Das Gehirn denkt, wie der Magen verdaut: Die Wissenschaft der Darm-Hirn-Achse

Seit Jahren diskutiert die Medizin die Bedeutung von Darmbakterien für die menschliche Gesundheit. Billionen von Mikroorganismen bevölkern unseren Verdauungstrakt und bilden die sogenannte Mikrobiota. Sie schützen uns vor Krankheiten und sorgen für unser Wohlbefinden. Die Achse zwischen Darm und Gehirn, die sogenannte Darm-Hirn-Achse, ist das essentielle Bindeglied zwischen Körper und Psyche: Unser Darm und unser Gehirn stehen in direktem Austausch miteinander. Die Mikrobiota des Darms spielt dabei eine wesentliche Rolle.

Die Darm-Hirn-Achse: Eine Revolutionäre Entdeckung

Früher dachte man, dass das Gehirn der Hauptkoordinator ist und dem Darm über die Nerven befiehlt, was er zu tun hat. Doch die Forschung hat gezeigt, dass der Darm ursprünglich ist und viele Möglichkeiten hat, mit dem Gehirn zu kommunizieren. Das Gehirn interessiert sich sehr dafür, was im Darm vorgeht, und es findet eine Art Kommunikation statt. Tatsächlich spricht der Darm mehr mit dem Gehirn als das Gehirn mit dem Darm. Dies kann man als revolutionär bezeichnen, da der Darm wie ein Sinnesorgan oder sogar ein sechstes Sinnesorgan fungiert.

Die Informationen, die vom Gehirn zum Darm gehen, verhalten sich zu den Informationen, die vom Darm zum Gehirn gehen, wie 1 zu 10. Die Kommunikation von unten nach oben ist also deutlich aktiver als von oben nach unten.

Der Vagusnerv: Ein Vermittler zwischen Darm und Gehirn

Der Vagusnerv ist ein wichtiger Vermittler zwischen dem Darm und dem Gehirn. Er ist sehr groß und geht zu Lungen, Herz und zum größten Teil zum Darm. Das Gehirn interessiert sich also mehr für den Darm als für Herz und Lunge. Der Vagusnerv hat Fühler, die bis ins Darmlumen reichen, um direkt zu sehen, was sich im Darminhalt befindet. Das Gehirn will nicht nur wissen, wie sich der Darm bewegt, sondern auch, was wir gegessen haben und wie es verdaut wird. Diese Verdauung ist wichtig für unser Wohlbefinden, unsere Stimmung und unser Bewusstsein.

Darmbakterien und ihre Auswirkungen auf die mentale Gesundheit

Die Darmbakterien, die eigentlich nicht zu unserem Körper gehören, haben einen Einfluss darauf, wie mental gut es uns geht. Wenn man die Darmbakterien von depressiven Menschen Tieren implantiert, werden diese auch depressiv. Das bedeutet, dass die Darmbakterien unsere Motivation, unsere Freude am Leben und unsere Angst beeinflussen können.

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Es gibt zwei große Darmbakterienstämme: die Fermicutes und die Bacteroidetes. Idealerweise sollte man in einem guten Darmmilieu ein Gleichgewicht von 50/50 haben. Die Fermicutes werden durch kurzkettige Kohlenhydrate und Zucker genährt. Es gibt Hinweise darauf, dass es eine Art Genetik gibt, die diese Zusammensetzung beeinflusst.

Die Mikrobiom-Therapie: Ein Ansatz zur Behandlung psychischer Erkrankungen

Menschen, die an seelischen Erkrankungen leiden, die durch beruflichen und/oder privaten Dauerstress verursacht werden, schlafen oft zu wenig, essen ungesund und unregelmäßig, rauchen oder konsumieren übermäßig Alkohol, um den empfundenen Stress zu bewältigen. All diese Faktoren verursachen eine Dysbalance unserer Mikrobiota im Darm. Es bilden sich Mikroorganismen und Schadstoffe im Übermaß, die dort gar nicht hingehören. Im Extremfall kann dies sogar zu einer Schädigung der Darmwand führen, sodass Schadstoffe aus dem Darm ins Blut übertreten können. Als Folge kann es zu einer Schädigung des Organismus und einer Reizung des autonomen Nervensystems kommen, welches dann durch Rückkopplung an das Gehirn auch dieses langfristig schädigt.

