Multiple Sklerose und Corona: Was Sie als Risikogruppe beachten sollten

Die COVID-19-Pandemie hat viele Menschen verunsichert, besonders solche mit Vorerkrankungen wie Multipler Sklerose (MS). Dieser Artikel soll Ihnen helfen, sich in der aktuellen Situation zurechtzufinden und die richtigen Entscheidungen für Ihre Gesundheit zu treffen.

Aktuelle Einschätzung der Lage

Das Robert Koch-Institut (RKI) geht davon aus, dass wir uns von einem pandemischen Geschehen zu einem endemisch-wellenförmigen Geschehen bewegen. Das bedeutet, dass das Virus SARS-CoV-2, wie viele andere Viren auch, weiterhin in unserem Leben präsent sein wird und es zu regionalen oder überregionalen Ausbrüchen sowie saisonalen Erkrankungswellen kommen kann. Das Virus hat sich durch Rekombination weiterentwickelt, wodurch neue, leicht übertragbare Varianten entstehen.

Wer ist besonders gefährdet?

Ein erhöhtes Risiko für eine Infektion und einen schweren Verlauf besteht vor allem für Menschen in höherem Lebensalter, mit Vorerkrankungen und unzureichendem Immunschutz. Dazu können auch Menschen mit Multipler Sklerose gehören, insbesondere wenn sie immunsupprimierende Medikamente einnehmen oder schlecht belüftete Atemwege haben.

Empfehlungen für MS-Patienten

Basisimmunität

Das Infektionsrisiko kann durch eine Basisimmunität reduziert werden, die aus mindestens drei Antigenkontakten besteht (Impfung oder Infektion, aber mit mindestens zwei Impfstoffdosen).

AHA+L-Regel

Schwer betroffenen MS-Erkrankten wird weiterhin die Beachtung der AHA+L-Regel empfohlen, insbesondere bei Treffen in geschlossenen Räumen und bei Veranstaltungen. AHA+L steht für:

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  • Abstand halten
  • Hygiene beachten
  • Alltagsmaske tragen
  • Lüften

Auffrischungsimpfung

Die Ständige Impfkommission (STIKO) empfiehlt Auffrischungsimpfungen für Personen mit einem erhöhten Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf sowie Personen mit erhöhtem SARS-CoV-2-Infektionsrisiko. Diese sollten in der Regel im Mindestabstand von 12 Monaten zur letzten Impfung oder Infektion, vorzugsweise im Herbst, durchgeführt werden.

Virostatika

Sogenannte Virostatika (antivirale Medikamente) wie Paxlovid®, Veglury® oder Lagevrio® können in der Frühphase (innerhalb von 5 Tagen nach Auftreten) einer Erkrankung mit dem SARS-CoV-2-Virus bei Menschen mit Immundefizienz einen schweren Verlauf verhindern. Für Infizierte mit hohem Risiko für einen schweren Covid-19-Verlauf - auch solche mit fehlender oder unvollständiger Immunisierung - ist in den ersten Tagen nach Symptombeginn eine frühzeitige Gabe möglich.

Wichtig: Paxlovid® kann Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten haben. Informieren Sie Ihren Arzt unbedingt über alle Medikamente, die Sie einnehmen, und über bestehende Erkrankungen.

Verhalten bei Symptomen

Personen mit Symptomen wird empfohlen, ihren Arzt zu kontaktieren.

Besuche in Alten- und Pflegeheimen

Auch wenn die Testpflichten für Besuche in Alten- und Pflegeheimen entfallen sind, wird generell geraten, bei Vorliegen von Symptomen Besuche aufzuschieben, bis keine Symptome mehr vorhanden sind.

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Auswirkungen von COVID-19 auf das Nervensystem

Die Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 ist in erster Linie eine Atemwegserkrankung. Befunde der Neuropathologie weisen aber zunehmend darauf hin, dass bei vielen COVID-19 Patienten auch das Nervensystem in unterschiedlichster Weise betroffen ist.

