Die Elektrokonvulsionstherapie (EKT) ist ein etabliertes Hirnstimulationsverfahren, das sich durch hohe Wirksamkeit und schnellen Wirkungseintritt auszeichnet, insbesondere bei schweren affektiven Erkrankungen. Sie gehört zu den wirksamsten Standardverfahren zur Behandlung der therapieresistenten Depression (TRD) und anderer schwerer psychiatrischer Krankheitsbilder wie Katatonie, bipolare Störungen, Clozapin-resistente Schizophrenie und schizoaffektive Störungen. Trotz ihrer Effektivität ist die EKT aufgrund historischer Darstellungen und potenzieller Nebenwirkungen umstritten.
Was ist Elektrokonvulsionstherapie (EKT)?
Die Elektrokonvulsionstherapie (EKT), auch Elektrokrampftherapie genannt, ist eine Behandlungsmethode, bei der unter Narkose ein kurzer, elektrisch ausgelöster Krampfanfall im Gehirn erzeugt wird. Diese Methode wird seit 1938 eingesetzt und hat sich als wirksam bei bestimmten psychischen Erkrankungen erwiesen.
Wirkungsweise der EKT
Die EKT hat ein breites Wirkungsspektrum und zeichnet sich durch einen raschen und zuverlässigen Wirkungseintritt aus. Sie wirkt antidepressiv und antimanisch und wird auch bei Katatonie eingesetzt. Bei TRD ist die EKT bis heute das wirksamste antidepressive Behandlungsverfahren mit Wirkungsraten von 50-70%. Bei zusätzlichem Vorliegen von Wahnideen, Halluzinationen oder depressivem Stupor liegt die Erfolgsrate bei 82%.
Der gezielt und kontrolliert ausgelöste Krampfanfall wird als entscheidend für die Wirkung angesehen („Heilkrampf“). Ein im Rahmen einer EKT ausgelöster Anfall ruft zahlreiche funktionelle Veränderungen im Gehirn hervor, die denen einer dauerhaften Antidepressiva-Medikation ähneln. So werden z.B. die Konzentrationen von Hormonen und Botenstoffen im Gehirn günstig beeinflusst und regenerative Prozesse im Zentralnervensystem angeregt. Es kommt zu keinem Nervenzelluntergang, sondern im Gegenteil zu einem Wachstum von grauer Substanz und zu neuen neuronalen Verknüpfungen. Die Wirkungsweise ist durch zahlreiche Studien gut belegt.
Indikationen für die EKT
Die Indikation für die EKT stützt sich auf zahlreiche Wirksamkeitsnachweise. Maßgeblich für die Auswahl der Patienten sind die Diagnose, die Schwere der Symptome, die Behandlungsvorgeschichte sowie die Abwägung zwischen Nutzen und Risiken unter Berücksichtigung anderer Behandlungsoptionen. Dabei wird bei gegebener Indikation auch der Wunsch des Patienten berücksichtigt. Am häufigsten wird die EKT eingesetzt, nachdem Behandlungen mit Psychopharmaka keinen Erfolg gebracht haben.
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Die EKT ist grundsätzlich dann indiziert, wenn:
- eine Notwendigkeit für eine schnelle, definitive Verbesserung aufgrund der Schwere der psychiatrischen Erkrankung besteht,
- die Risiken der EKT geringer sind als die anderer Behandlungen,
- aus der Vorgeschichte ein schlechtes Ansprechen auf einschlägige Psychopharmaka (Therapieresistenz) oder ein gutes Ansprechen auf EKT bei früheren Erkrankungsepisoden bekannt ist,
- Unverträglichkeit oder erhebliche Nebenwirkungen der Pharmakotherapie aufgetreten sind.
Bei folgenden psychiatrischen Erkrankungen ist die EKT die Therapie der ersten Wahl:
- wahnhafte Depression, depressiver Stupor, schizoaffektive Psychose mit schwerer depressiver Verstimmung,
- Major Depression mit hoher Suizidalität oder Nahrungsverweigerung,
- akute, lebensbedrohliche (perniziöse) Katatonie.
