Das autogene Training (AT) ist eine Entspannungstechnik, die in den 1930er Jahren von dem Nervenarzt Johannes Heinrich Schultz entwickelt wurde. Es handelt sich um eine Form der konzentrativen Selbstentspannung, bei der der Übende durch Autosuggestion einen Zustand tiefer Entspannung erreicht. Ursprünglich für psychotherapeutische Zwecke eingesetzt, wird AT heute von vielen Menschen genutzt, um Stress abzubauen, die Lebensqualität zu steigern und verschiedene körperliche und psychische Beschwerden zu lindern.
Grundlagen des Autogenen Trainings
Johannes Heinrich Schultz beobachtete während seiner Arbeit mit Hypnose, dass Menschen durch ihre Vorstellungskraft in einen Zustand tiefer Entspannung gelangen können. Auf dieser Grundlage entwickelte er das autogene Training, eine Technik, die frei von religiösen oder kulturellen Einflüssen ist.
Autogenes Training ist eine Art Selbsthypnose, bei der der Übende durch Autosuggestion in einen sogenannten "Umschaltzustand" gelangt. Dieser Zustand ermöglicht es, bestimmte unwillkürliche Körperfunktionen wie Herz-Kreislauf-, Atmungs- und Verdauungsreaktionen selbst zu beeinflussen. Zudem fördert AT die Selbstwahrnehmung und kann Möglichkeiten zur Selbstkontrolle und Selbstkritik aufzeigen.
Die drei Stufen des Autogenen Trainings
Das autogene Training besteht aus drei Stufen: der Grundstufe, der Mittelstufe und der Oberstufe.
1. Die Grundstufe
Die Grundstufe bildet die Basis des autogenen Trainings. Sie zielt darauf ab, den Körper in einen Ruhezustand zu versetzen, was sich positiv auf die seelische Entspannung auswirkt. Die Grundstufe umfasst sechs Übungen, die auf das vegetative Nervensystem wirken:
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- Schwereübung: Durch die Vorstellung von Schwere in den Gliedmaßen soll die Muskulatur entspannt werden. Der Übende konzentriert sich beispielsweise auf den rechten Arm und sagt sich: "Mein rechter Arm wird schwer."
- Wärmeübung: Ähnlich wie bei der Schwereübung wird hier ein Wärmegefühl in den Gliedmaßen erzeugt. Die Autosuggestion lautet: "Mein rechter Arm ist ganz warm." Ziel ist es, die Durchblutung der Extremitäten zu steigern und so eine Erwärmung des Körpers zu erreichen.
- Atemübung: Bei dieser Übung wird die Aufmerksamkeit auf einen gleichmäßigen, ruhigen Atemfluss gelenkt. Sätze wie "Mein Atem fließt ganz gleichmäßig und ruhig" oder "Tiefes Ein- und Ausatmen macht mich ganz ruhig" unterstützen die Entspannung.
- Herzübung: Der Übende lauscht intensiv dem eigenen Herzrhythmus und suggeriert sich beispielsweise: "Mein Herz schlägt gleichmäßig und ruhig." Diese Übung dient der bewussten Wahrnehmung der Herztätigkeit (v.a. des Herzrhythmus).
- Sonnengeflechtsübung: Diese Übung vermittelt ein Wärmegefühl in der Körpermitte. Formeln wie "Mein Sonnengeflecht verströmt eine wohltuende Wärme" kommen hier zum Einsatz. Sie zielt darauf ab, vegetative Störungen im Bauch- oder Unterleibsbereich zu mildern.
- Stirnkühleübung: Der Übende stellt sich eine kühle, klare Stirn vor, um einen klaren Kopf zu bekommen. Diese Übung soll die Durchblutung während der inzwischen tiefen Entspannung im Kopfbereich regulieren.
Es ist wichtig, den durch autogenes Training erzeugten Entspannungszustand am Ende einer Folge von Übungen wieder aufzulösen - vorausgesetzt, autogenes Training dient nicht dem Einschlafen. Das Auflösen geschieht durch Räkeln, Strecken, Ausschütteln und Augen öffnen.
2. Die Mittelstufe
Die Mittelstufe baut auf der Grundstufe auf und verbindet sie mit der Oberstufe. Zuerst wird die Grundstufe durchgeführt, um einen Entspannungszustand zu erreichen. In der Mittelstufe werden dann sogenannte formelhafte Vorsätze verwendet. Diese werden kurz und prägnant formuliert und dienen dazu, das Unterbewusstsein positiv zu beeinflussen.
Als Vorsätze können beispielsweise Formeln wie "Ich bleibe ganz ruhig und gelassen" oder "Ich lasse mich durch nichts aus der Ruhe bringen" verwendet werden, wenn es um die Vorbereitung auf einen Vortrag geht. Die Formeln sollten immer ganz individuell, nicht negativ und in der Gegenwart formuliert sein.
