Das meditierende Gehirn: Wissenschaftliche Studien enthüllen die transformative Kraft der Meditation

Der Meditation werden zahlreiche positive Effekte auf das eigene Wohlbefinden zugesprochen, weshalb die Forschung zu ihren Auswirkungen seit etwa 15 Jahren einen Boom erlebt. Ein wichtiger Grund für dieses rasant zunehmende Interesse dürfte darin liegen, dass einige Meditationstechniken aus ihren traditionellen spirituellen und religiösen Kontexten herausgelöst und in zahlreiche psychotherapeutische Ansätze eingebunden wurden. Unterschiedliche Sammlungen solcher säkularer Meditationstechniken sind heutzutage als "Achtsamkeitsmeditation" bekannt und werden in vielen Kliniken zur Behandlung psychischer Probleme eingesetzt, was zu einer großen Zahl von Evaluationsstudien geführt hat. Doch nicht nur bei psychischen Problemen, auch bei Gesunden gibt es schon lange Studien zu den Effekten von Meditation, und auch die Hirnforschung interessiert sich in den letzten Jahren verstärkt für die Auswirkungen des Meditierens.

Vielfalt der Meditationstechniken

Meditation ist ein Sammelname für teilweise sehr unterschiedliche Techniken, die wichtige Bestandteile in allen Weltreligionen waren und sind, insbesondere im Hinduismus und Buddhismus. Eine zentrale Meditationsübung in vielen Traditionen besteht darin, den Atem zu beobachten. Einige Varianten: Darauf achten, wie sich die Bauchdecke hebt und senkt und dies benennen - "heben", "senken"; sich auf den Sinneseindruck konzentrieren, den der aus- und eingehende Atem an der Nasenöffnung hinterlässt; die Atemzüge zählen.

Das Sich-Beobachten ist jedoch nicht auf den Atem beschränkt. Alle Teile des Körpers sowie Gefühle und Gedanken können Meditationsobjekte sein. Eine in vielen buddhistischen Traditionen praktizierte Übung besteht darin, einfach dazusitzen und zu beobachten, welche Körperempfindungen, Sinneseindrücke, Gefühle und Gedanken hintereinander auftauchen, ohne daran haften zu bleiben.

Bei manchen Meditationstechniken werden Atem, Körper, Gefühle und Gedanken jedoch nicht nur beobachtet, sondern auch systematisch beeinflusst. Beispielsweise verlangsamen manche Meditierende (zu Beginn unter Aufsicht!) ihren Atem deutlich oder konzentrieren sich auf "Energiezentren" (Chakren), um sie zu aktivieren. Auch der sogenannte Body-Scan, eine systematische Erkundung und Entspannung des ganzen Körpers, gilt als Meditationstechnik.

Eine weitere verbreitete Technik, die in der sogenannten Transzendentalen Meditation, aber auch im Christentum und im Islam eine zentrale Rolle spielt, ist das Wiederholen von besonderen Silben, Wörtern oder Sätzen, sogenannten Mantras. Sowohl im Hinduismus als auch im Buddhismus werden positive Gefühle wie Liebende Güte (Herzensgüte, Wohlwollen anderen gegenüber), Mitgefühl oder Mitfreude (Freude, dass es einem selbst und anderen gut geht) systematisch kultiviert - auch diese Praktiken zählen als Meditationstechniken. Eine noch weit stärkere Rolle spielen Gefühle in Meditationsansätzen wie etwa im Sufismus, in der christlichen Mystik oder im hinduistischen Bkakti Yoga, in denen es darum geht, eine Liebesbeziehung zum Göttlichen aufzubauen, um in der angestrebten mystischen Vereinigung sein eigenes (falsches) Ego aufzugeben. Und schließlich gibt es noch eine Vielzahl von Meditationsverfahren in Bewegung.

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Diese kurze (und unvollständige) Aufzählung von Meditationstechniken sollte deutlich gemacht haben, dass "Meditation" sehr unterschiedliche Bedeutungen haben kann. Dies gilt auch für den Begriff "Achtsamkeitsmeditation". Die derzeit bekannteste Form der Achtsamkeitsmeditation, das MBSR- (Mindfulness Based Stress Reduction) Programm beinhaltet unter anderem das Achten auf den Atem, Liebende-Güte-Meditation, Gehmeditation, Yoga-Übungen und das aufmerksame Essen einer Rosine. Aber auch viele andere Kombinationen von Techniken, meist mit buddhistischem Hintergrund und nicht selten eingebettet in einen psychotherapeutischen Kontext, werden in der Forschungsliteratur als Achtsamkeitsmeditation bezeichnet. Achtsamkeitsmeditation ist also weder eine genau definierte Technik noch ein Synonym für Meditation, als was der Begriff manchmal betrachtet wird.

