Chronische Schmerzen sind ein weit verbreitetes medizinisches Problem, das das Leben von Millionen Menschen weltweit beeinträchtigt. Trotz der Vielzahl von Schmerztherapieoptionen gibt es Patientinnen, bei denen herkömmliche Ansätze nicht ausreichend wirksam sind. Für diese Patientinnen kann die Dorsal Root Ganglion (DRG)-Stimulation eine vielversprechende Lösung bieten. Die Spinalganglion-Stimulation (DRG-Stimulation) ist eine fortschrittliche neurochirurgische Schmerztherapie, die in den letzten Jahren zunehmende Verbreitung an Zentren gefunden hat.
Was ist das Dorsal Root Ganglion (DRG)?
Die Dorsal Root Ganglien (DRG), auch Spinalganglien genannt, sind kleine „Nervenknoten“, die Nervenzellkörper enthalten und eine wichtige Rolle bei der Weiterleitung von Schmerzsignalen spielen. Sie liegen entlang des Rückenmarks und befinden sich an den Übergängen von Nervenwurzeln, die aus dem Rückenmark austreten.
Funktion der DRG
- Filterung von Schmerzsignalen: Die DRG kann als eine Art „Schmerzfilter“ betrachtet werden.
- Rolle der Gliazellen: In der DRG gibt es spezielle Zellen, genannt Gliazellen, die bei der Verstärkung von Schmerzsignalen eine Rolle spielen.
- Zuordnung zu Hautbereichen: Die DRGs entsprechen bestimmten Bereichen der Haut.
Spinalganglion-Stimulation (DRG-Stimulation): Ein Überblick
Die Spinalganglion-Stimulation ist eine minimal-invasive Therapieform in der Neuromodulation, um das Spinalganglion zu stimulieren. Bei der Hinterwurzelstimulation (englisch: dorsal root ganglion = DRG) handelt es sich um eine spezielle Form der epiduralen Nervenstimulation. Wie bei der epiduralen Nervenstimulation werden hier dünne Elektroden im Bereich des Rückenmarks minimalinvasiv über eine Nadel eingeführt und gezielt an der Nervenwurzel platziert, die das schmerzhafte Areal versorgt.
Funktionsweise der DRG-Stimulation
Bei der DRG-Stimulation werden elektrische Impulse direkt an die Spinalganglien abgegeben. Diese Impulse sollen die Schmerzwahrnehmung modulieren und die Schmerzweiterleitung blockieren, indem sie die neuronalen Aktivitäten in den Ganglien beeinflussen. Ziel ist es, die Aktivität von Nervenzellen zu regulieren, die für die Übertragung von Schmerzsignalen verantwortlich sind. Dies kann zu einer Reduktion der Schmerzwahrnehmung und einer Verbesserung der Lebensqualität führen.
Die Spinalganglion-Stimulation basiert auf ähnlichen Prinzipien wie die klassische Rückenmarkstimulation, jedoch mit dem Unterschied, dass die Impulse nicht direkt an das Rückenmark, sondern gezielt an die Spinalganglien gesendet werden, was eine präzisere Stimulation ermöglicht und potenziell bessere Ergebnisse bei der Behandlung bestimmter Schmerzarten liefert.
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Das Verfahren
Dabei wird zunächst, ähnlich wie zur Rückenmarkstimulation, der Epiduralraum außerhalb der Rückenmarkhaut punktiert. Anschließend wird eine spezielle, dünne Elektrode eingebracht und seitlich ins Austrittsloch der Nervenwurzel geführt, wo sie an der hinteren Seite des Spinalganglions zu liegen kommt. Während dieses Eingriffs ist eine Teststimulation notwendig, um die korrekte Lage der Elektrode zu bestätigen. Daher muss der Patient wach sein. Es kann jedoch eine leichte Sedierung vorgenommen werden, um die Operation angenehmer zu machen.