Als Therapie der zweiten Wahl ist die EKT angezeigt bei:
- therapieresistenter (pharmakoresistenter) Major Depression, somit nach Applikation von mindestens zwei verschiedenen Antidepressiva möglichst unterschiedlicher Wirkstoffklassen in ausreichender Dosierung und zusätzlichem therapeutischem Schlafentzug,
- therapieresistenten, nicht lebensbedrohlichen Katatonien und anderen akut exazerbierten schizophrenen Psychosen nach erfolgloser Neuroleptikabehandlung,
- therapieresistenten Manien nach erfolgloser Behandlung mit Neuroleptika, Lithium oder Carbamazepin.
Seltenere Indikationen können therapieresistente schizophreniforme Störungen, therapieresistente schizoaffektive Störungen, therapieresistente Parkinson-Syndrome und das maligne neuroleptische Syndrom sein.
Durchführung der EKT
Vor der Durchführung einer EKT wird jeder Patient ausführlich aufgeklärt und es erfolgt eine umfassende internistische, neurologische und anästhesiologische Voruntersuchung. Ein Facharzt für Anästhesie (Narkosearzt) klärt gesondert über die im Rahmen einer Behandlungsserie mehrfach durchzuführende Kurznarkose auf.
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Bei jeder Behandlung ist ein speziell geschultes Team anwesend (Arzt für Psychiatrie und Psychotherapie sowie Arzt für Anästhesiologie). Die Behandlungen finden in einem speziell dafür ausgestatten Behandlungsraum in der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie statt.
Nach Einleitung der Narkose schläft der Patient für ca. 10 Minuten. In dieser Zeit erfolgt eine kurzzeitige medikamentöse Muskelentspannung. Die Atmung wird dabei durch den Arzt für Anästhesiologie überwacht und durch Maskenbeatmung unterstützt. Anschließend wird vom Arzt für Psychiatrie und Psychotherapie durch elektrische Stimulation im Bereich des Kopfes über wenige Sekunden ein therapeutischer Krampfanfall ausgelöst. Die Dauer des Krampfanfalls wird dabei kontinuierlich durch eine EEG-Aufzeichnung (Elektroenzephalogramm) überwacht; diese beträgt üblicherweise ca. 20-30 Sekunden.
Kurze Zeit danach erwachen die Patienten wieder. Es folgt eine kurze Überwachungsphase im Behandlungsraum sowie eine weitere Überwachung auf der Krankenstation. Da die Behandlungen morgens durchgeführt werden, können die Patienten zum Mittag aufstehen und an den folgenden Mahlzeiten und ihrem üblichen Therapieprogramm teilnehmen.
Die EKT wird als Behandlungsserie (in der Regel 8 bis 12 Behandlungen) durchgeführt, meist im Abstand von 2 bis 3 Tagen. Die Dauer des Krampfanfalls darf 25 bis 30 Sekunden nicht unterschreiten, sie wird durch das gleichzeitig abgeleitete EEG objektiviert. Zum obligaten Monitoring gehören ein EKG-Monitor sowie die Pulsoxymetrie.
Die Elektrodenplatzierung erfolgt in der Regel unilateral mit Applikation von Kurzpulsströmen, da hierbei nachweislich die geringsten Gedächtnisstörungen zu erwarten sind. Unter bestimmten Umständen ist eine Überlegenheit der bilateralen EKT erkennbar. Insbesondere bei Schwerstkranken (perniziöse Katatonie, wahnhafte Depression mit ausgeprägter Suizidalität, schwere Manien) kann der primäre Einsatz der bilateralen EKT sinnvoll sein. Die Behandlungseffektivität der bilateralen EKT ist besonders robust gegenüber verschiedenen Einflussfaktoren.
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Die EKT darf nur von entsprechend qualifizierten Fachärzten unter Beteiligung eines Anästhesisten (in der Regel stationär) durchgeführt werden.
Risiken und Nebenwirkungen der EKT
Die EKT ist heutzutage ein sicheres Verfahren. Risiken und Nebenwirkungen wurden im Laufe der Jahrzehnte durch eine verbesserte Vorbereitung, Durchführung und Nachbetreuung der Patienten minimiert. Das Risiko für eine schwere Komplikation wird mit 1:50.000 Behandlungen angegeben und liegt damit nicht höher als das allgemeine Narkoserisiko bei kleineren operativen Eingriffen wie z.B. bei einer Zahnextraktion. Risiken durch die Narkose werden zusätzlich durch eine sorgfältige Voruntersuchung in der Anästhesiologie minimiert.
