Das menschliche Gehirn ist das komplexeste Organ, das die Natur hervorgebracht hat. Es dient als oberste Schaltzentrale und verarbeitet bewusst oder unbewusst wahrgenommene Sinneseindrücke und ermöglicht Integration und Koordination. Mit seinen etwa 100 Milliarden Nervenzellen und einem Vielfachen davon an Kontaktpunkten übertrifft es in seinen Fähigkeiten selbst modernste Supercomputer. Eine seiner bemerkenswertesten Eigenschaften ist seine lebenslange Lernfähigkeit, die es uns ermöglicht, uns an neue Situationen anzupassen und kontinuierlich dazuzulernen.
Gliederung des Gehirns
Das Gehirn, Encephalon, gehört zum zentralen Nervensystem und ist durch den Schädel geschützt. Es lässt sich in verschiedene Hauptabschnitte und Unterabteilungen gliedern, die jeweils spezifische Funktionen erfüllen.
Hauptabschnitte und ihre Bestandteile
- Prosencephalon (Vorderhirn)
- Telencephalon (Endhirn): Großhirn (Großhirnrinde, subkortikale Kerne), limbisches System (Hippocampus und assoziierte Areale)
- Diencephalon (Zwischenhirn): Epithalamus, Thalamus, Metathalamus, Hypothalamus, Hypophyse (Hirnanhangsdrüse)
- Mesencephalon (Mittelhirn)
- Pedunculi cerebri (Hirnschenkel), Tectum mesencephali (Vierhügelplatte)
- Rhombencephalon (Rautenhirn)
- Metencephalon (Hinterhirn): Pons (Brücke), Cerebellum (Kleinhirn)
- Myelencephalon (Nachhirn): Medulla oblongata (verlängertes Rückenmark)
Merkmale einzelner Gehirnabschnitte und funktionelle Verarbeitung
Jeder der genannten Gehirnabschnitte übernimmt spezifische Aufgaben, die im Folgenden genauer erläutert werden:
Mittelhirn (Mesencephalon)
Das Mittelhirn ist der kleinste Abschnitt des Gehirns und spielt eine wichtige Rolle bei der Motorik und der Verarbeitung von Sinneseindrücken. Es beinhaltet:
- Pyramidenbahn: Begrenzt durch laterale und mediale Furchen, zuständig für die Motorik.
- Tractus opticus: Verarbeitung von Seheindrücken.
- Vierhügelplatte: Schaltstelle des visuellen Systems (steuert Augenreflexe) und des akustischen Systems (steuert Hörreflexe).
- Schaltstelle für Hirnnerven: N. oculomotorius (III), N. trochlearis (IV), N. trigeminus (V).
Hinterhirn (Metencephalon)
Das Hinterhirn besteht aus der Brücke (Pons) und dem Kleinhirn (Cerebellum).
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- Brücke (Pons): Enthält auf- und absteigende Bahnen, Schaltstationen für gekreuzte Verbindungen zwischen Großhirn- und Kleinhirnrinde, motorische Leitungsbahnen und ist Teil der Hörbahn.
- Kleinhirn (Cerebellum): Kontrolliert den Gleichgewichtssinn, den Muskeltonus sowie das pyramidale und extrapyramidale System. Hier werden bestimmte Bewegungsabfolgen wie Tanzschritte oder das Schalten beim Autofahren gespeichert.
Nachhirn (Myelencephalon)
Das Nachhirn, auch Medulla oblongata genannt, bildet die Verlängerung des Rückenmarks und ist von grosser Bedeutung für lebensnotwendige Funktionen.
- Medulla oblongata: Lokalisation wichtiger Kerngebiete von Hirnnerven (6-12).
- Funktionen: Schaltstelle von Leitungsbahnen (Rückenmark - Vorderhirn und Vorderhirn - RM), Kontrolle von Atmung und Kreislauf, Tränensekretion, Reflexzentrum (z.B. Lidschlussreflex, Saug- und Schluckreflexe).
Zwischenhirn (Diencephalon)
Das Zwischenhirn ist ein wichtiger Bestandteil des Gehirns, der verschiedene lebenswichtige Funktionen steuert.
- Epithalamus: Enthält die endokrine Drüse Epiphyse, die den zirkadianen Rhythmus reguliert.
- Thalamus: Eingangstor zum Bewusstsein, filtert und leitet Sinneseindrücke an das Großhirn weiter.
- Metathalamus: Schaltstation der Sehbahn und der Hörbahn.
- Hypothalamus: Vegetative Kontrollen, Verbindung zum Hormonsystem über die Hirnanhangsdrüse (Hypophyse), Steuerung von Hunger, Durst, Schlaf, Schmerz- und Temperaturempfinden, Sexualtrieb, Sehnervenkreuzung (Chiasma opticum).
