Die Diagnose Demenz stellt Betroffene und ihre Angehörigen vor große Herausforderungen. Die Erkrankung führt zu erheblichen Beeinträchtigungen im Alltag, wobei Betroffene zunehmend auf Unterstützung, Anleitung und Pflege angewiesen sind und immer weniger selbstständig am Leben teilnehmen können. Um behinderungsbedingte Nachteile auszugleichen, können Menschen mit Behinderungen Nachteilsausgleiche in Anspruch nehmen, die im Schwerbehindertenausweis eingetragen werden. Dazu zählen beispielsweise Steuervergünstigungen, die kostenlose Beförderung von Begleitpersonen im öffentlichen Nahverkehr oder die Befreiung vom Rundfunkbeitrag.
Antragstellung und Beurteilung
Im ersten Schritt muss ein Antrag bei der zuständigen Behörde auf Feststellung des Grades der Behinderung (GdB) sowie der Merkzeichen gestellt werden. Auskunft erteilt das Bürgerbüro der Stadt, in der Sie wohnen, je nach Landesrecht z. B. das Versorgungsamt oder der Kreis. Die Nachteilsausgleiche werden dann in Abhängigkeit davon gewährt.
Die Beurteilung des Grades der Behinderung und der Merkzeichen erfolgt nach der Versorgungsmedizin-Verordnung. Nach den versorgungsmedizinischen Grundsätzen zählt die Demenz zu den Hirnschäden. Je nach Ausprägung der Erkrankung wird bei einer leichten Beeinträchtigung ein GdB von 30 bis 40 Prozent, bei einer mittelgradigen Beeinträchtigung bereits 50 bis 60 Prozent und in schweren Fällen 70 bis 100 Prozent vergeben. Bei einem Grad der Behinderung von 50 Prozent oder mehr gilt der Betroffene als schwerbehindert und kann einen Schwerbehindertenausweis beantragen.
Merkzeichen und ihre Bedeutung
Aufgrund der Demenzerkrankung sind zudem u. a. die Merkzeichen aG (außergewöhnlich gehbehindert), B (Notwendigkeit ständiger Begleitung), G (erheblich gehbehindert), H (hilflos) oder RF (Befreiung vom Rundfunkbeitrag) denkbar.
Merkzeichen G (erheblich gehbehindert)
Das Merkzeichen G ermöglicht bei Feststellung einer Schwerbehinderung mit einem GdB ab 50 Prozent z. B. die Inanspruchnahme einer Kfz-Steuerermäßigung oder die kostenlose Inanspruchnahme des öffentlichen Nahverkehrs nach Erwerb einer Wertmarke. Zudem kann beispielsweise ein erhöhter Mehrbedarf bei gleichzeitigem Bezug von Sozialhilfe und Altersrente oder Erwerbsminderungsrente in Anspruch genommen werden (§ 30 SGB XII).
Lesen Sie auch: Fortgeschrittene Demenz: Ein umfassender Überblick
Das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg (Az. L 13 SB 10/15) hat sich mit Urteil vom 09.02.2017 mit der Vergabe des Merkzeichens G bei der Demenzerkrankung befasst. Das Merkzeichen G setzt eine Störung der Orientierungsfähigkeit dahingehend voraus, dass die Menschen mit Behinderung sich im Straßenverkehr auf Wegen, die sie nicht täglich benutzen, nur schwer zurechtfinden und Wegstrecken nicht mehr zielgerichtet zu Fuß zurücklegen können. Nach Auffassung des Landessozialgerichts ist das Merkzeichen G bei geistigen Behinderungen mit einem GdB von 100 Prozent grundsätzlich und bei einem GdB von 80 oder 90 in den meisten Fällen zu bejahen. Aber auch bei einem GdB von unter 80 Prozent kann in "besonders gelagerten Einzelfällen", z. B. bei einer Demenzerkrankung mit einem GdB von 70 Prozent, bereits eine erhebliche Orientierungsstörung gegeben sein.
Weitere Merkzeichen
aG (außergewöhnlich gehbehindert): Dieses Merkzeichen wird Personen zugeteilt, die sich aufgrund der Schwere ihrer Beeinträchtigung dauernd nur mit fremder Hilfe oder mit großer Anstrengung außerhalb ihres Kraftfahrzeuges bewegen können. Das ist der Fall, wenn sie vom ersten Schritt an oder für sehr kurze Entfernungen auf die Notwendigkeit eines Rollstuhls angewiesen sind.
B (Notwendigkeit ständiger Begleitung): Dieses Merkzeichen erhalten schwerbehinderte Menschen, die bei der Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln regelmäßig Hilfe benötigen. Dies kann beispielsweise beim Ein- und Aussteigen oder während der Fahrt erforderlich sein, oder auch zum Ausgleich von Orientierungsstörungen.
