Die Diagnose Epilepsie bei einem Kind stellt Familien vor eine Vielzahl von Herausforderungen. Von der Angst vor Anfällen bis hin zu Fragen der Inklusion und des alltäglichen Managements der Erkrankung, ist es wichtig, gut informiert und vorbereitet zu sein. Dieser Artikel bietet einen umfassenden Überblick über Epilepsie bei Kindern und gibt praktische Ratschläge für Familien, um den Alltag bestmöglich zu gestalten.
Was ist Epilepsie?
Epilepsie ist eine neurologische Erkrankung, die durch wiederholte epileptische Anfälle gekennzeichnet ist. Diese Anfälle entstehen durch vorübergehende Störungen der elektrischen Aktivität im Gehirn. Dr. Rakicky erklärt, dass "eine Epilepsie durch Hirnveränderungen entsteht, bei denen die elektrische Erregbarkeit erhöht ist". Die Ursachen für diese Hirnveränderungen sind vielfältig und oft nicht eindeutig.
Es ist wichtig zu wissen, dass ein einzelner epileptischer Anfall nicht gleichbedeutend mit einer Epilepsie ist. Etwa jeder zehnte Mensch erlebt im Laufe seines Lebens einen epileptischen Anfall, aber nur etwa ein Prozent der Bevölkerung hat eine aktive Epilepsie. Die Diagnose Epilepsie wird in der Regel erst gestellt, wenn mindestens zwei unprovozierte Anfälle im Abstand von mehr als 24 Stunden auftreten oder wenn das Risiko für einen weiteren Anfall als hoch eingeschätzt wird.
Anfallsformen und Symptome
Die Erscheinungsformen einer Epilepsie können je nach Ursprungsort im Gehirn variieren. Sie reichen von kurzen Aussetzern (Absencen) über Zuckungen einzelner Körperteile bis hin zu komplexen Bewegungs- und Bewusstseinseinschränkungen. Eltern sollten wachsam sein und auf folgende Anzeichen achten:
- Bewusstseinsverlust
- Starren des Blickes
- Verkrampfung der Muskeln
- Zuckungen von Armen und Beinen
- Abwesenheitszustände
- Verwirrtheit
- Weinen oder Erbrechen
- Verlust der Körperspannung
Besonders bei Säuglingen sollten Eltern auf epileptische Spasmen achten, die sich als Blitz-Nick-Salaam-Anfälle äußern können. Dabei beugen die Kinder den Kopf, strecken Arme und Beine und ziehen sie dann wieder an. Da diese Anfälle sehr diskret sein können, empfiehlt es sich, sie mit dem Handy zu filmen und dem Arzt zu zeigen.
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Umgang mit einem Anfall
Wenn ein Kind einen epileptischen Anfall hat, ist es wichtig, Ruhe zu bewahren und besonnen zu handeln. Laien sind oft unsicher, wenn sie einen epileptischen Anfall miterleben, aber das richtige Verhalten ist gar nicht so kompliziert. Folgende Maßnahmen sind wichtig:
- Ruhe bewahren: Panik hilft niemandem.
- Nicht allein lassen: Bleiben Sie bei dem Kind, bis der Anfall vorbei ist.
- Schutz vor Verletzungen: Sorgen Sie dafür, dass sich das Kind nicht verletzen kann. Legen Sie beispielsweise eine Jacke oder ein Kissen unter den Kopf.
- Atemwege freihalten: Lockern Sie enge Kleidung am Hals und bringen Sie das Kind nach dem Anfall in die stabile Seitenlage, um die Atmung zu erleichtern.
- Nicht festhalten: Versuchen Sie nicht, das Kind während des Anfalls festzuhalten oder zu Boden zu drücken.
- Nichts in den Mund stecken: Dies kann zu Verletzungen führen.
- Dauer des Anfalls notieren: Achten Sie auf die Uhr und merken Sie sich, wie lange der Anfall dauert.
- Notarzt rufen: Wenn der Anfall länger als fünf Minuten dauert oder das Kind Atemprobleme hat, rufen Sie den Notarzt (112).
Manche Menschen mit Epilepsie tragen ein Notfallmedikament bei sich. Informieren Sie sich, ob dies bei Ihrem Kind der Fall ist und wie das Medikament im Notfall verabreicht wird.
