Demenz und Zuckerkonsum: Aktuelle Studien und Erkenntnisse

In Deutschland leiden schätzungsweise 1,8 Millionen Menschen an Demenz, wobei jährlich zwischen 360.000 und 440.000 Neuerkrankungen hinzukommen. Ursächlich hierfür sind Veränderungen im Gehirn, die zum Absterben von Nervenzellen oder zu Störungen in der Kommunikation zwischen den Neuronen führen. Die Behandlungsmöglichkeiten sind begrenzt, eine Heilung gibt es bislang nicht. Angesichts dieser Herausforderungen rückt die Prävention immer stärker in den Fokus. Studien deuten darauf hin, dass der Zuckerkonsum eine wesentliche Rolle bei der Entstehung von Demenzerkrankungen spielen könnte.

Die Rolle von Zucker im Gehirn

Ein hoher Zuckerkonsum kann auf verschiedene Weisen die Hirnfunktion beeinträchtigen. Einerseits schädigen erhöhte Blutzuckerspiegel die Hirngefäße und führen zu Ablagerungen an den Gefäßwänden. Dies kann zu einer Unterversorgung einzelner Hirnareale führen und letztendlich eine gefäßbedingte (vaskuläre) Demenz verursachen. In Deutschland sind 15 bis 25 Prozent der jährlich etwa 250.000 Demenzerkrankungen auf diese Ursache zurückzuführen.

Komplexe Zuckermoleküle im Gehirn, sogenannte Glykosaminoglykane, können womöglich direkt die geistige Leistung einschränken. Neue Daten deuten darauf hin, dass sie die Funktion der Synapsen, den Schaltstellen zwischen den Nervenzellen, und somit die neuronale Plastizität beeinträchtigen. Die neuronale Plastizität ist die Fähigkeit von Nervenzellen und Gehirnarealen, sich anzupassen und bei Bedarf zu erweitern. Bereits vor 20 Jahren hatte eine Studie darauf hingedeutet, dass eine fett- und zuckerreiche Kost die neuronale Plastizität stört und langfristig die Funktion des Hippocampus, des Gedächtnisareals im Gehirn, beeinträchtigt.

Zudem besteht eine indirekte hirnschädigende Wirkung von zu hohem Zuckerkonsum über einen Diabetes mellitus. Seit den 90er Jahren ist bekannt, dass Menschen mit Typ-2-Diabetes ein deutlich erhöhtes Demenzrisiko aufweisen. Es wird angenommen, dass der Glukosestoffwechsel auch in den Neuronen gestört sein und so zur Entstehung der Alzheimer-Erkrankung beitragen könnte.

Aktuelle Forschungsergebnisse

Wissenschaftler der Klinik und Poliklinik für Neurologie des Universitätsklinikums Regensburg (UKR) haben herausgefunden, dass eine zuckerarme Ernährung auch unabhängig vom Blutzuckerspiegel positive Auswirkungen auf die langfristige Leistungsfähigkeit des Gehirns haben könnte. Ihre Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass insbesondere Milchzucker die Neurodegeneration des Gehirns beschleunigen kann.

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Die Ausgangsbasis für diese wissenschaftliche Arbeit war die Untersuchung der Auswirkung von Milchzucker auf das Gehirn bei Autoimmunerkrankungen, etwa bei der Multiplen Sklerose (MS). Das Forscherteam stellte fest, dass sich Milchzucker an Eiweiße anlagert und auf diese Weise die Isolierschicht von Zellen verändert, was zu einer schnelleren Abnutzung und Alterung von Gehirnzellen führt. Derartige Prozesse können einer Demenz wie der Alzheimer-Erkrankung den Weg bereiten.

Es ist jedoch wichtig zu betonen, dass das Gehirn auch Zucker benötigt, um Leistung zu erbringen. Glukose in Form von Traubenzucker ist ein exzellenter Energielieferant für das Gehirn, das im Normalbetrieb etwa 75 Prozent der in allen Körperzellen verbrauchten Glukose beansprucht. Es gilt also, den gesunden Mittelweg zu finden, um den Zuckerhaushalt konstant zu halten und nicht zu unterzuckern, um die geistige und körperliche Leistungsfähigkeit aufrecht zu erhalten.

