Unser Gehirn ist ein komplexes Organ, das ständig Informationen verarbeitet, speichert und abruft. Doch wie gut kennen wir die Mechanismen, die unser Denken und Handeln beeinflussen? Der Diplom-Psychologe Eskil Burck präsentiert in seinem Buch "Das manipulierte Gehirn" die neuesten Forschungserkenntnisse der Psychologie und zeigt auf, wie wir unbewusst beeinflusst werden und wie wir uns davor schützen können.
Die Illusion der Realität
Wir Menschen glauben gerne, dass wir die Welt so sehen, wie sie wirklich ist. Doch die Realität ist, dass unser Gehirn uns eine Wirklichkeit konstruiert, die auf unseren individuellen Erfahrungen, Erinnerungen und biologischen Voraussetzungen basiert. Diese Illusion hilft uns zwar zu überleben, kann uns aber auch anfällig für Manipulationen machen.
Ein Beispiel für die Fragilität unserer Realitätswahrnehmung ist das Capgras-Syndrom. Betroffene sind davon überzeugt, dass ihnen nahestehende Personen durch Doppelgänger ersetzt wurden. Ursache hierfür ist eine Störung der Verbindung zwischen den für die Gesichtserkennung zuständigen Hirnarealen und der Amygdala, die für die emotionale Bewertung zuständig ist. Da das Gehirn das erkannte Gesicht nicht mehr mit den vertrauten Emotionen verbinden kann, kommt es zu dem bizarren Wahnerlebnis.
Auch im normalen Alltag erleben wir, wie unser Gehirn uns täuschen kann. Jeder Mensch hat einen blinden Fleck im Gesichtsfeld, den wir aber nicht bemerken, weil unser Gehirn die fehlenden Informationen ergänzt. Optische Täuschungen zeigen, wie leicht sich unsere Wahrnehmung manipulieren lässt.
Die Macht des Unterbewusstseins
Zahlreiche unbewusste Effekte unterwandern täglich das Radar unseres Bewusstseins. Dazu gehören beispielsweise Priming und der Mere-Exposure-Effekt.
Lesen Sie auch: Faszination Nesseltiere: Wie sie ohne Gehirn leben
Priming
Priming bezeichnet den Effekt, dass die vorangehende Wahrnehmung eines Reizes die Verarbeitung eines nachfolgenden Reizes beeinflusst. So kann beispielsweise die unbewusste Wahrnehmung einer Werbebotschaft dazu führen, dass wir später an die beworbene Marke denken und eher geneigt sind, das Produkt zu kaufen.
Mere-Exposure-Effekt
Der Mere-Exposure-Effekt besagt, dass wir Dinge positiver bewerten, je öfter wir sie wahrnehmen. Das bedeutet, dass wir Produkte oder Personen, die wir bereits kennen, eher mögen als unbekannte.
Gedächtnis und Manipulation
Unser Gedächtnis ist nicht wie ein unveränderliches Archiv, sondern ein dynamischer Prozess, bei dem Erinnerungen rekonstruiert und verändert werden können. Dies macht uns anfällig für Manipulationen.
Falsche Erinnerungen
Ein Nebeneffekt der Gedächtnisrekonstruktion ist, dass auch Erinnerungen verändert werden können. Denn sie sind Netzwerke aus Nervenzellen. Unser autobiografisches Gedächtnis ist lückenhaft, besonders bei frühen Erinnerungen. Diese Lücken versucht das Gehirn zu füllen. Dabei spielt eine Rolle, wie plausibel eine Erinnerung uns erscheint und wie lange sie zurückliegt. Besonders gut lassen sich Erinnerungen manipulieren, wenn sie mit echten Erlebnissen verknüpft werden.
Eine Studie der Psychologen Shaw und Porter von 2015 zeigte, dass es möglich ist, Menschen falsche Erinnerungen an kriminelle Handlungen einzupflanzen. Die Probanden wurden davon überzeugt, dass sie etwas gestohlen, jemanden geschlagen oder mit einer Waffe attackiert hätten.
Lesen Sie auch: Lesen Sie mehr über die neuesten Fortschritte in der Neurowissenschaft.
Wie unser Gehirn Lügen in Wahrheiten verwandelt
Der sogenannte Illusory Truth Effect beschreibt das Phänomen, dass wir Aussagen eher glauben, je öfter wir sie hören. Dies liegt daran, dass unser Gehirn Häufigkeit mit Wichtigkeit verwechselt. Politiker und Werbetreibende nutzen diesen Effekt, indem sie ihre Botschaften ständig wiederholen.
Gehirnwäsche und Manipulationstechniken
Sekten und Geheimdienste setzen gezielte Manipulationstechniken ein, um das Denken und Verhalten von Menschen zu kontrollieren. Diese Techniken zielen darauf ab, das Selbstwertgefühl der Betroffenen zu untergraben, ihre Realitätswahrnehmung zu verzerren und sie von der Außenwelt zu isolieren.