Diagnose und Behandlung
Um eine Epilepsie zu diagnostizieren, sind genaue Informationen zum Ablauf des Anfalls erforderlich. Da sich Betroffene oft nicht an den Anfall erinnern können, sind die Beobachtungen von Eltern und anderen Zeugen sehr wichtig. Hilfreich ist es, den Anfall zu filmen und dem Arzt zu zeigen.
Die Behandlung von Epilepsie zielt darauf ab, Anfallsfreiheit zu erreichen und die Lebensqualität des Kindes zu verbessern. Es gibt verschiedene Behandlungsmöglichkeiten:
- Medikamente: Antiepileptika sind die häufigste Form der Behandlung. Sie können die Anfallshäufigkeit reduzieren oder die Anfälle ganz verhindern.
- Spezielle Diäten: In einigen Fällen kann eine ketogene Diät helfen, die Anfallshäufigkeit zu reduzieren.
- Epilepsie-Chirurgie: Bei manchen Kindern kann eine Operation in Erwägung gezogen werden, um die Anfälle zu kontrollieren.
Die Wahl der Behandlung hängt von der Art der Epilepsie, der Anfallshäufigkeit und den individuellen Bedürfnissen des Kindes ab. Es ist wichtig, eng mit dem behandelnden Arzt zusammenzuarbeiten, um die beste Behandlungsstrategie zu entwickeln.
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Alltag mit Epilepsie
Dank moderner Medizin werden viele Kinder mit Epilepsie anfallsfrei, und ein überwiegend normaler Alltag ist gut möglich. Die meisten Kinder mit Epilepsie besuchen ohne Einschränkungen den Kindergarten und die Schule. Es gibt jedoch einige Aspekte, die im Alltag berücksichtigt werden sollten:
Medikamenteneinnahme
Eine regelmäßige und zuverlässige Einnahme der Medikamente ist entscheidend für die Anfallskontrolle. Um dies zu gewährleisten, können folgende Hilfsmittel nützlich sein:
- Wochendosette: Sortieren Sie die Medikamente für die ganze Woche vor, um den Überblick zu behalten.
- Erinnerungsstützen: Stellen Sie einen Handyalarm oder verwenden Sie Aufkleber, um an die Medikamenteneinnahme zu erinnern.
Sicherheit im Alltag
Um das Risiko von Verletzungen während eines Anfalls zu minimieren, sollten einige Sicherheitsvorkehrungen getroffen werden:
- Badezimmer: Solange die Gefahr besteht, dass das Kind im Anfall in der Badewanne unter Wasser rutscht, sollte es besser duschen. Achten Sie darauf, dass die Türen von Bad und Gästetoilette nach außen aufgehen, um im Notfall leichter Zugang zu haben.
- Schlaf: Je nach Anfallsart können verschiedene Überwachungsgeräte helfen, Anfälle im Schlaf zu erkennen. Dazu gehören Klingelarmbänder, Alarmgeräte fürs Bett oder Handgelenk, Pulsoxymeter und Babyfone mit oder ohne Kamera.
Kindergarten und Schule
Mit dem Eintritt in den Kindergarten und die Schule beginnt für Kinder eine neue Phase der Selbstständigkeit. Bei epilepsiekranken Kindern ist eine gute Aufklärung der ErzieherInnen und LehrerInnen notwendig.
- Kindergarten: Grundsätzlich können epilepsiebetroffene Kinder in den Kindergarten um die Ecke gehen, eventuell mit einem Integrationshelfer. Wichtig ist eine schriftliche Vereinbarung zwischen den Erziehungsberechtigten und der Einrichtung zu den notwendigen Maßnahmen mit genauen Anweisungen.
- Schule: Normal begabte, epilepsiebetroffene Kinder können in der Regel die Grundschule vor Ort besuchen, eventuell mit einem Integrationshelfer. Auch hier ist eine schriftliche Vereinbarung mit der Schule wichtig.
Sport und Freizeit
Regelmäßige sportliche Betätigung ist auch bei Epilepsie gesund, wichtig für die soziale Stellung in der Klasse und stärkt das Selbstbewusstsein. Kinder mit Epilepsie können und sollen Sport treiben! Körperliche Aktivität führt nicht zu Anfallshäufungen! Bei der Wahl der Sportart sollten jedoch einige Vorsichtsmaßnahmen beachtet werden:
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- Schwimmen: Notwendig ist in der Regel eine eigene Aufsichtsperson, da bei bestimmten Anfallsformen ein lautloses Ertrinken möglich ist.
