Corona-Virus greift Gehirn an: Aktuelle Studien im Überblick

Das Corona-Virus SARS-CoV-2 ist bekannt dafür, nicht nur die Lunge und Atemwege zu befallen, sondern auch zahlreiche andere Organe des menschlichen Körpers zu beeinträchtigen. Neuere Studien zeigen, dass das Virus auch das Gehirn angreifen kann und dass neurologische Symptome sowohl in der akuten Phase der Erkrankung als auch langfristig auftreten können.

Auswirkungen von SARS-CoV-2 auf das Gehirn

Schädigung der Blutgefäße im Gehirn

Eine im Fachmagazin Nature Neuroscience veröffentlichte Studie eines Forschungskonsortiums unter Beteiligung der Deutschen Zentren für Lungenforschung (DZL), Herz-Kreislaufforschung (DZHK) und Infektionsforschung (DZIF) erläutert, wie das Coronavirus die kleinen Blutgefäße im Gehirn schädigt. Die Untersuchungsergebnisse zeigen, dass das Coronavirus über den ACE2-Rezeptor in die Endothelzellen eintreten und eine charakteristische Pathologie auslösen kann. In den Endothelzellen zerstört das Virusenzym Mpro das körpereigene Protein NEMO und löst so ein Zelltod-Programm aus. Ein zentraler Befund der Studie ist, dass auf diesem Weg Endothelzellen und die Blut-Hirn-Schranke zerstört werden. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler entdeckten somit erstmals einen Mechanismus, wie Sars-CoV-2 die Mikrogefäße im Hirn direkt schädigt. Interessanterweise fanden die Forscherinnen und Forscher eine Möglichkeit, den Zelltod-Mechanismus zu blockieren, indem sie RIPK1 im Tierversuch blockierten. Dadurch starben die Endothelzellen nicht ab, und das gesamte Zelltod-Programm wurde deaktiviert.

Ansammlung des Spike-Proteins im Gehirn

Forschende von Helmholtz Munich und der Ludwig-Maximilians-Universität München konnten bisher nicht feststellbare Ablagerungen des Spike-Proteins in Gewebeproben von Menschen und Mäusen nachweisen. Dazu nutzten sie eine neuartige, KI-gestützte Bildgebungstechnik. Die Forschenden konnten im Knochenmark des Schädels und in den Hirnhäuten statistisch eindeutig (signifikant) erhöhte Konzentrationen des Spike-Proteins nachweisen - sogar noch Jahre nach der Infektion. Die Wissenschaftler:innen gehen davon aus, dass diese Ansammlungen des Spike-Proteins zu den langfristigen Effekten von COVID-19 auf das Nervensystem und Long COVID beitragen können. Die Forschenden stellten außerdem fest, dass der mRNA-basierte Corona-Impfstoff von BioNTech/Pfizer die Anreicherung des Spike-Proteins im Gehirn deutlich reduzieren konnte.

Neurologische Symptome und ihre Ursachen

Norwegische Forscher bezeichnen das Phänomen als „Covid-19-Brain“ und berichten von Patienten, die verwirrt und desorientiert sind. Betroffene berichten von neurologischen Beeinträchtigungen, die von leichten Symptomen wie Kopfschmerzen oder Verlust des Geruchssinns bis hin zu Wahnvorstellungen und Angstzuständen reichen. Eine Regensburger Studie an der KUNO Klinik St. Hedwig zeigt, dass COVID-19 nicht nur die Lunge angreift, sondern auch neurologische Schäden verursacht. Nachweisen ließ sich dies mit einer erhöhten Konzentration von Neurofilament im Blut. Die Studie zeigt, dass die NfL-Konzentration im Blut bei Corona-Patienten deutlich höher ist als bei der Kontrollgruppe.

Eintritt des Virus ins Gehirn

Professor Frank Heppner, Direktor des Instituts für Neuropathologie in der Berliner Charité, hat untersucht, wie das Coronavirus ins Gehirn eindringt und was es dort anrichtet. Er vermutet, dass das Virus über die Hirnnerven, insbesondere über den Riechnerv, eintreten kann. In der Riechschleimhaut wurde in sehr vielen Fällen sehr viel Virus gefunden. Je weiter es nach oben geht auf der Route ins Gehirn, desto weniger Virus können wir nachweisen, aber wir können es immer noch dezidiert nachweisen. Das war sehr suggestiv dafür, dass das Virus zumindest auch diesen Weg ins Gehirn nehmen kann. Eine zweite mögliche Eintrittspforte ist über das Blutsystem oder das Blutgefäßsystem.

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Immunreaktion im Gehirn

Die Ergebnisse der Freiburger Forscherinnen zeigen, dass im Gehirn von Personen, die eine SARS-CoV-2-Infektion überstanden haben, Anzeichen einer anhaltenden Aktivierung des angeborenen Immunsystems gefunden wurden. Im Gehirn von Genesenen fanden die Forscherinnen zahlreiche sogenannte Mikrogliaknötchen. Diese charakteristischen Immun-Zellansammlungen weisen auf eine chronische Immunaktivierung hin, ähnlich einer Narbe, die nicht vollständig ausheilt. „Die Mikrogliaknötchen könnten eine zentrale Rolle bei den neurologischen Veränderungen spielen, die bei einigen Genesenen beobachtet werden“, erklärt Dr. Marius Schwabenland.

