Depressionen: Organische Ursachen und ihre vielfältigen Erscheinungsformen

Depressionen zählen zu den häufigsten psychischen Erkrankungen, von denen etwa 16 Prozent der Bevölkerung mindestens einmal im Leben betroffen sind. Innerhalb eines Jahres leiden ungefähr 8 Prozent der Menschen an einer depressiven Störung. Frauen erkranken dabei etwa doppelt so häufig wie Männer, und das mittlere Ersterkrankungsalter liegt zwischen 25 und 35 Jahren. Etwa drei von vier Personen mit einer Depression entwickeln im Laufe ihres Lebens noch weitere psychische Störungen, am häufigsten Angsterkrankungen.

Vielfältige Ursachen und Risikofaktoren

Es gibt nicht die eine Ursache für eine Depression. Vielmehr wirken verschiedene Faktoren zusammen, die sich in familiäre Belastungen und Genetik, psychische Belastungen sowie frühe stark belastende Erfahrungen unterteilen lassen.

Familiäre Belastungen und Genetik

Studien belegen, dass Kinder depressiver Eltern ein erhöhtes Risiko haben, ebenfalls an einer Depression zu erkranken. Zwillingsstudien weisen darauf hin, dass genetische Faktoren eine Rolle spielen, insbesondere bei bipolaren Depressionen, bei denen die Betroffenen zwischen Phasen niedergeschlagener und euphorischer Gefühle schwanken. Bei eineiigen Zwillingen steigt das Risiko, dass beide an einer Depression erkranken, auf mindestens 50 %. Dies belegt, dass ein genetischer Faktor vorhanden sein muss.

Psychische Belastungen

Schwerwiegende Lebensereignisse wie der Tod oder die Trennung von nahestehenden Personen oder der Verlust des Arbeitsplatzes können eine Depression auslösen. Auch chronische Belastungen wie Konflikte am Arbeitsplatz, finanzielle Engpässe oder Einsamkeit erhöhen das Risiko.

Frühe stark belastende Erfahrungen

Depressive Patient*innen haben in ihrer Kindheit zwei- bis dreimal so häufig Verluste erlebt, beispielsweise durch Trennung der Eltern oder den Tod eines Elternteils. Vernachlässigung, Gewalterlebnisse oder sexueller Missbrauch in der Kindheit machen im späteren Leben anfälliger für Depressionen.

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Verhaltenstherapeutische Modelle erklären Depressionen durch den Verlust stärkender Faktoren oder eine verzerrte Wahrnehmung von Ereignissen, die Beziehungen stören. Psychodynamische Modelle betonen die erhöhte Trennungsempfindlichkeit depressiver Menschen, die zu Abhängigkeit oder Einsamkeit führt. Prägend sind hierbei frühe Beziehungserfahrungen, in denen emotionale Abstimmungsprozesse zwischen Eltern und Kind nicht gelungen sind.

Auch andere chronische psychische (z. B. Suchterkrankungen) und somatische Erkrankungen (z. B. Diabetes) können das Risiko einer Depression erhöhen.

Symptome einer Depression

Hauptsymptome einer depressiven Störung (Major Depression) sind:

  • Niedergeschlagene Stimmung
  • Erhebliche Schwierigkeiten, sich zu Aktivitäten aufzuraffen
  • Erhöhte Neigung, schnell zu ermüden
  • Gleichgültigkeit gegenüber Dingen, die bisher interessant waren und Freude bereitet hatten

Diese Beschwerden sollten über mindestens zwei Wochen durchgängig andauern. Die depressive Stimmung wird von Patientinnen unterschiedlich beschrieben, von Niedergeschlagenheit, Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung bis hin zu Gefühllosigkeit. Viele Patientinnen empfinden auch größere Angst, sind stark verunsichert oder leiden unter Zukunftsängsten.

Weitere mögliche Beschwerden sind:

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  • Emotional: Schuldgefühle, Gefühle der Wertlosigkeit, Schwermut, Reizbarkeit oder Leere
  • Kognitiv: Verminderte Aufmerksamkeit und Konzentration, Unentschlossenheit, negative Zukunftsgedanken, Grübeln, Selbstzweifel
  • Körperlich-vegetativ: Schlafstörungen, Appetitlosigkeit und Gewichtsabnahme, innere Unruhe, Verlust des sexuellen Interesses, Schwindel, Kopfschmerzen, Magen-Darm-Beschwerden ohne körperliche Ursache
  • Verhalten: Verlangsamung der Sprache und Motorik, geringe Aktivitätsrate
  • Suizidgedanken und -versuche