- Klettern: Klettern am Seil oder der Stange ohne Absicherung über die Höhe der Hilfestellung hinaus sollte vermieden werden.
- Erschütterungen des Kopfes: Kopfbälle sind generell im Kindesalter ungünstig, da es zu Gehirnerschütterungen kommen kann.
Reisen
Auch Familien mit epilepsiekranken Kindern brauchen manchmal einen Tapetenwechsel und möchten in Urlaub fahren. Eine gut bestückte Reiseapotheke mit ausreichend Medikamenten, auch Notfallmedikamenten, deren Inhalt mit dem Arzt abgesprochen ist, trägt viel zu einem entspannten Urlaub bei. Hilfreich ist ein Notfallausweis oder, wenn das Kind schon im Handyalter ist, die nötigsten Daten wie z.B. Diagnose, Medikation und vor allem Telefonnummern der Eltern als Hintergrundbild auf dem Smartphone des Kindes zu speichern.
Inklusion und Teilhabe
Die Inklusion von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen mit Epilepsie in Kita, Schule, Ausbildung, Studium, Freizeit und Berufsleben ermöglicht gleichberechtigte Teilhabe in allen Lebensbereichen. Dafür gibt es verschiedene Hilfen wie z.B. Eingliederungshilfe, Inklusionsassistenz, Schulbegleitung und Assistenzleistungen für die Freizeit.
Nachteilsausgleich
Häufige Anfälle oder die Epilepsie-Medikamente können die Leistungsfähigkeit beeinträchtigen und unkonzentriert, müde oder nervös machen. Um es vor Ausgrenzung zu bewahren, ist es wichtig, dass ein Kind in der Schule gut unterstützt und begleitet wird. Informationen zum Nachteilsausgleich für chronisch kranke oder behinderte Schüler können in den einzelnen Bundesländern an verschiedenen Stellen gefunden werden.
Berufswahl und Studium
Auch für Jugendliche steht irgendwann der Schritt ins Arbeitsleben an. Nicht jede Arbeit ist trotz Epilepsie möglich, weil manchmal eine Selbstgefährdung oder Fremdgefährdung bestehen kann, aber oft können Menschen mit Epilepsie ganz normal arbeiten. Viele Menschen mit einer Epilepsie studieren. Sie können auch Unterstützungsmöglichkeiten in Anspruch nehmen: So können chronisch Kranke und Menschen mit Behinderung über einen sogenannten Härtefallantrag leichter einen Studienplatz bekommen. Zudem gibt es während des Studiums Hilfen wie die sogenannten Nachteilsausgleiche.
Elterliche Sorgen und Unterstützung
Wenn ein Kind an Epilepsie erkrankt, kommen auf die ganze Familie eine Reihe von möglichen Belastungen und Herausforderungen zu. Insbesondere Kinder, die von schweren und häufigen Anfällen betroffen sind, stellen große Ansprüche an die seelischen und körperlichen Kräfte der Eltern, besonders der Mütter. Studien zeigen, dass Eltern eines an Epilepsie erkrankten Kindes über einen hohen Stresslevel berichten und dass Mütter von Kindern mit Epilepsie ein erhebliches Risiko haben, an einer klinischen Depression zu erkranken.
Es ist wichtig, dass Eltern sich Unterstützung suchen und ihre Sorgen und Ängste offen ansprechen. Es gibt verschiedene Anlaufstellen:
- Frühförderstellen: Diese unterstützen Familien medizinisch, psychologisch, bei der Erziehung und im Alltag.
- Sozialpädiatrische Zentren (SPZ): In diesen Zentren arbeiten medizinische und therapeutische Fachkräfte.
- Selbsthilfegruppen: Sie bieten die Möglichkeit zum Austausch mit anderen Betroffenen.
- Epilepsie-Beratungsstellen: Diese beraten, informieren und unterstützen Betroffene und ihre Familien.
- Familienentlastende Dienste (FED): Diese betreuen und begleiten erkrankte und hilfebedürftige Kinder im Alltag.
Die Teilnahme an Schulungsmaßnahmen wie der Epilepsieschulung FLIP & FLAP kann die emotionale Belastung von Eltern reduzieren und damit günstigere Voraussetzungen für einen angemessenen Umgang mit der Epilepsie ihres Kindes schaffen.