Corona-Demenz-Studie: Erhöht COVID-19 das Risiko für Alzheimer und andere neurologische Erkrankungen?

Die COVID-19-Pandemie hat die Welt in den letzten Jahren stark beeinflusst. Neben den akuten Auswirkungen der Krankheit rücken nun auch die langfristigen Folgen einer SARS-CoV-2-Infektion in den Fokus der Forschung. Eine wachsende Zahl von Studien deutet darauf hin, dass COVID-19 möglicherweise das Risiko für neurologische Erkrankungen wie Demenz, insbesondere Alzheimer, erhöhen könnte.

Virusinfektionen und Demenzrisiko: Ein Überblick

Hirnforscher vermuten schon seit längerem, dass Virusinfektionen die Anfälligkeit für Demenzen erhöhen können. Epidemiologische Studien haben ein erhöhtes Demenzrisiko nicht nur nach schweren Infektionen der Hirnhäute oder des Gehirns festgestellt. Auch für Grippe- und einige andere Viren, die normalerweise nicht das Gehirn infizieren, wurde eine Assoziation mit späteren Demenzerkrankungen gefunden.

COVID-19 und Alzheimer: Eine Studie in Nature Medicine

Eine aktuelle Studie, veröffentlicht in Nature Medicine (2025; DOI: 10.1038/s41591-024-03426-4), untersuchte den Zusammenhang zwischen COVID-19 und dem Risiko für Alzheimer. Die Studie deutet darauf hin, dass COVID-19 möglicherweise die Ablagerung von Beta-Amyloiden und Tau-Fibrillen im Gehirn fördern könnte, die Kennzeichen des Morbus Alzheimer sind. Betroffen wären nach den Ergebnissen vor allem Patienten, die wegen COVID-19 im Krankenhaus behandelt wurden oder aus anderen Gründen eine erhöhte Vulnerabilität haben.

Studiendesign und Methodik

Ein Team um Paul Matthews vom UK Dementia Research Institute in London verglich Blutproben von 626 Personen, die an COVID-19 erkrankt waren, mit Blutproben von 626 Personen, die sich nicht erkennbar mit SARS-CoV-2 infiziert hatten. Alle Personen hatten zwischen 2005 und 2010 an der UK Biobank-Studie teilgenommen, so dass Blutproben aus der Zeit vor der Pandemie vorlagen. Außerdem waren bei den Teilnehmenden vor und nach der Erkrankung Magnetresonanztomografien (MRT) des Gehirns angefertigt worden.

In den Blutproben wurden einige Biomarker bestimmt, die derzeit als Screeninginstrument zur Früherkennung des Morbus Alzheimer in der Diskussion sind. Der wichtigste Parameter ist ein Abfall des Quotienten aus Abeta42 und Abeta40. Dieser ließ sich jetzt auch bei den Personen nachweisen, die bereits an COVID-19 erkrankt waren.

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Ergebnisse der Studie

Die Studie ergab, dass bei älteren Menschen und solchen mit einer erhöhten Vulnerabilität auch die Abeta42-Konzentration insgesamt abfiel und die pTau-181-Konzentration zunahm. pTau-181 zeigt die vermehrte Ablagerung von Tau-Fibrillen an, zu der es nach dem Untergang von Nervenzellen im Gehirn kommt. Abeta42 und Abeta40 sind Marker für Beta-Amyloide, die außerhalb der Nervenzellen abgelagert werden, was keinen Zelltod voraussetzt.

Der Abfall des Abeta42/Abeta40-Quotienten entsprach laut Matthews einem Anstieg des Alters um 4 Jahre. Der Zunahme des Risikos war halb so hoch wie bei einer Heterozygotie auf APOE-e4, dem wichtigsten genetischen Risikofaktor für einen Morbus Alzheimer.

Besonders deutlich war die Assoziation mit den Biomarkern bei Patienten, die wegen COVID-19 im Krankenhaus behandelt wurden, oder bei solchen, die eine Hypertonie in der Vorgeschichte hatten. Die Hypertonie gehört zu den bekannten Risikofaktoren für einen schweren Verlauf von COVID-19.

Die Auswirkungen von COVID-19 auf die Biomarker hingen auch von den Veränderungen ab, die in der ersten MRT gefunden wurden. Damals war kein Patient erkennbar am Morbus Alzheimer (AD) erkrankt. Die Forschenden hatten jedoch erste Veränderungen entdeckt. Bei den Patienten mit einer solchen „AD-Signatur“ kam es nach COVID-19 zu der stärksten Veränderung der Biomarker.

