Die Hemisphärektomie ist ein komplexer neurochirurgischer Eingriff, der vorwiegend bei Kindern mit schwer behandelbarer Epilepsie durchgeführt wird. Ziel ist es, die Anfallshäufigkeit zu reduzieren oder Anfallsfreiheit zu erreichen, wobei gleichzeitig wichtige Hirnfunktionen erhalten bleiben sollen. Obwohl der Eingriff mit Risiken verbunden ist, kann er in ausgewählten Fällen die Lebensqualität der Betroffenen erheblich verbessern.
Was ist eine Hemisphärektomie?
Die Hemisphärektomie ist die operative Entfernung oder Abtrennung einer Gehirnhälfte (Hemisphäre). Früher wurde die gesamte Gehirnhälfte entnommen (Hemisphärektomie), heute wird meist eine Hemisphärotomie durchgeführt, bei der die betroffene Gehirnhälfte vom Rest des Gehirns abgetrennt wird, aber im Kopf verbleibt, um Komplikationen zu minimieren.
Wann wird eine Hemisphärektomie in Betracht gezogen?
Eine Hemisphärektomie wird in Betracht gezogen, wenn:
- Eine pharmakoresistente Epilepsie vorliegt, d.h. die Anfälle können mit Medikamenten nicht ausreichend kontrolliert werden.
- Die Anfälle von einer klar abgrenzbaren, großflächigen Schädigung einer Hirnhälfte ausgehen.
- Die Schädigung (Läsion) auf eine Hirnhälfte begrenzt ist.
- Andere Behandlungsmethoden nicht erfolgreich waren.
Die Entscheidung für eine Hemisphärektomie wird von einem interdisziplinären Team getroffen, das Nutzen und Risiken sorgfältig abwägt.
Ursachen für Epilepsie, die eine Hemisphärektomie erforderlich machen
Eine Hemisphärektomie kann bei verschiedenen Erkrankungen in Betracht gezogen werden, darunter:
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- Sturge-Weber-Syndrom: Eine seltene Erkrankung mit Fehlbildungen der Blutgefäße an Haut und Hirnhäuten, die schwer beherrschbare epileptische Anfälle auslösen können.
- Rasmussen-Enzephalitis: Eine chronisch-entzündliche Erkrankung des Gehirns, die zu fortschreitenden neurologischen Ausfällen und schwerer Epilepsie führt.
- Hemimegalenzephalie: Eine angeborene Fehlbildung, bei der eine Gehirnhälfte vergrößert ist und zu schwerer Epilepsie führt.
- Infantile Hemiplegie: Eine frühkindliche Hirnschädigung, die zu einer Lähmung einer Körperhälfte und Epilepsie führt.
Diagnostik vor einer Hemisphärektomie
Vor einer Hemisphärektomie sind umfangreiche Untersuchungen notwendig, um die Eignung für den Eingriff zu prüfen und den betroffenen Bereich im Gehirn genau zu lokalisieren. Dazu gehören:
- Magnetresonanztomografie (MRT): Um strukturelle Veränderungen im Gehirn zu erkennen, die Anfälle auslösen können. Ein hochauflösendes MRT ist besonders wichtig, um kleinste Auffälligkeiten sichtbar zu machen.
- Funktionelle MRT (fMRT): Um Bereiche zu identifizieren, die für Sprache oder Bewegung zuständig sind.
- Video-EEG-Monitoring: Um die Hirnaktivität während eines Anfalls genau zu analysieren und den Ursprungsort der Anfälle zu bestimmen. Hierbei werden die Hirnstromwellen über mehrere Tage kontinuierlich aufgezeichnet, während die Betroffenen gleichzeitig per Video überwacht werden.
- Neuropsychologische Untersuchung: Um ein detailliertes Bild der geistigen Fähigkeiten zu erhalten und Schwächen und Stärken in Bereichen wie Gedächtnis oder Aufmerksamkeit festzustellen.
- Invasive Diagnostik: In manchen Fällen ist eine invasive Diagnostik erforderlich, bei der Elektroden operativ in das Gehirn eingebracht werden, um die epileptischen Regionen genauer zu erfassen.