In der Schlossparkklinik gibt es die Möglichkeit, anhand von Stuhlproben zu analysieren, inwieweit der individuelle Pilz- und Bakterienbefall eines Patienten von der Norm abweicht. So lässt sich feststellen, ob beispielsweise eine Dysbalance der Mikrobiota oder bereits eine Schädigung der Darmwand bzw. der Darm-Blut-Schranke vorliegt.

Die Mikrobiom-Therapie beinhaltet eine Tagesstrukturierung mit einem gesunden Frühstück, Mittagessen und Abendessen sowie bei Bedarf eine weitere Zwischenmahlzeit. Mindestens genauso wichtig für unsere Darmgesundheit ist eine ausgewogene und gesunde Ernährung. Gesund und ausgewogen bedeutet eine vitamin-, spurenelement- und ballaststoffreiche Ernährung aus Gemüse, Obst, Getreide, Molkeprodukten, pflanzlichen und ggf. auch tierischen Ölen mit hohen Anteilen an ungesättigten Fettsäuren.

Präbiotika und Probiotika: Unterstützung für die Darmflora

Man unterscheidet in der Ernährungswissenschaft zwischen Präbiotika und Probiotika. Präbiotika stellen eine selektive Nahrungsgrundlage für Darmbakterien dar und können damit die Zusammensetzung der Darmflora positiv beeinflussen. Dazu gehören z.B. Ballaststoffe, also Faserstoffe, die im Darm nicht verdaut werden. Diese führen dazu, dass sich Bakterien im Darm ansiedeln können, die für ein Gleichgewicht und einen gesunden PH-Wert sorgen. Probiotika sind Zubereitungen, die lebensfähige Mikroorganismen enthalten, zum Beispiel Milchsäurebakterien und Hefen. Um die Mikrobiota des Darms zu regulieren, benötigen wir beides. Man kann daher durchaus Probiotika durch solche Drinks hinzuführen, einen Schaden richtet man damit auf jeden Fall nicht an. Probiotische Drinks enthalten häufig Laktobazillen und Bifidobakterien, also Milchsäurebakterien. Diese kommen aber auch in Lebensmitteln, wie Joghurt, Buttermilch, Käse, fermentiertem Gemüse, z.B. Sauerkraut, Miso (Soja), saure Gurken oder in Brot vor.

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Der Einfluss von Ernährung und Lebensstil auf die Darmgesundheit

Die Forschung zeigt, dass das, was wir essen, einen großen Einfluss auf unsere Darmgesundheit und damit auch auf unsere mentale Gesundheit hat. Fertigprodukte tricksen die Hungersignale des Körpers aus und können zu Übergewicht führen. Süßstoffe können hungrig machen und die rauschhafte Wirkung von Zucker und Fett kann uns kaum widerstehen lassen.

Es ist wichtig, sich mit gesunder Ernährung auseinanderzusetzen und einen gesunden Lebensstil zu pflegen. Dazu gehört regelmäßige Bewegung, ausreichend Schlaf und der Verzicht auf schädliche Substanzen wie Nikotin und Alkohol.

Bewegung und Darmgesundheit

Unser Darm ist darauf angelegt, dass wir uns bewegen. Spaziergänge oder Sport sind gut für den Darm.

Die Rolle des Gehirns bei der Steuerung des Stoffwechsels

Das Gehirn spielt eine wichtige Rolle bei der Steuerung des Stoffwechsels. Es empfängt Signale vom Körper, ob der Energie- und Wasserhaushalt im Gleichgewicht sind. Wenn ja, melden Sensoren dies dem Gehirn. Falls nicht, reagiert der Körper mit Hunger oder Durst.

