Epilepsie Ursachen: Gendefekte im Fokus

Epilepsie ist eine neurologische Erkrankung, die durch wiederholte unprovozierte Anfälle gekennzeichnet ist. Diese Anfälle entstehen durch plötzliche, unkontrollierte elektrische Entladungen im Gehirn. Die Ursachen für Epilepsie sind vielfältig und reichen von strukturellen Schäden im Gehirn bis hin zu genetischen Defekten. Dieser Artikel beleuchtet insbesondere die Rolle von Gendefekten bei der Entstehung von Epilepsie.

Epidemiologie und Genetik der Epilepsie

Epilepsien treten mit einer Häufigkeit von 0,5 bis 1 % auf, wobei fast die Hälfte bereits im Kindesalter beginnt. Man schätzt, dass mindestens 50 % der Epilepsien genetisch bedingt sind. In den meisten Fällen ist die Ursache multifaktoriell bzw. polygen, d. h., mehrere Gene und Umweltfaktoren spielen zusammen. Nur 1 bis 2 % der sogenannten idiopathischen Epilepsien folgen einem monogenen Erbgang, bei dem ein einzelnes Gen für die Erkrankung verantwortlich ist.

Genetische Epilepsien: Vielfalt und Komplexität

Der Begriff "genetische Epilepsie" ist nicht gleichbedeutend mit "Erbkrankheit". Die wenigsten Epilepsien werden als Gendefekt ererbt. Mittels genetischer Diagnostik können selten Abweichungen der Chromosomenzahl (z. B. Trisomie 21) festgestellt werden. Größere Verluste von genetischem Material oder ein abnormer Zugewinn (copy number variations) können mit der sogenannten Array-CGH festgestellt werden. Meist sind dann mehrere bis viele verschiedene Gene betroffen. In aller Regel sind diese Veränderungen schicksalhaft spontan entstanden und nicht ererbt.

Monogene Epilepsien

Bei den monogenen Epilepsien führt eine Mutation in einem einzelnen Gen zu einer Übererregbarkeit der Nervenzellen. Es sind über 500 Gene bekannt, deren Mutation zur Epilepsie führen kann. Diese Gene können im Labor einzeln oder im Rahmen der modernen Abklärung alle gleichzeitig untersucht werden (Next-Generation Sequencing, NGS).

Polygenetische Epilepsien

Bei den meisten Menschen mit genetischer Epilepsie sind die Ergebnisse der Mutationssuche normal. Die exakte Ursache bleibt unklar. In den meisten dieser Fälle ist es so, dass gar nicht ein einziges, für das Gehirn wichtiges Gen krankhaft mutiert ist, sondern eine kritische Anzahl an Genen minimale Varianten ihrer Aktivität zeigen, die jede für sich eigentlich noch normal sind (Normvarianten). Dabei funktioniert das eine Gen vielleicht ein bisschen zu stark und ein anderes ein bisschen zu wenig. Erst die Kombination dieser Veränderungen führt dann zur Krankheit. Diese Veranlagung nennt man „polygenetisch“.

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Formen genetisch bedingter Epilepsien

Genetische Defekte können verschiedene Formen von Epilepsie verursachen, darunter:

  • Epileptische Enzephalopathien des Kindesalters (EIEE): Diese beginnen früh, zeigen einen schweren Verlauf, sind oft therapieschwierig und gehen mit einer Störung der kognitiven Entwicklung und weiteren Komorbiditäten einher.
  • Idiopathische generalisierte Epilepsien (IGE): Hier erlaubt der Nachweis einer pathogenen Variante in einem der aufgeführten Gene häufig nur den Schluss auf ein erhöhtes Risiko, eine Epilepsie zu entwickeln (Suszeptibilitätsfaktoren).
  • Dravet-Syndrom: Eine der häufigsten schweren frühkindlichen Formen der Epilepsie, die in rund 80 Prozent der Fälle auf einer zufälligen Veränderung des Gens SCN1A beruht.
  • Familiäre Frontallappenepilepsie mit nächtlichen Anfällen und familiär auftretende Temporallappenepilepsie mit Auren: Für diese seltenen fokalen Epilepsieformen sind genetische Ursachen bekannt.

Dravet-Syndrom: Ein Beispiel für eine genetisch bedingte Epilepsie

Das Dravet-Syndrom ist eine schwere Form der frühkindlichen Epilepsie, die meist im ersten Lebensjahr auftritt. Die Kinder entwickeln sich zunächst normal, bis sie im Alter von 3 bis 9 Monaten den ersten epileptischen Anfall erleiden. Dieser tritt häufig in Verbindung mit Fieber auf. Später können die Anfälle auch durch Übermüdung, Gefühlsausbrüche oder Infektionen ausgelöst werden und lassen sich häufig nur schwer bis gar nicht mit Medikamenten behandeln. Nach Krankheitsbeginn verlangsamt sich in den meisten Fällen die Entwicklung. Es kommt zu einer Sprachverzögerung, aber auch Gangstörungen oder Verhaltensauffälligkeiten. Die Mehrzahl der Kinder leidet im weiteren Verlauf an einer geistigen Behinderung.

In rund 80 Prozent der Fälle beruht die Erkrankung auf einer zufälligen Veränderung des Gens SCN1A. In Folge ist ein Natriumkanal im Gehirn nicht mehr gut durchlässig. Wie genau dieser Funktionsverlust zu epileptischen Anfällen führen kann, wird derzeit noch erforscht.

