Die Elektrokrampftherapie (EKT) ist ein hochwirksames und modernes Verfahren zur Behandlung schwerer psychischer Erkrankungen. Obwohl sie in der Vergangenheit aufgrund veralteter Praktiken einen schlechten Ruf hatte, hat sie sich dank technischer Innovationen und verbesserter Anästhesieverfahren zu einer sicheren und nebenwirkungsarmen Therapie entwickelt.
Was ist Elektrokrampftherapie (EKT)?
Die Elektrokrampftherapie, auch Elektrokonvulsionstherapie genannt, ist ein neurobiologisches Stimulationsverfahren, das bereits in den 1940er Jahren unter dem Begriff „Heilkrampftherapie“ entwickelt wurde. Die EKT beruht darauf, dass in Narkose und unter Muskelentspannung durch eine kurze elektrische Stimulation ein zerebraler Anfall ausgelöst wird. Das kann man sich ähnlich wie bei einem epileptischen Anfall vorstellen, nur dass der Anfall hier gezielt und unter kontrollierten Bedingungen erfolgt.
Die Wirksamkeit der EKT ist für verschiedene Erkrankungen durch Studien gut belegt. Zugleich ist sie ein sehr sicheres Behandlungsverfahren, das auch und gerade bei älteren Patient*innen gut zum Einsatz kommen kann.
Wie wirkt die EKT?
Über welche Mechanismen genau ein solcher „Heilkrampf“ eine positive Wirkung entfaltet, ist noch nicht vollständig geklärt. Nach aktuellem Kenntnisstand beruht die Wirkung der EKT auf neurochemischen Veränderungen verschiedener Neurotransmittersysteme. Man hat jedoch beobachtet, dass die Anfälle zahlreiche neurochemische Veränderungen im Gehirn anstoßen. Entscheidend scheint hierfür zu sein, dass ein Teil der Nervenzellen während der Behandlung im gleichen Takt aktiviert wird.
Die Wirksamkeit der EKT beruht nach aktuellen Erkenntnissen auf einer Vielzahl von Mechanismen. Dabei scheinen die Förderung der sogenannten Neuroplastizität (das heißt Neubildung und -organisation von Nervenzellen und ihrer Verbindungen) sowie eine Normalisierung von krankheitsbedingten Entzündungsprozessen eine wichtige Rolle zu spielen. Bei der EKT kommt es zu keinem Nervenzelluntergang, im Gegenteil kommt es zu einem Wachstum von grauer Substanz und zu neuen neuronalen Verknüpfungen.
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Beispielsweise verändert sich die Konzentration verschiedener Hormone und Botenstoffe im Gehirn ebenso die Zahl der Andockstellen (Rezeptoren) für diese Neurotransmitter. Die Masse der sogenannten grauen Substanz, die sich aus den Zellkörpern der Nervenzellen zusammensetzt, nimmt zu. Vor allem vernetzen sich die Neuronen verstärkt untereinander. Bekannt ist, dass ein im Rahmen einer EKT ausgelöster Anfall zahlreiche funktionelle Veränderungen im Gehirn hervorruft, die denen einer dauerhaften Antidepressiva-Medikation ähneln.
Anwendungsgebiete der EKT
Psychiater greifen auf eine EKT bei sehr schweren oder gravierenden, schwer zu behandelnden psychischen Erkrankungen zurück. Hauptindikation für die EKT sind therapierefraktäre Verläufe depressiver, schizophrener sowie manischer Episoden, einschließlich der bipolaren Depression und die Katatonie.
Für die Entscheidung zur Durchführung einer EKT sind verschiedene Aspekte wichtig, so etwa die Diagnose, die Schwere der Symptomatik, die Behandlungsvorgeschichte sowie die Abwägung zwischen Nutzen und Risiken anderer Behandlungsoptionen. Die Behandlung mit EKT ist besonders dann angezeigt, wenn:
- eine Notwendigkeit für eine besonders schnelle und deutliche Verbesserung der Krankheitssymptome besteht
- andere Therapien wie Psychotherapie und Medikamente nicht ausreichend wirksam sind
- die Risiken der EKT geringer sind als die anderer Behandlungen
Die EKT sollte Patient*innen bei therapieresistenten depressiven Episoden angeboten werden, insbesondere im höheren Lebensalter oder bei psychotischer Symptomatik. Bei eindeutiger medikamentöser Behandlungsresistenz sollte eine EKT zur Augmentierung mit dem Ziel der Verbesserung des klinischen Gesamtzustands angeboten werden. EKT kann zur Behandlung schwerer manischer Episoden durchgeführt werden. EKT sollte bei den seltenen Fällen, in denen eine pharmakotherapieresistente manische Episode vorliegt, durchgeführt werden. EKT sollte zur Behandlung schwerer und therapieresistenter depressiver Episoden eingesetzt werden. Auch andere neuropsychiatrische Krankheitsbilder können zum Teil mittels EKT gut behandelt werden, auch wenn größere Studien dazu noch fehlen.
