Das bewegte Gehirn: Forschungsergebnisse und ihre Bedeutung für Lernen, Sport und Ernährung

Die Forschung zum Thema "Das bewegte Gehirn" hat in den letzten Jahren erstaunliche Erkenntnisse hervorgebracht, die unser Verständnis von Lernen, Sport, Ernährung und deren Auswirkungen auf das Gehirn grundlegend verändern. Dieser Artikel fasst die wichtigsten Ergebnisse zusammen und beleuchtet ihre Bedeutung für verschiedene Bereiche unseres Lebens.

Die Grundlagen: Wie Bewegung das Gehirn beeinflusst

Bewegung beeinflusst das Gehirn auf vielfältige Weise. Petra Arndt erklärt, dass Bewegung einen direkten Effekt hat, den wir im ganzen Körper spüren: die erhöhte Durchblutung, die uns wacher macht. Darüber hinaus werden während der Bewegung Botenstoffe ausgeschüttet, die dafür sorgen, dass wir uns wohlfühlen und ausgeglichener sind. Der dritte Effekt ist für Neurowissenschaftler der spannendste: Durch Bewegung werden Wachstumsfaktoren ausgeschüttet, sogenannte neurotrophe Faktoren, die dem Aufbau und der Stärkung neuronaler Verbindungen dienen.

Neuroplastizität: Die Anpassungsfähigkeit des Gehirns

Unser Gehirn ist nicht statisch, sondern passt sich ständig an neue Umweltbedingungen an. Diese Fähigkeit wird als Neuroplastizität bezeichnet und ist in den ersten Lebensjahren aufgrund des Überschusses an Synapsen am größten. Im Laufe der Jahre nimmt diese Fähigkeit mit der Reduktion der Synapsen ab, vergeht aber niemals ganz. Neuroplastizität ist in einer sich stetig wandelnden Umwelt überlebenswichtig und ermöglicht die Entwicklung von Zukunftskompetenzen wie Lernfähigkeit, Flexibilität und Kreativität.

Bewegung und Neurogenese: Neue Nervenzellen durch Aktivität

Die Sportwissenschaftlerin Laura Walk vom TransferZentrum für Neurowissenschaften und Lernen (ZNL) in Ulm fasst zusammen, dass als Folge körperlicher Bewegung die Neubildung von Blutgefäßen (Kapillare), Neuronen und deren Vernetzung im Gehirn nachgewiesen werden konnte. Die hippokampale Neurogenese lässt sich durch Bewegung fördern, wobei sich die Anzahl der neugebildeten Nervenzellen durch Ausdauertraining verdoppeln lässt. Dies gilt ein Leben lang.

Gehirnareale und ihre Funktionen bei Bewegungswahrnehmung

Wenn wir eine Fliege beobachten, die im Raum hin und her fliegt, und ihr mit unseren Augen folgen, müssen wir den Eindruck haben, dass der sich dahinter liegende Raum bewegt und nicht die Fliege. Wie aber vermittelt uns das Gehirn den Eindruck einer bewegten Fliege in einem unbewegten Raum? V3A und V6 heißen die beiden Gehirnareale in der oberen Hälfte des Hinterkopfes, die besonders gut auch während Augenbewegungen auf externe Bewegung reagieren können.

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V3A: Die Verknüpfung von Bewegung und Wahrnehmung

Das Areal V3A verknüpft beide Bewegungen: Es reagiert auf Bewegungen in unserer Umgebung, egal ob wir das bewegte Objekt mit den Augen verfolgen oder nicht. Das Areal reagiert aber nicht auf visuelle Bewegungen auf der Netzhaut, wenn sie durch Augenbewegungen selbst hervorgerufen werden.

V6: Bewegungswahrnehmung und Eigenbewegung

Areal V6 hat ähnliche Eigenschaften, wird aber selbst dann aktiv, wenn wir uns vorwärts bewegen. Untersucht haben die Wissenschaftler Elvira Fischer und Andreas Bartels vom Werner Reichardt-Centrum für Integrative Neurowissenschaften (CIN) und vom Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik diese Areale mit Hilfe der funktionellen Magnetresonanztomografie.

Bewegung und Lernen: Ein unzertrennliches Paar

Bewegung ist nicht nur für die körperliche Gesundheit wichtig, sondern auch für die kognitive Entwicklung und das Lernen. Studien haben gezeigt, dass Kinder, die sich ausreichend bewegen, bessere schulische Leistungen erbringen und weniger Verhaltensauffälligkeiten zeigen.

