Diabetische periphere Neuropathie: Ursachen, Symptome und Behandlung

Die diabetische periphere Neuropathie ist eine häufige Komplikation des Diabetes mellitus, bei der Nervenschäden durch langfristig erhöhte Blutzuckerwerte entstehen. Fast jeder zweite Mensch mit Diabetes ist betroffen. Diese Nervenschädigungen können verschiedene Regionen des peripheren Nervensystems betreffen und zu einer Vielzahl von Symptomen führen.

Was ist eine diabetische Neuropathie?

Mediziner fassen unter dem Begriff diabetische Neuropathie unterschiedliche Beschwerden bei Diabetes mellitus zusammen, die durch Nervenschäden entstehen. Hierbei sind die Nerven des peripheren Nervensystems geschädigt - also die Nerven, die sich außerhalb des Gehirns und des Rückenmarks befinden.

Zum peripheren Nervensystem gehören alle außerhalb des zentralen Nervensystems liegenden Teile der motorischen, sensiblen und autonomen Nerven. Funktionell wird das periphere Nervensystem in zwei Systeme unterteilt: das somatische Nervensystem und das autonome bzw. vegetative Nervensystem.

Das somatische Nervensystem steuert alle willentlich beeinflussbaren Körpervorgänge. Es dient motorisch der Ansteuerung der Skelettmuskeln, damit bspw. Arme oder Beine bewegt werden können. Zudem dient es der sensorischen Wahrnehmung von Sinnesreizen. Erkrankungen motorischer und sensorischer Nerven werden, je nach betroffenem System, als sensomotorische, motorische oder sensible Neuropathien bezeichnet.

Das autonome bzw. vegetative Nervensystem steuert alle lebensnotwendigen, automatisch ablaufenden Grundfunktionen des Körpers. Dazu gehören Funktionen wie der Herzschlag, Atmung, Verdauung, Schweißbildung und die Regulation des Blutdruckes. Das autonome Nervensystem setzt sich aus zwei Anteilen zusammen, dem Sympathikus und Parasympathikus. Erkrankungen autonomer Nerven werden als autonome Neuropathien bezeichnet.

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Man unterscheidet hauptsächlich zwischen zwei Formen:

  • Sensomotorische Polyneuropathie: Schädigung von Nerven, die für Empfindungen und Berührungen zuständig sind. Dies verursacht Störungen des Berührungs-, Schmerz- und Temperaturempfindens. Auch Lähmungserscheinungen können vorkommen.
  • Autonome Neuropathie: Betrifft Nerven des vegetativen Nervensystems, die Organfunktionen steuern. Eine Schädigung kann sich z.B. auf das Herz-Kreislauf-System oder den Magen-Darm-Trakt auswirken.

Weniger häufig vorkommende atypische Formen der Neuropathie können bestimmte Nervenwurzeln oder einzelne Nerven schädigen.

Ursachen und Risikofaktoren

Die Hauptursache für die Entstehung einer diabetischen Neuropathie ist ein über lange Zeit erhöhter Blutzuckerspiegel. Eine langjährige Diabeteserkrankung und hohe Blutzuckerwerte begünstigen daher eine Neuropathie. Bei Diabetes Typ 2 ist oft auch eine Störung des Fettstoffwechsels beteiligt. Es wird vermutet, dass der ständig erhöhte Blutzucker feinste Blutgefäße schädigt, welche die Nerven umspinnen und versorgen.

Weitere Risikofaktoren sind:

  • Bluthochdruck
  • Gefäßerkrankungen
  • Diabetische Retino- oder Nephropathie
  • Erhöhte Blutfette
  • Alkohol
  • Nikotin
  • Übergewicht
  • Wenig Bewegung
  • Falsche Ernährung

Symptome einer diabetischen Neuropathie

Die Symptome einer diabetischen Neuropathie sind vielfältig und hängen davon ab, welche Nerven geschädigt sind. In frühen Krankheitsstadien bleibt die diabetische Neuropathie häufig unbemerkt und beschwerdefrei. Nach 25 Jahren Diabetesdauer besteht allerdings bei etwa 50 % der Betroffenen eine symptomatische periphere Neuropathie.

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Typische Symptome sind:

