Während in Altenheimen traditionell Basteln und Singen als Freizeitbeschäftigungen gelten, rücken Videospiele zunehmend in den Fokus. Studien deuten auf einen therapeutischen Nutzen hin, der über bloße Unterhaltung hinausgeht. Digitale Spiele können Gedächtnis, Feinmotorik und soziale Interaktion fördern und somit einen wertvollen Beitrag zur Lebensqualität älterer Menschen leisten.
Spielerische Therapie im Altenheim: Die "Zockerrunde" als Vorreiter
Claus Lehnert, ein 61-jähriger Rollstuhlfahrer, demonstriert eindrucksvoll, wie Videospiele im therapeutischen Kontext eingesetzt werden können. Gemeinsam mit seiner Mitspielerin Margret Warnken nimmt er an einer "Zockerrunde" in einem Bremer Alten- und Pflegeheim der Johanniter teil. Mithilfe der "Memore-Box" des Hamburger Start-up-Unternehmens RetroBrain spielen sie virtuelles Tischtennis. Eine 3D-Kamera erfasst ihre Bewegungen und überträgt sie ins digitale Spiel.
Die "Memore-Box" ermöglicht es den Senioren, verschiedene Aktivitäten virtuell auszuüben, darunter Kegeln, Motorradfahren und Postverteilen. Pflegedienstleiterin Sabine Stubbe betont, dass die Teilnehmer mehrfach profitieren: "Natürlich geht es zuerst um den Spaß am Spiel. Aber ganz unbemerkt werden dabei auch Muskeln, Gleichgewichtssinn, Gedächtnis, Konzentration und Koordination trainiert."
Wissenschaftliche Belege: Videospiele fördern kognitive Fähigkeiten
Eine Studie des Berliner Max-Planck-Institutes für Bildungsforschung bestätigt die positiven Auswirkungen von Videospielen auf das Gehirn. Demnach können Videospiele gezielt Hirnbereiche vergrößern, die für räumliche Orientierung, Gedächtnisbildung, strategisches Denken sowie Feinmotorik bedeutsam sind.
Auch eine Testreihe der Barmer Krankenkasse in bundesweit rund 100 Einrichtungen zeigt, dass regelmäßiges Spielen die kognitive und körperliche Leistungsfähigkeit sowie die Stimmung der Senioren verbessert. Barmer-Psychologin Andrea Jakob-Pannier fasst zusammen: "Die Untersuchung habe gezeigt, dass sich fast zwei Drittel der Nutzerinnen und Nutzer durch das Training körperlich und geistig gut gefördert fühlten. Pflege- und Betreuungskräfte hätten die positiven Effekte bestätigt."
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Soziale Interaktion und Lebensfreude durch gemeinsames Spielen
Neben den kognitiven Vorteilen fördern Videospiele auch die soziale Interaktion und Lebensfreude der Senioren. Lehnert, der nach einem Schlaganfall "total ausgebremst" war, berichtet von einer verbesserten Gedächtnisleistung, Beweglichkeit und Konzentrationsfähigkeit. Vor allem aber betont er den Wert des Zusammenhalts in der Gruppe: "Wenn man mal ein Tief hat, wird man von den anderen getragen und mitgerissen."
"RetroBrain"-Manager Jens Brandis bestätigt, dass beim Spielen Freundschaften entstehen, die vorher nicht denkbar gewesen wären. Bremens Altbürgermeister Henning Scherf (SPD) hat die Konsole ebenfalls ausprobiert und ist begeistert: "Wenn ich das mit anderen zusammen mache, das ist doch eine tolle Sache."
RetroBrain: Videospiele für Senioren als Therapieansatz
Das Hamburger Start-up RetroBrain hat sich auf die Entwicklung von Videospielen für Senioren spezialisiert, die unter Demenz leiden oder Stürzen vorbeugen wollen. Die Idee entstand während des Studiums, als die Gründer feststellten, dass ältere Menschen oft zu wenig aktiv sind. Manouchehr Shamsrizi, Chefnetzwerker und Öffentlichkeitsarbeiter von RetroBrain, erklärt: "Ältere Menschen benötigen viel Aufmerksamkeit und Pflege. Dafür fehlt dem Fachpersonal fast überall die Zeit."
Die RetroBrain-Spiele werden in Seniorenheimen getestet, darunter auch im Hospital zum Heiligen Geist in Hamburg. Herr Lemke, ein Bewohner des Hospitals, bevorzugt zwar eigentlich Skat, findet aber auch Gefallen an der Kegel-Simulation. Das RetroBrain-Team hat bei der Entwicklung der Spiele darauf geachtet, dass sie benutzerfreundlich und auf die Bedürfnisse älterer Menschen zugeschnitten sind. Die Steuerung erfolgt über eine Sensorleiste und schlichte Gesten, und der Avatar ähnelt einer jüngeren Version der Spieler.