Bei einigen schweren psychischen Erkrankungen ist eine EKT die Therapie erster Wahl. Das bedeutet, man greift direkt auf sie zurück, ohne zuvor andere Heilverfahren zu versuchen. Dazu gehören:
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- Depressionen mit Wahnvorstellungen
- Depressive Erstarrung (Stupor)
- Psychosen mit Stimmungsschwankungen (schizoaffektive Psychose), darunter schwere depressive Symptome
- schwere Depression (Major Depression) mit hoher Suizidalität oder Nahrungsverweigerung
- akute, lebensbedrohliche (perniziöse) Katatonie
Als Therapie zweiter Wahl - also, wenn vorangegangene Behandlungen nicht ausreichend geholfen haben - setzen Psychiater die EKT in folgenden Situationen ein:
- schwere Depressionen (Major Depression), bei denen die Betroffenen auf mindestens zwei Antidepressiva möglichst unterschiedlicher Wirkstoffklassen in Kombination mit Schlafentzug nicht ausreichend angesprochen haben
- nicht lebensbedrohliche Katatonien und akute Psychosen nach erfolgloser Behandlung mit Neuroleptika
- Manien nach erfolgloser Behandlung mit Neuroleptika, Lithium oder Carbamazepin
Die Wirksamkeit der EKT nimmt mit der Dauer der Erkrankung ab. Daher gilt sie nicht als letzte Therapieoption, sondern sollte möglichst zeitnah erfolgen, wenn sich abzeichnet, dass andere Methoden nicht ausreichend helfen.
Ablauf der EKT-Behandlung
Die EKT wird als Behandlungsserie (in der Regel 8 bis 12 Behandlungen) durchgeführt, meist im Abstand von 2 bis 3 Tagen. Die Dauer des Krampfanfalls darf 25 bis 30 Sekunden nicht unterschreiten, sie wird durch das gleichzeitig abgeleitete EEG objektiviert. Zum obligaten Monitoring gehören ein EKG-Monitor sowie die Pulsoxymetrie.
Der Ablauf der EKT-Behandlung sieht in der Regel 10-12 EKT-Sitzungen innerhalb von 4-6 Wochen vor. Diese sind auf 2-3 Sitzungen pro Woche verteilt. Die Stimulation findet unter Vollnarkose statt, die Narkosedauer beträgt ca. 15 Minuten, die anschließende Überwachung im Aufwachraum 60-80 Minuten. Im Vorfeld ist aufgrund der Maskenbeatmung eine strenge Nahrungskarenz (inklusive Nikotin) für mindestens 6 Stunden einzuhalten.
Die EKT wird in Kurznarkose unter Muskelrelaxation, Sauerstoffbeatmung und Zahnschutz durchgeführt. Die Elektrodenplatzierung erfolgt in der Regel unilateral mit Applikation von Kurzpulsströmen, da hierbei nachweislich die geringsten Gedächtnisstörungen zu erwarten sind. Unter bestimmten Umständen ist eine Überlegenheit der bilateralen EKT erkennbar. Insbesondere bei Schwerstkranken (perniziöse Katatonie, wahnhafte Depression mit ausgeprägter Suizidalität, schwere Manien) kann der primäre Einsatz der bilateralen EKT sinnvoll sein. Die Behandlungseffektivität der bilateralen EKT ist besonders robust gegenüber verschiedenen Einflussfaktoren.
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Die EKT darf nur von entsprechend qualifizierten Fachärzten unter Beteiligung eines Anästhesisten (in der Regel stationär) durchgeführt werden.