Auswirkungen von Meditation auf das Wohlbefinden

Eine kürzlich durchgeführte umfassende Metaanalyse zur Wirkung von Meditation bei Gesunden fand ausgeprägte positive Auswirkungen in nahezu allen untersuchten Aspekten. Unabhängig von der praktizierten Art der Meditation war die Wirkung auf Gefühlsaspekte (zum Beispiel Reduzierung von Angst und anderen negativen Emotionen) stärker als die auf kognitive Aspekte (zum Beispiel Aufmerksamkeit, Lernen, Gedächtnis). Am stärksten wirkte sich Meditation auf die Verbesserung zwischenmenschlicher Beziehungen aus.

Metaanalysen zu den therapeutischen Wirkungen von Meditation, in denen beispielsweise die Auswirkungen auf Angst, Schmerzen oder Depressivität bei Patienten untersucht wurden, ergeben ein ähnlich positives Bild. Allerdings sind die Effekte weniger stark ausgeprägt als bei Gesunden, und in allen untersuchten Aspekten wirkt Meditieren nicht besser als Entspannungstrainings und konventionelle psychotherapeutische Ansätze. Die Ergebnisse aus Metaanalysen zu den Auswirkungen des Meditierens auf das Gehirn legen nahe, dass sich die Gehirnstrukturen erfahrener Meditierender in charakteristischer Weise von denen Nichtmeditierender unterscheiden und dass sich spezifische Arten von Meditation langfristig unterschiedlich auf die gehirnphysiologischen Vorgänge bei der Verarbeitung von Reizen auswirken.

Neurowissenschaftliche Erkenntnisse zur Meditation

Die moderne Neurowissenschaft hat belegt, dass sich durch Meditation die Struktur des Gehirns ändert. So regungslos der Meditierende auch sitzt. Auch Mediziner und Psychotherapeuten berichten von positiven Effekten. Seit der Jahrtausendwende erlebt die Neurowissenschaft der Meditation einen regelrechten Boom.

Die Psychologin Britta Hölzel, die im Labor von Sara Lazar an der Harvard Medical School forschte, konnte mit ihrer Arbeitsgruppe zeigen, dass schon ein achtwöchiges Trainingsprogramm in Mindfulness-​Based Stress Reduction (MBSR) deutliche Spuren im Gehirn hinterlässt. Nach dem Trainingsprogramm hatte bei den Versuchspersonen die Dichte der grauen Substanz unter anderem im Hippocampus zugenommen.

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Ulrich Ott vom Bender Institute und seine Mitarbeiterin Britta Hölzel resümieren die Ergebnisse: Mittlerweile belegen eine Handvoll Studien, dass Meditation nicht nur die Aktivität des Gehirns, sondern auch seine Struktur verändert - die Graue Substanz nimmt in den Regionen zu, die zuvor trainiert wurden. Wer etwa durch einen sogenannten Bodyscan regelmäßig seine Körperwahrnehmung trainiert, bei dem wächst die Graue Substanz in den Gehirnregionen, die für die Repräsentation des gefühlten Leibes zuständig sind.

Meditation und Informationsfluss im Gehirn

Ein Team von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU), der Charité in Berlin und verschiedener US-amerikanischer Universitäten hat sich mit dieser wichtigen Art der Intelligenz beschäftigt. Die Forscherinnen und Forscher haben dabei festgestellt, dass die fluide Intelligenz bei erfahrenen Yoga-Praktizierenden und Meditierenden weniger schnell abnimmt als bei Personen ohne diese Praxis, aber mit gleicher Bildung und einem vergleichbar gesunden Lebensstil.

Meditierende und Yoga-Übende hatten insgesamt einen effizienteren Informationsfluss als die Kontrollgruppe. Bei ihnen wurden die Informationen zwischen verschiedenen Hirnregionen besser verarbeitet und eingeordnet. Diese Entdeckung passt zu der Tatsache, dass jüngere und intelligentere Menschen Hirnnetzwerke haben, in denen die verschiedenen Informationen besser integriert werden.

Meditation und Stressreduktion: Die Rolle der Amygdala

Die Amygdala hat eine Schlüsselrolle im Stressgeschehen: Sie hat die Funktion einer Alarmglocke. In Bruchteilen von Sekunden überprüft sie alle ankommenden Reize auf ihre Bedrohlichkeit. Im Zuge dieser Aktivierung wird der Körper mit Stresshormonen überflutet.

