Die Zahl der Menschen mit Demenz steigt weltweit. Laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) leben derzeit etwa 50 Millionen Menschen mit dieser Erkrankung. Da es bislang keine Heilung gibt, sind eine frühzeitige Diagnose und ein aktives Management entscheidend, um die Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern. Digitale Anwendungen, sogenannte Demenz-Apps, können hierbei eine wichtige Rolle spielen.
Der digitalisierte Uhrentest: Ein vielversprechender Ansatz
Der Uhrentest ist eine etablierte Methode zur Erkennung von Demenz und Orientierungsstörungen. Dabei wird der Patient gebeten, auf einem Blatt Papier mit einem vorgegebenen Kreis die Ziffern einer Uhr einzuzeichnen und eine bestimmte Uhrzeit darzustellen. Die Genauigkeit der Zeichnung gibt Aufschluss über den Grad der kognitiven Beeinträchtigung.
Wissenschaftler der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) haben diesen analogen Test digitalisiert. Sie speisten 2.500 Uhrentests in künstliche neuronale Netzwerke ein, um diesen beizubringen, die Tests selbstständig auszuwerten. Die Ergebnisse, veröffentlicht in der Fachzeitschrift Scientific Reports, zeigen eine hohe Trefferquote der neuronalen Netze. In über 96 Prozent der Fälle erkannten sie korrekt, ob ein pathologischer oder nicht-pathologischer Befund vorlag. Auch das von der künstlichen Intelligenz zugeordnete Krankheitsstadium stimmte in über 98 Prozent der Fälle.
Die Forscher planen nun, eine App zu entwickeln, die medizinisches Personal bei der Diagnose von Demenz unterstützen kann. Die App soll es ermöglichen, den Uhrentest abzufotografieren und sofort eine Auswertung zu erhalten. Dies könnte die Zuverlässigkeit der Diagnose erhöhen und die Abgrenzung von Demenzfällen verbessern.
"Up & Go": Mobilität im Alter testen
Die Deutsche Gesellschaft für Geriatrie (DGG) hat die kostenfreie App „Up & Go“ vorgestellt, die älteren Menschen hilft, ihre Kraft und ihr Gleichgewicht zu testen. Die App basiert auf dem „Timed-Up-and-Go-Test“ (TUG-Test), einem gängigen Mobilitätstest in der Geriatrie. Dabei wird die Zeit gemessen, die eine Person benötigt, um von einem Stuhl aufzustehen, eine kurze Strecke zu gehen, sich umzudrehen und wieder hinzusetzen. Die App wertet fünf aufeinanderfolgende Aufzeichnungen des Tests aus und gibt dem Nutzer verständliche Informationen über das Ergebnis. „Up & Go“ ist zunächst für Android verfügbar, eine Version für iOS soll folgen.
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"Auguste": Spielerische Erinnerungsarbeit
Dr. Konstantin Lekkos, Chefarzt der Klinik für Altersmedizin im Helios Klinikum Hildesheim, hat mit seinem Team die Demenz-App „Auguste“ entwickelt. Diese App bietet Spiele, die speziell auf Demenzerkrankte zugeschnitten sind. Ein besonderes Merkmal ist die Möglichkeit, Fotos aus der eigenen Vergangenheit hochzuladen, um Erinnerungen anzuregen.
Beim Starten der App erscheint die Spieleauswahl in der Optik eines Holztisches, um Berührungsängste zu minimieren. Die Spiele sind in verschiedenen Schwierigkeitsstufen verfügbar und können individuell angepasst werden. Der Fokus liegt nicht nur auf dem Gehirntraining, sondern vor allem darauf, Gespräche zwischen Erkrankten und Angehörigen anzuregen. Durch das Betrachten der Bilder sollen die Menschen anfangen zu erzählen, wodurch die zwischenmenschliche Nähe gefördert wird.
"neotivCare": Gedächtnis-Check für zu Hause
Forscher des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) haben gemeinsam mit dem Magdeburger Unternehmen neotiv eine App entwickelt, die Anzeichen einer möglichen Alzheimer-Erkrankung mit hoher Genauigkeit erkennen kann. Die App ermöglicht es, leichte kognitive Beeinträchtigungen (Mild Cognitive Impairment/MCI) selbstständig zu erkennen.
