Epilepsie, auch Fallsucht genannt, ist eine neurologische Erkrankung, die durch wiederkehrende epileptische Anfälle gekennzeichnet ist. Diese Anfälle entstehen durch plötzliche, unkontrollierte Entladungen von Nervenzellen im Gehirn. Die Auswirkungen eines epileptischen Anfalls können vielfältig sein und reichen von kurzen Bewusstseinsveränderungen bis hin zu schweren Krämpfen. In Deutschland sind schätzungsweise 640.000 Menschen von Epilepsie betroffen.
Was ist ein epileptischer Anfall?
Ein Krampfanfall, auch epileptischer Anfall genannt, tritt auf, wenn Nervenzellen im Gehirn plötzlich und unkontrolliert elektrische Signale abgeben. Diese unkoordinierten Entladungen können zu vorübergehendem Kontrollverlust über Körper und/oder Bewusstsein führen. Betroffene können beispielsweise plötzlich zu Boden sinken, zucken und krampfen.
Wie entstehen Anfälle?
Das Gehirn besteht aus Milliarden von Nervenzellen, die elektrische Signale erzeugen, empfangen und übertragen. Dieses Zusammenspiel ist normalerweise fein aufeinander abgestimmt. Bei Störungen kommt es jedoch zu plötzlichen elektrischen Entladungen, die sich im Körper ausbreiten und krampfartige Zuckungen von Muskelgruppen auslösen können, insbesondere in Armen und Beinen. Diese Zuckungen sind willentlich nicht kontrollierbar. Jede Schädigung des Hirngewebes kann eine spontane Entladung von Nervenzellen und somit einen Krampf verursachen. Bei Säuglingen und Kleinkindern kann hohes Fieber einen Fieberkrampf auslösen.
Ursachen von Epilepsie
Die Ursachen für Epilepsie sind vielfältig und reichen von genetischen Veränderungen bis hin zu erworbenen Hirnschäden.
Genetische Ursachen: Es gibt genetische Veränderungen, die dazu führen, dass Nervenzellen im Gehirn eher dazu neigen, sich spontan synchron zu entladen. Diese Form der Epilepsie tritt häufig im Kindes- oder Jugendalter auf. Eltern können die Anfälligkeit für Krampfanfälle an ihre Kinder weitergeben, auch wenn Epilepsie nicht direkt vererbbar ist. In einigen Fällen können Veränderungen im Erbmaterial (Genmutationen) erkannt werden.
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Erworbene Hirnschäden: Verschiedene Hirnveränderungen können im Laufe des Lebens zu Epilepsie führen. Dazu gehören:
- Schlaganfall
- Schädel-Hirn-Trauma
- Entzündungen des Gehirns (Enzephalitis) oder der Hirnhäute (Meningitis)
- Hirntumoren
- Hirnmissbildungen
- Schädigungen der hirnversorgenden Gefäße (Gefäßfehlbildungen, Engstellungen der Gefäße)
- Störungen des Gehirnstoffwechsels
- Autoimmunerkrankungen des Gehirns
Unbekannte Ursachen: In vielen Fällen kann die genaue Ursache der Epilepsie nicht festgestellt werden. Manchmal findet man keine konkreten Auslöser für die Anfälle, obwohl deutliche Hinweise für eine Ursache im Gehirn vorliegen (kryptogene Epilepsie). Wenn weder krankhafte Veränderungen im Gehirn noch Stoffwechselstörungen nachweisbar sind, spricht man von idiopathischer Epilepsie.
Symptome von Epilepsie
Epileptische Anfälle können sich sehr unterschiedlich äußern. Die Symptome hängen von der Art des Anfalls und dem betroffenen Hirnareal ab. Grundsätzlich wird zwischen fokalen und generalisierten Anfällen unterschieden.
Fokale Anfälle
Bei einem fokalen Anfall ist die Störung auf einen kleinen Bereich in einer der beiden Hirnhälften begrenzt. Die Symptome können vielfältig sein:
- Motorische Symptome: Muskelzuckungen, verkrampfte Gliedmaßen, Muskelschwäche, Automatismen (unwillkürliche, sich wiederholende Bewegungen wie Schmatzen oder Nesteln)
- Sensorische Symptome: Kribbeln, Taubheitsgefühle, Lichtblitze, ungewöhnliche Geräusche oder Gerüche
- Psychische Symptome: Plötzliche Angst, kurze Aussetzer in Sprache oder Gedächtnis, nicht zielgerichtete Verhaltensweisen
- Autonome Symptome: Herzrasen, Schweißausbrüche, Speichelfluss, Übelkeit
Generalisierte Anfälle
Generalisierte Anfälle betreffen beide Hirnhälften gleichzeitig. Auch hier gibt es verschiedene Erscheinungsformen:
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- Absencen: Kurze „Aussetzer“ oder Bewusstseinsstörungen, bei denen die betroffene Person für einige Sekunden abwesend wirkt.