Neurologische Symptome nicht Folge einer SARS-CoV-2-Infektion des Gehirns

Eine Studie der Charité - Universitätsmedizin Berlin liefert Belege dafür, dass die neurologischen Symptome stattdessen eine Art Nebenwirkung der starken Immunreaktion sind, mit der der Körper sich gegen das Virus wehrt. Die Forschenden prüften zunächst, ob das Gewebe sichtbare Veränderungen aufwies, und fahndeten nach Hinweisen auf das Coronavirus. Wie andere Forschungsteams auch konnten die Charité-Wissenschaftler:innen in einigen Fällen das Erbgut des Coronavirus im Gehirn nachweisen. SARS-CoV-2-infizierte Nervenzellen haben wir jedoch nicht gefunden“, betont Helena Radbruch. Die Nervenzellen reagieren dabei nur vorübergehend auf die Entzündung.

Häufigkeit neurologischer Manifestationen bei COVID-19

Anosmie und Ageusie sind bei COVID-19 pathognomonisch und treten häufig auf, auch als Erstsymptome. Die Anosmie entsteht zum Teil direkt durch virale Invasion in den Bulbus olfactorius, aber auch indirekt durch lokale Entzündung, mikrovaskuläre Schäden und Hypoperfusion. Schwere neurologische Komplikationen sind bei jüngeren ambulanten Patienten selten (ca. 1 %). Bei stationär behandelten Patienten sind neurologische Manifestationen häufiger und zeigen eine schlechtere Prognose an. Vorrangig sind dies Enzephalopathien, Enzephalomyelitiden und zerebrovaskuläre Komplikationen.

Enzephalitis, Enzephalopathie und Myelitiden

Enzephalopathien, Enzephalitiden und Myelitiden können bei COVID-19 auftreten. Bei den Pathomechanismen spielen besonders Hypoxie und die Virus-getriggerte systemische Hyperinflammation (Überaktivierung des Immunsystems mit Zytokin-Sturm) eine Rolle. Zwar werden auch in Nervenzellen Viruspartikel nachgewiesen, jedoch gilt die direkte neuronale Schädigung durch die Invasion von SARS-CoV-2 als sehr selten.

Schlaganfall und COVID-induzierte Gerinnungsstörung

Schlaganfälle sind bei COVID-19 zwar deutlich häufiger als beispielsweise bei Influenza, jedoch mit 0,5 %-2 % insgesamt selten - Ischämien treten dabei ungefähr 7-mal häufiger auf als Blutungen. Auch jüngere, zuvor gesunde Patienten können betroffen sein; die Schlaganfälle können Erstmanifestation der Infektion sein.

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Neuromuskuläre Manifestationen und peripheres Nervensystem

Bei 40-70 % der COVID-19-Patienten kommt es zu Myalgien und Fatigue, oft mit einer HyperCKämie. Bei intensivpflichtigen Patienten muss eine „ICU-acquired weakness“ (ICUAW) mit Kombination von Critical-illness-Myopathie und -Polyneuropathie abgegrenzt werden von einem Guillain-Barré-Syndrom (GBS), welches bereits wenige Tage nach den ersten respiratorischen Symptomen auftreten kann.

Therapie bei neurologischen Komplikationen

Bei stationärer Aufnahme wird heute für COVID-19-Patienten standardmäßig eine prophylaktische Antikoagulation empfohlen. Die Therapie mit Dexamethason führt zu einer Senkung der Mortalität um 30 %, wobei der Zeitpunkt des Behandlungsbeginns entscheidend ist.

Long-COVID-Syndrom und Post-COVID-Syndrom

Bleiben Beschwerden nach überstandener COVID-19-Erkrankung länger als 4 Wochen bestehen, spricht man von Long-COVID-Syndrom, bei SARS-CoV-2-assoziierten Manifestationen mehr als 3 Monate nach dem akuten Infekt vom Post-COVID-Syndrom. Neurologische Langzeitbeschwerden umfassen Dysosmie und Dysgeusie, Kopf- und Muskelschmerzen, Gedächtnisprobleme, Angst oder Schlafstörungen.

Einfluss von COVID-19-Infektion auf die Mikrostruktur des Gehirns nachgewiesen

Eine aktuelle Studie des Universitätsklinikums Freiburg zeigt, dass bei Post-Covid-Patientinnen die Mikrostruktur im Gehirn im Vergleich zu Gesunden verändert ist. Die betroffenen Gehirnareale standen in Zusammenhang mit den Symptomen der jeweiligen Patientinnen. Dabei ging das Ausmaß der zerebralen Veränderung einher mit der Schwere der Infektion und der Stärke der Beschwerden.

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