Mit zunehmendem Alter lässt die kognitive Leistungsfähigkeit des Gehirns nach, was den Weg für Demenzerkrankungen ebnen kann. Die Suche nach Möglichkeiten, diesen Prozess zu verlangsamen oder umzukehren, ist ein zentrales Anliegen der Forschung. Jüngste Studien deuten darauf hin, dass Cannabis, insbesondere seine Inhaltsstoffe THC und CBD, eine vielversprechende Rolle bei der Behandlung von Alzheimer spielen könnten. Dieser Artikel beleuchtet die aktuellen Forschungsergebnisse, diskutiert die potenziellen Vorteile und Risiken und gibt einen Ausblick auf zukünftige klinische Studien.
Altersbedingter Abbau der kognitiven Fähigkeiten und die Rolle von Cannabis
Wie jedes andere Organ altert auch unser Gehirn, was zu einem natürlichen Abbau der kognitiven Fähigkeiten führt. Dies äußert sich beispielsweise in Schwierigkeiten beim Erlernen neuer Informationen oder der Konzentration auf mehrere Aufgaben gleichzeitig. Dieser Prozess ist zwar normal, kann aber auch die Entwicklung von Demenzerkrankungen begünstigen.
Forscher der Universität Bonn und der Hebrew Universität Jerusalem (Israel) haben in einer Studie mit Mäusen vielversprechende Ergebnisse erzielt. Sie verabreichten den Tieren über einen Zeitraum von vier Wochen geringe Mengen THC, den aktiven Inhaltsstoff der Hanfpflanze (Cannabis). Die Ergebnisse zeigten, dass die kognitiven Funktionen der mit Cannabis behandelten Mäuse genauso gut waren wie die von jungen Kontrolltieren. "Die Behandlung kehrte den Leistungsverlust der alten Tiere wieder komplett um", berichtete Prof. Dr. Andreas Zimmer von der Universität Bonn.
Die Rolle des Cannabinoidsystems im Gehirn
Die Wissenschaftler fanden heraus, dass das Gehirn schneller altert, wenn Mäuse keinen funktionsfähigen Rezeptor für THC besitzen, sogenannte Cannabinoid 1 (CB1) Rezeptoren. Diese Rezeptoren sind Proteine, an die Substanzen andocken und dadurch eine Signalkette auslösen. THC ahmt die Wirkung von körpereigenen Cannabinoiden nach, die wichtige Funktionen im Gehirn erfüllen. "Mit steigendem Alter verringert sich die Menge der im Gehirn natürlich gebildeten Cannabinoide", sagt Prof. Zimmer. "Wenn die Aktivität des Cannabinoidsystems abnimmt, dann finden wir ein rasches Altern des Gehirns."
Die Forscher untersuchten das Gehirngewebe und die Genaktivität der behandelten Mäuse. Die Ergebnisse zeigten, dass die molekulare Signatur nicht mehr der von alten Tieren entsprach, sondern vielmehr jungen Tieren sehr ähnlich war. Auch die Anzahl der Verknüpfungen der Nervenzellen im Gehirn nahm wieder zu. "Es sah so aus, als hätte die THC-Behandlung die molekulare Uhr wieder zurückgesetzt", sagt Zimmer.
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Klinische Studien mit CBD-Öl bei Alzheimer-Demenz
Eine weitere Studie untersuchte die Wirksamkeit von CBD-Öl bei Erwachsenen mit neuropsychiatrischen Symptomen (NPS) als Folge von Alzheimer-Demenz. NPS wie Halluzinationen, Angstzustände, Unruhe oder Apathie und Reizbarkeit können für pflegende Angehörige sehr belastend sein.
Die Ergebnisse der Studie, die im September 2024 veröffentlicht wurde, zeigten, dass CBD-Öl bei einer Tagesdosis von bis zu 111 mg als wirksam und sicher bei der Behandlung von NPS bewertet werden kann. Die Wirkung zeigte sich insbesondere in Bezug auf die Reduktion von Halluzinationen, Angstzustände, Unruhe, Apathie und Reizbarkeit. Auch die pflegenden Angehörigen profitierten von der Therapie, da sich die Pflegebelastung und der Stress verringerten.
Cannabis zur Linderung von Begleiterscheinungen und zur Verbesserung der Lebensqualität
Cannabis hat die Fähigkeit, sich positiv auf den Haushalt der Botenstoffe im Endocannabinoidsystem von Alzheimer-Patienten auszuwirken. Zusätzlich lassen sich mit Cannabis Stimmungsschwankungen abfedern und psychische Probleme lindern, was in der Pflege von Alzheimer-Patienten eine deutliche Erleichterung bedeutet. Medizinisches Cannabis wird von Alzheimer-Patienten relativ gut vertragen.
Eine israelische Studie zeigte, dass medizinisches Cannabis einen hohen Wirkungsgrad bei der Reduktion von Schlafstörungen, Agitiertheit und Aggressionen aufwies. Wichtig ist dabei, dass positive Effekte erst nach 14 Wochen einsetzten und die Wirksamkeit von der Dosis abhängt.
Mögliche Risiken und Nebenwirkungen
Es gibt jedoch auch Risiken und Nebenwirkungen, die bei der Anwendung von Cannabis bei Demenz berücksichtigt werden müssen. Marihuana kann das Gleichgewichtsgefühl beeinträchtigen und dadurch vor allem das Sturzrisiko unter älteren Demenzkranken erhöhen. Schwindelgefühle könnten die kognitiven Funktionen von Alzheimer-Patienten noch weiter schwächen.
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Eine Studie aus dem Jahr 2021 deutet darauf hin, dass intensiver Cannabiskonsum mit einem erhöhten Risiko für eine spätere Demenzdiagnose verbunden sein könnte. Die Studie untersuchte Fälle, bei denen der Cannabiskonsum so stark war, dass eine Notaufnahme oder ein stationärer Krankenhausaufenthalt erforderlich wurde. Die Ergebnisse zeigten, dass Personen, die wegen ihres Cannabiskonsums akut medizinische Hilfe benötigten, in den Folgejahren ein deutlich höheres Risiko hatten, an Demenz zu erkranken.
Zukünftige Forschung und klinische Studien
Die Forscher wollen im nächsten Schritt in einer klinischen Studie untersuchen, ob THC auch beim Menschen Alterungsprozesse des Gehirns umkehren und die kognitive Leistungsfähigkeit wieder steigern kann. Geplant sind Studien mit Menschen, die eine leichte Altersdemenz oder eine beginnende Alzheimer-Demenz haben.
Die Studienautoren der US-amerikanischen Studie zur Behandlung von Agitation streben eine weitere Studie an, in der die Anzahl an Probanden erhöht und Dronabinol über einen längeren Zeitraum verabreicht werden soll. Nach Abschluss der nächsten, größeren Studie lassen sich noch klarere Aussagen zur Wirksamkeit und Anwendbarkeit treffen.
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