- Tonisch-klonische Anfälle: Der häufigste Typ generalisierter Anfälle. Der Körper wird zunächst steif (tonische Phase), gefolgt von Bewusstseinsverlust und krampfartigen Zuckungen der Arme und Beine (klonische Phase). Zungen- oder Wangenbiss und Einnässen können vorkommen.
- Myoklonische Anfälle: Kurze, zuckende Bewegungen einzelner Muskeln oder Muskelgruppen.
- Atonische Anfälle: Plötzlicher Verlust des Muskeltonus, der zu Stürzen führen kann.
Aura
Manche Patienten berichten vor einem Anfall über eine sogenannte Aura, ein Anfallsvorgefühl. Dieses kann sich als aufsteigendes Unwohlsein, Sprachstörung, Schwindel oder Gedächtnisstörung äußern. In manchen Fällen ist die Aura das einzige spürbare Zeichen eines epileptischen Anfalls.
Diagnose von Epilepsie
Die Diagnose von Epilepsie basiert auf einer sorgfältigen Anamnese, neurologischen Untersuchung und verschiedenen technischen Untersuchungen.
- Anamnese: Der Arzt befragt den Patienten und/oder Augenzeugen des Anfallsereignisses, um detaillierte Informationen über den Ablauf des Anfalls zu erhalten. Wichtige Fragen sind: Welche Vorgefühle gab es? Was hat der Patient selbst von dem Ereignis mitbekommen? Welche sichtbaren Phänomene traten auf?
- Neurologische Untersuchung: Der Arzt untersucht die neurologischen Funktionen des Patienten, um mögliche Ursachen für die Anfälle zu identifizieren.
- EEG (Elektroenzephalogramm): Das EEG misst die Hirnströme und kann zeigen, ob eine Neigung zu epileptischen Anfällen besteht. Je schneller nach einem Anfall ein EEG durchgeführt wird, desto höher sind die Chancen, epilepsietypische Auffälligkeiten aufzuzeichnen.
- MRT (Magnetresonanztomografie): Die MRT des Gehirns kann strukturelle Veränderungen wie Narben, Tumoren oder Fehlbildungen darstellen, die für die Anfälle verantwortlich sein könnten.
- Blutuntersuchung: Die Blutuntersuchung kann helfen, mögliche Ursachen für einen Krampfanfall oder eine Epilepsieerkrankung aufzuspüren, z. B. Entzündungen oder Stoffwechselstörungen. Bestimmte Blutwerte (CK-Wert, Prolaktin) können zur Bestätigung eines Verdachts auf einen Grand-Mal-Anfall herangezogen werden. Bei bekannter Epilepsie sind regelmäßige Blutspiegelkontrollen unverzichtbar, da einige Medikamente den Stoffwechsel von Leber oder Niere beeinflussen.
- Liquordiagnostik: Bei Verdacht auf eine Entzündung des Gehirns oder der Hirnhäute kann eine Untersuchung des Hirnwassers (Liquor) durchgeführt werden.
- Genetische Testung: In manchen Fällen wird eine genetische Testung veranlasst, um genetische Ursachen für die Epilepsie zu identifizieren.
- Neuropsychologische Tests: Einbußen in Gedächtnis und Konzentration durch die Erkrankung oder die Behandlung können erfasst und im Verlauf kontrolliert werden.
- Spezielle Diagnostik: In spezialisierten Einrichtungen stehen weitere bildgebende Verfahren zur Lokalisierung des Epilepsieherdes zur Verfügung, wenn MRT und EEG unauffällig sind.
Behandlung von Epilepsie
Das Ziel der Epilepsie-Behandlung ist die Anfallsfreiheit und die Verbesserung der Lebensqualität. Die Behandlungsmöglichkeiten umfassen:
- Medikamentöse Therapie: Antiepileptika sind dieStandardbehandlung für Epilepsie. Sie wirken, indem sie die Erregbarkeit der Nervenzellen im Gehirn reduzieren und so das Auftreten von Anfällen verhindern. Es gibt eine Vielzahl von Antiepileptika mit unterschiedlichen Wirkmechanismen. Die Wahl des geeigneten Medikaments hängt von der Art der Epilepsie, dem Alter des Patienten und anderen individuellen Faktoren ab. Bei etwa 70 Prozent der Patienten können die Anfälle mit Medikamenten gut kontrolliert werden. Oft reicht ein einzelnes Medikament aus, manchmal ist eine Kombination von zwei oder mehr Medikamenten erforderlich.
- Wichtig: Antiepileptika sollten nur in Absprache mit dem behandelnden Neurologen um- oder abgesetzt werden.
- Chirurgische Therapie: Bei Patienten mit fokalen Epilepsien, bei denen die Anfälle von einem bestimmten Bereich im Gehirn ausgehen, kann eine Operation in Erwägung gezogen werden. Ziel der Operation ist es, den Epilepsieherd vollständig zu entfernen, ohne wichtige Gehirnfunktionen zu schädigen. Eine frühe Entscheidung für eine Operation kann den weiteren Lebensverlauf eines Patienten sehr positiv beeinflussen.
