Epilepsie ist eine neurologische Erkrankung, von der in Deutschland etwa 800.000 Menschen betroffen sind. Die Behandlung erfolgt in der Regel mit Antikonvulsiva, die darauf abzielen, Krampfanfälle zu verhindern. Die Auswahl des geeigneten Medikaments und der richtigen Dosierung kann jedoch eine Herausforderung darstellen. Wenn ein Patient mit einem bestimmten Medikament anfallsfrei ist, stellt sich die Frage, ob ein Wechsel des Medikaments, beispielsweise auf ein Generikum, sinnvoll ist. Dieser Artikel beleuchtet die Risiken, die mit einem solchen Medikamentenwechsel verbunden sein können, und gibt Empfehlungen für Patienten und Ärzte.
Epilepsie und ihre Behandlung
Epilepsie ist durch wiederkehrende Krampfanfälle gekennzeichnet. Diese Anfälle entstehen durch eine abnorme elektrische Aktivität im Gehirn. Antikonvulsiva wirken, indem sie diese Aktivität stabilisieren und so Anfälle verhindern. Es gibt verschiedene Arten von Antikonvulsiva, die auf unterschiedliche Weise wirken. Die Wahl des geeigneten Medikaments hängt von der Art der Epilepsie, dem Alter des Patienten, Begleiterkrankungen und anderen Faktoren ab.
Die medikamentöse Behandlung führt bei etwa zwei Dritteln der Patienten zu einer langfristigen Anfallsfreiheit. In diesen Fällen ist es wichtig, die erfolgreiche Therapie nicht unnötig zu gefährden.
Das Dilemma des Medikamentenwechsels
"Never change a running system"
Das Motto "Never change a running system" gilt besonders für Epilepsie-Patienten. Wenn ein Patient mit einem bestimmten Antikonvulsivum gut eingestellt ist, d.h. anfallsfrei ist und keine unzumutbaren Nebenwirkungen auftreten, sollte von einem Wechsel der Medikation abgesehen werden. Dies gilt nicht nur für den Wechsel zwischen verschiedenen Wirkstoffen, sondern auch für den Wechsel zwischen Präparaten verschiedener Hersteller mit dem gleichen Wirkstoff.
Wirtschaftlichkeitsgebot vs. Patientenwohl
In der Realität stehen Ärzte jedoch oft vor einem Dilemma. Einerseits sind sie aufgrund des Wirtschaftlichkeitsgebots angehalten, kostengünstige Medikamente zu verschreiben. Andererseits kann ein Medikamentenwechsel das Risiko von Anfallsrezidiven erhöhen, was dem Patientenwohl zuwiderläuft.
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Die Risiken eines Medikamentenwechsels
Erhöhtes Anfallsrisiko
Eine Studie mit rund 3.500 Epilepsie-Patienten in Deutschland hat gezeigt, dass ein Wechsel des Präparats auf ein Medikament eines anderen Herstellers mit dem gleichen Wirkstoff das Risiko eines erneuten Anfalls deutlich erhöht. Bei Patienten, die ihr Präparat umstellten, traten Anfälle mit einer Wahrscheinlichkeit von 26,8 % wieder auf, verglichen mit 14,2 % bei Patienten, die beim gleichen Präparat blieben.
Eine landesweite Auswertung von über 30.000 Epilepsie-Patienten ergab, dass sich das Risiko von wiederauftretenden epileptischen Anfällen bei bis dato anfallsfreien Patienten nach Wechsel auf die gleiche Substanz eines anderen Herstellers um über 30% erhöhte. Davon schienen insbesondere ältere Patienten betroffen zu sein.
Mögliche Ursachen
Die Gründe für das erhöhte Anfallsrisiko sind vielfältig. Obwohl Generika den gleichen Wirkstoff wie das Originalpräparat enthalten, können sie sich in den Hilfsstoffen unterscheiden. Auch das Aussehen, die Größe oder die Darreichungsform der Tabletten können variieren. Dies kann zu Verwechslungen und Einnahmefehlern führen, insbesondere bei älteren Patienten oder bei Patienten, die mehrere Medikamente gleichzeitig einnehmen.
- Schwankungen in der Bioverfügbarkeit: Generische Produkte dürfen hinsichtlich der Bioverfügbarkeit (Blutspiegel) Abweichungen von bis zu 25 % nach oben und bis zu 20 % nach unten aufweisen. Entsprechende Änderungen der Wirkstoffkonzentration im Blut können sich bei der Therapie von Epilepsien besonders bemerkbar machen, da die optimale Dosierung für jeden Patienten sehr sorgfältig individuell eingestellt wird.