  • Empfindungsstörungen: Schmerzen, Kribbeln, Brennen oder Taubheit in den Füßen, oft auch in Händen, Unterarmen und Unterschenkeln. Die Symptome beginnen meistens an den Füßen, später an den Händen, und steigen dann langsam auf, Richtung Körpermitte.
  • Schmerzen: Häufig nachts stärker als tagsüber, oft als blitzartig und stechend beschrieben. Schon eine leichte Berührung mit der Bettdecke oder Socken kann schwer zu ertragen sein.
  • Taubheitsgefühle: Der Empfindungsverlust kann sich anfühlen, als würden die Füße nicht zum Körper gehören oder in Watte gepackt sein. Auch das Temperatur- und Schmerzempfinden kann beeinträchtigt sein.
  • Motorische Symptome: Muskelschwäche, Muskelzucken, Muskelkrämpfe, Muskelschwund.
  • Autonome Symptome: Diese können sehr vielfältig sein, je nachdem welche Organe betroffen sind. Mögliche Symptome sind Herzrhythmusstörungen, Blähgefühl und Appetitlosigkeit, Aufstoßen, Durchfall und Verstopfung im Wechsel, Urininkontinenz, Stuhlinkontinenz, Impotenz, gestörtes Schwitzen, schlechte Kreislaufregulation mit Schwindel beim (raschen) Aufstehen (Orthostase) und Schwellung von Füßen und Händen (Wassereinlagerungen). Weitere Symptome können niedriger Blutdruck, schneller Herzschlag in Ruhe, Herzrhythmusstörungen, Schluckstörungen, Übelkeit, Verstopfung, Durchfall, Schwierigkeiten, die Blase zu entleeren, extremes Schwitzen oder Schwitzen im Gesicht und Hals beim Essen sein.

Ungefähr die Hälfte der Menschen mit einer diabetischen Neuropathie hat jedoch keine Beschwerden. Bei ihnen können trotzdem das Empfindungsvermögen und Muskelreflexe vermindert sein oder fehlen. Auch haben sie oft einen unsicheren Gang und stürzen leichter. Ebenso bleiben Fußverletzungen häufig unbemerkt, weil sie nicht schmerzen.

Diagnose

Für Menschen mit Diabetes sind regelmäßige Termine bei ihrer Ärztin oder ihrem Arzt sinnvoll, um eine diabetische Neuropathie frühzeitig zu entdecken. Die Diagnose umfasst in der Regel:

  • Anamnese: Erhebung der Krankengeschichte und Erfragen von Beschwerden wie Schmerzen und Taubheitsgefühlen.
  • Körperliche Untersuchung: Untersuchung der Hände und Füße auf warme und trockene Füße, Verletzungen oder Geschwüre. Überprüfung der Fähigkeit, sehr leichte Berührungen und Vibrationen wahrzunehmen, sowie der Muskelreflexe.
  • Neurologische Tests: Bei Verdacht auf eine Neuropathie werden zusätzlich Schmerz- und Kälteempfinden überprüft. Zur Messung der Nervenleitgeschwindigkeit wird Strom durch die Nervenbahnen geschickt. Mit einer Stimmgabel prüft der Neurologe das Vibrationsempfinden. Bei der standardisierten Quantitativen Sensorischen Testung werden durch sieben verschiedene Gefühlstests an der Haut 13 Werte ermittelt. Sie helfen zu erkennen, welche Nervenfasern genau geschädigt sind und wie stark die Schädigung fortgeschritten ist. Um das Temperaturempfinden exakt zu messen, kommen bei der sogenannten Thermode computergesteuerte Temperaturreize zum Einsatz.
  • Weitere Untersuchungen: Manchmal sind weiterführende Untersuchungen nötig, etwa bei untypischen Symptomen oder um andere Erkrankungen auszuschließen. Die Untersuchung einer Gewebeprobe kann helfen, die Ursache einer Polyneuropathie zu finden. Dazu wird eine sogenannte Nerv-Muskel-Biopsie aus dem Schienbein entnommen und feingeweblich untersucht. Hierbei wird festgestellt, ob der Schaden an der Hüllsubstanz des Nerven (Myelin) oder am Nerven selbst entstanden ist. Bei bestimmten Ursachen finden sich zum Beispiel Entzündungszellen oder Amyloid-Ablagerungen. Bei einer Untergruppe der Neuropathien sind insbesondere die dünnen, kleinen Nervenfasern der Haut betroffen. Sie werden unter dem Namen Small-Fiber-Neuropathien zusammengefasst. Die Nervenleitgeschwindigkeit, die die Funktion von dickeren Nerven misst, ist dann oft unauffällig. Für die richtige Diagnose ist die Quantitative Sensorische Testung mit Messung des Temperaturempfindens entscheidend. Darüber hinaus kann eine Gewebeprobe aus der Haut (Hautbiopsie) unter dem Mikroskop untersucht werden.

Behandlung der diabetischen Neuropathie

Eine diabetische Neuropathie ist nicht heilbar. Das Ziel der Therapie ist daher, den Verlauf der Erkrankung zu verlangsamen, Komplikationen zu verhindern und die Symptome zu lindern.