Die Elektrode gibt ein nicht-fühlbares Stromlaufen (Gefühl wie angenehmes Ameisenlaufen) ab, das die Schmerzweiterleitung unterbricht. Die Stromversorgung erfolgt über einen implantierten Impulsgenerator (= Schmerzschrittmacher), weshalb keinerlei Einschränkungen in der körperlichen Aktivität auftreten. Mit einem Steuergerät können Patienten die Stromstärke selbst regulieren und an das subjektive Schmerzempfinden anpassen. Wiederaufladbare Generatoren haben eine Lebensdauer von bis zu 10 Jahren.
Indikationen für die DRG-Stimulation
Die DRG-Stimulation wird hauptsächlich zur Schmerzlinderung eingesetzt, insbesondere bei Patient*innen, bei denen andere Schmerztherapieoptionen keine ausreichende Besserung bringen. Die SGS wird vor allem bei chronischen, neuropathischen Schmerzen angewendet, bei denen andere konservative oder invasive Therapien (wie Medikamente oder herkömmliche Rückenmarkstimulation) keine ausreichende Linderung verschaffen.
Beispiele für Anwendungsbereiche:
- Chronische neuropathische Leistenschmerzen (z.B. nach Leistenhernien-OP)
- Chronische neuropathische Knieschmerzen (z.B. nach Knie-TEP)
Bewertung und Testphase
Bevor die DRG-Stimulation durchgeführt wird, erfolgt eine sorgfältige Bewertung der/s Patientin, um sicherzustellen, dass er/sie ein/e geeignete/r Kandidatin ist.
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- Lokalisation des Schmerzes: Die/der Ärzt*in versucht zunächst, die genaue Lokalisation des Schmerzes zu ermitteln.
- Nervenblockade: Bei der diagnostischen Nervenblockade injiziert die/der Ärzt*in ein Lokalanästhetikum oder ein Betäubungsmittel in den vermuteten schmerzenden Nerv oder die Nervenwurzel.
Zu Beginn wird häufig eine Testphase durchgeführt, bei der ein temporäres Stimulationssystem verwendet wird. Dabei werden Elektroden in der Nähe der Spinalganglien platziert, entweder durch eine Nadel oder über einen kleinen chirurgischen Eingriff. Während dieser Phase kann der Patient den externen Stimulator für einige Tage verwenden und feststellen, ob die Schmerzlinderung ausreichend ist. Wenn die Testphase erfolgreich ist und eine ausreichende Schmerzlinderung erzielt wird, kann ein dauerhaftes Stimulationssystem implantiert werden. Das permanente System besteht aus einem Stimulator, der unter der Haut implantiert und mit den Elektroden verbunden wird. Der Stimulator kann vom Patienten über ein externes Programmiergerät gesteuert werden, um die Stimulation je nach Bedarf anzupassen.
Vorteile der DRG-Stimulation
- Gezielte Schmerzlinderung: Da die Spinalganglion-Stimulation direkt auf die Spinalganglien wirkt, die für die Schmerzwahrnehmung verantwortlich sind, bietet sie eine präzisere und möglicherweise effektivere Behandlung als die klassische Rückenmarkstimulation, die das Rückenmark direkt beeinflusst.
- Verbesserte Schmerzkontrolle: Viele Patienten berichten von einer signifikanten Verbesserung der Schmerzsymptomatik, insbesondere bei chronischen neuropathischen Schmerzen, die schwer behandelbar sind.
- Weniger Nebenwirkungen: Im Vergleich zu medikamentösen Therapien, wie z. B. Opioiden, hat die Spinalganglion-Stimulation in der Regel weniger systemische Nebenwirkungen und reduziert die Notwendigkeit von Schmerzmitteln.
- Minimale Invasivität: Die Implantation der Elektroden ist eine relativ minimalinvasive Prozedur. Das Verfahren kann meist mit kleinerem chirurgischen Aufwand und kürzeren Erholungszeiten durchgeführt werden als bei anderen, invasiveren Eingriffen.
