Das menschliche Gehirn ist zweifellos das komplexeste Organ, das die Natur hervorgebracht hat. Mit seinen rund 100 Milliarden Nervenzellen und einer noch größeren Anzahl an Kontaktpunkten übertrifft es selbst die leistungsfähigsten Supercomputer in seinen Fähigkeiten. Besonders bemerkenswert ist seine Lernfähigkeit, die lange Zeit unterschätzt wurde.
Die bemerkenswerte Plastizität des Gehirns
Früher gingen Wissenschaftler davon aus, dass sich das Gehirn eines Erwachsenen nicht mehr verändert. Doch heute wissen wir, dass es sich bis ins hohe Alter ständig umbaut. Einige Neurobiologen vergleichen es sogar mit einem Muskel, der trainiert werden kann. Diese lebenslange Lernfähigkeit ist unbestritten und ermöglicht es uns, uns an vielfältige Herausforderungen anzupassen. So können wir auch im hohen Alter noch Fremdsprachen lernen, uns neue Gesichter und Stimmen merken oder uns in einer unbekannten Umgebung zurechtfinden.
Lernen findet an den Synapsen statt, den Verbindungsstellen zwischen Nervenzellen. Neurowissenschaftler haben entdeckt, dass Synapsen die Effektivität der Signalübertragung verändern können, ein Phänomen, das als synaptische Plastizität bekannt ist. Durch Langzeitpotenzierung (LTP) können Synapsen verstärkt werden, indem sie mehr Botenstoffe ausschütten oder mehr Rezeptoren bilden. Aber auch das Gegenteil ist möglich: Signale können abgeschwächt oder Verbindungen ganz gekappt werden. Tatsächlich können Synapsen im erwachsenen Gehirn neu gebildet oder abgebaut werden. An wenigen Stellen, wie dem Riechsystem, entstehen sogar zeitlebens neue Nervenzellen. Daher gleicht unser Gehirn einer ständigen Baustelle, in der die Signalübertragung zwischen Nervenzellen fortlaufend angepasst wird. Vereinfacht gesagt, wird die Signalübertragung verstärkt, wenn das Gehirn etwas speichert, und abgeschwächt, wenn es etwas vergisst. Ohne diese Plastizität wäre das Gehirn nicht lernfähig.
Wie beim Sport gilt: Je mehr eine Fähigkeit gefordert wird, desto besser wird sie ausgeführt. Londoner Taxifahrer beispielsweise, die sich täglich orientieren und Routen merken müssen, entwickeln einen größeren Hippocampus, eine für das Ortsgedächtnis zentrale Hirnregion. Offenbar benötigt ein trainiertes Orientierungsvermögen mehr Raum! Die Plastizität ermöglicht es dem Gehirn auch, Schäden teilweise zu reparieren. Nach einem Schlaganfall können benachbarte Hirnregionen die Aufgaben des betroffenen Gebiets übernehmen und so die Schäden kompensieren.
Die Organisation des Gehirns: Regionen und ihre Funktionen
Das menschliche Gehirn lässt sich nach verschiedenen Kriterien unterteilen. Entwicklungsgeschichtlich besteht es aus End-, Zwischen-, Mittel-, Hinter- und Markhirn. Besonders auffällig ist die Großhirnrinde (Kortex), die im Laufe der Evolution stark gewachsen ist und fast das gesamte Gehirn umgibt. Sie ist der Sitz vieler höherer geistiger Fähigkeiten, wobei einzelne Bereiche unterschiedliche Aufgaben haben. Manche Areale sind auf das Verstehen von Sprache, das Erkennen von Gesichtern oder das Abspeichern von Erinnerungen spezialisiert. In der Regel ist aber keine Region allein für eine bestimmte Fähigkeit verantwortlich, sondern nur im Zusammenspiel mit anderen.
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Wissenschaftler untersuchen die Verbindungen zwischen den Gehirngebieten mithilfe der Magnetresonanztomografie (MRT). Diese Technik macht die Faserstränge sichtbar, die die Areale der Großhirnrinde miteinander verbinden. So entdeckten Sprachforscher den Fasciculus Articuatus, eine für das Sprachvermögen zentrale Gehirnregion. Ohne dieses Nervenfaserbündel können Kleinkinder keine komplexen Sätze bilden und verstehen.
Mit der funktionellen Magnetresonanztomografie können Wissenschaftler zwischen aktiven und nicht aktiven Gehirnregionen unterscheiden. So fanden Max-Planck-Forscher heraus, dass bei Menschen, die stottern, ein Ungleichgewicht zwischen der Hirnaktivität von linker und rechter Großhirnhälfte besteht. Innerhalb des überaktiven rechten Netzwerkes ist eine Faserbahn deutlich stärker ausgebildet als bei Menschen ohne Sprechprobleme.
Die Entschlüsselung des Konnektoms: Ein Schaltplan des Gehirns
Einen exakten Schaltplan des Gehirns lässt sich mit der MRT-Technik jedoch nicht erstellen, da die Methode nicht genau genug ist. Schließlich sitzen bis zu 10.000 Synapsen auf einer Nervenzelle, insgesamt 100 Billionen. Dies zeigt, wie dicht das Kommunikationsnetz im Gehirn ist. In diesem Netz können benachbarte Nervenzellen miteinander verknüpft sein, aber auch Zellen, die weit voneinander entfernt sind.