Je mehr ein Mensch meditiert, desto geringer ist die Dichte der grauen Substanz der Amygdala, haben die Forscher herausgefunden. Das bedeutet: die Amygdala ist weniger anfällig für Stress.

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Meditation und Neurotransmitter

Meditationseffekte lassen sich auch in der Konzentration von Neurotransmittern nachweisen: Yoga-Übungen erhöhen den Gehalt des entspannend wirkenden Botenstoffs GABA im Gehirn. Chris C. Streeter, Perry Renshaw und Kollegen fanden in der Yoga-​Gruppe nach den Übungen eine um 27 Prozent erhöhte Konzentration des Neurotransmitters GABA. Dieser wirkt entspannend und vermindert Angstgefühle. Bei der Kontrollgruppe konnten sie keine Veränderung messen.

Erklärungsansätze für die Wirkung von Meditation

Es gibt einige erfolgversprechende Versuche, Meditationstheorien aus hinduistischen oder buddhistischen Ansätzen zu extrahieren, und auch zur Wirkung von Achtsamkeitsmeditation liegen einige westliche Erklärungsversuche vor. Ein zentraler Wirkmechanismus, der in vielen theoretischen Ansätzen postuliert wird, besteht darin, dass Meditieren dazu führt, eingefahrene emotionale und kognitive Reaktionstendenzen wieder zu "verlernen". Zum Beispiel bemerken wir oft nur unseren Ärger, nicht jedoch die Auslösereize und Gedanken, die dazu geführt haben. Durch Meditieren können wir lernen, alle Bestandteile der Assoziationskette wahrzunehmen, was langfristig die Häufigkeit und auch die Stärke negativer Emotionen merklich reduzieren kann.

Meditation und die Kultivierung positiver Eigenschaften

In diesem Vortrag erklärt Prof. Richard Davidson, wie positive menschliche Eigenschaften durch meditative Praxis kultiviert werden können. Davidson spricht auch über die Auswirkungen von Meditation auf die körperliche Gesundheit.

Mithilfe eines Spiels aus dem Repertoire der Spieltheorie konnten Helen Y. Wang und Kollegen aus dem Labor von Richard J. Davidson zeigen, dass ein lediglich zweiwöchiges Training auf Mitgefühl für andere Menschen die Probanden altruistischer handeln ließ. Im Anschluss an das zweiwöchige Training mussten die Probanden beider Gruppen ein Verteilungsspiel spielen, bei dem ihre Bereitschaft getestet wurde, mit dem eigenen Geld auszugleichen, wenn ein anderer Geld unfair verteilte. Dabei zeigte sich, dass die Probanden der Mitgefühlsgruppe signifikant mehr Geld für andere einsetzten. Dies ging mit einer im Vergleich zu der Zeit vor dem Mitgefühlstraining stärkeren Aktivität im inferioren parietalen Cortex und im dorsolateralen präfrontalen Cortex einher. Beide Hirnregionen werden mit sozialer Kognition und Emotionsregulation in Verbindung gebracht.

Meditation im Alltag: Herausforderungen und Chancen

Meditieren hebt unsere Stimmung, verbessert unseren Umgang mit Gefühlen, verstärkt unsere positiven Persönlichkeitseigenschaften, erhöht unsere Konzentrationsfähigkeit und macht unser Denken klarer. Das Ausmaß, in dem all das geschieht, ist nicht dramatisch, aber deutlich messbar. Meditieren kann allerdings auch mühsam sein: Aus einem vollgepackten Tagesablauf muss täglich Zeit für das Meditieren gefunden werden, das Sitzen kann unangenehm sein und unweigerlich werden Durststrecken auftreten.

Der Weg zu mehr Gleichmut oder Achtsamkeit im Alltag kann manchmal auch schmerzhaft sein oder zu Stress führen. Für eine Studie über Risiken und negative Wirkungen von Meditation, die von 2016 bis 2019 lief, befragte Ulrich Ott von der Uni Gießen über 100 buddhistisch Meditierende in Deutschland. Sie erzählten von positiven wie von negativen Emotionen. Denn Meditation kann alte Gefühle zum Vorschein bringen oder neue Ängste auslösen, weil die bisherige Erfahrung von Wirklichkeit ins Wanken kommt. Hier spielt die Führung durch erfahrene Lehrende eine wichtige Rolle, manchmal ist auch eine Therapie ratsam.