Die Evolution des menschlichen Stoffwechsels

Unsere Gehirne und Körper funktionieren im Wesentlichen nicht anders als die unserer Vorfahren. Die Evolution hat Gehirn und Körper gelehrt, dass es nicht jederzeit etwas zu essen gibt. Wenn dann mal Nahrung im Überfluss vorhanden ist, sollte man sich den Bauch voll schlagen, um für magere Zeiten gewappnet zu sein.

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Die Auswirkungen von Fertigprodukten und Süßstoffen auf den Stoffwechsel

Fertigprodukte tricksen die Hungersignale des Körpers aus. Sie vereinen häufig viele Kalorien auf wenig Masse. Ein Stoffwechselsignal, das uns die Portionsgröße entsprechend reduzieren lässt, besitzen wir aber nicht. Auch die Drucksensoren in unserem Verdauungstrakt können uns hier nicht helfen, denn sie können ja nicht zwischen Äpfeln und Pizza unterscheiden. Hinzu kommt, dass die Kombination aus Proteinen, Zucker und Fetten in Fertigprodukten mehrere Signalwege gleichzeitig anspricht, die alle das Belohnungssystem auf unterschiedlichen Wegen aktivieren. Die Belohnungsreize potenzieren sich dadurch und werden entsprechend stark empfunden.

Süßstoffe können ein Problem sein. Wenn der Körper an Kaffee mit Zucker gewöhnt ist, erwartet er eine gewisse Kalorienmenge. Also bereitet er sich darauf vor und erhöht zum Beispiel den Insulinspiegel. Wenn dann wider Erwarten gar kein Zucker kommt, reagiert der Körper mit Hunger.

Die rauschhafte Wirkung von Zucker und Fett

Marc Tittgemeyer und sein Team haben herausgefunden, warum wir Lebensmitteln wie Eis, Butternudeln und Sahnetorte kaum widerstehen können. Zucker- oder fetthaltige Nahrungsmittel bewirken im Mittelhirn die Ausschüttung von Dopamin. Wenn ein Lebensmittel beides zugleich enthält, potenziert sich dieser Effekt. Nudeln oder Sahnesauce allein machen unser Gehirn also glücklich, doch Nudeln in Sahnesauce versetzen es regelrecht in Euphorie.

Die Auswirkungen von Übergewicht auf die psychische Gesundheit

In der Psychiatrie treten sehr häufig metabolische Begleiterkrankungen auf, viele PatientInnen sind übergewichtig oder adipös, haben Diabetes oder leiden an Herz-Kreislauf-Problemen, und das liegt nicht nur an der Medikation. Es gibt Studien, die zeigen, dass junge Personen, die zu einer Risikopopulation für psychische Erkrankungen zählen, vermehrt übergewichtig sind und damit wahrscheinlich bereits die „low grade inflammation“ haben, denn diese geht auch mit Adipositas einher.

Übergewicht führt zur Bildung von Entzündungsstoffen im Körper. Deren Wirkung: Sie hemmen Antrieb und Motivation. Wer einmal in solch einem Teufelskreis gefangen ist, kommt nur schwer wieder heraus.

Medikamente und Verhaltensänderungen: Ein ganzheitlicher Ansatz zur Behandlung von Übergewicht

Medikamente allein reichen nicht aus, um Übergewicht in den Griff zu bekommen. Ohne Verhaltensänderungen und Anpassung der Ernährungsgewohnheiten wird es nicht gehen.

Die Darm-Hirn-Achse: Ein Schlüssel zur Gesundheit und zum Wohlbefinden

Die Forschung von Marc Tittgemeyer und seinem Team zeigt, dass unser Stoffwechsel nicht nur zu Übergewicht und den damit verbundenen Erkrankungen führen kann. Er ist auch an vielen weiteren Krankheitsbildern beteiligt. Das schließt auch Demenzen ein, eventuell sogar die Entstehung von Parkinson.

Die Erkenntnis, welche Rolle die Bakterien in uns für unsere Gesundheit, ja sogar für unsere Persönlichkeit zu spielen scheinen, war eine der wichtigsten Entdeckungen der letzten 50 Jahre.

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