KCNA2-assoziierte Epilepsie

Eine weitere Form der frühkindlichen Epilepsie wird durch Mutationen im KCNA2-Gen verursacht. Diese Mutationen führen zu geschädigten Kaliumkanälen im Gehirn, die für die Weiterleitung elektrischer Signale wichtig sind. In manchen Unterformen der Erkrankung führt die Genmutation zu einer gesteigerten Aktivität des Kanals (Gain-of-Function-Mutation).

Diagnostik genetischer Epilepsien

Die diagnostische Abklärung von Epilepsien umfasst in der Regel eine detaillierte Anamnese, eine neurologische Untersuchung, ein EEG (Elektroenzephalogramm) und bildgebende Verfahren wie die Magnetresonanztomographie (MRT). Bei Verdacht auf eine genetische Ursache kann eine genetische Diagnostik durchgeführt werden.

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Genetische Testverfahren

  • Chromosomenanalyse: Zum Nachweis von Abweichungen der Chromosomenzahl.
  • Array-CGH: Zum Nachweis von größeren Verlusten oder Zugewinnen von genetischem Material (Copy Number Variations).
  • Next-Generation Sequencing (NGS): Ermöglicht die parallele Analyse vieler Gene oder des gesamten Exoms (alle proteinkodierenden Bereiche des Genoms) oder Genoms.

Bedeutung der genetischen Diagnostik

Die Kenntnis über genetische Ursachen von Epilepsien kann vor weiteren, unnötigen und häufig belastenden diagnostischen Maßnahmen schützen, eine genetische Beratung ermöglichen, zur Therapieoptimierung dienen und eine gewisse Einordnung der Prognose erlauben. In der Regel sollte bereits vor Einleitung genetischer Untersuchungen eine Vorstellung bei einem Humangenetiker erfolgen. Hier können in enger Abstimmung mit dem behandelnden Epileptologen die Notwendigkeit und Auswahl genetischer Untersuchungen geklärt werden und Patient und Eltern über deren Grundlagen sowie mögliche Ergebnisse aufgeklärt werden.

Therapie genetischer Epilepsien

Die Therapie der Epilepsie zielt in erster Linie darauf ab, die Anfälle zu kontrollieren und die Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern. In den meisten Fällen werden antiepileptische Medikamente eingesetzt. Bei einigen genetisch bedingten Epilepsieformen gibt es spezifische Therapieansätze.

Spezifische Therapieansätze

  • Ketogene Diät: Bei Patienten mit einer Störung des Glukose-Transporters (GLUT1-Defizienz) kann die ketogene Diät eine spezifische Therapiemöglichkeit darstellen, da hierbei Ketonkörper statt Zucker die Energieversorgung des Gehirns übernehmen.
  • 4-Aminopyridin: Bei Patientinnen und Patienten mit einer KCNA2-Enzephalopathie mit Gain-of-Function-Mutation kann der Wirkstoff 4-Aminopyridin eingesetzt werden, um die Überaktivität der Kaliumkanäle zu hemmen.

Personalisierte Medizin

Selten kann das Wissen um den Mechanismus, dessen Störung zur Epilepsie führt, einen personalisierten Therapieansatz ermöglichen („Präzisionsmedizin“). Wenn es sich bei dem betroffenen Gen um eines handelt, dass nur in einer bestimmten Phase der Hirnentwicklung wichtig ist, kann es sein, dass die Epilepsie nach dieser Zeit ausheilt. Andere Gene spielen lebenslang eine wichtige Rolle und eine Ausheilung der Epilepsie ist bei einer entsprechenden Mutation dann unwahrscheinlich.

Forschung und Ausblick

Die Erforschung der genetischen Ursachen von Epilepsien ist ein wichtiger Schwerpunkt der aktuellen Forschung. Neue Methoden ermöglichen die Untersuchung mehrerer Gene oder gar der Gesamtheit aller Gene in kurzer Zeit (sogenannte Gen-Panel-Analysen und Exom- oder Genom-Sequenzierungen). Problematisch ist aktuell häufig noch die Einordnung der Ergebnisse, da nach dem bekannten Motto „wer suchet, der findet“ zwar viele Veränderungen identifiziert werden können, deren Bedeutung für die Epilepsie aber erst in aufwendigen weiteren Untersuchungsschritten geklärt werden muss. Eine sehr wichtige Entwicklung der letzten Jahre ist dafür die zunehmende Zusammenarbeit und Vernetzung von Forschern weltweit, die so Kräfte bündeln und die Erforschung genetischer Ursachen von Epilepsien vorantreiben können.

Zunehmend gelingt die Übertragung der neuen Methoden und der Kenntnisse über verantwortliche Gene in die klinische Arbeit und genetische Diagnostik. Schwierig ist aktuell noch die Nutzung des neu erworbenen Wissens für Entscheidungen zur Therapieoptimierung oder gar die Entwicklung neuer Therapien. Einzelne Beispiele machen hier aber Mut für die nähere und fernere Zukunft.

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Genetische Beratung

Auch Patienten, für die eine genetische Testung nicht in Frage kommt, sollten einer genetischen Beratung zugeführt werden. Bei betroffenen Patienten und in den Familien existieren häufig Fehleinschätzungen hinsichtlich des Risikos einer Vererbung der Epilepsie. Daher sollen Patienten oder Patienteneltern spätestens bei bestehendem Kinderwunsch über das Wiederholungsrisiko aufgeklärt werden und damit Klarheit über das tatsächliche Risiko erhalten.

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