Risiken und Nebenwirkungen der EKT
Die EKT ist heutzutage ein sicheres Verfahren. Risiken und Nebenwirkungen wurden im Laufe der Jahrzehnte durch eine verbesserte Vorbereitung, Durchführung und Nachbetreuung der Patienten minimiert. Die lege artis durchgeführte EKT ist eines der sichersten Behandlungsverfahren in Narkose überhaupt. Die Risiken der Behandlung sind im Wesentlichen die Risiken der Narkose. Das Mortalitätsrisiko der EKT liegt bei 1 : 50 000 Einzelbehandlungen (das heißt, wenn drei Patienten wöchentlich jeweils drei EKT unterzogen werden, ist statistisch alle 100 Jahre mit einer schwerwiegenden Komplikation zu rechnen).
Den seltenen Todesfällen lagen hauptsächlich kardiovaskuläre Komplikationen bei kardial vorgeschädigten Patienten zugrunde, was eine ausreichend lange Überwachungsphase (insbesondere EKG-Monitoring) nach der EKT erfordert.
Unerwünschte Nebenwirkungen können vorübergehende Kopfschmerzen und Übelkeit sein, welche bei Bedarf symptomatisch behandelt werden.
Kognitive Nebenwirkungen wie Orientierungs-, Konzentrations- und Gedächtnisstörungen können auftreten. Diese sind nach Ende der Behandlung rückläufig. Während sich anterograde Gedächtnisstörungen (eingeschränkte Merkfähigkeit für neue Gedächtnisinhalte) in der Regel rasch, d.h. nach Stunden bis zu wenigen Tagen zurückbilden, können retrograde Gedächtnisstörungen (Gedächtnisinhalte vor der EKT sind nicht erinnerlich) länger persistieren. Unmittelbar nach der EKT auftretende neuropsychologische Störungen (z.B. Aphasien, Apraxien, Agnosien) sind sehr selten, bilden sich stets zurück und bedürfen keiner Behandlung.
Kopfschmerzen in Form von Spannungskopfschmerzen treten bei knapp einem Drittel der Patienten nach EKT auf (häufigste Nebenwirkung der EKT) und können im Bedarfsfall mit Analgetika behandelt werden. In seltenen Fällen können auch typische Migräneattacken durch EKT ausgelöst werden. Übelkeit und Erbrechen nach EKT können (selten) vorkommen und werden bei Bedarf symptomatisch behandelt.
Strukturelle Hirnschäden sind nach lege artis durchgeführter EKT nicht beschrieben worden. Auch aus prospektiven kernspin- und computertomographischen Untersuchungen ergeben sich keine Hinweise auf strukturelle Veränderungen nach EKT.
Kontraindikationen für die EKT
Absolute Kontraindikationen der EKT sind:
- kürzlich überstandener Herzinfarkt (3 Monate)
- schwerste kardiopulmonale Funktionseinschränkungen (Narkosefähigkeit dann möglicherweise nicht gegeben)
- schwerer arterieller Hypertonus (hypertensive Krise)
- erhöhter Hirndruck
- frischer Hirninfarkt (3 Monate)
- eine mit Begleitödem versehene intrazerebrale Raumforderung
- akuter Glaukomanfall
Relative Kontraindikationen sind:
- zerebrales Aneurysma
- zerebrales Angiom
Keine Kontraindikationen sind:
- höheres Lebensalter (steigende Effizienz der EKT)
- Schwangerschaft
- Herzschrittmacher
Aufklärung und Einverständnis
Die EKT wird, wie bei allen anderen medizinischen Eingriffen üblich, nur nach angemessener Aufklärung und schriftlicher Einverständniserklärung durchgeführt. Das Einverständnis oder die Ablehnung setzt die Einwilligungsfähigkeit der Patienten voraus. Diese beinhaltet, dass der Patient die Sachlage sowie die Bedeutung und Tragweite der vorzunehmenden Behandlung hinreichend zu beurteilen vermag. Bei nichteinwilligungsfähigen Patienten mit dringlicher Indikation für eine EKT wird eine Betreuung gemäß Betreuungsgesetz eingerichtet. Im Bedarfsfall wird bei konkreter Gefährdung des Patienten eine einstweilige Betreuerbestellung bei dem zuständigen Vormundschaftsgericht veranlasst. Falls der vom Gericht eingesetzte Betreuer der EKT zustimmt, der Patient der EKT jedoch ausdrücklich widerspricht, wird im Regelfall auf die EKT verzichtet.
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