Unerwünschte Nebenwirkungen können vorübergehende Kopfschmerzen und Übelkeit sein, welche bei Bedarf symptomatisch behandelt werden.
Kognitive Nebenwirkungen wie Orientierungs-, Konzentrations- und Gedächtnisstörungen können auftreten. Diese sind nach Ende der Behandlung rückläufig. Während sich anterograde Gedächtnisstörungen (eingeschränkte Merkfähigkeit für neue Gedächtnisinhalte) in der Regel rasch, d.h. nach Stunden bis zu wenigen Tagen zurückbilden, können retrograde Gedächtnisstörungen (Gedächtnisinhalte vor der EKT sind nicht erinnerlich) länger persistieren. Unmittelbar nach der EKT auftretende neuropsychologische Störungen (z.B. Aphasien, Apraxien, Agnosien) sind sehr selten, bilden sich stets zurück und bedürfen keiner Behandlung.
Die in der Literatur diskutierten unerwünschten Wirkungen sind wie folgt zu bewerten:
- Strukturelle Hirnschäden sind nach lege artis durchgeführter EKT nicht beschrieben worden. Auch aus prospektiven kernspin- und computertomographischen Untersuchungen ergeben sich keine Hinweise auf strukturelle Veränderungen nach EKT.
- Kognitive Störungen können als Nebenwirkungen nach EKT auftreten. Sie sind bei der heute üblichen Form der EKT deutlich geringer als bei der früher üblichen bilateralen Stimulation. Direkt nach der EKT können eine passagere diskrete Störung der Orientierung, des Kurzzeitgedächtnisses, der Aufmerksamkeit sowie Gedächtnisstörungen auftreten. Während sich die anterograden Gedächtnisstörungen in der Regel rasch (in der Regel nach Stunden bis zu wenigen Tagen, spätestens 4 Wochen) zurückbilden, können die retrograden Amnesien länger persistieren.
- Unmittelbar nach der EKT auftretende neuropsychologische Störungen (zum Beispiel Aphasien, Apraxien, Agnosien) sind selten, bilden sich stets zurück und bedürfen keiner Behandlung.
- Kopfschmerzen in Form von Spannungskopfschmerzen treten bei knapp einem Drittel der Patienten nach EKT auf (häufigste Nebenwirkung der EKT) und können im Bedarfsfall mit Analgetika behandelt werden. In seltenen Fällen können auch typische Migräneattacken durch EKT ausgelöst werden.
- Übelkeit und Erbrechen nach EKT können (selten) vorkommen und werden bei Bedarf symptomatisch behandelt.
Kontraindikationen für die EKT
Absolute Kontraindikationen der EKT sind:
- kürzlich überstandener Herzinfarkt (3 Monate),
- schwerste kardiopulmonale Funktionseinschränkungen (Narkosefähigkeit dann möglicherweise nicht gegeben),
- schwerer arterieller Hypertonus (hypertensive Krise),
- erhöhter Hirndruck,
- frischer Hirninfarkt (3 Monate),
- eine mit Begleitödem versehene intrazerebrale Raumforderung,
- akuter Glaukomanfall.
Relative Kontraindikationen sind:
- zerebrales Aneurysma
- zerebrales Angiom
Keine Kontraindikationen sind:
- höheres Lebensalter (steigende Effizienz der EKT),
- Schwangerschaft,
- Herzschrittmacher.