- Anpassungsfähigkeit: Der Stimulator kann vom Patienten selbst gesteuert werden, was eine individuelle Anpassung der Stimulation ermöglicht, je nach den täglichen Bedürfnissen und Schmerzveränderungen.
Langfristige Ergebnisse und Perspektiven
Die Spinalganglion-Stimulation hat sich als vielversprechend bei der Behandlung von neuropathischen Schmerzen gezeigt, insbesondere bei Patienten, die auf andere Behandlungen nicht ausreichend ansprechen. Einige Studien berichten von langfristiger Schmerzlinderung und einer Verbesserung der Lebensqualität über mehrere Jahre hinweg. Es ist jedoch wichtig zu betonen, dass die Ergebnisse je nach Patient variieren können und regelmäßige Anpassungen des Stimulators erforderlich sein können, um die optimale Wirksamkeit zu gewährleisten.
Da SGS eine relativ neue Technik ist, wird weiterhin geforscht, um die genauen Mechanismen zu verstehen und die Therapie weiter zu optimieren. Dennoch hat sie das Potenzial, insbesondere bei therapieresistenten chronischen Schmerzen eine bedeutende Rolle in der Schmerzbehandlung zu spielen.
Studie zu postoperativen Knieschmerzen
Aktuell wird der Effekt der Dorsal-Root-Ganglion (SCS-DRG) Stimulation bei Patienten mit therapierefraktärer chronischen postoperativen Knieschmerzen (CPSP) untersucht. Zusätzlich werden vor, 3 und 12 Monate nach DRG-SCS Cytokine (Entzündungsparameter) im Plasma und Speichel bestimmt, um mögliche Korrelation zwischen Ansprechen der DRG-SCS und der Veränderungen im Plasma und Speichel zu untersuchen. Bei diesem Projekt soll die schmerzmodulierenden Effekte der minimalinvasiven Spinalganglienstimulation (SCS-DRG) bei Patienten mit therapierefraktärer chronischen postoperativen Knieschmerz untersucht werden. Zudem wird das QST Untersuchungsverfahren angewendet, welcher Aussagen erlaubt, ob neuropathischer Schmerz und welche Schmerzformeln bei den CPSP Patienten vorliegen. Erfassung der Schmerzwahrnehmung Baseline und nach 3 und 12 Monaten anhand der visuellen Analogskala VAS. Erfassung der durch die Stimulation des Spinalganglion (SCS-DRG) hervorgerufene Änderungen in peripheren pro- und anti-neuroinflammatorische Zytokine (IL-1 beta, IL-10, CGRP) und die Oxcytocin-Konzentration bei renitenten CPSP-Patienten. Insgesamt werden 15 Patienten therapiert.
