Die Nerven: Eine Band zwischen Hoffnungskritik und Nihilismus

Die Nerven, gegründet 2010 in Esslingen, haben sich zu einer der prägendsten deutschsprachigen Post-Punk-Bands entwickelt. Bekannt für ihre energiegeladenen Live-Auftritte und ihre kritischen, oft nihilistischen Texte, hat die Band um Julian Knoth, Max Rieger und Kevin Kuhn eine treue Fangemeinde aufgebaut und auch die Aufmerksamkeit des Feuilletons auf sich gezogen. Ihre Musik ist ein Spiegelbild der westdeutschen Lebensrealität, irgendwo zwischen Überforderung, Reizüberflutung und Lähmung. Besser klingt schlechte Laune bei keiner Rockband aus Deutschland.

Musikalische Entwicklung und Stil

Die Nerven begannen ihre Karriere mit dem Ziel, möglichst laut zu sein und viel Lärm zu machen. Ihre frühen Veröffentlichungen waren geprägt von einem scheppernden Lo-Fi-Sound und No-Wave-Einflüssen. Im Laufe der Jahre hat sich ihr Stil jedoch weiterentwickelt, weg vom rohen Lärm hin zu strukturierteren Popsongs mit einem Sound zwischen Post-Punk und New Wave.

Auf ihrem Album „Out“ (2015) legten Die Nerven diese Explosion an die lange Leine, zögerten den großen Ausbruch bei jedem Lied heraus. Jedes Stück mäanderte auf unbehagliche Weise. Die Referenzen, die sich bei „Out“ aufdrängen, liegen vor allem in den 80ern. Bei Bands wie Wipers, The Gun Club, Mission Of Burma. Die Nerven sind weit davon entfernt, ein Abklatsch dieser Zeit zu sein. Auf „Out“ packen sie rohe Gewalt in hin- und hergleitende, bedrohlich klingende Songs, bei denen man nicht anders kann, als mit beiden Ohren hinzuhören.

Mit „Fake“ (2018) gelang der Band ein Durchbruch, der sie über Szenegrenzen hinaus bekannt machte. Das Album markierte eine Abkehr von ihrer musikalischen Komfortzone und zeigte eine neue Seite der Band, die sich durch gedämpftere Klänge und umarmende Pop-Melodien auszeichnete. Auf ihrem fünften regulären Studioalbum verfeinern Max Rieger, Bassist und Sänger Julian Knoth und Schlagzeuger Kevin Kuhn ihren schon immer von Feedback und Hall dominierten Sound zu ihrer ganz eigenen Wall Of Sound. Erstmals war Rieger auch für Produktion und Mixing verantwortlich, was mutmaßlich zum noch einmal cleaneren, gleichzeitig aber auch flächigeren Klang geführt hat.

"Wir waren hier": Das sechste Album

Ihr sechstes Album, „Wir waren hier“, das im September 2024 erschien, setzt diesen Weg fort und zeigt eine Band, die sich ihrer selbst bewusster ist als früher. Der Sound ist gereift, die Systemkritik und die bockige Verweigerungshaltung sind nach wie vor präsent, aber eingebettet in eine farbfeindliche Bildsprache. Das Album klingt eigentlich wie immer. Musikalisch ist nach wie vor beeindruckend, wie Die Nerven allein mit Gitarre, Bass und Schlagzeug einen derartigen Wumms erzeugen.

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Die neuen Songs haben DIE NERVEN in einer vierwöchigen Session in einem ehemaligen Sterne-Restaurant am Stuttgarter Schlossgarten mit Blick auf die Oper geschrieben. „Wir waren wieder alle gemeinsam in einem Raum, und plötzlich ging alles wieder wie von alleine“, sagt die Band „es haben sich wie von selber Leitmotive gebildet, die alle Songs miteinander verbinden“. Und so nah wie auf „WIR WAREN HIER“ sind DIE NERVEN noch auf keinem Studioalbum der Aura ihrer Live-Auftritte gekommen - der musikalischen Spontanität ihres Zusammenspiels auf der Bühne, dem Stop-and-Go ihrer Improvisationen, der Lust an der gegenseitigen Überraschung, und schließlich: der kollektiven Entäußerung in die Katharsis.