Operationsverfahren
Bei einer Hemisphärotomie wird die betroffene Gehirnhälfte vom Rest des Gehirns abgetrennt und hat somit keine Funktion mehr. Einige kleine Teile des Gehirns, wie z. B. der Hippocampus, können ebenfalls entfernt werden. Heutzutage wird die Gehirnhälfte meist im Kopf gelassen, da dies weniger Komplikationen verursacht.
Ablauf einer Hemisphärektomie
- Prächirurgische Diagnostik: Ein interdisziplinäres Team führt umfangreiche Untersuchungen durch, um die Eignung für den Eingriff zu prüfen und die bestmögliche Behandlungsstrategie festzulegen.
- Operativer Eingriff: Erfahrene Neurochirurgen führen den Eingriff unter Anwendung modernster Technologien durch, wie z. B. Neuronavigation, intraoperatives Neuromonitoring und die Darstellung von Nervenbahnen, um die Sicherheit während der Operation zu erhöhen.
- Postoperative Betreuung: Nach der Operation werden die Patient:innen engmaschig überwacht. Neurologische Funktionen werden überprüft und neuropsychologische Tests wiederholt, um mögliche Veränderungen der kognitiven Fähigkeiten zu bewerten. Die medikamentöse Therapie wird schrittweise reduziert, sofern die Anfallsfreiheit bestehen bleibt.
Mögliche Auswirkungen und Rehabilitation
Eine Hemisphärotomie hat unausweichlich eine Hemiparese (Halbseitenlähmung) zur Folge, d.h. die der abgetrennten Gehirnhälfte gegenüberliegende Körperhälfte ist nach dem Eingriff gelähmt. Auch das Gesichtsfeld kann eingeschränkt sein (Hemianopsie).
Je jünger die Patient:innen bei der Operation sind, desto besser erholt sich der Körper. Oftmals kommen Funktionen Stück für Stück zurück, aber die Feinmotorik der Hand kann dauerhaft beeinträchtigt bleiben.
Eine intensive Rehabilitation ist nach der Operation entscheidend, um die motorischen und kognitiven Fähigkeiten bestmöglich wiederherzustellen. Die Rehabilitation kann Physiotherapie, Ergotherapie, Logopädie und neuropsychologische Therapie umfassen.
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Langzeitverlauf und Ergebnisse
Die Hemisphärektomie kann bei sorgfältiger Patientenauswahl zu einer deutlichen Reduktion der Anfallshäufigkeit oder sogar zu Anfallsfreiheit führen. Studien zeigen, dass ein hoher Prozentsatz der Kinder nach der Operation anfallsfrei ist.
Auch bei Erwachsenen kann die Hemisphärektomie in ausgewählten Fällen erfolgreich sein. In einer Studie mit fünf erwachsenen Patient:innen traten in zwei Fällen nach jahrelanger Anfallsfreiheit wieder Anfälle auf, die aber durch Anpassung der Medikation kontrolliert werden konnten.
Die verbleibende Gehirnhälfte kann sich neu verdrahten und Funktionen der entfernten Hemisphäre übernehmen, insbesondere wenn die Operation in jungen Jahren durchgeführt wird.
Erfahrungen von Betroffenen und Angehörigen
Die Entscheidung für eine Hemisphärektomie ist oft eine schwierige und belastende Situation für Betroffene und Angehörige. Der Austausch mit anderen Betroffenen kann sehr hilfreich sein, um Informationen zu erhalten, Erfahrungen auszutauschen und sich gegenseitig zu unterstützen.
Eltern berichten, dass ihre Kinder nach der Operation förmlich aufblühen und kognitive Fortschritte machen. Es ist jedoch wichtig zu beachten, dass die Rehabilitation ein langer und anstrengender Prozess sein kann.
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Leben mit einer Hemisphärektomie
Ein Leben mit einer Hemisphärektomie erfordert Anpassung und Unterstützung. Viele Betroffene können ein selbstständiges Leben führen, arbeiten oder studieren. Es ist jedoch wichtig, realistische Erwartungen zu haben und die individuellen Fähigkeiten und Einschränkungen zu berücksichtigen.
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