Epilepsie, umgangssprachlich auch als Krampfleiden bekannt, ist eine chronische Erkrankung des Gehirns, die durch wiederholte, unprovozierte Anfälle gekennzeichnet ist. Der Verlauf dieser Erkrankung kann je nach Ursache, Alter bei Beginn, Anfallsart und angewandter Behandlung stark variieren. Obwohl die meisten Menschen mit Epilepsie an den gleichen Ursachen sterben wie der Rest der Bevölkerung, wie z.B. Krebs, Herzkrankheiten oder Schlaganfällen, gibt es doch eine nicht unerhebliche Anzahl von Todesfällen, die direkt mit der Epilepsie in Verbindung stehen. Dies führt zu einer leicht erhöhten Sterblichkeit bei Menschen mit Epilepsie im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung. Diese erhöhte Sterblichkeit kann verschiedene Ursachen haben, darunter tödliche Verletzungen während eines Anfalls, Ertrinken während eines Anfalls, ein Status epilepticus und eine höhere Suizidrate, ähnlich wie bei vielen anderen chronischen Erkrankungen. Eine wichtige und oft übersehene Ursache für epilepsiebedingte Todesfälle ist der plötzliche unerwartete Tod bei Epilepsie, im Englischen als Sudden Unexpected Death in Epilepsy (SUDEP) bezeichnet.
SUDEP: Was ist das?
SUDEP steht für "Sudden Unexpected Death in Epilepsy", was auf Deutsch plötzlicher unerwarteter Tod bei Epilepsie bedeutet. SUDEP beschreibt plötzliche und unerwartete Todesfälle bei Menschen mit Epilepsie, die sich in der Regel in einem ansonsten guten Gesundheitszustand befinden und bei denen keine andere offensichtliche Todesursache gefunden werden kann.
Das Risiko für SUDEP ist relativ gering, aber dennoch von Bedeutung. Bei Kindern mit Epilepsie tritt SUDEP etwa einmal pro 4.500 Personen pro Jahr auf. Bei Erwachsenen mit Epilepsie liegt das Risiko etwas höher, zwischen 1 und 10 von 1.000 Personen pro Jahr.
Obwohl die genauen Mechanismen, die zu SUDEP führen, noch nicht vollständig geklärt sind, wird angenommen, dass epileptische Anfälle im Spiel sind. Während eines Anfalls kann es zu erheblichen Veränderungen der Herzfrequenz kommen, entweder in Form einer sehr hohen Frequenz oder einer Verlangsamung. Es kann auch zu einer Störung der Atmung kommen. Diese Veränderungen können in einigen Fällen zum Tod führen. Interessanterweise sterben die meisten Patienten mit SUDEP im Schlaf.
Risikofaktoren für SUDEP
Das Hauptrisiko für SUDEP sind generalisierte tonisch-klonische Anfälle, insbesondere wenn diese im Schlaf auftreten. Dies sind Anfälle, die mit Bewusstseinsverlust, Körperversteifung und Zuckungen einhergehen können. Ein vorübergehender Atemstillstand kann folgen, bleibt aber meist ohne Folgen.
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Weitere Risikofaktoren für SUDEP sind:
- Ein früher Beginn der Epilepsieerkrankung
- Eine medikamentöse Behandlung mit mehreren Antiepileptika (Polytherapie)
- Häufige Wechsel der Medikamente oder unregelmäßige Einnahme
- Mehrfachbehinderung
- Nächtliche Anfälle
- Alleinleben
- Schwer behandelbare Epilepsie
- Männliches Geschlecht
Es ist wichtig zu beachten, dass das Vorhandensein eines oder mehrerer dieser Risikofaktoren nicht bedeutet, dass eine Person definitiv an SUDEP sterben wird. Sie erhöhen lediglich das Risiko.
Pathophysiologie von SUDEP
Die Pathophysiologie von SUDEP ist komplex und noch nicht vollständig verstanden. Es wird jedoch angenommen, dass die Mehrzahl der SUDEP-Fälle unmittelbar durch einen tonisch-klonischen Anfall ausgelöst wird. Nach dem Anfall kann es zunächst zu einem zentralen Atemstillstand kommen, gefolgt von einer schweren Hypoxämie (Sauerstoffmangel im Blut) und terminalen Asystolie (Herzstillstand). Dieser Ablauf wird manchmal als "fatale SUDEP-Kaskade" bezeichnet.
Es wird angenommen, dass eine frühe kardiopulmonale Reanimation während des zentralen Atemstillstandes in vielen Fällen einen SUDEP abwenden kann. Dies könnte erklären, warum sich die meisten SUDEP-Fälle unbeobachtet ereignen.
SUDEP-Forschung und Inzidenz
Seit über einem Jahrhundert gibt es Berichte über plötzliche Todesfälle bei Menschen mit Epilepsie. Es dauerte jedoch bis 1997, bis einheitliche SUDEP-Kriterien von Nashef et al. und Annegers et al. definiert wurden. Diese Definitionen haben dazu beigetragen, SUDEP verstärkt in den Fokus der Forschung zu rücken. Seit 10 Jahren existiert eine konsolidierte Fassung der SUDEP-Definition sowie ein erweitertes Klassifikationssystem.