Die Nützlichkeit der App wurde in einer deutsch-amerikanischen Studie mit 199 Teilnehmern bestätigt. Die Probanden führten Gedächtnistests mit der App auf ihren Smartphones oder Tablets durch. Dabei mussten sie sich Bilder merken oder Unterschiede zwischen Bildern erkennen. Die Ergebnisse der App wurden mit etablierten Diagnoseverfahren verglichen. Die Studie zeigte, dass die App benutzerfreundlich ist und eine aussagekräftige Beurteilung der Gedächtnisleistung ermöglicht.
Die App ist bereits als Hilfsmittel für Arztpraxen im Einsatz. Neurowissenschaftler Emrah Düzel betont die Vorteile solcher Selbsttests: Sie würden helfen, klinisch relevante Gedächtnisstörungen im Frühstadium zu erkennen und Krankheitsverläufe engmaschiger zu erfassen.
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"memodio": Kombi-Therapie gegen das Vergessen
Das Start-up memodio entwickelt eine App für Menschen mit beginnender Demenz, um das Vergessen aufzuhalten. Die App basiert auf einer Kombi-Therapie, die Sport, Ernährung, Gedächtnistraining, soziale Teilhabe und das Management von Risikofaktoren umfasst.
Die App klärt über die Krankheit auf, hilft bei der Risikofaktoren-Management, trainiert das Gedächtnis und gibt Anregungen für eine kognitionsfördernde Ernährung. Sie unterstützt die Nutzer auch dabei, soziale Kontakte zu fördern und Hemmungen abzubauen. Zudem bietet sie körperliches Training, das auf das individuelle Fitnesslevel angepasst ist.
Die Gründer planen, ihre App als Medizinprodukt zertifizieren zu lassen und eine Studie durchzuführen, um den medizinischen Nutzen des Produkts zu belegen. Ziel ist die Zulassung als digitale Gesundheitsanwendung, mit der eine Vermarktung auf Rezept möglich wird.
"Sea Hero Quest": Spielen für die Forschung
"Sea Hero Quest" ist ein Mobile Game, das speziell zur Unterstützung der Demenzforschung entwickelt wurde. Das Spiel testet die räumliche Orientierung der Spieler, eine Fähigkeit, die bei Demenzerkrankungen oft frühzeitig beeinträchtigt ist. Die gesammelten Daten werden anonymisiert und für die Forschung zur Früherkennung von Demenz verwendet. Bereits zwei Minuten Spielzeit liefern so viele Daten wie ein Forscher in fünf Stunden unter Laborbedingungen sammeln könnte.
"Good News-App": Positive Nachrichten für den Alltag
Die "Good News-App" bündelt positive und lösungsorientierte Nachrichten, um den Fokus auf die Chancen und Möglichkeiten im Umgang mit Herausforderungen zu lenken. Dies kann insbesondere für Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen eine wertvolle Ressource sein, um Hoffnung und Zuversicht zu schöpfen.
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Gehirnjogging: Mehr als nur Gedächtnistraining
Zahlreiche Apps bieten Gehirnjogging-Übungen an, um das Gedächtnis und die Konzentration zu verbessern. Kritiker bemängeln jedoch, dass sich dadurch nicht das generelle Denkvermögen steigern lässt. Sinnvoller seien Aktivitäten, die sich im Alltag umsetzen lassen, wie ein Tanzkurs oder das Erlernen einer neuen Sprache. Studien haben gezeigt, dass die Kombination von körperlicher Aktivität, gesunder Ernährung und regelmäßigem Gehirntraining die kognitiven Fähigkeiten steigern kann.
NeuroNation: Personalisiertes Gehirntraining
Die App NeuroNation bietet ein intensives Gehirntraining mit 60 kognitiven Übungen, die in Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern entwickelt wurden. Die App wurde vom Bundesministerium für Gesundheit ausgezeichnet und in Studien auf ihre Wirksamkeit untersucht. Die Personalisierung sorgt dafür, dass die Übungen weder über- noch unterfordern.
Lumosity: Marktführer für Gedächtnistraining
Lumosity ist mit etwa 70 Millionen Nutzern weltweit Marktführer für Gedächtnistraining. Die App bietet personalisierte Workouts, die fünf kognitive Kernkompetenzen herausfordern. Die Grundlage bilden von Forschern entwickelte Tests zur Messung der kognitiven Fähigkeiten, die in Form von 25 Spielen aufbereitet wurden.