Bewegungsmangel bei Kindern: Ein wachsendes Problem

Aus Studien wissen wir, dass sich Kinder viel zu wenig bewegen. Die Empfehlung der Weltgesundheitsorganisation liegt bei 60 Minuten moderater bis hoher körperlicher Aktivität pro Tag. Mehr Bewegung wäre also gut für alle Lernprozesse, nicht nur für die körperliche Gesundheit.

Welche Bewegungsarten sind für das Lernen besonders förderlich?

Es kommt darauf an, was den Lernprozess gerade stört. Bei Müdigkeit reichen fünf Minuten Bewegung, um den Rumpf und die Arme zu bewegen, was zu einer vertieften Atmung und einer besseren Durchblutung führt. Bei Stress sollte man sich 20 bis 30 Minuten bewegen. Auch Ausdauertraining hat eine Langzeitwirkung und kann das Niveau der Wachstumsfaktoren im Gehirn langfristig erhöhen.

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Praktische Anwendungen: Bewegungspausen im Unterricht

Lehrkräfte können Bewegung in den Unterricht integrieren, indem sie beispielsweise koordinative Übungen, Konzentrations- und Bewegungsspiele oder entspannende Yogaübungen einsetzen. Gerade Unterbrechungen in Form von Bewegungspausen stellen nicht nur eine willkommene Abwechslung dar, sondern stimulieren zusätzlich das Gehirn, fördern Aufmerksamkeit und Konzentration.

Exekutive Funktionen und körperliche Aktivität

Exekutive Funktionen werden den höheren geistigen Leistungen zugeordnet und gelten als eine wichtige kognitive Komponente der allgemeinen Intelligenz. Sie sind vor allem in komplexen Situationen gefordert, für deren Bewältigung verschiedene kognitive Prozesse benötigt werden.

Arbeitsgedächtnis und Inhibition

Die in dieser Arbeit untersuchten exekutiven Funktionen, die durch körperliche Aktivität beeinflusst werden, beziehen sich auf das Arbeitsgedächtnis zur aktiven Aufrechterhaltung aufgabenrelevanter Informationen und auf die Inhibition automatisierter Antworten beziehungsweise inadäquater Reaktionen.

Forschungsergebnisse

In dieser Arbeit wird gezeigt, dass exekutive Funktionen vor allem dann durch körperliche Aktivität gefördert werden, wenn sie aufgrund des Alters oder einer Depression nicht optimal funktionieren. Während im Zusammenhang mit Alter und Depression moderate Belastungsformen und -intensitäten untersucht wurden, befasst sich die Untersuchung zur akuten Ermüdung mit einer intensiven muskulären Beanspruchung.

Das bewegte Gehirn im Alter: Bewegung als Schlüssel zur geistigen Fitness

Auch im Alter spielt Bewegung eine entscheidende Rolle für die geistige Fitness. Studien haben gezeigt, dass regelmäßige körperliche Aktivität das Risiko von Demenz und Alzheimer verringern kann.

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Hippokampale Neurogenese im Alter

Die Forschung hat gezeigt, dass auch im Alter neue Nervenzellen im Hippocampus gebildet werden können, insbesondere durch Ausdauertraining. Dies ist von großer Bedeutung, da der Hippocampus eine zentrale Rolle für das Gedächtnis spielt.

Bewegung als Therapie bei Depressionen

Bewegung kann auch bei Depressionen eine wirksame Therapie sein. Studien haben gezeigt, dass regelmäßige körperliche Aktivität die Symptome von Depressionen lindern und die Stimmung verbessern kann.

Kritik und Herausforderungen

Trotz der zahlreichen positiven Erkenntnisse gibt es auch Kritik und Herausforderungen im Bereich der Forschung zum bewegten Gehirn.

Mangelnde Bewegungsmöglichkeiten für Kinder

In den vergangenen Jahren sei es zu einem regelrechten Boom von Angeboten zur Frühförderung gekommen, erklärt die Entwicklungspsychologin Prof. Dr. Maria Klatte. In einem Beitrag zum Thema „Gehirnentwicklung und frühkindliches Lernen“ schreibt sie: „Aus Verunsicherung, Sorge oder auch übertriebenem elterlichen Ehrgeiz sind die Terminkalender mancher Kinder so gefüllt, dass für spontane, selbst-initiierte Aktivitäten kaum noch Raum bleibt.“

Bewegung als Schulfach

Es gibt also ganz viele Stellen an denen ganz viel schief läuft. Eines ist dabei aber auch klar. Kinder und Jugendliche trifft keine Schuld. Bewegung beginnt schon beim Fötus, der im Mutterleib über seine Bewegungen auch das Gehirn stimuliert. Säuglinge und Kleinkinder brennen geradezu darauf, ständig Neues zu entdecken und auszuprobieren. Dabei fehlen ihnen aber allzu oft die Möglichkeiten und oftmals lassen wir sie auch nicht.

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