Wie wir uns vor Manipulation schützen können
Nur wer weiß, wie er beeinflusst wird, kann selbstbestimmt handeln. Eskil Burck gibt in seinem Buch "Das manipulierte Gehirn" konkrete Tipps, wie wir uns vor unbewusster Beeinflussung schützen können:
- Bewusstsein schaffen: Informieren Sie sich über die verschiedenen Manipulationstechniken und Mechanismen der Beeinflussung.
- Kritisches Denken: Hinterfragen Sie Informationen und Aussagen, besonders wenn sie oft wiederholt werden.
- Allgemeinbildung: Je mehr Wissen Sie haben, desto besser können Sie neue Informationen einordnen und bewerten.
- Selbstreflexion: Reflektieren Sie Ihre eigenen Denkmuster und Vorurteile.
- Achtsamkeit: Achten Sie auf Ihre Gefühle und Intuition. Wenn sich etwas komisch anfühlt, ist Vorsicht geboten.
Das Gedächtnis trainieren
Eine wichtige Rolle bei Erkrankungen spielt Bewegung. In der Bevölkerungsstudie Rheinland Studie standen Untersuchungen des Gehirns im Fokus. Basierend auf diesen Daten kam das Deutsche Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen e. V. (DZNE) in weiteren Untersuchungen 2022 zu dem Schluss, dass das Gehirn bereits von leichter körperlicher Aktivität profitiert. "Wir konnten zeigen, dass sich körperliche Aktivität in nahezu allen untersuchten Hirnregionen deutlich bemerkbar machte. Prinzipiell kann man sagen: Je höher und intensiver die körperliche Aktivität, umso größer waren die Hirnregionen, entweder in Bezug auf das Volumen oder auf die Dicke des Kortex. Das haben wir unter anderem beim Hippocampus beobachtet, der als Schaltzentrale des Gedächtnisses gilt."
Die Funktionsweise unseres Gedächtnisses
Unser Gehirn arbeitet stets auf Hochtouren, denn es sortiert, filtert und speichert Erlebnisse, Eindrücke und Erfahrungen im Gedächtnis ab. Wie funktioniert unser Gedächtnis und wie holen wir diese Informationen wieder hervor? Im Vergleich zur Festplatte eines Computers speichert unser Gehirn nicht Null und Eins, sondern bei jeder Informationsverarbeitung verändert sich die Verknüpfung der Nervenzellen im Gehirn. Dieses sogenannte neuronale Netz ist bei jedem Menschen unterschiedlich. "Wenn wir uns was merken, dann ändert sich wirklich physiologisch unser Gehirn.
Lesen Sie auch: Tinnitus und Gehirnaktivität: Ein detaillierter Einblick
Die drei Gedächtnisbereiche
Drei verschiedene Gedächtnisbereiche sind im Gehirn für das Lernen von Bedeutung: das Ultrakurzzeitgedächtnis, das Arbeits- oder Kurzzeitgedächtnis und das Langzeitgedächtnis.
- Das Ultrakurzzeitgedächtnis: Jeden Augenblick sind alle Sinne aktiv und unser Gehirn muss die vielen verschiedenen Informationen aus einem großen Angebot an Eindrücken herausfiltern. Wir riechen, hören, sehen, schmecken und fühlen. Mit diesen unterschiedlichen Sinnen nehmen wir Informationen auf. Nur für gerade mal zwei Sekunden bleibt das Wahrgenommene im Ultrakurzzeitgedächtnis, wird dann verworfen oder gelangt ins Kurzzeitgedächtnis. Deshalb ist es so wichtig, wenn eine Information gespeichert werden soll, dass wir uns nur auf eine Sache konzentrieren. Wenn wir einen Text verstehen und behalten wollen und gleichzeitig einen Film verfolgen, dann wird keine der beiden Inhalte vollständig gespeichert. Nur der Inhalt, der die volle Konzentration bekommt, wird festgehalten. Diese Information muss dazu noch relevant sein, erst dann kann sie die nächste Stufe erreichen: Das Arbeits- oder Kurzzeitgedächtnis.
- Das Arbeits- oder Kurzzeitgedächtnis: "Das heißt deswegen auch Arbeitsgedächtnis, weil in diesem Bereich des Gedächtnisses Information verarbeitet wird. Im Kurzzeitgedächtnis werden Informationen bis zu 20 Minuten gespeichert. Danach werden sie gelöscht, um den Platz für Neues freizugeben. Möchten wir das Gelernte länger behalten, hilft es nun eine kurze Pause einzulegen, da unsere Konzentration auf eine Sache nicht so lange ausreicht. Gerade beim Vokabel lernen hilft es, um die neuen Wörter zu behalten, dazwischen immer Pausen einzulegen und dann alles nochmal zu wiederholen. Dann ist die Chance größer, das Wissen im Langzeitgedächtnis zu verankern.