Interpretation der Ergebnisse

Dies bestätigt den Eindruck von Matthews, dass die Infektion mit SARS-CoV-2 zwar keinen Morbus Alzheimer auslöst, den jahrzehntelangen Verlauf der Erkrankung jedoch beschleunigen könnte. Ob dies tatsächlich der Fall ist, wird sich erst in künftigen epidemiologischen Studien zeigen.

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Bislang gibt es hierfür keine sicheren Hinweise. Zwar war die Infektion mit SARS-CoV-2 mit einem Rückgang der kognitiven Fähigkeiten verbunden, der etwa einem zusätzlichen Alter von 2 Jahren entsprach. Die kognitiven Einbußen korrelierten allerdings nicht mit dem Abfall des Abeta42/Abeta40-Quotienten. Nur bei den Patienten mit erhöhter Vulnerabilität waren laut Matthews erste Auswirkungen auf Abeta42 und pTau erkennbar.

Es ist wichtig zu betonen, dass die Studie eine Kausalität nicht beweisen kann.

Weitere Forschungsergebnisse und Studien

Metaanalyse bestätigt erhöhtes Demenzrisiko nach COVID-19

Eine aktuelle Metaanalyse konnte zeigen, dass Menschen nach einer COVID-19-Erkrankung ein signifikant erhöhtes Risiko haben, an einer neu auftretenden Demenz zu erkranken. Insgesamt wurden 15 retrospektive Kohortenstudien mit insgesamt 26.408.378 Teilnehmern analysiert. Die zusammenfassende Auswertung zeigte, dass eine COVID-19-Erkrankung mit einem erhöhten Risiko für neu auftretende Demenz verbunden ist (Hazard Ratio, HR: 1,49; 95 % Konfidenzintervall, KI: 1,33 - 1,68). Dieses Risiko blieb auch im Vergleich zu Kontrollgruppen ohne COVID-19 (HR: 1,65; 95 % KI: 1,39 - 1,95) sowie zu Gruppen mit anderen Atemwegserkrankungen (HR: 1,29; 95 % KI: 1,12 - 1,49) erhöht, jedoch nicht im Vergleich zu Influenza- oder Sepsis-Kohorten.

Veränderungen im Gehirn nach Corona-Infektion

Studienergebnisse aus England zeigen, dass sich die Struktur des Gehirns nach einer Corona-Infektion verändert. Oft ist auch die Hirnleistung eingeschränkt. Betroffene können sich schlechter auf mehrere Dinge gleichzeitig konzentrieren, Planungen fallen ihnen schwer, es treten Wortfindungsstörungen auf. Auch Gedächtnisstörungen sind nicht selten.

"Brain Fogging": Ein gemeinsames Symptom von Post COVID und Demenz

Ein Symptom, das sowohl bei Post COVID als auch bei Demenzen wie Alzheimer auftritt, ist das sogenannte „Brain Fogging“. „Brain Fogging kann man mit Gehirnvernebelung übersetzen“, erläutert der Neurologe Prof. Dr. Siebler von MEDICLIN. „Betroffene fühlen sich wie im Nebel und haben das Gefühl, nicht mehr klar denken zu können. Das äußert sich u. a. Einschränkungen der Hirnleistung erleben auch einige depressive Menschen als ein Symptom ihrer Depression. In diesem Fall wissen wir, dass es sich um eine sogenannte Pseudodemenz handelt. Das bedeutet, dass die eingeschränkten kognitiven Fähigkeiten mit der psychischen Erkrankung zusammenhängen und sich wieder verbessern, wenn die Depression erfolgreich behandelt wurde."

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Langzeitstudie zu neurologischen Beschwerden nach COVID-19

Am Universitätsklinikum Bonn (UKB) wird eine Studie zu neurologischen Beschwerden nach einer Corona-Infektion durchgeführt. Die Studie richtet sich an Personen, deren geistige Leistungsfähigkeit im zeitlichen Zusammenhang mit einer Corona-Infektion nachgelassen hat. Das kann Gedächtnis- und Konzentrationsstörungen beinhalten, aber auch andere Symptome, die auf eine Beeinträchtigung der Hirnfunktion hinweisen. Die Ursachen derlei Nachwirkungen einer Corona-Infektion sind bislang ungeklärt. Das Team um Schultze verfolgt jedoch einen konkreten Verdacht: „Nach heutigem Kenntnisstand erreicht das Corona-Virus in der Regel nicht das Gehirn. Daher vermuten wir, dass es indirekt betroffen ist. Und zwar durch die Reaktion des Immunsystems auf die Corona-Infektion. Die Immunantwort setzt massenhaft entzündliche Botenstoffe frei. Diese können ins Gehirn gelangen und sozusagen Kollateralschäden auslösen, selbst wenn das Virus nicht bis dahin vordringt“, sagt Schultze.