H (hilflos): Hilflosigkeit im Sinne des Schwerbehindertenrechts setzt grundsätzlich voraus, dass jeden Tag für die Dauer von mindestens zwei Stunden bei mindestens drei alltäglichen Verrichtungen fremde Hilfe benötigt wird. Zu diesen Verrichtungen zählen Körperpflege, Ernährung und Mobilität.
RF (Befreiung vom Rundfunkbeitrag): Menschen mit Demenz, die wegen der Auswirkungen ihrer Demenz an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen können, können eine Ermäßigung des Rundfunkgebührenbeitrags beantragen oder von diesem befreit werden.
Lesen Sie auch: Wechselwirkungen zwischen Schmerzmitteln und Demenz
Es ist wichtig zu beachten, dass das Merkzeichen G nicht zum Parken auf Behindertenparkplätzen berechtigt. Dafür ist das Merkzeichen aG erforderlich.
Nachteilsausgleiche und Leistungen
Ein Schwerbehindertenausweis mit eingetragenem GdB kann Ihnen Nachteilsausgleiche ermöglichen. Der Grad der Behinderung (GdB) beschreibt den Schweregrad einer Krankheit oder Behinderung. Dazu zählen alle körperlichen, psychischen, kognitiven oder Sinnesbeeinträchtigungen, die länger als sechs Monate zu Einschränkungen führen. Der Grad der Behinderung wird auf einer Skala von 20 bis 100 in Zehnerschritten angegeben, wobei 100 den schwersten Grad der Behinderung darstellt. Der GdB wird oft bei Anträgen auf bestimmte Sozialleistungen wie Schwerbehindertenausweise, Rente oder Eingliederungshilfen herangezogen. Menschen mit einem höheren GdB haben in der Regel mehr Ansprüche auf Unterstützung und soziale Leistungen.
Steuerliche Vorteile
Menschen mit Demenz können je nach Grad der Behinderung bei der Steuererklärung einen pauschalen Steuerfreibetrag zwischen 384 und 2.840 Euro (ab 2021) geltend machen. Bei Vorliegen der Merkzeichen H, B oder TBl (Taubblinde) oder einem Pflegegrad 4 beziehungsweise 5, erhöht sich der Steuerfreibetrag auf jährlich 7.400 Euro.
Bei der Kfz-Steuer können erheblich oder außergewöhnlich gehbehinderte (Merkzeichen G oder aG) oder hilfsbedürftige Menschen (Merkzeichen „H“) ebenfalls sparen, wenn der Pkw auf die Inhaberin oder den Inhaber des Schwerbehindertenausweises zugelassen ist.
Vergünstigungen im öffentlichen Nahverkehr
Inhaber eines Schwerbehindertenausweises können unter bestimmten Voraussetzungen Preisnachlässe oder sogar kostenlose Transporte in Bussen und Bahnen erhalten. Dies ist der Fall, wenn das Merkzeichen G (erhebliche Gehbehinderung), aG (außergewöhnliche Gehbehinderung) oder H (Hilflos) bewilligt wurde. Ist im Schwerbehindertenausweis das Merkzeichen „B“ eingetragen, kann eine Begleitperson unentgeltlich mitfahren.
Lesen Sie auch: Ursachen und Behandlung von Zittern bei Demenz
Rundfunkbeitrag
Menschen mit Demenz, denen das Merkzeichen „RF“ zuerkannt wurde, können eine Ermäßigung des Rundfunkgebührenbeitrags beantragen.
Weitere Vorteile
Ab einem GdB von 50 mit Schwerbehindertenausweis gibt es weitere Vergünstigungen, wie z.B. vergünstigte Eintritte in Museen und Theater oder bei Konzerten, vergünstigte Mitgliedsbeiträge z.B.
Das Feststellungsverfahren
Der Grad der Behinderung wird auf Antrag durch versorgungsärztliche Gutachterinnen bestimmt. Dabei werden verschiedene Faktoren berücksichtigt, einschließlich der körperlichen, geistigen, seelischen und sozialen Beeinträchtigungen einer Person. Die Gutachterinnen betrachten alle medizinischen Diagnosen und nehmen die Bewertung anhand der Rechtsgrundlage der sogenannten „Versorgungsmedizinischen Grundsätze“ vor. Liegen mehrere Behinderungen oder Krankheiten vor, besteht die Berechnung nicht einfach aus dem Zusammenzählen der Einzel-GdB-Werte für verschiedene Behinderungen. Stattdessen ist das Verfahren ein komplexer Prozess, bei dem beurteilt wird, welche Wechselwirkungen unter den verschiedenen Krankheiten bestehen. Dieser Prozess zielt darauf ab, eine genaue und gerechte Bewertung des individuellen Unterstützungsbedarfs einer Person mit Behinderungen zu gewährleisten.