- Das Langzeitgedächtnis: Wenn Informationen in die dritte Stufe, ins Langzeitgedächtnis übergehen sollen, dann beginnt der Prozess der Konsolidierung. Will man etwas langfristig speichern, ist es besonders notwendig, das Gelernte sich erst einmal setzen zu lassen. Es ist eine Phase, in der unser Gedächtnis allerdings auch sehr störanfällig ist und Informationen schnell vergessen kann.
Die verschiedenen Arten von Erinnerungen
Das Muster der Gesichtserkennung findet im perzeptuellen Gedächtnis statt. Wenn wir Informationen abspeichern und wieder abrufen, dann sind ganz unterschiedliche Gedächtnisbereiche aktiv. Erlebnisse, Wissensinhalte oder Erfahrungen können dabei unbewusst oder bewusst wieder hervorgeholt werden.
- Das prozedurale Gedächtnis: Das prozedurale Gedächtnis hilft uns, dass wir uns an einmal gelernte Bewegungsabläufe automatisch erinnern und sie immer wieder hervorholen können. Fahrradfahren müssen wir zum Beispiel nur einmal erlernen und können dann ohne nachzudenken immer wieder darauf zurückgreifen.
- Das perzeptuelle Gedächtnis: Das perzeptuelle Gedächtnis hilft uns Personen wieder zu erkennen, die wir lange nicht mehr gesehen haben. Obwohl sie sich äußerlich verändert haben, mit einer neuen Frisur oder einer anderen Haarfarbe, werden wir uns trotzdem an sie erinnern. Denn unser Gedächtnis verfügt über die Fähigkeit, die einmal gelernte Muster wieder abzurufen und zu ergänzen.
- Das semantische Gedächtnis: Das semantische Gedächtnis wiederum speichert alle Informationen, die wir im Laufe unseres Lebens erworben haben. Dazu zählen Fremdsprachen und Wissensinhalte.
- Das episodische Gedächtnis: Das episodische Gedächtnis bewahrt unsere autobiographischen Erlebnisse. Diese können gute, aber auch schlechte Erinnerungen beinhalten. Sie sind meist als bewusste Informationen gespeichert. An prägende Momente erinnern wir uns ab dem dritten Lebensjahr. Erst im Alter von drei Jahren ist das Gehirn so weit entwickelt, dass es Informationen im episodischen Gedächtnis speichert. Erlebnisse aus der Kindergartenzeit sind meist die ersten Erinnerungen. Was davor passiert ist, daran kann man sich nicht bewusst erinnern. Das ist abhängig von Entwicklungsprozessen des Gehirns, die sich nacheinander aufbauen und erst im Erwachsenenalter abgeschlossen sind. Erinnerungen an die erste Liebe werden wir nie vergessen. Mit einem Reiz aktivieren wir das ganze Netz an Neuronen, d.h. Nervenzellen, die miteinander verbunden sind. Sind damit noch Emotionen verknüpft, dann verweilen diese Informationen besonders lange im Gedächtnis. An die erste große Liebe und an den ersten Kuss wird man sich lange erinnern. Emotionale Momente bleiben deshalb länger im Gedächtnis gespeichert und sie sind mit dem Erinnern eng verbunden. "Ganz wichtig für das Gedächtnis ist ein Bereich des Gedächtnisses, den man das limbische System nennt. Und das limbische System besteht aus dem Hippocampus und der Amygdala.
Unser Gedächtnis spielt manchmal ganz schön verrückt, wenn es versucht, Lücken zu schließen und nicht abgespeicherte Informationen zu ergänzen. Dabei können unbewusst Falschaussagen entstehen, von deren Wahrheitsgehalt man generell überzeugt ist, aber die notwendige Information nicht abgespeichert hat. So kann schnell bei einer Unfallbeschreibung aus einem blauen Auto, ein rotes Auto werden. Oder wir erinnern uns an eine bestimmte Situation und blicken durch eine rosarote Brille. Das ist auch der Grund, warum wir oft nostalgisch auf unsere Jugend zurückblicken. Der Rückblick kann sich im Laufe des Lebens jedoch wieder verändern. Ein Abgleich mit der Gegenwart kann die guten Erlebnisse ebenso zu schlechten verwandeln. Erinnerungen prägen den Menschen, deshalb ist die Persönlichkeit eines Menschen immer individuell - selbst wenn das Gedächtnis zum Beispiel aufgrund einer Demenzerkrankung nachlässt. Bestimmte Informationen sind trotzdem gespeichert. Auch wenn man sich nicht mehr an seinen Namen erinnern kann, bleiben Erinnerungen vorhanden, die unbewusst abrufbar sind.
tags: #das #manipulierte #gehirn #informationen