Herausforderungen und Zukunftsperspektiven
Trotz der vielversprechenden Ergebnisse stehen die Entwickler und Forscher noch vor einigen Herausforderungen. Studienleiter Michael Wahl von der Berliner Humboldt-Universität betont, dass bei der Auswahl der Teilnehmer differenzierter vorgegangen werden muss: "Menschen mit fortgeschrittener Demenz und begleitenden Krankheiten sind offenbar nicht für jedes Spiel geeignet." Zudem ist die Skepsis gegenüber technischen Neuerungen groß, nicht nur unter den Bewohnern, sondern auch unter den Angestellten.
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Dennoch sind die Zukunftsperspektiven vielversprechend. Shamsrizi wünscht sich, dass die Spiele nicht nur in Seniorenheimen, sondern auch in Krankenhäusern eingesetzt werden. Er sieht zudem Potenzial in einer Zusammenarbeit mit Herstellern von Pflegemitteln oder medizinischen Geräten.
Warnsignale und Prävention: Was Studien über Gedächtnisprobleme verraten
Neben dem therapeutischen Einsatz von Videospielen gibt es auch Studien, die sich mit der Früherkennung von Demenz beschäftigen. Eine Studie des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) in Heidelberg hat ergeben, dass Lücken im Kurzzeitgedächtnis im mittleren Alter ein Warnsignal sein können. Menschen, die sich selbst Probleme mit dem Kurzzeitgedächtnis bescheinigen, haben ein deutlich erhöhtes Risiko für Demenz.
Eine weitere Studie der japanischen Universität Tsukuba hat einen möglichen Zusammenhang zwischen der Art, wie Menschen schreiben oder zeichnen, und einem möglichen kognitiven Verfall gefunden. Die Forscher analysierten verschiedene Merkmale der Zeichentechnik, wie Druck, Pausen und Geschwindigkeit, und speisten die Ergebnisse in ein maschinelles Lernmodell ein. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass ein Schreib- und Zeichentest als Frühwarnzeichen zur Diagnose der Alzheimerkrankheit genutzt werden könnte.
Videospiele als Mittel zur Prävention und Therapie
Die Erkenntnisse aus den verschiedenen Studien zeigen, dass Videospiele sowohl zur Prävention als auch zur Therapie von Demenz eingesetzt werden können. Sie fördern kognitive Fähigkeiten, soziale Interaktion und Lebensfreude und können somit einen wertvollen Beitrag zur Lebensqualität älterer Menschen leisten. Es ist wichtig, die Skepsis gegenüber technischen Neuerungen abzubauen und die Potenziale von Videospielen für Senioren weiter zu erforschen und zu nutzen.
Positive Auswirkungen von Videospielen auf das Gehirn
Jürgen Gallinat vom Uniklinikum Hamburg-Eppendorf erforscht die Auswirkungen von Videospielen auf die neuronale Plastizität. Er betont, dass Videospiele nicht nur einen schlechten Ruf haben, sondern auch positive Auswirkungen auf das Gehirn haben können. Studien haben gezeigt, dass Jugendliche, die häufig Videospiele spielen, eine Volumen-Vermehrung im Gehirn haben.
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Gallinat erklärt, dass Videospiele das Dopamin-System ansprechen und somit Spaß machen. Dopamin fördert die neuronale Plastizität, was dazu führen kann, dass Teile des Gehirns an Größe zunehmen. Die Art und die Anforderungen des Spiels bestimmen, wo im Gehirn Veränderungen stattfinden.
Transfer-Effekte und therapeutischer Einsatz
Gallinat betont, dass Videospiele intensivere Transfer-Effekte haben als andere Formen des Trainings. Das bedeutet, dass das Trainieren von Fähigkeiten wie räumlicher Navigation und planerischem Handeln dazu führen kann, dass man tatsächlich auch im Alltag bessere Kompetenzen in diesen Feldern hat. Derzeit läuft eine Studie, in der Patienten mit einer leichten kognitiven Störung untersucht werden, um herauszufinden, ob sich die kognitive Leistungsfähigkeit wieder verbessert und ob sich die weitere Entwicklung in eine Demenz hinein reduzieren lässt.
Der therapeutische Einsatz von Videospielen steht noch ganz am Anfang. Es ist wichtig, herauszufinden, welche Art von Spiel am besten auf welches Symptom wirkt und wie lange man trainieren muss. Dennoch bieten Videospiele ein vielversprechendes Potenzial zur Prävention und Therapie von Demenz.
Digitalisierung in der Pflege: Ein Gewinn für Senioren
Die Digitalisierung bietet auch in der Pflege neue Möglichkeiten, die Lebensqualität von Senioren zu verbessern. Das Projekt MemoreBox, das in 100 Pflegeheimen in Deutschland eingesetzt wird, ist ein gutes Beispiel dafür, dass die Digitalisierung auch in der Pflege sinnvoll eingesetzt werden kann. Die MemoreBox stärkt die geistige Leistungsfähigkeit und fördert die sozialen Bindungen unter den Bewohnern.
Gesundheitsstaatssekretär Andreas Büttner bewertet das Projekt als gutes Beispiel dafür, dass die Digitalisierung auch in der Pflege sinnvoll eingesetzt werden könne. Es ist wichtig, die Chancen der Digitalisierung zu nutzen, um Senioren ein aktives und selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen.