Neurologische Auswirkungen von Corona: Ein umfassender Überblick

Die COVID-19-Pandemie hat nicht nur die Atemwege, sondern auch das Nervensystem vieler Menschen weltweit beeinträchtigt. Neurologische Symptome sind sowohl während der akuten Infektionsphase als auch als Langzeitfolgen beobachtet worden. Dieser Artikel beleuchtet die verschiedenen Aspekte der neurologischen Auswirkungen von Corona, von den unmittelbaren Symptomen bis hin zu den langfristigen Konsequenzen und möglichen Ursachen.

Akute neurologische Manifestationen von COVID-19

Bereits zu Beginn der Pandemie berichteten viele Patientinnen und Patienten über neurologische Symptome, die über die typischen Atemwegsbeschwerden hinausgingen. Diese akuten Manifestationen können vielfältig sein:

  • Geruchs- und Geschmacksstörungen: Anosmie (Verlust des Geruchssinns) und Ageusie (Verlust des Geschmackssinns) sind charakteristische Symptome von COVID-19 und können sogar als Erstsymptome auftreten. Die Anosmie entsteht teilweise durch die direkte Invasion des Virus in den Bulbus olfactorius, aber auch indirekt durch lokale Entzündungen, mikrovaskuläre Schäden und Hypoperfusion. In den meisten Fällen normalisiert sich der Geruchssinn wieder, aber bei manchen Patientinnen und Patienten persistiert die Anosmie über Monate.
  • Kopfschmerzen und Muskelschmerzen: Diese Symptome sind ebenfalls häufig und können das allgemeine Wohlbefinden erheblich beeinträchtigen.
  • Fatigue-Syndrom: Dauerhafte Erschöpfung und Abgeschlagenheit sind typische Begleiterscheinungen der akuten Infektion.
  • Enzephalopathien und Delir: Bewusstseinsstörungen und Störungen der Hirnfunktionen treten vor allem bei schweren Verläufen auf, insbesondere bei älteren Menschen. Ein Delir kann ein unabhängiges Symptom von COVID-19 sein.
  • Schlaganfälle: Lebensbedrohliche neurologische Komplikationen wie Schlaganfälle können während oder direkt nach einer COVID-19-Erkrankung auftreten. Störungen der Blutgerinnung sind bei COVID-19-Pneumonie eher die Regel als die Ausnahme und bilden eine eigene Entität der COVID-19-Erkrankung. Es bilden sich in der Folge Gerinnsel, die ischämische Schlaganfälle oder Embolien auslösen können.
  • Entzündungen des Gehirns und Rückenmarks: Im Rahmen der Covid-19-Erkrankung kann es auch zu Entzündungen des Gehirns und selten auch des Rückenmarks kommen. Dies ist bereits von anderen Virusinfektionen bekannt.

Langzeitfolgen: Long-COVID und Post-COVID-Syndrom

Viele Menschen leiden auch nach der akuten Infektionsphase unter anhaltenden Beschwerden, die als Long-COVID oder Post-COVID-Syndrom bezeichnet werden. Von Long-COVID spricht man, wenn Beschwerden länger als vier Wochen bestehen, während das Post-COVID-Syndrom sich auf Symptome bezieht, die mehr als drei Monate nach der Infektion andauern.

Die neurologischen Langzeitfolgen können vielfältig sein und die Lebensqualität der Betroffenen erheblich beeinträchtigen:

  • Fatigue: Krankhafte Erschöpfung ist eines der häufigsten Symptome nach einer Corona-Infektion. Es handelt sich dabei nicht um einfache Müdigkeit, sondern um eine unverhältnismäßige Erschöpfung, die durch Schlaf nicht zu beseitigen ist. Die postvirale Fatigue ist gekennzeichnet durch eine übermäßige Erschöpfung nach einer Viruserkrankung.
  • Kognitive Beeinträchtigungen: Aufmerksamkeits-, Konzentrations- und Gedächtnisstörungen gehören ebenfalls zu den häufigsten Symptomen. Betroffene beschreiben oft einen "Gehirnnebel" (Brain Fog).
  • Geruchs- und Geschmacksstörungen: Anhaltender Geruchsverlust oder veränderter Geschmackssinn können die Lebensqualität stark beeinträchtigen.
  • Psychische Erkrankungen: Depressionen, Angstzustände und posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS) sind nach einer Corona-Infektion beschrieben worden.
  • Kopfschmerzen: Treten sehr häufig im Rahmen der Akuterkrankung, aber auch im Langzeitverlauf auf. Die Kopfschmerzintensität in der akuten Phase war mit einer längeren Dauer der Kopfschmerzen verbunden.
  • Muskelschwäche und -schmerzen: Diese treten oft in Zusammenhang mit einer Fatigue auf.
  • Schlafstörungen: Können ebenfalls zu den Langzeitfolgen gehören.