Diabetes und Demenz: Ein komplexer Zusammenhang

Studien haben bereits gezeigt, dass Diabetes die Wahrscheinlichkeit erhöht, eine Demenz zu entwickeln. Paul K. Crane von der University of Washington und sein Team untersuchten, wie der Blutzuckerspiegel die Wahrscheinlichkeit beeinflusst, eine Demenzerkrankung zu entwickeln. Sie fanden heraus, dass bei Personen ohne Diabetes ein höherer durchschnittlicher Blutzuckerspiegel in den vorangegangenen fünf Jahren mit einem erhöhten Demenzrisiko verbunden war. Das Risiko stieg mit zunehmendem Blutzuckerspiegel.

Die Ergebnisse zeigen, dass erhöhte Blutzuckerspiegel ein eigenständiger Risikofaktor für Demenz sind - unabhängig davon, ob bereits ein Diabetes vorliegt oder nicht. Untersuchungen des DZNE, der LMU München und des LMU Klinikum München kommen zu dem Schluss, dass höhere Glukosespiegel schädliche Auswirkungen auf das alternde Gehirn haben können.

Die Alzheimer-Krankheit ist durch einen niedrigen Insulinspiegel im Blut und eine Insulinresistenz im Gehirn gekennzeichnet. Die Beeinträchtigung des zerebrovaskulären Systems, also die Schädigung der Blutgefäße im Gehirn, ist ein weiterer Faktor, der Diabetes und Demenz bestimmt und sie in Zusammenhang bringt. Wer bereits im mittleren Alter an Diabetes erkrankt ist, hat im Alter ein höheres Risiko für eine Demenzerkrankung.

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Prof. Yaffe konnte in ihrer Arbeit eine Wechselwirkung aufzeigen: Auf der einen Seite scheint ein niedriger Blutzuckerspiegel, der durch Diabetes hervorgerufen wird, das Demenzrisiko zu vergrößern. Auf der anderen Seite können eine leichte kognitive Beeinträchtigung oder eine Demenz das Risiko eines niedrigen Blutzuckerspiegels erhöhen.

Der Teufelskreis von Diabetes und Demenz

„Ältere Diabetes-Patienten können in einen Teufelskreis geraten, in dem eine mangelnde Kontrolle des Blutzuckerspiegels möglicherweise zu kognitiven Beeinträchtigungen führt, welche in eine noch schlechtere Blutzucker-Kontrolle münden“, sagt Prof. Yaffe.

Die Ergebnisse ihrer Studienteilnehmer zeigten, dass sie bei Gedächtnistests schlechter abgeschnitten hatten als Probanden ohne Diabetes. Zusätzlich hatten Diabetes-Patienten, die ihren Blutzuckerspiegel nur unregelmäßig kontrollierten, in den Gedächtnistests schlechtere Ergebnisse als Diabetes-Patienten mit einer guten Kontrolle ihrer Werte.

„Demenz-Patienten oder auch solche mit einer leichten kognitiven Beeinträchtigung sind oftmals nicht mehr in der Lage, ihre Diabetes-Erkrankung zu kontrollieren bzw. die Symptome eines zu niedrigen Blutzuckerspiegels überhaupt zu erkennen und darauf angemessen zu reagieren“, erklärt Prof. Yaffe. Der behandelnde Arzt müsse bei einer Diabetes-Therapie auch die geistige Leistungsfähigkeit des Patienten im Blick haben, erläutert Prof. Yaffe. Darüber hinaus seien auch Medikamente, die einen niedrigen Blutzuckerspiegel als Nebenwirkung haben können, möglicherweise bei älteren Menschen ungeeignet.

Die Rolle der Mikroglia

Untersuchungen des DZNE, der LMU München und des LMU Klinikum München haben gezeigt, dass das Signal aus der FDG-PET (Positronen-Emissions-Tomographie) hauptsächlich von den Mikroglia herrührt. Dies gilt zumindest im Frühstadium einer neurodegenerativen Erkrankung, wenn die Nervenschäden noch nicht so weit fortgeschritten sind. Hier sehen wir, dass die Mikroglia große Mengen an Zucker aufnehmen. Dies scheint notwendig zu sein, um ihnen eine akute, sehr energieaufwändige Abwehrreaktion zu ermöglichen. Diese kann zum Beispiel gegen krankheitsbedingte Proteinaggregate gerichtet sein.

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In den letzten Jahren hat sich herausgestellt, dass die Mikroglia bei Alzheimer und anderen neurodegenerativen Erkrankungen eine maßgebliche, schützende Rolle spielen. Es wäre sehr hilfreich, wenn man Aktivität und Reaktion dieser Zellen etwa auf Medikamente nicht-invasiv überwachen könnte. Insbesondere um festzustellen, ob eine Therapie anschlägt.