3. Die Oberstufe
Die Oberstufe setzt das Beherrschen der Grund- und Mittelstufe voraus. Der Übende muss in der Lage sein, in kürzester Zeit in einen Zustand tiefster Entspannung zu gelangen. In der Oberstufe werden Meditationstechniken eingesetzt, mit inneren Bildern und Symbolen gearbeitet.
Die Oberstufe soll dem Übenden den Blick nach innen vermitteln und ihm Möglichkeiten zur Selbstentfaltung und Gestaltung eröffnen. Sie umfasst sieben Phasen:
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- Erleben von Farbe
- Wahrnehmung von Gegenständen
- Sehen ideeller Werte (Liebe, Glück, Vertrauen, Harmonie)
- Übungen zur Selbsterkenntnis
- Bilderreisen
- Persönliche Zielsetzung
- Individuelle Bilder aus dem Inneren
Nach jeder Phase ist es wichtig, die Übung durch Strecken, Räkeln und Augen öffnen zurückzunehmen, da ansonsten der Trainierende in einem Schläfrigkeitszustand bleiben würde.
Körperhaltung beim Autogenen Training
Wichtig ist, dass die Körperhaltung für den Übenden bequem ist. Die einfachste Übungshaltung ist das Liegen auf dem Rücken. Weitere traditionelle Haltungen sind die Lehnstuhlhaltung und die Droschkenkutscherhaltung, die J.H. Schultz entwickelt hat. Bei dieser Übungshaltung sitzt der Übende auf dem vorderen Teil eines Stuhles, etwas nach vorne gebeugt, Ellbogen oder Hände liegen auf den Oberschenkeln. Die Füße stehen beide fest auf dem Boden.
Indikationen für Autogenes Training
Autogenes Training kann von jedem erlernt werden und ist für Kinder, Jugendliche und Erwachsene bis ins hohe Alter geeignet. Es kann in verschiedenen Lebenssituationen vorteilhaft sein, um Stress abzubauen, die Entspannungsfähigkeit zu verbessern und das allgemeine Wohlbefinden zu steigern.
Autogenes Training eignet sich zur Behandlung von:
- Ängsten
- Schmerzen
- Konzentrationsstörungen
- Sucht
- Stress
- Schlafstörungen
- Leichten bis mittelschweren depressiven Phasen
- Asthma
- Spannungskopfschmerz
- Bluthochdruck
- Erkrankungen der Verdauungsorgane (z.B. Reizdarm, Magengeschwüre)
- Erkrankungen der Bewegungsorgane
- Erkrankungen der Schilddrüse
- Erkrankungen der Haut (z.B. Neurodermitis)
- Menstruationsbeschwerden
- Diabetes
- Hormonellen Störungen
- Beschwerden in der Menopause
Darüber hinaus wird autogenes Training in der Geburtsvorbereitung zur Schmerzlinderung eingesetzt.
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Kontraindikationen
Autogenes Training sollte bei bestimmten Krankheiten wie Epilepsie, schweren Herzerkrankungen und akuten psychischen Erkrankungen nicht in jedem Fall angewendet werden. Daher sollten Patienten vor der Anwendung unbedingt Rücksprache mit ihrem behandelnden Arzt halten. Bei einer Neigung zu hypochondrischer Selbstbeobachtung können sich die Beschwerden durch autogenes Training verschlimmern.
Einige Menschen erleben den entspannten loslassenden Zustand vor allem während der ersten Übungen als Kontrollverlust und dadurch unter Umständen als bedrohlich. In solchen Fällen ist es wichtig, das Training unter Anleitung eines erfahrenen Therapeuten durchzuführen.
Studien zur Wirksamkeit von Autogenem Training bei Epilepsie
Es gibt einige Studien, die die Wirksamkeit von Biofeedback, einschließlich Hautleitwert-Biofeedback, bei der Behandlung von Epilepsie untersucht haben. Diese Studien deuten darauf hin, dass Biofeedback einen positiven therapeutischen Effekt haben kann.
Eine systematische Übersichtsarbeit und Meta-Analyse aus dem Jahr 2019 untersuchte den Einsatz von galvanischem Hautreaktions- (GSR) / elektrodermalem / Hautleitwert-Biofeedback bei Epilepsie. Die angesprochenen Studien (Interventionen mit Kontrollgruppe) zeigten alle einen positiven therapeutischen Effekt von Biofeedback.
Es ist jedoch wichtig zu beachten, dass die Forschungslage noch nicht ausreichend ist, um definitive Schlussfolgerungen über die Wirksamkeit von autogenem Training bei Epilepsie zu ziehen. Weitere Studien sind erforderlich, um die potenziellen Vorteile und Risiken dieser Entspannungstechnik für Menschen mit Epilepsie besser zu verstehen.