Folgende Unterlagen sind für die Bearbeitung des Antrages erforderlich:
- Lichtbild (in der Regel nach Eingang des Bescheides)
- ärztliche Gutachten beziehungsweise Befunde, Krankenhaus- und Reha-Berichte, die die vorliegende Behinderung möglichst konkret beschreiben
- Kontaktdaten aller Ärztinnen und Ärzte, Krankenhäuser und Reha-Kliniken
Das Versorgungsamt schreibt die behandelnden Ärztinnen und Ärzte an und fordert von ihnen Befundberichte an. Dafür erhalten die Ärztinnen und Ärzte eine Vergütung. Die Antragstellerin oder der Antragsteller muss keine Atteste anfordern und bezahlen.
In der Regel dauert es mehrere Monate, bis das Verfahren abgeschlossen ist. Ansprüche gelten aber schon vom Zeitpunkt der Antragstellung an und werden rückwirkend gewährt.
Widerspruch
Wer einen negativen oder unzureichenden Bescheid erhält, kann innerhalb eines Monats Widerspruch einlegen. Es ist ratsam, sich hierbei von einer Beratungsstelle oder einer auf Sozialrecht spezialisierte Rechtsanwältin oder Rechtsanwalt unterstützen zu lassen.
Schwerbehinderung und Berufstätigkeit
Berufstätige Menschen mit Behinderung mit einem Schwerbehindertenausweis (ab einem Grad der Behinderung von 50) haben zudem erweiterte Arbeitnehmerrechte: Dazu gehören zusätzliche Urlaubstage (§ 208 SGB IX) sowie ein erweiterter Kündigungsschutz (§ 68 fortfolgende SGB IX). Außerdem können Betroffene zwei Jahre früher ein flexibles Altersruhegeld ohne Abzüge beantragen.
Besonderheiten bei Demenz
Bei Demenz im mittleren und schweren Stadium liegt in jedem Fall eine Behinderung vor. Die GdB-Spanne bei Demenz reicht von 30 bis 40 im frühen Stadium bis 100 bei schwerer Demenz. In der frühen Phase der Krankheit sind die Patienten meist noch recht selbständig, können sich in ihrem Alltag gut bewegen und brauchen nur wegen der Vergesslichkeit etwas Unterstützung. Im mittleren Stadium treten deutliche Gedächtnisstörungen auf, die Patienten haben Probleme sich zu orientieren und werden zunehmend hilfloser. Im mittleren Stadium reicht die GdB-Spanne von 50 bis 70. In der letzten Krankheitsphase machen schwere Gedächtnis- und Orientierungsstörungen einen selbständigen Alltag unmöglich, die Patienten sind auf dauerhafte Betreuung und Pflege angewiesen.
Tabelle: GdB bei Demenz
| Schweregrad der Demenz | Symptome und Einschränkungen | GdB-Wert |
|---|---|---|
| Leichte Demenz | Leichte Beeinträchtigungen der Gedächtnisleistung, leichte Einschränkungen im Alltag, weitgehende Selbstständigkeit | 30-40 |
| Mittelschwere Demenz | Deutliche Gedächtnis- und Orientierungsstörungen, Hilfsbedürftigkeit bei alltäglichen Aufgaben (Haushalt, Körperpflege) | 50-70 |
| Schwere Demenz | Schwere Gedächtnisverluste und Orientierungs- Probleme, dauerhafte Betreuung und Pflege notwendig | 80-100 |
Schwerbehindertenausweis bei Demenz: Ja oder nein?
Ein Behindertenausweis bei Demenz ist in vieler Hinsicht vorteilhaft. In diesem Ausweis werden die Einschränkungen eingetragen, unter denen der Betroffene leidet. Ein Behindertenausweis bringt eine Reihe von geldwerten Vorteilen. Je nach Grad der Behinderung können die Betroffenen einen pauschalen Steuerfreibetrag zwischen 384 und 2.840 Euro geltend machen. Entsprechend der individuellen Merkzeichen ist ein Freibetrag bis zu 7.400 Euro möglich. Auch bei der Kraftfahrzeugsteuer gibt es Reduzierungen, wenn das Auto auf den Demenzkranken zugelassen ist. Im Öffentlichen Nahverkehr bekommen die Betroffenen mit ihrem Ausweis Preisnachlässe oder sogar kostenlosen Transport.