- Neurostimulation: Bei Patienten, bei denen Medikamente und Operationen nicht ausreichend wirksam sind, können Neurostimulationsverfahren eingesetzt werden.
- Vagusnervstimulation (VNS): Bei der VNS wird ein Schrittmacher-ähnliches Gerät unter die Haut im Brustbereich implantiert. Das Gerät sendet elektrische Impulse an den Vagusnerv im Hals, der diese Impulse ins Gehirn weiterleitet. Die VNS kann die Anfallshäufigkeit reduzieren und die Lebensqualität verbessern.
- Tiefe Hirnstimulation (THS): Bei der THS werden Elektroden in bestimmte Hirnbereiche operativ eingepflanzt, die regelmäßig elektrische Impulse aussenden und damit eine Verbesserung der Anfallssituation erzielen können.
- Transkutane Vagusnervstimulation (T-VNS): Bei der T-VNS wird der Vagusnerv über die Ohrmuschel stimuliert.
- Ketogene Diät: In einigen Fällen, insbesondere bei Kindern mit bestimmten Formen von Epilepsie, kann eine ketogene Diät helfen, die Anfallshäufigkeit zu reduzieren. Die ketogene Diät ist eine sehr fettreiche, kohlenhydratarme Diät, die den Körper in einen Zustand der Ketose versetzt.
Erste Hilfe bei einem epileptischen Anfall
Wenn jemand einen epileptischen Anfall hat, ist es wichtig, Ruhe zu bewahren und die Person vor Verletzungen zu schützen.
- Ruhe bewahren: Bleiben Sie ruhig und besonnen.
- Sicherheit gewährleisten: Entfernen Sie gefährliche Gegenstände aus der Umgebung.
- Kopf schützen: Polstern Sie den Kopf des Betroffenen ab.
- Enge Kleidung lockern: Lockern Sie enge Kleidung am Hals, um die Atmung zu erleichtern.
- Nicht festhalten: Versuchen Sie nicht, den Betroffenen festzuhalten oder zu Boden zu drücken.
- Nichts in den Mund schieben: Versuchen Sie nicht, dem Betroffenen etwas in den Mund zu schieben, auch wenn er sich auf die Zunge beißt.
- Notruf wählen: Rufen Sie den Notruf (112), wenn der Anfall länger als fünf Minuten dauert, sich mehrere Anfälle kurz hintereinander ereignen oder der Betroffene sich verletzt hat.
- Nach dem Anfall: Bleiben Sie nach dem Anfall bei der Person und bieten Sie Ihre Unterstützung an. Wenn die Person erschöpft ist und einschläft, bringen Sie sie in die stabile Seitenlage.
Leben mit Epilepsie
Epilepsie kann den Alltag der Betroffenen und ihrer Familien stark beeinflussen. Es ist wichtig, sich umfassend über die Erkrankung zu informieren und sich Unterstützung zu suchen.
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- Auslöser vermeiden: Identifizieren Sie mögliche Auslöser für Anfälle und vermeiden Sie diese. Häufige Auslöser sind Schlafmangel, Stress, Alkohol und flackerndes Licht.
- Medikamente regelmäßig einnehmen: Nehmen Sie Ihre Medikamente regelmäßig und wie verordnet ein.
- Fahrverbot beachten: Beachten Sie die gesetzlichen Bestimmungen zum Führen von Kraftfahrzeugen. In der Regel ist nach einem ersten Anfall die Fahreignung nicht mehr gegeben.
- Sicherheitsvorkehrungen treffen: Treffen Sie Sicherheitsvorkehrungen, um Verletzungen bei einem Anfall zu vermeiden. Tragen Sie beispielsweise beim Sport einen Helm. Vermeiden Sie es, alleine zu schwimmen oder zu baden.
- Unterstützung suchen: Sprechen Sie mit Ihrem Arzt, Ihrer Familie oder Freunden über Ihre Erkrankung. Es gibt auch Selbsthilfegruppen für Menschen mit Epilepsie, in denen Sie sich austauschen und Unterstützung finden können.
- Berufswahl: Bei der Berufswahl muss die neurologische Erkrankung mit in die Überlegungen einfließen, da nicht jede Arbeit mit Epilepsie verrichtet werden kann.
- Psychotherapie: Bei psychischen Belastungen durch die Erkrankung kann eine Psychotherapie hilfreich sein.
Prognose von Epilepsie
Die Prognose von Epilepsie ist sehr unterschiedlich und hängt von der Art der Epilepsie, der Ursache und dem Ansprechen auf die Behandlung ab. Bei vielen Patienten können die Anfälle mit Medikamenten gut kontrolliert werden. Etwa 50 Prozent der Betroffenen gelten nach 10 Jahren ohne Anfall und 5 Jahren ohne Medikamente als geheilt. Auch wenn keine vollständige Anfallsfreiheit erreicht werden kann, können viele Menschen mit Epilepsie ein erfülltes Leben führen.
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