Depressionen treten meist in Phasen („Episoden“) auf, die begrenzt sind und auch ohne therapeutische Maßnahmen abklingen. Die durchschnittliche Dauer einer depressiven Phase liegt bei 6 bis 8 Monaten. Manchmal leiden Patient*innen auch nur unter leichten depressiven Beschwerden, die aber nicht abklingen, sondern ständig und lange anhalten. Bestehen solche leichten Symptome mindestens zwei Jahre, spricht man von einer Dysthymie. Eine Dysthymie kann zusätzlich vor einer Depression mit ausgeprägten Beschwerden überlagert werden (Double Depression). Bei schweren Depressionen können auch psychotische Symptome wie Wahnideen, Halluzinationen oder ein „depressiver Stupor“, ein Zustand körperlicher und psychischer Erstarrung, auftreten.

Diagnostik von Depressionen

Um depressive Beschwerden abzuklären, führt eine Psychotherapeutin oder ein Psychotherapeut ein ausführliches diagnostisches Gespräch mit der Patientin oder dem Patienten. Dabei werden nicht nur die aktuellen Beschwerden und Belastungen erfasst, sondern auch Erlebnisse, die der Patientin im Laufe ihres Lebens zu schaffen machten. Außerdem erkundigen sie sich nach psychischen Erkrankungen und aktuellen Belastungen in der Familie. Da Depressionen auch Suizidgedanken auslösen können, fragen die Psychotherapeutinnen auch ausdrücklich danach.

Vor Beginn einer Psychotherapie ist eine sorgfältige internistische und neurologische Untersuchung notwendig, um körperliche Ursachen für eine Depression auszuschließen, z. B. Hormonerkrankungen. Auch blutdrucksenkende Mittel oder Steroidhormone können depressive Beschwerden verursachen.

Therapie von Depressionen

Nicht jede Depression muss sofort psychotherapeutisch oder mit Medikamenten behandelt werden. Bei leichten depressiven Störungen kann sich die Patientin zunächst beraten und anleiten lassen, wie sie selbst besser mit gedrückten Stimmungen umgehen kann. Kommt es innerhalb von zwei Wochen zu keiner Besserung, sollte mit der Patientin überlegt werden, die Behandlung zu intensivieren. Hierbei kommen z. B. Online-Programme infrage. Wenn auch diese nicht ausreichend wirken, sollte eine Psychotherapie vorgeschlagen werden. Bei mittelschweren depressiven Störungen sollte der Patient*in entweder eine Psychotherapie oder eine medikamentöse Therapie angeboten werden. Bei schweren und chronischen depressiven Störungen ist dagegen eine Kombination aus Psychotherapie und Medikamenten angebracht. Nachweislich wirksam bei depressiven Störungen sind Verhaltenstherapie, psychodynamische Psychotherapie, Interpersonelle Psychotherapie, Gesprächspsychotherapie und Systemische Therapie. Zur medikamentösen Therapie sind insbesondere verschiedene Klassen von Antidepressiva zugelassen.

Heilungschancen und Rückfallrisiko

Eine depressive Erkrankung kann vollständig zurückgehen, sodass die Patientin wieder ohne Beschwerden ist. Manchmal bleiben einzelne Beschwerden bestehen. Nicht jede Depression ist heilbar. Depressionen können insbesondere chronifizieren, wenn sie nicht rechtzeitig behandelt wurden. Eine Behandlung verkürzt die Zeit, die eine Patientin unter der gedrückten Stimmung leidet, deutlich: auf durchschnittlich 16 Wochen. Depressive Phasen können sich wiederholen: Bei über der Hälfte der Patientinnen kommt es nach der ersten Erkrankung zu einer weiteren depressiven Episode. Die Wahrscheinlichkeit einer Wiedererkrankung erhöht sich nach zweimaliger Erkrankung auf 70 Prozent und nach der dritten Episode sogar auf 90 Prozent. Behandlungen senken die Rückfallrate erheblich. Eine besondere Stärke der Psychotherapie ist, dass sie anhaltend und längerfristig wirkt, insbesondere wenn sie auch als Erhaltungstherapie fortgesetzt wird. Bei Patientinnen mit einem erhöhten Rückfallrisiko, z. B. bei fortbestehenden Beschwerden, ist eine längerfristige stabilisierende Psychotherapie empfehlenswert. Auch Antidepressiva können Rückfälle verhindern. Sie sollten deshalb auch nach vollständigem Abklingen der Beschwerden noch eine Zeitlang eingenommen werden.