Der Titel des Albums scheint auf einen Abschied hinzudeuten. Ein Eindruck, dem die Band in einem Statement entgegentritt, zumindest ein bisschen. „Es ist das erste Album, das wir machen, das sich nicht so anfühlt wie unser letztes Album. Und das ist gut so.“ Um den ernüchternden Blick auf die Hinterlassenschaften der Menschheit gehe es allerdings durchaus.

Thematische Schwerpunkte

Die Texte von Die Nerven sind oft düster und pessimistisch, aber auch ehrlich und authentisch. Sie thematisieren die Krisen der Gegenwart, die Verunsicherungen und Beklemmungen des Lebens. Eine Zeile wie „Und ich dachte irgendwie / in Europa stirbt man nie“ bringt die langsam einsetzenden Zweifel an der Idee von dauerhaftem Frieden und Wohlstand in Europa auf den Punkt. Überhaupt schwebt über dem Album ein Gefühl von Machtlosigkeit. Sei es gegenüber politischen Entscheidungen, Algorithmen oder der Marktlogik. Verstärkt wird es durch die musikalische Inszenierung, in der beide Sänger immer wieder gegen den beinahe übermächtigen Lärm ihrer Instrumente ansingen bzw.

Die Songtexte kreisen viel um Angst und verwandte, ungute Gefühle und Stimmungen. „Warum hab ich Angst, aber du nicht?“, oder „Ich schreie lauter als die Wellen / Ich schreie lauter als das Meer“. Und ein Abschied von Gestern: „Ein Hoch auf die Jugend / Zum Glück ist sie vorbei“. Die Songtexte mögen sich hingeschrieben zwar etwas unbeholfen lesen, aber der von Album zu Album von den Nerven in der klassischen Trio­be­set­zung Drums, Bass, Gitarre immer traumwandlerischer hergestellte Schalldruck sorgt für Unmittelbarkeit und Überzeugungskraft.

Trotz der düsteren Thematik gibt es in der Musik von Die Nerven auch Platz für Hoffnungskritik und sogar aktivierendes Potenzial. Das Prinzip Hoffnungslos hat bei Die Nerven fast schon wieder aktivierendes Potenzial. Die Band moralisiert nicht, sondern zeigt die Schönheit, die in der Welt trotz aller Probleme noch vorhanden ist.

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Live-Auftritte und Bühnenpräsenz

Die Nerven sind bekannt für ihre intensiven und energiegeladenen Live-Auftritte. Die Energie, die Julian Knoth, Max Rieger und Kevin Kuhn auf ihre Alben bannen, explodiert live hundert Mal so stark. Ihre Bühnenpräsenz ist ein wichtiger Bestandteil ihrer Kunst und hat ihnen eine treue Fangemeinde eingebracht. Nachdem Die Nerven vergangenes Jahr ihr sechstes Studioalbum “Wir waren hier” veröffentlicht hatten, konnte man das für seine Bühnenpräsenz bekannte Trio auf Headliner-Konzerten sowie auf großen Festivals wie Rock am Ring live erleben.

Max Rieger als Produzent

Neben seiner Tätigkeit als Gitarrist und Sänger bei Die Nerven ist Max Rieger auch als Produzent erfolgreich. Er hat mit zahlreichen bekannten Künstler*innen wie Ilgen-Nur, Drangsal oder Casper zusammengearbeitet und sich einen Namen in der deutschen Musikindustrie gemacht. Sein Einfluss als Produzent spiegelt sich auch im Sound der neueren Alben von Die Nerven wider.

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