Morbus Huntington (HD) ist eine fortschreitende neurodegenerative Erkrankung, die durch eine genetische Mutation im HTT-Gen verursacht wird. Diese Mutation führt zur Produktion einer toxischen Form des Huntington-Proteins. Die Krankheit manifestiert sich typischerweise im Alter zwischen 30 und 50 Jahren, obwohl sie in jedem Alter auftreten kann. Die Symptome umfassen motorische Störungen wie unwillkürliche Bewegungen (Chorea), Steifheit und Koordinationsstörungen, kognitive Beeinträchtigungen wie Schwierigkeiten beim Planen, Organisieren und Treffen von Entscheidungen sowie psychiatrische Symptome wie Depressionen, Angstzustände und Reizbarkeit.
Da es derzeit keine Heilung für HD gibt, konzentriert sich die Behandlung auf die Linderung der Symptome und die Bereitstellung unterstützender Pflege. Ärzte spielen eine entscheidende Rolle bei der Diagnose, Überwachung des Krankheitsverlaufs und der multidisziplinären Betreuung von Patienten und ihren Familien. Genetische Beratung ist ebenfalls wichtig, um Risikopersonen und Familienmitgliedern zu helfen, die Vererbungsmuster zu verstehen und fundierte Entscheidungen über Tests und Familienplanung zu treffen.
Diagnose von Morbus Huntington
Die Diagnose von HD erfordert eine Kombination aus klinischer Beurteilung und Gentests. Die klinische Untersuchung konzentriert sich auf motorische, kognitive und psychiatrische Symptome, die durch neurologische, neuropsychologische und psychiatrische Untersuchungen bewertet werden. Gentests werden anhand von Blut- oder Speichelproben durchgeführt, um das Vorhandensein des mutierten HTT-Gens festzustellen. Präsymptomatische Personen mit einer bekannten Familienanamnese sollten sich vor dem Gentest beraten lassen. Ein positiver Gentest bestätigt die Diagnose, während ein negativer Test anzeigt, dass die Person das mutierte Gen nicht geerbt hat.
Stadien von Morbus Huntington
HD ist eine fortschreitende neurodegenerative Störung, die verschiedene Stadien durchläuft, die jeweils durch spezifische Symptome und Anzeichen gekennzeichnet sind.
- Anfangsstadium: Defizite im Kurzzeitgedächtnis, motorische Störungen wie Chorea, kognitive Veränderungen (verminderter Redefluss, Aufmerksamkeitsprobleme, exekutive Dysfunktionen) und frühe Verhaltensänderungen (Reizbarkeit, Unordentlichkeit, Verlust des Interesses).
- Mittleres Stadium: Ausgeprägtere kognitive Verlangsamung und intellektuelle Beeinträchtigung, fortschreitende Gedächtnisstörungen, Chorea kann durch Dystonie und Parkinson-ähnliche Symptome ersetzt werden (Bradykinesie, Steifheit, Haltungsinstabilität).
- Fortgeschrittenes Stadium: Akinetisches Rigiditätssyndrom (minimale oder keine Chorea, schwere Rigidität und Bradykinesie).
Schwangerschaft und Morbus Huntington: Besondere Herausforderungen
Morbus Huntington stellt Personen, die schwanger sind oder eine Schwangerschaft planen, vor besondere Herausforderungen und Überlegungen.
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Genetische Risiken und Familienplanung
Aufgrund des autosomal-dominanten Vererbungsmusters von HD besteht eine 50-prozentige Chance, dass ein betroffener Elternteil das mutierte Gen an sein Kind weitergibt. Viele Personen mit einem HD-Risiko ziehen daher pränatale oder genetische Präimplantationstests in Betracht.
- Pränatale Tests: Verfahren wie Chorionzottenbiopsie oder Amniozentese, bei denen fetale Zellen zur genetischen Analyse entnommen werden, um festzustellen, ob der Fötus das mutierte HTT-Gen geerbt hat.
- Genetische Präimplantationstests: Screening von Embryonen, die durch In-vitro-Fertilisation entstanden sind, um vor der Einpflanzung diejenigen ohne die HD-Mutation auszuwählen.
Bei Verwendung von gespendeten Eizellen, Spermien oder Embryonen ist es wichtig sicherzustellen, dass der Spender das mutierte Gen nicht trägt.
Schwangerschaftsrisiken
Gleichgewichtsstörungen und Chorea im Zusammenhang mit HD können während der Schwangerschaft ein Risiko darstellen und zu Stürzen oder Verletzungen führen. Ein gestörtes Urteilsvermögen und kognitive Beeinträchtigungen können auch zu Verhaltensweisen führen, die für den Fötus gefährlich sind.
Fähigkeit zur Elternschaft
Der fortschreitende Charakter von HD gibt Anlass zur Sorge über die Fähigkeit der Betroffenen, an der Schwangerschaft und der Elternschaft teilzunehmen. Eine umfassende Beratung vor der Empfängnis und eine multidisziplinäre Betreuung sind daher von entscheidender Bedeutung.