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Organische Ursachen von Depressionen

Nicht immer sind seelische Probleme die alleinige Ursache für Depressionen. Umgekehrt können auch körperliche Ursachen psychische Symptome hervorrufen, einschließlich Depressionen. Der Arzt spricht dabei von „organischen Erkrankungen mit psychiatrischem Ausdruck“. Werden die möglichen körperlichen Ursachen einer Depression jedoch durch fachärztliche Begleitung und Untersuchungen geprüft, kann deren frühzeitige Erkennung und gezielte Behandlung eine psychotherapeutische Behandlung obsolet machen und bereits bestehende psychische Störungen zu bessern helfen. Diese zusätzlichen Untersuchungen sollten zum Beispiel dann erfolgen, wenn sonst gut wirksame Psychopharmaka auf die bereits diagnostizierte, psychische Erkrankung auffallend wenig oder gar nicht wirken. Auch bei neurologischen Symptomen, Verwirrtheit und Katatonie (Bewegungsauffälligkeiten), stark wechselnder Symptomatik oder z.B. visuellen Halluzinationen (bei psychischen Erkrankungen sind akustische Halluzinationen typischer) sollte die körperliche Untersuchung über die klassischen Tests mittels Blutuntersuchung und Gehirnscans hinaus gehen.

Vitamin-B12-Mangel

Ein starker Mangel an Vitamin B12 kann zu Störungen in der Weiterleitung von Schlüsselbotenstoffen führen, die wiederum Unregelmäßigkeiten in der Serotoninproduktion hervorrufen. Serotonin ist für die Emotionsverarbeitung im Gehirn maßgeblich. Die Folgen zeigen sich in der Ansammlung giftiger Substanzen und Entzündungen im Gehirn, die mitunter zur Entstehung von Zytokinen führen.

Schilddrüsenhormone

Eine gut funktionierende Schilddrüse produziert Hormone, die auch im Gehirn benötigt werden. Bei Unregelmäßigkeiten in den Schilddrüsenhormonen können sowohl depressive Anzeichen (bei ausgeprägtem Schilddrüsenhormonmangel) als auch manische Phasen (bei deutlicher Überfunktion) auftreten.

Vitamin-D3-Mangel

Ein Vitamin-D3-Mangel kann psychischen, neurologischen und körperlichen Erkrankungen Vorschub leisten, darunter Depressionen, Tumorerkrankungen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Atemwegserkrankungen, Stoffwechselerkrankungen und Autoimmunerkrankungen.

Herzerkrankungen

Eine Herzrhythmusstörung kann sich durch das Gefühl von Enge im Brustkorb, dem Gefühl von Erstickung und Schwindelgefühlen sowie schwere Ängste zeigen.

Krebserkrankungen

Verschiedene Krebserkrankungen können nicht nur durch die psychische Belastung eine Depression hervorrufen, sondern auch durch direkte körperliche Auswirkungen die Symptome einer psychischen Erkrankung hervorrufen.

Psychoorganische Syndrome

Organische Ursachen akuter psychischer Syndrome stellen die wichtigste Differenzialdiagnose bei psychiatrischen Akutaufnahmen, im Konsiliardienst und ambulanten Notdienst dar. Gerade mit der wachsenden Zahl älterer Patienten treten Delirien sehr häufig auf. Trotz ihrer ungünstigen Prognose bleiben sie oft unerkannt und die Betroffenen unbehandelt. Mögliche organische Ursachen müssen daher differenzialdiagnostisch fundiert durch Anamnese, körperlichen Befund, Labor und Bildgebung ausgeschlossen werden. Bestätigt sich eine organische Ursache, ist die Therapie primär ursachenorientiert und erst in einem zweiten Schritt symptomatisch mit antipsychotischer, antidepressiver oder sedierender Medikation.

Die möglichen organischen Ursachen akuter psychischer Syndrome sind vielfältig: Dazu zählen etwa Autoimmunerkrankungen wie SLE oder Morbus Behcet, Erreger wie Herpes simplex, Lues, HIV, Borrelien, aber auch Tumoren und Epilepsien. Hinzu kommen Stoffwechselstörungen, Elektrolytverschiebungen, hormonelle Über- oder Unterfunktion - vor allem der Schilddrüse, sowie zerebrovaskuläre und neurodegenerative Erkrankungen.