Die Behandlung umfasst:

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  • Optimale Blutzuckerkontrolle: Eine optimale und stabile Blutzuckerkontrolle ist wichtig, um eine diabetische Neuropathie möglichst lange aufzuhalten - besonders bei Menschen mit Typ-1-Diabetes. Bei Menschen mit Typ-2-Diabetes ist es besonders wichtig, sich gesund zu ernähren und viel zu bewegen, um so die Blutfette, den Blutdruck, das Körpergewicht und den Blutzucker zu normalisieren. Hat ein Diabetes schleichend über viele Jahre die Nerven angegriffen, muss der Patient seine Blutzuckerwerte in den Griff bekommen, um die Nervenschädigung zu stoppen. Allerdings führt eine zu rasche Senkung der Blutzuckerwerte zu weiteren Nervenschäden. Als optimal gilt eine sanfte Senkung des HbA1c-Wertes um weniger als zwei Prozentpunkte über einen Zeitraum von drei Monaten. Bei Altersdiabetes empfehlen Ärzte eine Umstellung des Lebensstils mit Gewichtsreduktion und viel Bewegung. Ziel ist, dass sich die Nerven wieder erholen.
  • Schmerztherapie: Schmerzen werden oft mit Medikamenten gelindert, die üblicherweise bei Depressionen und Epilepsie zum Einsatz kommen. Sie hemmen die Weiterleitung der Schmerzreize an das Gehirn und können bei diabetischer Neuropathie helfen. Wichtig ist, dass übliche Schmerzmittel gegen Kopf-, Gelenk- oder Magenschmerzen (Aspirin, Ibuprofen und weitere) nicht geeignet sind. Stattdessen sollten Ärztinnen oder Ärzte bestimmte Medikamente verschreiben, die direkt auf das Nervensystem wirken, wie Pregabalin oder Duloxetin. Die Dosierung dieser Medikamente sollte bis zum Wirkeintritt, aber nicht über die Maximaldosierung hinaus gesteigert werden, sofern sie vertragen werden.
  • Alternative Behandlungen: Es gibt Alternativen zur medikamentösen Schmerztherapie, wie die elektrische Nervenstimulation (TENS) und Akupunktur. Bei der Elektrotherapie werden die Nerven durch Impulse aus einem speziellen Gerät so stimuliert, dass Erkrankte statt Schmerzen ein leichtes Kribbeln spüren. Von außen lässt sich dieses durch ein TENS-Gerät erreichen. Die Therapien müssen dauerhaft durchgeführt werden. Eine Pause beeinträchtigt schnell den Behandlungserfolg. Wie die gezielten Reize der Akupunktur die Nerven beleben, ist noch ungeklärt.
  • Fußpflege: Menschen mit diabetischer Neuropathie sind anfällig für Infektionen und Geschwüre an den Füßen. Geschwüre und Verletzungen werden manchmal nicht wahrgenommen und zu spät behandelt, wenn sie nicht schmerzen. Daher ist eine sorgfältige Fußpflege unerlässlich. Für Menschen mit einer diabetischen Neuropathie ist es sinnvoll, täglich die Füße zu untersuchen und dabei auf trockene oder rissige Haut sowie entzündete, gerötete Stellen zwischen den Zehen und Nägeln zu achten. Dies ist wichtig, um Geschwüre, Hautinfektionen und Verletzungen frühzeitig zu erkennen. Sollte das allein schwer fallen, kann man die Füße regelmäßig von Angehörigen oder durch eine medizinische Fußpflege untersuchen und pflegen lassen.
  • Weitere Therapien: Gegen die fortschreitende Gangunsicherheit wirkt Gleichgewichtstraining in der Physiotherapie. Bei der Ergotherapie lernt man, mit körperlichen Einschränkungen zurechtzukommen.

Vorbeugung

Um einer diabetischen Neuropathie vorzubeugen, ist es wichtig, Risikofaktoren zu minimieren:

  • Gute Blutzuckereinstellung: Vor allem bei Typ-1-Diabetes lässt sich einer diabetischen Neuropathie durch einen gut eingestellten Blutzuckerwert vorbeugen.
  • Gesunde Lebensweise: Bei Typ-2-Diabetes ist eine gesunde Lebensweise die beste Maßnahme zur Vorbeugung. Dazu gehört eine gesunde Ernährung, viel Bewegung, Gewichtsreduktion bei Übergewicht und der Verzicht auf Alkohol und Nikotin.
  • Regelmäßige Kontrollen: Menschen mit Diabetes sollten sich regelmäßig auf Anzeichen einer diabetischen Neuropathie untersuchen lassen.

Leben mit diabetischer Neuropathie

Eine diabetische Neuropathie kann den Alltag stark beeinträchtigen. Es ist wichtig, die Erkrankung ernst zu nehmen und sich aktiv an der Behandlung zu beteiligen. Durch eine gute Blutzuckereinstellung, eine gesunde Lebensweise und eine konsequente Therapie können Betroffene den Verlauf der Erkrankung positiv beeinflussen und ihre Lebensqualität verbessern. Es gibt Möglichkeiten, die Sicherheit zu Hause zu verbessern und so die Sturzgefahr zu senken: etwa durch Haltegriffe im Bad oder durch Nachtlichter in der Wohnung. Verletzungen können auch durch zu heißes Wasser entstehen.

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