- Adhärenz-Probleme: Eine Veränderung der Erscheinungsform der Tablette oder der Verpackung kann zu Adhärenz-Problemen führen, insbesondere wenn die Patienten nicht ausreichend über die Hintergründe des Wechsels informiert sind.
Auswirkungen eines erneuten Anfalls
Ein erneuter Anfall kann erhebliche Auswirkungen auf das Leben der Patienten haben. Sie dürfen beispielsweise über längere Zeit kein Auto fahren oder können in ihrer Berufsausübung eingeschränkt sein. Auch psychosoziale Folgen sind möglich.
Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Epileptologie (DGfE)
Die Deutsche Gesellschaft für Epileptologie (DGfE) hat eine Stellungnahme zu diesem Thema veröffentlicht und gibt folgende Empfehlungen:
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- Herstellerwechsel vermeiden: Insbesondere bei anfallsfreien Patienten sollte ein Wechsel des Herstellers möglichst vermieden werden.
- Aut-idem-Feld nutzen: Ärzte sollten das Aut-idem-Feld auf dem Rezept nutzen, um einen Austausch des Medikaments durch ein anderes wirkstoffgleiches Medikament eines anderen Herstellers auszuschließen.
- Patienten aufklären: Falls ein Wechsel notwendig ist, sollte der behandelnde Arzt den Patienten über die Gründe des Wechsels und mögliche Auswirkungen informieren. Er sollte betonen, dass eine Veränderung der Erscheinungsform der Tablette keine pharmakologischen Auswirkungen hat.
- Blutspiegelkontrollen: Vor und nach dem Präparatewechsel können Blutspiegelkontrollen (Therapeutisches Drug Monitoring, TDM) sinnvoll sein, um die Adhärenz zu prüfen und die Dosierung gegebenenfalls anzupassen.
- Keine Rabattverträge: Die DGfE kritisiert Rabattverträge für Antikonvulsiva, da diese dazu führen können, dass nicht mehr kontrollierbar ist, welches Medikament der Patient erhält.
- Aufklärung durch Apotheker: Apotheker können durch eine entsprechende Beratung zur Adhärenz-Steigerung beitragen.
Was können Patienten tun?
- Offene Kommunikation mit dem Arzt: Sprechen Sie mit Ihrem Arzt über Ihre Bedenken bezüglich eines Medikamentenwechsels. Fragen Sie nach den Gründen für den Wechsel und möglichen Alternativen.
- Aufklärung über das neue Medikament: Informieren Sie sich genau über das neue Medikament, insbesondere über Aussehen, Dosierung und Einnahmehinweise.
- Sorgfältige Einnahme: Achten Sie auf eine sorgfältige und regelmäßige Einnahme des Medikaments.
- Beobachtung: Beobachten Sie sich aufmerksam und informieren Sie Ihren Arzt, wenn Sie Veränderungen feststellen, z.B. vermehrte Müdigkeit, Schwindel oder andere Nebenwirkungen.
- Nicht eigenmächtig handeln: Setzen Sie das Medikament niemals eigenmächtig ab oder verändern Sie die Dosierung.
Studienlage und Kontroversen
Die Frage, ob ein Wechsel zwischen Generika bei Epilepsie-Medikamenten unbedenklich ist, ist Gegenstand aktueller Forschung und Diskussionen. Während einige Studien ein erhöhtes Anfallsrisiko nach einem Wechsel zeigen, kommen andere Studien zu dem Schluss, dass es keine signifikanten Unterschiede in Bezug auf Anfallskontrolle und Nebenwirkungen gibt.
EQUIGEN-Studie
Eine Studie, die in Lancet Neurology veröffentlicht wurde, untersuchte die Auswirkungen des Wechsels zwischen verschiedenen Generika des Antiepileptikums Lamotrigin. Die Ergebnisse zeigten keine Auswirkungen auf die Wirkstoffspiegel oder die Anzahl der epileptischen Episoden.
Bedenken und Nocebo-Effekt
Trotz dieser Ergebnisse bleiben Bedenken bestehen, insbesondere hinsichtlich der Bioäquivalenz und der möglichen Auswirkungen auf die Adhärenz. Einige Forscher vermuten, dass frühere Berichte über Probleme beim Wechsel auf Generika auf einen Nocebo-Effekt zurückzuführen sein könnten, bei dem eine negative Erwartungshaltung das Auftreten oder die Wahrnehmung von Nebenwirkungen oder Wirkungsverlusten begünstigt.