Besonders häufig bei älteren Menschen ist das Delir. Es ist oft mit einer erheblichen Funktionseinbuße, Morbidität und auch Einjahresmortalität verbunden. Gerade der bei älteren Menschen häufig nicht mehr kompensierbare Funktionsverlust bedingt erhebliche Einschränkungen der Lebensqualität, Pflegeheimeinweisung und rasche Demenzprogression. Als direkte Auslöser des Delirs nachgewiesen sind Infektionen, Schmerzen, Exsikkose, Elektrolytentgleisungen, Operationen, akute zerebrale Ereignisse, sedierende und andere zentral wirksame Medikamente oder deren Entzug, aber auch Malnutrition und Beschränkung des Bewegungsradius. Gerade bei älteren Patienten kommen oft mehrere dieser Faktoren zusammen. So kann eine zusätzliche banale Infektion das Delir schließlich auslösen.

Schwer zuzuordnen sind Angst, Depression und Verhaltensstörungen als Folge epileptischer Anfälle. Die psychischen Symptome können den Anfällen als Aura vorausgehen, aber auch während, nach und zwischen den Anfällen auftreten. Zumindest bei generalisierten Anfällen ohne motorische Symptome ist hier das EEG wegweisend, bei komplex-fokalen Anfällen kann eine Video-EEG- und invasive EEG-Diagnostik notwendig werden.

Neurobiologische Aspekte und Vererbung

Neben psychosozialen Auslösern gibt es auch immer körperliche Ursachen für das Entstehen einer Depression, d.h. Veränderungen im Körper und insbesondere neurobiologische Veränderungen im Gehirn. Hierzu zählen z.B. vererbte Faktoren, die das Risiko zu erkranken beeinflussen. Durch eine medikamentöse Behandlung mit Antidepressiva kann direkt auf diese neurobiologischen Ungleichgewichte eingewirkt werden.

Neurotransmitter und Depression

Jedes Gefühl, jeder Gedanke und jedes Verhalten gehen mit einem Aktivitätsmuster der Nervenzellen im Gehirn einher. Die Aktivität wird über Botenstoffe (Neurotransmitter) zwischen den Nervenzellen weitergeleitet. Einer dieser Botenstoffe, Serotonin, wird mit Depressionen in Verbindung gebracht. Viele Antidepressiva beeinflussen die Wirkung von Serotonin, was darauf hindeutet, dass eine Störung im Serotoninsystem eine Rolle bei der Depressionsentstehung spielt. Die Vorstellung, es würde schlicht ein Mangel an Serotonin vorliegen, ist jedoch zu simpel.

Genetische Ursachen

Es gibt kein einzelnes "Depressionsgen", das hauptverantwortlich für die Erkrankung ist. Bei eineiigen Zwillingen leiden in circa 50 % der Fälle beide Zwillinge an einer depressiven Erkrankung. Das bedeutet aber auch, dass die Gene nicht alles erklären können. Nun wurden 30 neue Gene entdeckt, die zur Entwicklung einer Depression beitragen. Das internationale Konsortium hat die genetischen Daten von mehr als 135.000 Betroffenen und 344.000 Kontrollpersonen ausgewertet. Tatsächlich konnten die Forscher 44 Stellen auf dem Genom, sogenannte Loci, identifizieren, die mit schweren Depressionen in Verbindung stehen.

Depressionen im Alter

Depressionen werden bei älteren Menschen viel seltener und später erkannt. Das und körperliche Begleiterkrankungen sind die Hauptgründe, warum die Prognose insgesamt schlechter ist. Mit steigendem Alter erhöht sich das Risiko von Suizidalität, Rückfällen und chronischen Verläufen. Behandlung findet oft entweder gar nicht, verspätet oder nicht ausreichend statt. Irrtümlich wird angenommen, dass im fortgeschrittenen Lebensalter eine Behandlung, insbesondere Psychotherapie, nicht mehr so gut wirkt. In den Schön Kliniken wird die spezielle Situation des höheren Lebensalters in der Therapie berücksichtigt. Inhalte sind an den spezifischen Bedürfnissen älterer Menschen ausgerichtet, bei Bedarf wird die Behandlungsdichte oder die Länge einzelner Therapieeinheiten angepasst. Körperliche Erkrankungen werden berücksichtigt und gegebenenfalls mitbehandelt. Thematisch stehen hier Übergang ins Rentenalter, körperliche Erkrankungen, Schmerzen, Bewegungseinschränkungen, Nachlassen der körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit, Verlust oder Pflegebedürftigkeit des Partners sowie Einsamkeit im Vordergrund.

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