Wissenschaftler entwickeln deshalb neue Methoden, um das Konnektom zu entschlüsseln. Als Modellfälle dienen ihnen Mäuse. Zuletzt klärten sie die Verschaltung von Bereichen der Netzhaut des Auges sowie der Großhirnrinde auf und fanden heraus, dass Nervenzellen im entorhinalen Kortex der Großhirnrinde wie ein Transistor organisiert sind: Bevor eine Nervenzelle eine andere Zelle aktivieren kann, kontaktiert sie eine hemmende Zelle und wird so in ihrer eigenen Aktivität behindert. Anhand solcher Schaltpläne wollen Wissenschaftler lernen, wie das Gehirn funktioniert.
An Max-Planck-Instituten arbeiten sie bereits heute daran, die Prinzipien der Informationsverarbeitung aufzuklären. Derzeit konzentrieren sie sich auf einfacher aufgebaute Gehirne, die weniger Nervenzellen und -fasern besitzen als das Gehirn des Menschen. Mäuse sind ein solcher Modellfall für Neurowissenschaftler, da sie als Säugetiere ein ähnlich aufgebautes und funktionierendes Gehirn wie der Mensch besitzen. Noch einfacher aufgebaut und leichter zu untersuchen ist das Gehirn von Zebrafischen und ihren Larven. So besitzt das Gehirn einer Fischlarve nicht nur lediglich 100.000 Nervenzellen und damit eine Million Mal weniger als das des Menschen, es ist auch noch nahezu völlig transparent. Auch Wirbellose können ein Modell für Neurowissenschaftler sein. Ihre Nervenzellen sind zwar sehr klein, dadurch kann ihre Aktivität nicht so leicht gemessen werden. Dafür lassen sich wegen der vergleichsweise einfacheren Architektur die Prinzipien von Verschaltungen zur Wahrnehmung und Verarbeitung von Umweltreizen analysieren. So können Forscher anhand des Gehirns von Fruchtfliegen lernen, wie der Geruch von Nahrung die Fortpflanzung beeinflusst. Durch die Analyse des Sehsystems von Schmeißfliegen wollen sie herausfinden, wie die Insekten Bewegungen so unglaublich schnell wahrnehmen können. Selbst ein so einfach aufgebauter Organismus wie der Fadenwurm C. elegans kann wichtige Erkenntnisse liefern.
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Anatomische Modelle des Gehirns: Einblick in die Struktur
Anatomische Gehirnmodelle sind wertvolle Hilfsmittel, um den Aufbau und die Funktionen des Gehirns besser zu verstehen. Sie finden vor allem in Arztpraxen, Universitäten und Schulen Verwendung. Es gibt verschiedene Arten von Gehirnmodellen:
- Median geschnittene Modelle: Sie zeigen die motorischen und sensorischen Funktionszentren im Gehirn.
- Zerlegbare Modelle: Sie veranschaulichen den Aufbau des Gehirns mit seinen Liquorräumen und Mittellinienstrukturen.
- Modelle mit Blutgefäßen: Sie zeigen die arterielle Versorgung des Gehirns und alle relevanten anatomischen Strukturen.
- Modelle mit Hirnfunktionen: Sie stellen die Repräsentationsfelder der Großhirnrinde dar, wie die Broca- und Wernicke-Gebiete, die Heschl'sche Windung und die Funktionen des limbischen Systems.
- Modelle mit verschiedenfarbig dargestellten Hirnregionen: Sie veranschaulichen sensorische und motorische Zentren, die der Versorgung spezifischer Körperregionen dienen.
- Schädelmodelle mit Gehirnerkrankungen: Sie zeigen verschiedene Erkrankungen wie Alzheimer, Aneurysma, Alkoholismus, Migräne, Multiple Sklerose, Parkinson und Schlaganfall.
- Vergrößerte Gehirnmodelle: Sie ermöglichen es, alle Strukturen und Funktionen des Gehirns besonders anschaulich zu erklären.
Gehirnmodelle aus Kunststoff haben gegenüber digitalen 3D-Modellen den Vorteil, dass sie eine intensivere Auseinandersetzung mit der Lernmaterie ermöglichen. Durch die Haptik wird das Verständnis gefördert.
Die Bedeutung des Gehirns für unser Leben
Das Gehirn ist die Steuerzentrale für lebenswichtige Abläufe im Körper. Es steuert alle wichtigen Fähigkeiten des Menschen: was wir wahrnehmen und empfinden, was wir wissen und denken oder wie wir uns verhalten. Es stellt aber auch sicher, dass unsere Organe richtig arbeiten und steuert all unsere Bewegungen. Es nimmt Sinneseindrücke auf und verarbeitet sie. Außerdem speichert es Informationen im Gedächtnis und ruft sie bei Bedarf wieder ab.
Das Gehirn besteht aus verschiedenen Bereichen, die auf bestimmte Aufgaben spezialisiert sind:
- Hirnstamm: Verbindet das Gehirn mit dem Rückenmark und reguliert lebenswichtige Systeme wie Herzschlag, Atmung und Blutdruck.
- Zwischenhirn: Steuert überlebenswichtige Empfindungen und Instinkte wie Durst, Hunger und Schlaf. Der Thalamus filtert Sinneseindrücke und leitet wichtige Informationen an das Großhirn weiter. Der Hypothalamus reguliert automatische Vorgänge im Körper und Hormone.
- Limbisches System: Spielt eine wichtige Rolle bei Gefühlen und triebgesteuertem Verhalten.
- Kleinhirn: Ist wichtig für das Gleichgewicht und die Koordination und steuert gelernte Bewegungsabläufe.
- Großhirn: Ermöglicht höhere Hirnfunktionen wie Motivation, Lernen, Denken und Verstehen. Die Großhirnrinde verarbeitet Sinneseindrücke, speichert Informationen und steuert willentliche Bewegungen.
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