Alternative Schmerztherapieverfahren
Sämtliche hier aufgeführten Therapieverfahren sind schonende Therapieoptionen für die unterschiedlichsten Krankheitsbilder. Allen gemeinsam ist, dass man zuvor Testen kann, ob eine schmerzlindernde Wirkung eintritt. Dieses Verfahren ist die „klassische“ Anwendung der Neuromodulation. Mit dieser gezielten Therapie lassen sich sehr viele Schmerzsyndrome gut behandeln. Es werden hierbei operativ ein bis zwei Elektroden in den Rückenmarkskanal gelegt. Die Anlage kann über die gesamte Länge der Wirbelsäule erfolgen, von der Hals- bis zur Lendenwirbelsäule. Mit diesem Verfahren können gezielt Krankheiten und Schmerzzustände behandelt werden, bei denen ein einzelner, oder wenige Nerven betroffen sind. Sie sind die beste Option, wenn einzelne Körperregionen betroffen sind, um hier den Schmerz gezielt zu Behandeln. Beispiele für die behandelbaren Krankheitsbilder: isolierte Hüft-, Knie-, Fuß- oder Leistenschmerzen, häufig nach Operation oder Prothesen. Ebenfalls kann sehr gut das CRPS/M. Die Elektroden liegen hier im Unterhautfettgewebe direkt im schmerzhaften Bereich. Der große Vorteil ist die Möglichkeit zur dauerhaften Anwendung der Stimulation, verglichen etwa mit dem TENS Gerät. Durch die Stimulation wird ein angenehmes Kribbeln direkt im schmerzenden Areal ausgelöst und der Schmerz unterdrückt. Die ONS stellt eine besondere Variante der peripheren Nervenfeldstimulation dar. Die Elektroden für die Stimulation liegen hier im Unterhautfettgewebe des Nackens über dem Austrittspunkt des großen Hinterhauptnervs (Okzipitalnerv). Der eigentliche Schrittmacher kann an der Brust oder am Gesäß platziert werden. Die Stimulation braucht häufig mehrere Wochen, bis eine deutliche Schmerzreduktion eintritt. Die Wirkweise der Stimulation wird durch Beeinflussung der elektrischen Regulation im Hirnstamm erklärt. Schmerzpumpen (sog. Bei schweren chronischen Schmerzsyndromen sind häufig sehr hohe Dosierungen von Medikamenten notwendig, welche dann ein entsprechendes Spektrum an Nebenwirkungen bieten. Eine Alternative besteht hier mittels intrathekaler Abgabe der Medikamente. Um die Nebenwirkungen zu minimieren, aber gleichzeitig eine hohe wirksame Dosis zu erreichen, ist es möglich, gewisse Medikamente direkt in das Nervenwasser abzugeben. Der therapeutische Effekt ist zwischen 100 bis 300 mal stärker als eine Tablette, die Nebenwirkungen sind aber viel geringer. Die Patienten erhalten operativ eine kleine Pumpe unter die Haut implantiert, die über einen Schlauch das jeweilige Medikament direkt an das Nervensystem abgibt. Je nach verwendeter Pumpe kann der Tank, der sich in der Pumpe befindet, bis zu 40ml Medikament enthalten. In regelmäßigen Abständen (meist ein Mal pro Quartal), wird die Pumpe ambulant in unserer Klinik befüllt. In manchen Fällen ist die Verletzung des Trigeminusnerv sehr nahe am Abgang des Nervenknotens gelegen oder die einzelnen Äste des Trigeminusnerv sind nach Operationen/Verletzungen nicht mehr direkt behandelbar. In diesen Fällen kann die Neuromodulation auch direkt am Ganglion gasseri erfolgen. Wie bei der Verödungsbehandlung wird mit einer dünnen Kanüle direkt die Stimulationssonde an den Nervenknoten gelegt. Auch bei diesem Verfahren erfolgt eine Testphase, um den Therapieeffekt zu bestätigen. In einem zweiten Schritt wird dann ein kleiner Schrittmacher unter die Haut implantiert. Bei Schmerzen im Gesicht, die nicht über eine direkte Stimulation des Nerven zu behandeln sind, oder die sich zu großflächig darstellen, besteht die Möglichkeit, direkt den sogenannten Motorkortex zu stimulieren. Zunächst wird der Bereich der Gehirnoberfläche lokalisiert, der die Bewegung des schmerzenden Körperareals steuert. Diese Befunde werden mit einem aktuellen MRT in Einklang gebracht und dienen während der Operation als Landkarte. Es wird nun zielgenau über ein kleines Bohrloch am Schädel eine Elektrode direkt auf die harte Hirnhaut über dem Zielbereich gelegt. Durch eine Hirnstrommessung (EEG) kann die korrekte Lage bestätigt werden. Danach wird ein Stimulator, der die Stimulation dauerhaft steuert, unterhalb des Schlüsselbeins implantiert. Das gesamte System liegt dann unter der Haut.
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