Aufklärung und Einverständnis
Die EKT wird, wie bei allen anderen medizinischen Eingriffen üblich, nur nach angemessener Aufklärung und schriftlicher Einverständniserklärung durchgeführt. Das Einverständnis oder die Ablehnung setzt die Einwilligungsfähigkeit der Patienten voraus. Diese beinhaltet, dass der Patient die Sachlage sowie die Bedeutung und Tragweite der vorzunehmenden Behandlung hinreichend zu beurteilen vermag. Bei nichteinwilligungsfähigen Patienten mit dringlicher Indikation für eine EKT wird eine Betreuung gemäß Betreuungsgesetz eingerichtet. Im Bedarfsfall wird bei konkreter Gefährdung des Patienten eine einstweilige Betreuerbestellung bei dem zuständigen Vormundschaftsgericht veranlasst. Falls der vom Gericht eingesetzte Betreuer der EKT zustimmt, der Patient der EKT jedoch ausdrücklich widerspricht, wird im Regelfall auf die EKT verzichtet.
Erfahrungen von Patienten mit EKT
Die EKT wird von den Patienten retrospektiv gut bis sehr gut beurteilt. Viele Patienten berichten von einer deutlichen Verbesserung ihrer Symptome und einer gesteigerten Lebensqualität. Ein Patient der Vitos Klinik Eichberg berichtet von seinen Erfahrungen mit der EKT und von den Fortschritten, die er dank der Behandlung macht: „Ich hatte neun Einheiten der EKT-Therapie in Folge, drei Mal pro Woche. Ab der vierten oder fünften Therapie ging es mir besser. Inzwischen bin ich in der Erhaltungstherapie und komme nur noch alle sechs Wochen zur EKT, da es mir relativ gut geht.“ Er berichtet, dass er inzwischen wieder mehr am Leben teilnehmen kann. „Ich spüre durch die EKT nur positive Veränderungen. Zum Beispiel träume ich seit 40 Jahren zum ersten Mal wieder und kann mich auch an die Träume erinnern. Das ist ganz neu für mich. Und auch mein Erleben, wie ich Dinge sehe, verändert sich. Das Depressive verschwindet immer mehr“, so Herr W.
Es gibt aber auch kritische Stimmen. Einige Patienten berichten von Gedächtnisproblemen, die nach der EKT aufgetreten sind. Diese Gedächtnisstörungen können sich auf die Zeit vor der EKT (retrograde Amnesie) oder auf die Zeit nach der EKT (anterograde Amnesie) beziehen. In den meisten Fällen sind diese Gedächtnisstörungen vorübergehend, aber in einigen Fällen können sie auch länger anhalten.
Alternativen zur EKT
Obwohl die EKT als eine der wirksamsten Behandlungsmethoden für schwere Depressionen gilt, gibt es auch alternative Behandlungsmethoden, die in Betracht gezogen werden können. Dazu gehören:
- Medikamentöse Behandlung: Antidepressiva können bei der Behandlung von Depressionen wirksam sein, aber es kann einige Wochen dauern, bis sie ihre volle Wirkung entfalten.
- Psychotherapie: Eine Psychotherapie kann helfen, die Ursachen der Depression zu erkennen und Strategien zur Bewältigung der Symptome zu entwickeln.
- Transkranielle Magnetstimulation (TMS): Die TMS ist eine nicht-invasive Behandlungsmethode, bei der Magnetfelder eingesetzt werden, um die Nervenzellen im Gehirn zu stimulieren.
- Vagusnervstimulation (VNS): Die VNS ist eine Behandlungsmethode, bei der ein Gerät implantiert wird, das den Vagusnerv stimuliert.
- Ketamin: Das Narkosemittel Ketamin hat in niedrigen Dosen eine antidepressive Wirkung und kann bei therapieresistenten Depressionen eingesetzt werden.
Aktuelle Entwicklungen und Forschung
Die Forschung zur EKT konzentriert sich auf die Verbesserung der Wirksamkeit und die Reduzierung der Nebenwirkungen. Ein vielversprechender Ansatz ist die Entwicklung neuer Elektrodenplatzierungen und Stimulationsparameter. Darüber hinaus wird untersucht, wie die EKT mit anderen Behandlungsmethoden kombiniert werden kann, um die bestmöglichen Ergebnisse zu erzielen.
Ein weiterer Schwerpunkt der Forschung ist die Aufklärung der Wirkmechanismen der EKT. Obwohl die EKT seit Jahrzehnten eingesetzt wird, sind die genauen Mechanismen, die für ihre antidepressive Wirkung verantwortlich sind, noch nicht vollständig verstanden.
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