Eine Studie an einer verstorbenen MS-Patientin ergab, dass die Infektion mit SARS-CoV-2 nicht zu einer Reaktivierung der MS führte. Es wurden jedoch Viruspartikel an der Blut-Hirn-Schranke gefunden, was darauf hindeutet, dass diese eine wichtige Barrierefunktion beim Übertritt des Virus aus dem Blut ins Gehirn darstellen könnte.

COVID-19 und MS-Therapien

Generelle Empfehlungen

Multiple-Sklerose-Patienten scheinen per se nicht einem erhöhten Risiko für eine SARS-CoV-2-Infektion oder einen schwereren Verlauf zu unterliegen. Risikofaktoren wie Alter, Behinderungsgrad (EDSS) und Komorbiditäten scheinen für den Verlauf bzw. die Schwere einer SARS-CoV-2-Infektion viel entscheidender zu sein, als DMTs. Auf dem bisherigen Wissensstand aufbauend wird gemäß den jeweiligen regionalen Empfehlungen einheitlich die Fortführung immunmodulatorischer Therapien wie bisher empfohlen.

Impfungen

Insgesamt sind alle bis dato in der EU zugelassenen SARS-CoV-2-Impfstoffe für MS-Patienten zu empfehlen. Da es sich bei diesen 4 Impfstoffen um keine Lebendimpfstoffe handelt, besteht keine Gefahr einer Erkrankung, durch die Impfung. Gegebenenfalls kann es bei Patienten unter Immuntherapie zu einer reduzierten Immunantwort kommen. Insbesondere im Falle einer zyklischen Immuntherapie (Ocrelizumab, Rituximab, Alemtuzumab, Cladribin), kann ein entsprechender Aufschub der nächsten Gabe sinnvoll sein, um möglichst eine protektive Immunantwort generieren zu können.

Impfempfehlungen während der Immuntherapie

  • Das RKI empfiehlt, dass bei einer anstehenden Impfstoffgabe immunsupprimierende oder immunmodulierende Therapien weitergeführt werden können.
  • Für die bestmögliche Impfwirksamkeit sollte der Zeitpunkt der Impfung mit einer möglichst geringen Immunsuppression gewählt werden. D.h., dass der Impfzeitpunkt zum Beispiel in die Mitte der Verabreichungsintervalle der immunsupprimierenden oder immunmodulierenden Medikation gelegt werden sollte.
  • Ein Schub sollte, mit und ohne hochdosierte Schubtherapie, mindestens sechs Wochen zurückliegen bevor eine Impfung gegen Covid-19 erfolgt.