Großhirn (Telencephalon)
Das Großhirn ist der größte und komplexeste Teil des menschlichen Gehirns. Es besteht aus zwei Hemisphären, die durch den Hirnbalken (Corpus callosum) verbunden sind.
- Oberfläche: Gekennzeichnet durch viele Windungen (Gyri) und Furchen (Sulci). Eine tiefe Fissur teilt die beiden Großhirnhemisphären.
- Anteile:
- Lobus olfactorius: Verarbeitung von Geruchssinn -> olfaktorische Funktion, primär Geruchssinn.
- Limbisches System: Sitz des limbischen Systems mit Hippocampus und assoziierten Arealen -> Verbindung von Sinneseindrücken mit Gefühlen.
- Hippocampus: Wichtige Schaltstation des limbischen Systems, im Temporallappen gelegen, Form eines Seepferdchenschwanzes, bedeutend für das Gedächtnis.
- Neopallium (Neocortex): Von außen sichtbare Lappen (Lobus frontalis, parietalis, occipitalis, temporalis), zuständig für entwicklungsgeschichtlich „neuere“ und „höhere“ Funktionen (z.B. Lernen, Denken, Verstehen).
Die Plastizität des Gehirns: Lebenslanges Lernen
Bis vor wenigen Jahren galt die Vorstellung, dass sich das Gehirn eines Erwachsenen nicht mehr verändert. Heute wissen wir, dass das Gehirn bis ins hohe Alter laufend umgebaut wird und eine bemerkenswerte Lernfähigkeit besitzt. Neurobiologen vergleichen es sogar mit einem Muskel, der trainiert werden kann.
Synaptische Plastizität
Lernen findet an den Synapsen statt, den Verbindungsstellen zwischen Nervenzellen. Synapsen können die Effektivität der Signalübertragung variieren.
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- Langzeitpotenzierung (LTP): Eine Synapse kann verstärkt werden, indem sie mehr Botenstoff ausschüttet oder mehr Botenstoffrezeptoren bildet.
- Synapsenbildung und -abbau: Synapsen können selbst im erwachsenen Gehirn komplett neu gebildet oder abgebaut werden. An wenigen Stellen, wie zum Beispiel im Riechsystem, können sogar zeitlebens neue Nervenzellen gebildet werden.
Anpassung an Schäden
Die Plastizität des Gehirns hilft auch dabei, Schäden zumindest teilweise zu reparieren. Sterben beispielsweise bei einem Schlaganfall Nervenzellen ab, können benachbarte Hirnregionen die Aufgaben des betroffenen Gebiets zum Teil übernehmen.
Vernetzung im Gehirn
Das menschliche Gehirn lässt sich nach verschiedenen Kriterien untergliedern. Entwicklungsgeschichtlich besteht es aus End-, Zwischen-, Mittel-, Hinter- und Markhirn. Besonders auffällig ist die zum Endhirn gehörende Großhirnrinde (Kortex), die im Laufe der Evolution so stark gewachsen ist, dass sie fast das gesamte Gehirn umgibt.
Methoden zur Untersuchung des Gehirns
Wissenschaftler nutzen verschiedene Techniken, um den Aufbau und die Funktionsweise des Gehirns zu erforschen:
- Magnetresonanztomografie (MRT): Macht die zu Fasersträngen gebündelten Fortsätze von Nervenzellen sichtbar, die die Areale der Großhirnrinde miteinander verbinden.
- Funktionelle Magnetresonanztomografie (fMRT): Unterscheidet zwischen aktiven und nicht aktiven Gehirnregionen.
Zusammenspiel der Gehirnbereiche
In der Regel ist keine Region allein für eine bestimmte Fähigkeit verantwortlich, sondern nur im Zusammenspiel mit anderen. So haben Sprachforscher beispielsweise eine für das Sprachvermögen zentrale Gehirnregion entdeckt: den Fasciculus Articuatus. Ohne dieses Nervenfaserbündel können Kleinkinder keine komplexen Sätze bilden und verstehen.
Blutversorgung und Schutz des Gehirns
Das Gehirn wird über die rechte und linke innere Halsschlagader (Arteria carotis interna) und über die Arteria vertebralis mit Blut versorgt. Ein Gefäßring (Circulus arteriosus cerebri) stellt sicher, dass der Blutbedarf des empfindlichen Gehirns auch bei Schwankungen in der Blutzufuhr immer ausreichend ist.
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Die Blut-Hirn-Schranke schützt das empfindliche Gewebe im Gehirn vor schädigenden Substanzen im Blut.
Zusätzlich zu diesen Schutzmechanismen wird das Gehirn durch den knöchernen Schädel und drei Hirnhäute (Dura mater, Arachnoidea und Pia mater) geschützt. Die Hirnhäute und die Hirn-Rückenmarksflüssigkeit (Liquor) dienen als Stoßdämpfer und schützen das Gehirn vor mechanischen Einwirkungen.