Die Rolle der Meditation in Therapie und Gesundheitsförderung

Mehrere Vortragende berichteten, wie MBSR Psychotherapie unterstützen kann, Befindlichkeitsstörungen lindert und Ausgeglichenheit befördert. Sogar bei chronischen Schmerzen hilft MBSR, wie Stefan Schmidt, Komplementärmediziner an der Uniklinik Freiburg, anhand von Studien unter anderem bei Rückenschmerz und Migräne verdeutlichte. Allerdings geht es weniger um Symptom-Abschwächung, sondern um den Umgang mit den Schmerzen: Wer entsprechend der Lehre der Achtsamkeit, dem Schmerz offen im Geiste begegnet, statt ihn zu vermeiden, der mindere zumindest sein Leiden, ohne es völlig zu beseitigen.

Metta-Meditation bei chronischer Depression

Der Psychologe und Psychotherapeut Prof. Ulrich Stangier erforscht diese buddhistische Meditationsform an der Goethe-Universität in Frankfurt. In einer Therapiestudie, die von 2017 bis 2019 lief, erkundete er mit seinem Team, wie Metta-Meditation bei Menschen mit chronischer Depression wirkt, viele brachten schwere Traumata aus ihrer Kindheit mit. Erst dann begann nach und nach die Metta-Meditation selbst. In einer Gruppentherapie konzentrierten sich die Frauen und Männer über ein Jahr lang auf Sätze wie „Möge ich mich friedvoll und glücklich fühlen“ oder „Möge ich frei sein von Kummer und Sorgen“.

Im Vergleich zu anderen Therapiestudien mit chronisch-depressiven Kranken hat die Frankfurter Studie die Nase deutlich vorn. Sie ist die erste ihrer Art im deutschsprachigen Raum. Gemessen wurden - per Selbstauskunft - der Grad der Depressivität oder die empfundene Lebensqualität. Dass die Studie so erfolgreich war, liegt vermutlich an ihrem Fokus. Während bei den meisten gängigen Studien das Leiden im Mittelpunkt steht, setzten die Frankfurter Forscher mit dem Fokus auf Metta einen anderen Schwerpunkt. Diese Konzentration auf Wohlwollen ist eine große Stärke der Therapie. Sie bezieht sich im Grunde auf den Nerv der Depression.

Meditation und das Immunsystem

Meditation kann sich langfristig positiv auf Gehirnfunktionen und auf das Immunsystem auswirken. Das berichtet ein Forscherteam der Universität Wisconsin in Madison (USA) in der Fachzeitschrift Psychosomatic Medicine. Obwohl Meditation schon lange als wirksames Mittel zur Verringerung von Stress und Angst gilt, zeigt die Untersuchung erstmals, dass sie auch einen günstigen Einfluss auf bestimmte körperliche Vorgänge haben kann.

Die Wissenschaftler um Richard Davidson verwendeten die so genannte Aufmerksamkeits-Meditation. Dabei hat der Meditierende die Aufgabe, sich intensiv auf seine momentanen Gefühle und Gedanken zu konzentrieren, ohne sie jedoch zu bewerten. Die 25 Personen der Meditationsgruppe nahmen acht Wochen lang an einem Meditationskurs teil und meditierten jeden Tag selbst zuhause. Nach Abschluss des Trainings untersuchten die Psychologen die Gehirnaktivität im vorderen Bereich des Kopfes. Frühere Studien hatten ergeben, dass eine stärker linksseitig betonte Aktivität mit positiven Gefühlen zusammenhängt. Zusätzlich verabreichten die Forscher den Probanden am Ende des Trainings eine Grippeimpfung und maßen vier und acht Wochen nach der Impfung die Zahl der Grippeantikörper.

Kritische Betrachtung der Meditationsforschung

Doch nicht alle sind vom aktuellen Boom der Neurowissenschaft der Meditation nur begeistert. Britta Hölzel etwa fürchtet ein Strohfeuer, das rasch erlöschen könnte, wenn jetzt unrealistische Erwartungen geschürt und dann enttäuscht würden. Andere fragen, warum wir überhaupt eine neurowissenschaftliche Erklärung für ein Phänomen benötigen, das seine Wirksamkeit schon seit Jahrhunderten unter Beweis stellt.

Tania Singer, Direktorin am Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig, warnt vor einer Selbstüberschätzung der Disziplin: "Die Meditationsforschung steckt noch in den Kinderschuhen". Bisher gibt es zudem recht wenige Untersuchungen, die umfangreich und mit einer methodisch schlüssigen Durchführung das meditierende Gehirn beobachten. Zudem plädieren sie dafür, das Individuum mehr zu beachten: Manche Praktiken könnten für bestimmte Menschen von Vorteil, für andere sogar schädlich sein. Dazu kommt eine weitere Frage, mit der sich die Forschung laut Singer und Engert beschäftigen sollte: Wie lange dauert es, bis das Achtsamkeits- oder Meditationstraining das Gehirn anhaltend verändert?

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