Absetzen von Antikonvulsiva
Nutzen und Risiken
Auch wenn mithilfe von ASM eine langjährige Anfallsfreiheit erreicht wird, spricht man nicht von einer „Heilung“ der Erkrankung. Eine Epilepsie gilt als überwunden (oder „ausgestanden“, „abgeklungen“ - im englischen Original „resolved“), wenn Patientinnen 10 Jahre anfallsfrei waren und mindestens in den letzten 5 Jahre kein ASM eingenommen haben. Wesentlich für anfallsfreie Patientinnen ist die Frage, ob und wann ein ASM abgesetzt werden kann. Das Absetzen eines ASM sollte nach einer sorgfältigen Nutzen-Risiko-Abwägung gemeinsam von Ärztin und Patientin entschieden werden.
Der Nutzen des Absetzens eines ASM kann in einem Wegfall etwaiger Nebenwirkungen und Wechselwirkungen und somit in der Verbesserung der Lebensqualität bestehen. Nebenwirkungen bei der Langzeitbehandlung mit ASM können neuropsychologische und -psychiatrische (kognitive Beeinträchtigung, Depressionen, Reizbarkeit), neurologische (Schwindel, Doppelbilder, Tremor) als auch allgemeine, z. B. internistische (Übelkeit, Leberschädigungen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen) oder teratogene Aspekte umfassen.
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Den dargestellten Nutzen stehen Risiken eines Absetzversuchs gegenüber, die durch das Auftreten eines erneuten epileptischen Anfalls und die damit verbundenen Folgen entstehen. Neben den unmittelbaren Risiken jedes epileptischen Anfalls (u. a. Verletzungen, Sturz) können auch psychosoziale Folgen (z. B. Stigmatisierung, Verlust des Arbeitsplatzes) oder Einschränkungen der Lebensqualität (z. B. Verlust der Fahreignung) auftreten. Darüber hinaus besteht die Gefahr, dass Patient*innen mit einem Anfallsrezidiv nach dem Absetzen von ASM trotz erneuter Einnahme nicht wieder anfallsfrei werden.
Studien zum Rezidivrisiko
Die Evidenzlage hinsichtlich des Risikos für ein Anfallsrezidiv nach dem Absetzen von ASM im Vergleich zur Fortführung von ASM ist bei erwachsenen Patientinnen mit Epilepsie gering. Es gibt zwei randomisierte kontrollierte Studien, in beiden Studien war ein anfallsfreies Intervall vor dem Absetzen des ASM in Monotherapie von mindestens 2 Jahren gefordert. Der Anteil der Patientinnen mit einem Anfallsrezidiv betrug 24 Monate nach Absetzen des ASM 41 %, unter Weitereinnahme des ASM lag das Risiko bei 22 %. Bei den 79 Patient*innen, bei denen das ASM abgesetzt wurde, betrug die Rate an Anfallsrezidiven nach 12 Monaten 15 %, unter Fortführung des ASM (n = 81) lag diese bei 7 %.
Risikofaktoren für ein Anfallsrezidiv
In einer Metaanalyse wurden acht unabhängige Risikofaktoren für ein Anfallsrezidiv identifiziert:
- Längere Dauer der Epilepsie bis zur klinischen Remission
- Höhere Anzahl epileptischer Anfälle bis zur klinischen Remission
- Kürzeres anfallsfreies Intervall bis zum Absetzen
- Höheres Lebensalter bei Krankheitsbeginn
- Entwicklungsverzögerung bzw. geistige Behinderung
- Fokale Anfälle
- Pathologisches EEG
- Symptomatische Epilepsie
Vorgehensweise beim Absetzen
Patient*innen sollten darüber aufgeklärt werden, dass ASM nur nach ärztlicher Rücksprache abgesetzt werden sollten, um das Risiko für einen Status epilepticus oder Entzugsanfälle zu minimieren. Belastbare Daten für Erwachsene zur Dauer der Dosisreduktion bis zum Absetzen des ASM fehlen bislang. Einige ASM weisen jedoch entweder wegen Gewöhnung (GABAerge Substanzen wie Benzodiazepine, Phenobarbital, Primidon) oder aufgrund ihres Wirkmechanismus (Vigabatrin als irreversibler Hemmstoff der GABA-Transaminase) bei schneller Reduktion der Dosis oder sofortigem Absetzen ein erhöhtes Risiko für Entzugsanfälle auf.
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