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Trotz dieser Fortschritte gibt es weiterhin große Unterschiede hinsichtlich der Art der Datenerhebung und der betrachteten Populationen bei Studien zur Inzidenz von SUDEP. Klarheit über die SUDEP-Inzidenz ist jedoch essenziell, um gezielte Interventionen zu etablieren und vermeidbare Todesfälle zu verhindern.
Eine systematische Literaturrecherche in den Datenbanken EMBASE und MEDLINE via PubMed, zuletzt aktualisiert am 30.06.2023, ergab insgesamt 3324 Publikationen, die anhand von Titel und Abstract bewertet wurden. Abschließend wurden 41 Studien eingeschlossen. Die Studien wiesen eine hohe Heterogenität bei Kohorten und Studiendesigns auf. Die meisten Untersuchungen fanden in Europa statt, gefolgt von Nordamerika und dem asiatisch-pazifischen Raum. Datenquellen waren u. a. Krankenakten, Autopsieberichte, Patientenregister sowie Sekundärdaten.
Die SUDEP-Inzidenz in den Studien zeigt starke Schwankungen, die durch das Studiendesign und die Auswahl der Kohorten bedingt sind. So weisen z. B. Epilepsiezentren - in denen der Anteil an Patienten mit schwer behandelbarer Epilepsie höher ist - tendenziell höhere SUDEP-Inzidenzen auf. Van der Lende et al. verdeutlichen zudem, dass klinische Maßnahmen, wie nächtliche Supervision, die SUDEP-Inzidenz zwischen verschiedenen Zentren beeinflussen können. Ein weiterer Faktor, der die Vergleichbarkeit beeinflusst, ist die Heterogenität in der Datenerhebung. Die Daten stammen aus diversen Quellen, darunter Patientenregister, Fallstudien, Krankenakten und Autopsieberichte. Nicht zu vernachlässigen ist die Diagnose des SUDEP selbst: Sie basiert auf dem Ausschluss anderer Todesursachen statt auf eindeutigen Befunden. Besonders ohne Autopsie hängt die Diagnosegenauigkeit stark von der Methode der Datenerhebung ab. Ein weiterer wichtiger Einflussfaktor ist die Bestimmung der Größe der Epilepsiepopulation, welche zur Berechnung der Inzidenz verwendet wurde. So haben Keller et al.
Abseits der allgemeinen Datenerhebung bedürfen bestimmte Patientengruppen besonderer Aufmerksamkeit. So weisen einige Untersuchungen darauf hin, dass das SUDEP-Risiko insbesondere bei Kindern und Jugendlichen potenziell unterschätzt wird. Dies wird durch die jüngsten Erkenntnisse von Borusiak et al. untermauert, die darauf hinweisen, dass die verfügbare Datenlage zu SUDEP in dieser Altersgruppe immer noch dünn ist. Weitere Assoziationen zwischen dem Lebensalter und der Inzidenz ergeben sich aus Studien, die verschiedene Altersgruppen innerhalb derselben Kohorte betrachten. Fünf der analysierten Studien kategorisierten die Altersgruppen in 3 bis 4 Abschnitte. Nur Sveinsson et al. verzeichneten einen durchgängigen Anstieg über alle Altersgruppen. Im Gegensatz dazu wiesen Einarsdottir et al. den höchsten Wert für die 35- bis 54-Jährigen aus. Studien von Walczak et al. und Clark et al., die Altersdaten in 5‑ oder 10-Jahres-Intervallen analysierten, sahen einen Inzidenzanstieg bis zur Lebensmitte, der dann wieder abnahm. Ge et al. erkannten bei Über-60-Jährigen keine SUDEP-Fälle. Ein Rückgang von (erkannten) SUDEP-Fällen im höheren Alter könnte durch mehr Komorbiditäten und sinkende Autopsieraten bedingt sein. Uneindeutige Todesursachen erschweren die Klassifikation. Die Studien von Sveinsson et al. als auch von Ge et al.
Studien aus spezialisierten Epilepsiezentren zeigen höhere Inzidenzen, besonders bei refraktärer Epilepsie, einem bekannten SUDEP-Risikofaktor. Unbeobachtete tonisch-klonische Anfälle sind ein Schlüsselfaktor für SUDEP. Aufgrund des Zusammenhangs zwischen tonisch-klonischen Anfällen und SUDEP ist es plausibel anzunehmen, dass eine bessere Anfallsüberwachung durch sog. Wearables das Risiko mindern kann. Solche Technologien, die eine automatische Erkennung und Alarmierung ermöglichen, werden empfohlen, erfordern jedoch eine klare Kommunikation über SUDEP. Abnehmende SUDEP-Inzidenzen spiegeln positive Effekte durch erhöhtes Bewusstsein und besseres Management wider. Schulz et al., Tomson et al. und Wang et al. verzeichneten deutliche Rückgänge nach Einführung eines Epilepsiemanagementprogramms.