Corona lässt das Gehirn altern

Eine Studie aus dem Jahr 2025 deutet darauf hin, dass eine SARS-CoV2-Infektion das Risiko, an Alzheimer zu erkranken, erhöhen könnte. Dabei spielt die Schwere des Krankheitsverlaufs von Covid-19 offenbar keine Rolle. Die Wissenschaftler analysierten die Blutproben von 1.252 Probanden. Die Hälfte der Teilnehmer war positiv auf Covid getestet worden, die andere Hälfte hatte nie einen positiven Test. Die Blutproben wurden vor und nach der Pandemie entnommen, um Veränderungen feststellen zu können. Einige der analysierten Biomarker waren entweder deutlich zu hoch oder zu niedrig, was auf ein deutlich erhöhtes Alzheimer-Risiko hinwies.

Neurologische und psychiatrische Folgen von COVID-19: Eine Beobachtungsstudie

Eine große Beobachtungsstudie mit über 1,2 Millionen Corona-Infizierten untersuchte die Erkrankungsgefahr für neurologische und psychiatrische Krankheiten nach einer COVID-19-Erkrankung. Die Studie ergab, dass das Risiko für Demenz, Psychosen oder Krampfleiden bis zu zwei Jahre nach einer SARS-CoV-2-Erkrankung erhöht bleibt. Das Risiko für Angststörungen und Depressionen sinkt schon nach zwei Monaten.

Auswirkungen der Virusvarianten

Mit Erscheinen der Delta-Variante stieg das Risiko für ischämische Schlaganfälle (+27%), Epilepsie oder Krampfanfälle (+26%), kognitive Defizite (+38%), Schlaflosigkeit (+19%) und Angststörungen (+10%). Die Omikron-Variante barg ein ähnliches Risiko für neurologische und psychiatrische Folgeerscheinungen wie die Delta-Mutation.

Mögliche Mechanismen

Ob die beobachteten erhöhten Risiken für psychiatrische und neurologische Erkrankungen auf die Infektion mit SARS-CoV-2 zurückzuführen sind oder vielmehr die Folge der mit einer weltweiten Pandemie verbundenen Belastung sind, ist noch nicht abschließend geklärt. Es gibt jedoch potenzielle biologische Mechanismen, die eine kausale Beziehung erklären würden: „Der wahrscheinlichste Mechanismus ist eine maladaptive Reaktion des Wirts - sowohl der angeborenen als auch der adaptiven Immunantwort -, die zu einer nachhaltigen neurologischen Schädigung führen kann, die sich durch erhöhte Biomarker für Hirnschädigung, speziell Tau, zeigt“, kommentiert David Menon, Direktor der Klinik für Anästhesie an der University of Cambridge.

Ein weiterer möglicher Mechanismus ist die Reaktion des Immunsystems auf die Corona-Infektion. Die Immunantwort setzt massenhaft entzündliche Botenstoffe frei. Diese können ins Gehirn gelangen und sozusagen Kollateralschäden auslösen, selbst wenn das Virus nicht bis dahin vordringt.

Medin und Alzheimer

In den Blutgefäßen des Gehirns von Alzheimer-Patienten lagert sich zusammen mit dem Protein Amyloid-β auch das Protein Medin ab. Diese sogenannte Co-Aggregation haben Forschende am Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) entdeckt. „Medin könnte ein therapeutisches Ziel sein, um vaskuläre Schäden und kognitive Verschlechterungen zu verhindern, die aus Amyloid-Ansammlungen in den Blutgefäßen des Gehirns resultieren“, lautet ihre Schlussfolgerung.

Auswirkungen von Virusinfektionen auf Demenz

Dr. Marius Schwabenland vom Universitätsklinikum Freiburg untersucht zusammen mit seinem Team die Gehirne von an Covid-19 Verstorbenen aus den ersten Corona-Wellen. Der Fokus lag dabei auf sogenannten Mikrogliazellen, den Immunzellen im Zentralnervensystem (ZNS). Mit einer neu entwickelten Technik, die auffällige Zellverbände mehrdimensional sichtbar macht, konnten vermehrt Mikroglia-Ansammlungen (Knötchen) im Hirnstamm identifiziert werden. Dies deutet auf eingetretene pathologische Veränderungen im Gehirn hin.