Die Bedeutung der Polysialinsäure

Ein Forschungsteam vom Institut für Klinische Biochemie der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) hat herausgefunden, dass die körpereigene Zuckerverbindung Polysialinsäure (PolySia) gegen neurodegenerative Prozesse helfen könnte. Im Gehirn wirkt PolySia auch im Hippocampus und dem präfrontalen Kortex. In diesen Gehirnbereichen ist das Zuckerpolymer wesentlich an der Regulation der Weitergabe von Informationen von einem Nerven zum nächsten beteiligt.

Das Forschungsteam konzentriert sich auf die kurzkettigen Polymere, für die gezeigt wurde, dass sie eine wichtige Rolle am sogenannten synaptischen Spalt spielen. In diesem schmalen Zwischenraum zwischen zwei Nervenenden werden Botenstoffe entlassen, die an spezifische Empfängermoleküle binden. PolySia sorgt dafür, dass die Botenstoffe an die richtigen Bindungsstellen im Zentrum der Synapse andocken.

Mit höherem Lebensalter nimmt die Konzentration an PolySia im Gehirn ab. „Bei Menschen mit neurodegenerativen Erkrankungen ist das Level dann noch einmal deutlich geringer“, stellt Dr. Thiesler fest. In Voruntersuchungen konnte das Forschungsteam bereits am Mausmodell für Alzheimer-Erkrankung zeigen, dass kurzkettige PolySia einer ganz bestimmten Länge die Gehirnleistung steigern konnte.

Prävention und Empfehlungen

Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) und die Deutsche Hirnstiftung nehmen Zucker als „neurotoxische“ Substanz in den Fokus, da ein hoher Konsum die Hirngesundheit schädigt. Prof. Dr. Frank Erbguth, Präsident der Deutschen Hirnstiftung erklärt, dass das Gehirn durchaus Glucose benötigt, um zu funktionieren. „Doch bei einer dauerhaften Erhöhung des Blutzuckerspiegels durch zu viele und zu üppige Mahlzeiten und durch das ständige Naschen und ‚Snacken‘ nebenbei bringen wir das Fass zum Überlaufen und befeuern die Entstehung von neurologischen Krankheiten, allem voran auch von Demenz und Schlaganfällen.“

Die DGN und die Deutsche Hirnstiftung raten zu einem bewussten, möglichst geringen Zuckerkonsum. Es ist sinnvoll, durch weitgehenden Verzicht auf Zucker diesem Teufelskreis zu entgehen. Gemeinsam mit der Deutschen Hirnstiftung unterstützt die DGN die politische Forderung, eine Steuer auf zuckerhaltige Getränke zu erheben.

Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung e. V. (DGE) spricht sich dafür aus, dass maximal 10 % der Gesamtenergie pro Tag aus Zucker stammen sollten. Bei einem durchschnittlichen Energiebedarf von 2000 kcal/Tag sind das 50 g/Tag, also 18 kg/ Jahr. Dazu zählt nicht nur der zugesetzte Zucker, sondern auch der natürlich enthaltene, z. B. in Früchten, Honig oder Säften.

Tipps zur Zuckerreduktion im Alltag

  • Versteckten Zucker erkennen: Achten Sie auf die Zutatenliste von Lebensmitteln und suchen Sie nach Begriffen wie Glukose, Saccharose, Dextrose, Zuckersirup, Laktose, Traubenfruchtsüße, Süßmolkenpulver oder Gerstenmalz.
  • Weniger Fertiggerichte: Fertiggerichte enthalten oft große Mengen an Zucker. Kochen Sie stattdessen selbst und verwenden Sie frische Zutaten.
  • Getränkeauswahl: Vermeiden Sie zuckerhaltige Getränke wie Softdrinks, Fruchtsäfte und gesüßte Tees. Trinken Sie stattdessen Wasser, ungesüßten Tee oder verdünnte Fruchtsaftschorlen.
  • Süßigkeiten bewusst genießen: Essen Sie Süßigkeiten nur in Maßen und wählen Sie Produkte mit einem geringeren Zuckergehalt.
  • Alternativen finden: Verwenden Sie natürliche Süßungsmittel wie Stevia, Erythrit oder Xylit anstelle von Zucker.
  • Achtsam essen: Nehmen Sie sich Zeit für Ihre Mahlzeiten und genießen Sie den Geschmack der Lebensmittel bewusst. So können Sie Ihr Verlangen nach Süßem besser kontrollieren.

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