Verglichen mit den Vorteilen ist die Beantragung eines Schwerbehindertenausweises bei Demenz anzuraten, auch wenn es bürokratischen Aufwand und Mühe bedeutet. Trotzdem sollten die Nachteile nicht unerwähnt bleiben. Sie können darin bestehen, dass der Demenzerkrankte Probleme hat, beispielsweise eine Lebensversicherung neu abzuschließen oder die geldwerten Vorteile haben Auswirkungen auf die Sozialleistungen. Ein Behindertenausweis kann, muss aber nicht überall vorgelegt werden.
Wann sollte man einen Schwerbehindertenausweis beantragen?
Ein Antrag kann bereits im Frühstadium der Demenz gestellt werden, denn finanzielle und organisatorische Vorteile gibt es bereits ohne Pflegebedürftigkeit. Voraussetzung für den Antrag ist die gesicherte Diagnose. Bei einem GdB (Grad der Behinderung) zwischen 30 und 40 in der Anfangsphase der Demenz erhalten die Betroffenen zwar noch keinen Ausweis, aber sie können steuerlichen Nachteilsausgleich geltend machen. Ab der mittleren Phase der Demenz sollte man unbedingt einen Behindertenausweis beantragen, denn Haushaltsführung, Alltagsbewältigung und Selbständigkeit sind in diesem Stadium maßgeblich beeinträchtigt. Ab einem Behinderungsgrad von 50 wird auch der Schwerbehindertenausweis ausgestellt und der Pauschbetrag liegt zwischen 1.440 und 1.780 Euro. Bei fortgeschrittener und schwerer Demenz, wenn die Betroffenen komplett auf Hilfe angewiesen sind und einen GdB zwischen 80 und 100 besitzen, steigt die Behindertenpauschale von 2.120 auf bis zu 7.400 Euro.
Gültigkeit und Verlängerung
In den frühen Stadien der Demenz kann es sein, dass der Schwerbehindertenausweis nur für einen begrenzten Zeitraum möglich ist. In der Regel sind das maximal fünf Jahre und der Ausweis kann zweimal verlängert werden. Bei schwerer Demenz sind die Betroffenen gänzlich auf Hilfe angewiesen: Der Hilflosigkeit entspricht ein Behinderungsgrad von 100 und im Ausweis wird ein H vermerkt. Der Ausweis ist dann unbefristet.
Bei einem befristeten Ausweis steht das Ablaufdatum auf dem Ausweis. Rechtzeitig vor dem Ablauf, mindestens drei Monate vorher, sollte man sich um die Verlängerung bemühen. Für die Verlängerung ist das Versorgungsamt oder der Kreis zuständig. Die Befristung eines Schwerbehindertenausweises liegt zwischen zwei und fünf Jahren und er kann verlängert werden.
Rechtliche Aspekte und Herausforderungen
Keineswegs erschöpft sich das rechtliche Leben mit einer an Demenz erkrankten Person auf das Betreuungsverfahren. Vielmehr stellt das Phänomen Demenz unsere Rechtsordnung insgesamt vor neue Herausforderungen. Zu den wichtigsten rechtlichen Fragen rund um die Demenz gehören die Regelungen des Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX), Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderung.
Beratungsangebote
Menschen mit einer mittleren bis schweren Demenz haben oft einen Anspruch auf die Zuerkennung einer Schwerbehinderung, wenn sie einen Grad der Behinderung (GdB) von mindestens 50 erreichen. Ab einem GdB von 50 haben sie auch Anspruch auf die zusätzliche Vergabe von Merkzeichen (vgl. Nach § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) - Anlage „Versorgungsmedizinische Grundsätze“ (VG) und der dortigen Ziffer 3.1.1 Hirnschäden ist der Schweregrad einer Demenz zu beurteilen. Liegt ein Hirnschaden bzw. eine Demenz mit mittelschwerer Leistungsbeeinträchtigung vor, ist ein Bewertungsrahmen von 50 bis 60 für den Einzel-Grad der Behinderung anzusetzen. Als Merkzeichen kommen bei an Demenz erkrankten Menschen insbesondere die Merkzeichen „G“, „aG“, „B“, „H“ und „Bl“ in Betracht. Mit der Vergabe der Merkzeichen kann der Demenzkranke dann zahlreiche Nachteilsausgleiche wie z.B. kostenlose Beförderung einer Begleitperson (Merkzeichen „B“), steuerliche Vergünstigungen (z.B.
Die ergänzende unabhängige Teilhabeberatung (EUTB) berät Menschen mit (drohenden) Behinderungen und deren Angehörige zu allen Fragen der Rehabilitation und Teilhabe. Beratungsstellen für Menschen mit Behinderung sind beim Ausfüllen der Formulare gerne behilflich.
In Nordrhein-Westfalen sind die Kreise und kreisfreien Städte für die Anträge zuständig.
tags: #demenz #gdb #merkzeichen #anspruch