Spezifische Therapien und Impfungen

  • Alemtuzumab (Lemtrada): In den ersten sechs Monaten nach einem Therapiezyklus der Therapie erfolgen noch abgeschwächte Impfantworten, von daher sollte der Abstand mindestens sechs Monate betragen.
  • Azathioprin (Imurek): Abgeschwächte Immunantworten in Abhängigkeit von der Dosierung.
  • B-Zell depletierende Therapien (Ocrelizumab/Ocrevus, Ofatumumab/Kesimpta, Rituximab/Mabthera u.a. (off-Label), Ublituximab/Briumvi usw.: Empfohlen wird eine Impfung am besten vier Monate nach der letzten Infusion. Sollten keine ausreichenden Titer festgestellt werden, werden weitere Impfungen empfohlen.
  • Cladribin (Mavenclad): Die Impfung erfolgt am günstigsten dann, wenn sich die Lymphozytenzahl weitgehend normalisiert hat, in der Regel drei Monate nach der letzten Tablettengabe.
  • Cortison-Therapie: Impfungen sollten frühestens zwei Wochen, besser vier Wochen nach einer Hochdosistherapie erfolgen.
  • Dimethylfumarat (Tecfidera) und Diroximelfumarat (Vumerity): Keine Hinweise auf verminderten Impfschutz.
  • Glatirameracetat: (Copaxone 20 und 40, Clift): Impfreaktion gegen Grippe etwas geringer, aber ausreichend; gegen Corona ähnlich erwartet.
  • Immunglobuline: Bieten einen gewissen Schutz gegen verschiedene Virusinfekte.
  • Interferon-beta (Avonex, Betaferon, Extavia, Plegridy, Rebif 22 und 44): Ein Therapiebeginn mit Interferonen-Präparaten sollte nicht aufgrund einer noch ausstehenden Covid-19-Impfung verschoben werden. Während der Therapie ist, wenn möglich, die Impfung zeitlich jeweils an einem anderen Tag als die Interferon-Applikation zu legen.
  • Mitoxantron (Novantron, Ralenova): Es sollte mindestens ein Abstand von sechs Monaten nach der letzten Gabe zur Durchführung einer Corona-Schutzimpfung eingehalten werden.
  • Natalizumab (Tysabri): Die regelmäßigen Infusionen können mit der Corona-Schutzimpfung auch zeitnah einhergehen.
  • Sphingosin-1-Phosphat-Rezeptor Modulatoren (Fingolimod/Gilenya, Ozanimod/Zeposia, Siponimod/Mayzent und Ponesimod/Ponvory): Eine Unterbrechung einer Therapie mit Sphingosin-1-Phosphat-Rezeptor-Modulatoren zur Durchführung der Corona-Schutzimpfung ist aufgrund der bekannten, ungünstigen „Rebound-Effekte“ aus unserer Sicht nicht zu empfehlen.
  • Autologe Knochenmarkstransplantation (sog. Stammzelltherapie): Es sind mindestens sechs Monate Abstand zwischen Stammzelltransplantation und Impfung zu empfehlen, um eine ausreichende Impfantwort zu erreichen.
  • Teriflunomide (Aubagio): Unter Aubagio kann der Impferfolg bei üblichen Impfungen reduziert sein, wird aber im Allgemeinen als ausreichend angesehen.

Wichtige Verhaltensweisen im Alltag

  • Hygienemaßnahmen: Waschen Sie Ihre Hände regelmäßig und gründlich mit Seife.
  • Abstand halten: Halten Sie mindestens 1,5 Meter Abstand zu anderen Personen.
  • Maske tragen: Tragen Sie eine Alltagsmaske in geschlossenen Räumen.
  • Lüften: Sorgen Sie für regelmäßige Belüftung von Räumen.
  • Kontakte reduzieren: Reduzieren Sie persönliche Kontakte auf das Nötigste.

Wo ist das Infektionsrisiko am höchsten?

Das Corona-Virus wird hauptsächlich durch Tröpfchen übertragen, beispielsweise durch Husten, Niesen oder Händedruck. Auch Aerosole in geschlossenen Räumen können ein Risiko darstellen. Daher ist es wichtig, Räume regelmäßig zu lüften und Menschenansammlungen zu vermeiden.

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Fazit

Auch wenn die COVID-19-Pandemie viele Unsicherheiten mit sich bringt, gibt es keinen Grund zur Panik. Informieren Sie sich regelmäßig über die aktuelle Lage und halten Sie sich an die Empfehlungen der Experten. Sprechen Sie mit Ihrem Arzt über Ihre individuelle Situation und treffen Sie gemeinsam die richtigen Entscheidungen für Ihre Gesundheit.

Zusätzliche Informationen

  • DMSG: Die Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft bietet auf ihrer Webseite umfassende Informationen und Unterstützung für MS-Patienten.
  • KKNMS: Das Krankheitsbezogene Kompetenznetz Multiple Sklerose ist ein interdisziplinäres Forschungsnetzwerk, das sich zum Ziel gesetzt hat, die MS-Forschung voranzutreiben und die Versorgung von Betroffenen zu verbessern.
  • RKI: Das Robert Koch-Institut informiert fortlaufend über die aktuelle Lage in Deutschland und gibt Empfehlungen zum Schutz vor dem Coronavirus.

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