Mögliche Ursachen und Mechanismen

Die Ursachen für die neurologischen Auswirkungen von Corona sind noch nicht vollständig verstanden. Es gibt verschiedene Theorien und Forschungsansätze:

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  • Direkte Virusinfektion des Gehirns: Obwohl frühe Vermutungen darauf hindeuteten, dass das Virus direkt das Gehirn infiziert, gibt es bisher keine eindeutigen Beweise dafür, dass sich SARS-CoV-2 im Gehirn vermehren kann. Studien haben zwar das Erbgut des Coronavirus im Gehirn nachgewiesen, aber keine infizierten Nervenzellen gefunden.
  • Indirekte Auswirkungen der Immunreaktion: Eine zweite These besagt, dass die neurologischen Symptome eine Art Nebenwirkung der starken Immunreaktion des Körpers auf das Virus sind. Die Immunantwort setzt massenhaft entzündliche Botenstoffe frei, die ins Gehirn gelangen und dort "Kollateralschäden" auslösen können, selbst wenn das Virus nicht bis dahin vordringt.
  • Entzündliche Reaktionen im Gehirn: Studien haben entzündliche Reaktionen in den Gehirnen von Personen mit akuter COVID-19-Infektion nachgewiesen. Diese Reaktionen könnten die normale Gehirnfunktion stören und so zu den beobachteten neurologischen Komplikationen beitragen.
  • Durchblutungsstörungen kleinster Gefäße: Eine chronische Entzündungsreaktion, Autoimmunität und/oder Gerinnungsstörung spielen möglicherweise eine Rolle bei der Entstehung von Langzeitfolgen.
  • Persistenz des Spike-Proteins: Neuere Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass das SARS-CoV-2-Spike-Protein in den schützenden Schichten des Gehirns, den Hirnhäuten, und im Knochenmark des Schädels bis zu vier Jahre nach der Infektion verbleiben kann. Diese dauerhafte Präsenz des Spike-Proteins könnte bei den Betroffenen chronische Entzündungen auslösen und das Risiko für neurodegenerative Erkrankungen erhöhen.

Aktuelle Forschungsergebnisse

Eine Studie der Charité - Universitätsmedizin Berlin liefert Belege dafür, dass neurologische Symptome offenbar nicht Folge einer SARS-CoV-2-Infektion des Gehirns sind. Die Forschenden fanden zwar Viruspartikel im Gehirn, aber keine infizierten Nervenzellen. Sie vermuten, dass Immunzellen das Virus im Körper aufgenommen haben und dann ins Gehirn gewandert sind. Dennoch beobachteten sie, dass bei den COVID-19-Betroffenen die molekularen Vorgänge in manchen Zellen des Gehirns auffällig verändert waren. Die Zellen fuhren beispielsweise den sogenannten Interferon-Signalweg hoch, der typischerweise im Zuge einer viralen Infektion aktiviert wird. Die Nervenzellen reagieren dabei nur vorübergehend auf die Entzündung.

Eine weitere Studie wirft ein neues Licht auf die zugrunde liegenden Mechanismen dieser Symptome. Ein Forscherteam aus Berlin (Charité) und Greifswald (Universitätsmedizin) hat die Studienergebnisse in der Zeitschrift Nature Neuroscience jetzt veröffentlicht. Ein zentrales Ergebnis der Untersuchungen war der Nachweis entzündlicher Reaktionen in den Gehirnen von Personen mit akuter COVID-19-Infektion, die sich im weiteren Verlauf der Krankheit abzuschwächen schienen. Dies legt die Annahme nahe, dass neurologische Symptome bei COVID-19-Patient*innen möglicherweise mit der Immunantwort des eigenen Körpers zusammenhängen und nicht mit einer direkten Aktivität des Coronavirus SARS-CoV-2 im Gehirn verbunden sind.

Diagnostik und Therapie

Die Diagnostik neurologischer Symptome nach einer Corona-Infektion umfasst in der Regel eine ausführliche Anamnese, neurologische Untersuchungen und gegebenenfalls bildgebende Verfahren wie MRT.

Eine unmittelbare Therapie des Long- oder Post-COVID-Syndroms existiert bislang noch nicht. Die Behandlung konzentriert sich auf die Linderung der Symptome und die Verbesserung der Lebensqualität:

  • Symptomatische Behandlung: Schmerzen werden symptomatisch mit herkömmlichen Schmerzmitteln behandelt.
  • Physiotherapie und Ergotherapie: Können bei Muskelschwäche und Fatigue helfen.
  • Kognitives Training: Kann bei Gedächtnis- und Konzentrationsstörungen unterstützen.
  • Psychotherapie: Eine begleitende Psychotherapie kann bei langandauernden und wechselhaften Symptomen sinnvoll sein.

Prävention und Ausblick

Eine Grundimmunisierung gegen das Virus scheint einen schützenden Effekt auf die Langzeitfolgen zu haben. Studien deuten darauf hin, dass mRNA-Impfstoffe die Anreicherung des Spike-Proteins im Gehirn deutlich reduzieren können.

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Die Forschung zu den neurologischen Auswirkungen von Corona ist weiterhin im Gange. Zukünftige Studien werden hoffentlich ein besseres Verständnis der Ursachen und Mechanismen ermöglichen und zur Entwicklung gezielter Therapien führen.

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