die Zielbewegungen präzise durchgeführt werden, um die bestmöglichen Effekte zu erzielen.

Dauer und Erfolg des Neuroathletiktrainings

Das Training der Neuroathletik kann dabei helfen, plötzliche sowie sporadische Probleme des Körpers in wenigen Tagen zu verbessern. Bei chronischen Beschwerden kann es nötig sein, das Athletiktraining zur Verbesserung der Symptome über mehrere Monate hinweg wahrzunehmen. Die Neuroathletik ist allerdings keine lebenslange Therapie. Die Therapeuten der Neuroathletik erstellen jedem Patienten einen individuellen Trainingsplan für zu Hause.

Neuroathletik im Spitzensport

Neuroathletik gewinnt im Spitzensport zunehmend an Bedeutung. Lars Lienhard, einer der führenden Experten für Neuroathletik im deutschsprachigen Raum, hat diesen Ansatz maßgeblich geprägt. Er arbeitete mit Spitzensportlern wie Alexander Zverev und Serge Gnabry zusammen und machte das Training im Profisport populär.

Erste wissenschaftliche Untersuchungen zeigen vielversprechende Ansätze - insbesondere im Bereich der Wahrnehmungs- und Bewegungssteuerung. Während die Forschung zu Neuroathletik noch jung ist, gibt es bereits Hinweise darauf, dass gezieltes Training des Nervensystems eine positive Wirkung auf Reaktionsfähigkeit, Koordination und Bewegungsmuster haben kann. Manche Wissenschaftler merken jedoch an, dass viele Methoden der Neuroathletik bereits in anderen Trainingsformen genutzt werden - etwa in der Physiotherapie oder im motorischen Lernen.

Kritik und Missverständnisse

Ein typisches Missverständnis ist, dass Neuroathletik eine Trainingsmethode ist. Vielmehr ist es eine Tätigkeitsbeschreibung, die individuelle neurophysiologische Gegebenheiten in den Vordergrund stellt. Daher gibt es keine One-Fits-All-Lösungen oder ein allgemeines NAT, das man einfach in das Training integrieren kann. Das Nervensystem ist so individuell wie ein Fingerabdruck, und dem versucht das NAT etwas gerechter zu werden.

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Neuroathletiktraining ersetzt kein Training oder Therapie, sondern schafft neuronale Rahmenbedingungen, um Training und Therapieprozesse zu optimieren. Muskeln, Ausdauer und Technik entwickeln sich nur dann optimal, wenn das Nervensystem die nötigen Informationen präzise verarbeiten kann. Wenn zum Beispiel das Gleichgewichtssystem oder die Augen nicht sauber arbeiten, „bremst“ das Nervensystem Bewegungen ab, um den Körper zu schützen - die Kraft oder Technik kann dann gar nicht voll ausgespielt werden. Neuroathletik sorgt also dafür, dass klassische Trainingsreize besser ankommen, Bewegungen effizienter werden und Verletzungsrisiken sinken. Es ist die Grundlage, auf der jedes andere Training wirksamer wird.

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