Prof. Ina Vorberg vom DZNE stellte ebenfalls ihre Ergebnisse vor. Diese weisen darauf hin, dass virale Moleküle die Ausbreitung von Alzheimer-typischen Proteinaggregaten zwischen Zellen fördern und so neurodegenerative Erkrankungen beschleunigen könnten. Zu diesen viralen Molekülen gehören insbesondere auch die Spike-Proteine der Corona-Viren und reaktivierte endogene Retroviren, die abgeschaltet in den menschlichen Erbanlagen vorliegen. Antivirale Behandlungen oder Impfstoffe könnten hierauf einen Einfluss haben und den Ausbruch oder das Fortschreiten solcher Erkrankungen verhindern beziehungsweise verlangsamen.

Auswirkungen von Long Covid auf das Gehirn

Prof. Ulrich Kalinke vom Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung ging in seinem Vortrag der Frage nach, ob und wie Viren bis ins Gehirn vordringen. Das Virus folgt demnach anatomischen Strukturen und dringt über die Atemwege und das Herz-Kreislauf-System ins Rückenmark vor und von dort weiter bis in das Gehirn. Dies kann direkte oder indirekte neurologische Veränderungen mit sich bringen und trifft sowohl Patientinnen mit milden als auch mit schweren (Long-)Covid-Verläufen.

Prof. Gabor Petzold vom DZNE ging auf neurologische und psychiatrische Symptome bei Long-Covid ein. Dazu gehören kognitive Symptome wie Aufmerksamkeitsstörungen oder Gedächtnisschwierigkeiten, die bei etwa 50% der Betroffenen auftreten. Passend dazu wurde in einer Studie, in die auch Patienten mit milden Verläufen eingeschlossen wurden, ein Abbau des Gewebes in Hirnregionen nachgewiesen, die für Gedächtnis und Kognition relevant sind.

Die Rolle der Impfung

Eine der wichtigsten Maßnahmen zur Eindämmung der Verbreitung des Coronavirus ist weiterhin eine Impfung. Im Rahmen einer Studie „TüSeRe“ untersuchte daher ein Forschungsteam um Prof. Dr. Tamam Bakchoul vom Institut für Klinische und Experimentelle Transfusionsmedizin (IKET) am Universitätsklinikum Tübingen sowie um Prof. Dr. Katja Schenke-Layland und Dr. Ziel der Studie war es, Nebenwirkungen sowie die Veränderungen des Antikörperspiegels nach der ersten, zweiten und dritten Impfung zu untersuchen. „Unsere Ergebnisse zeigen, dass nach der ersten Impfung vor allem lokale Nebenwirkungen bei den mRNA-Impfstoffen BioNTech/Pfizer und Moderna auftraten, während systemische Nebenwirkungen bei dem Vektorimpfstoff von AstraZeneca häufiger und schwerer waren“, berichtet Alan Bareiß (IKET), einer der Erstautoren der Studie. „Nach der zweiten Dosis nahm jedoch die Häufigkeit systemischer Nebenwirkungen ab, wenn AstraZeneca verabreicht wurde. Weitere Analysen zeigten eine Tendenz zu lokalen und systemischen Nebenwirkungen bei Studienteilnehmenden die jünger als 45 Jahre waren. Außerdem meldeten weibliche Teilnehmerinnen vermehrt Nebenwirkungen. Personen mit Hauterkrankungen wiesen eine höhere Wahrscheinlichkeit auf, eine lokale Nebenwirkung zu entwickeln. Ebenso wurde das Vorliegen einer kardiovaskulären Erkrankung mit einer höheren Frequenz an systemischen Nebenwirkungen in Verbindung gebracht.

Masken und soziale Interaktion

Die Covid-19-Pandemie hat das Tragen von Gesichtsmasken alltäglich werden lassen. Das Verdecken von Mund und Nase trägt dabei zwar zu einem besseren Infektionsschutz bei, hemmt jedoch gleichzeitig die Wahrnehmung und Zuordnung von Gesichtern und Gesichtsausdrücken. Insbesondere für Menschen mit neurologischen und psychischen Störungen stellen die fehlenden Informationen eine große Herausforderung in der Kommunikation dar. Im Rahmen einer Studie zeigte sich, dass Maskentragen das Erkennen von Emotionen beeinflusst, wenngleich zuverlässige Rückschlüsse auf grundlegende emotionale Ausdrücke möglich bleiben: „Gesichtsmasken erschweren die Erkennung von Emotionen und die soziale Interaktion. Jedoch können Menschen selbst mit Maske leicht zwischen echtem Lächeln und vorgetäuschtem, unehrlichem Lächeln unterscheiden“, erklärt Prof. Pavlova. Trotzdem führen Masken zu einer Verengung der Bandbreite wahrnehmbarer emotionaler Ausdrücke - und erschweren so die zutreffende Bewertung des Gegenübers. Masken können Vorurteile verstärken und die wahrgenommene Attraktivität von Gesichtern beeinflussen.

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