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Mortalität bei Epilepsie: Mehr als nur SUDEP
Es ist wichtig zu betonen, dass SUDEP nur eine von mehreren möglichen Todesursachen bei Menschen mit Epilepsie ist. Wie bereits erwähnt, haben Menschen mit Epilepsie auch ein erhöhtes Risiko für andere Todesursachen, darunter:
- Unfälle: Epileptische Anfälle können zu Unfällen führen, die tödlich enden können, z. B. Stürze, Verbrennungen, Verkehrsunfälle oder Ertrinken.
- Status epilepticus: Ein Status epilepticus ist ein anhaltender Anfall oder eine Reihe von Anfällen, ohne dass der Patient zwischen den Anfällen das Bewusstsein wiedererlangt. Dies ist ein medizinischer Notfall, der tödlich verlaufen kann.
- Aspiration: Während eines Anfalls kann es vorkommen, dass Speichel, Erbrochenes oder andere Substanzen in die Lunge gelangen (Aspiration), was zu einer Lungenentzündung führen kann.
- Suizid: Menschen mit Epilepsie haben ein höheres Risiko für Depressionen und andere psychische Erkrankungen, was das Suizidrisiko erhöhen kann.
Die genauen Ursachen für die erhöhte Mortalität bei Epilepsie sind komplex und oft multifaktoriell. Neben den direkten Folgen der Anfälle spielen auch Faktoren wie die zugrunde liegende Ursache der Epilepsie, Begleiterkrankungen, die Qualität der medizinischen Versorgung und psychosoziale Faktoren eine Rolle.
Prävention und Risikoreduktion
Die Vermeidung eines plötzlichen und unerwarteten Todesfalls bei Epilepsie erfordert einen umfassenden Ansatz, der auf die individuellen Bedürfnisse und Risikofaktoren des Patienten zugeschnitten ist.
Ein entscheidender Faktor ist die Anfallskontrolle. Das Ziel sollte eine vollständige Anfallsfreiheit sein. Dies kann in den meisten Fällen durch eine geeignete medikamentöse Therapie erreicht werden. Es ist wichtig, die Medikamente regelmäßig und wie verordnet einzunehmen und enge Rücksprache mit dem behandelnden Arzt zu halten. Bei fokalen Epilepsien sollte frühzeitig die Möglichkeit einer Operation in Betracht gezogen werden, falls der Patient nicht auf die Medikamente anspricht.
Weitere Maßnahmen zur Risikoreduktion umfassen:
- Vermeidung von Anfallsauslösern: Viele Menschen mit Epilepsie können bestimmte Auslöser identifizieren, die Anfälle provozieren können, z. B. Schlafmangel, Stress, Alkohol oder bestimmte Medikamente. Das Vermeiden dieser Auslöser kann helfen, die Anfallshäufigkeit zu reduzieren.
- Anfallsüberwachung: Für Menschen mit einem hohen SUDEP-Risiko, insbesondere bei nächtlichen Anfällen, kann eine Anfallsüberwachung hilfreich sein. Es gibt verschiedene Technologien, die eine automatische Erkennung und Alarmierung ermöglichen, z. B. Wearables oder Bett-Sensoren.
- Aufklärung: Alle Menschen mit Epilepsie und deren Angehörige sollten über das SUDEP-Risiko und Maßnahmen zur Risikoreduktion aufgeklärt werden. Dies ermöglicht ein aktives Management der Epilepsie und die Gestaltung individueller Lebensumstände.
- Erste Hilfe bei Anfällen: Angehörige und Betreuer sollten in der Lage sein, Erste Hilfe bei einem epileptischen Anfall zu leisten. Dazu gehört, den Patienten vor Verletzungen zu schützen, die Atemwege freizuhalten und bei Bedarf einen Notruf abzusetzen.
Die Rolle der Forschung
Die hohe Zahl der SUDEP-Fälle und die besondere Tragik durch den plötzlichen und unerwarteten Verlust betonen die Bedeutung des Themas und den dringenden Forschungsbedarf. Trotz gestiegenem Interesse erschweren methodologische Limitationen, wie Datenheterogenität und unterschiedliche Klassifikationen, z. B. Metaanalysen. Künftige Forschung sollte Methoden standardisieren und mögliche Unterrepräsentationen prüfen. Ansätze zur Reduzierung der SUDEP-Inzidenz bis 2030 sind in Diskussion.
Leben mit Epilepsie: Ein erfülltes Leben trotz Risiko
Epilepsie ist eine komplexe Erkrankung, die das Leben der Betroffenen und ihrer Familien erheblich beeinträchtigen kann. Trotz der Herausforderungen, die mit der Erkrankung verbunden sind, ist es wichtig zu betonen, dass viele Menschen mit Epilepsie ein erfülltes und aktives Leben führen können.
Eine offene Kommunikation mit dem behandelnden Arzt, die Einhaltung der Therapieempfehlungen und die Umsetzung von Maßnahmen zur Risikoreduktion sind entscheidend für ein positives Outcome. Es ist auch wichtig, sich Unterstützung bei Selbsthilfegruppen oder anderen Organisationen zu suchen, um sich mit anderen Betroffenen auszutauschen und von deren Erfahrungen zu lernen.
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