Die Möglichkeit der Präimplantationsdiagnostik (PID) bietet Paaren mit Huntington-Krankheit die Chance, ein gesundes Kind zu bekommen. Allerdings ist dieses Verfahren in Deutschland mit hohen Kosten (12.000 bis 20.000 Euro) und ethischen Hürden verbunden. Die Kosten werden in der Regel nicht von den Krankenkassen übernommen, es sei denn, es liegt eine Sub- oder Infertilität vor. Zudem ist ein Ethikvotum erforderlich, wobei die Entscheidungen der verschiedenen Ethikkommissionen oft inkonsistent sind.
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Ethische und rechtliche Aspekte
Die strengen deutschen Regelungen zur künstlichen Befruchtung führen dazu, dass viele Paare für eine PID ins Ausland reisen. Im Ausland gibt es eine größere Freizügigkeit bei der Anwendung von medizinischen Hightech-Methoden wie In-vitro-Behandlungen, bei denen Eizellen entnommen, in der Petrischale befruchtet und zurückgesetzt werden.
Auswirkungen auf die Lebensqualität
Morbus Huntington beeinträchtigt die Lebensqualität erheblich.
- Motorische Symptome: Chorea (unwillkürliche Bewegungen) kann körperlich behindernd, sozial stigmatisierend und emotional belastend sein.
- Psychiatrische Symptome: Depressionen, Angstzustände und Impulsivität können die Lebensqualität erheblich beeinträchtigen. Das Suizidrisiko ist erhöht. Halluzinationen, Wahnvorstellungen und schizophrenieähnliche Syndrome können auftreten.
- Alltagsfunktionen: Die Aufrechterhaltung der Alltagsfunktionen und der Unabhängigkeit ist für den Erhalt der Lebensqualität von wesentlicher Bedeutung. Sprach- und Schluckprobleme treten häufig auf.
Management von Morbus Huntington
Das Management von HD zielt darauf ab, die Symptome zu lindern, die Lebensqualität zu verbessern und Pflegekräfte zu unterstützen.
Multidisziplinärer Ansatz
Ein multidisziplinärer Ansatz mit Beteiligung von Neurologie, Psychiatrie, Sozialarbeit, Physiotherapie, Neuropsychologie und unterstützender Pflege ist oft notwendig.
Pharmakologische Interventionen
- Unruhe und Verhaltensstörungen: Benzodiazepine, Antipsychotika und Antiepileptika.
- Chorea: Tetrabenazin, Deutetrabenazin, Valbenazin (VMAT2-Hemmer).
- Bradykinesie: Levodopa oder Dopamin-Agonisten.
- Kognitive Symptome: Reduzierung sedierender Medikamente, Anpassung der Umgebung, neuropsychologische Tests.
- Psychiatrische Symptome: Antidepressiva (SSRIs, Bupropion, Venlafaxin, Mirtazapin, trizyklische Antidepressiva), Antipsychotika.
Unterstützende Maßnahmen
- Sozialarbeit: Unterstützung bei Anträgen auf Erwerbsunfähigkeit, langfristige Unterbringungsmöglichkeiten, Familienunterstützung.
- Beratung: Unterstützung für Patienten und Familien bei der Bewältigung von Rollenveränderungen und dem fortschreitenden Charakter der Krankheit.
- Physiotherapie und Ergotherapie: Bewegungsprogramme für zu Hause, Physiotherapie und Beschäftigungstherapie zur Verbesserung der Mobilität und des Wohlbefindens.
- Sprachtherapie und Ernährungsumstellung: Behandlung von Sprach- und Schluckproblemen.
Neue Therapien
- Gen-Silencing: Reduzierung der Produktion des mutierten Huntington-Proteins durch RNA-Interferenz oder Antisense-Oligonukleotid-Technologie.
- Gen-Editing: Korrektur der genetischen Mutation durch CRISPR/Cas9 (noch im Versuchsstadium).
- Stammzelltherapie: Ersatz geschädigter Neuronen.
- Neuroprotektive Therapien: Erhaltung der neuronalen Funktion und Verhinderung weiterer Neurodegeneration.
Aktuelle Forschung und vielversprechende Entwicklungen
UniQure's Gentherapie namens ATM-130 hat in einer Studie an Huntington-Patienten in einem frühen Stadium der Erkrankung den Verlauf des degenerativen Leidens um 75 Prozent verzögert. Die Behandlung erfordert eine bis zu 18-stündige Präzisionsoperation am Gehirn, bei der ein harmloses modifiziertes Schnupfenvirus mit einem künstlichen Gen in die Basalganglien tief im Hirn gespritzt wird. UniQure will im ersten Quartal 2026 eine beschleunigte, aber auch bedingte Zulassung bei der US-amerikanischen Arzneimittelbehörde FDA beantragen.
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Weitere Pharmaunternehmen wie Skyhawk, Alnylam oder Wave haben vielversprechende Wirkstoffe entwickelt, die bereits in Studien getestet werden und auf die von dem mutierten Gen abgeschriebene mRNA zielen.
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