Ein Schlaganfall tritt oft unerwartet auf und verändert das Leben von einem Tag auf den anderen. Die Ergotherapie spielt eine entscheidende Rolle bei der Rehabilitation von Schlaganfallpatienten, indem sie darauf abzielt, die verlorengegangene Selbstständigkeit im Alltag wiederzugewinnen.
Was ist ein Schlaganfall?
Ein Schlaganfall, medizinisch auch als Apoplex oder Zerebralinsult bezeichnet, ist eine plötzliche Durchblutungsstörung im Gehirn. Diese Störung führt zu einem Sauerstoffmangel im Nervengewebe, wodurch Gehirnzellen absterben und wichtige motorische und sensorische Funktionen verloren gehen können. In der Medizin unterscheidet man zwischen einem Hirninfarkt (Durchblutungsstörung) und einer Gehirnblutung (Einblutung in das Gehirn durch ein defektes Blutgefäß).
In Deutschland erleiden jährlich etwa 270.000 Menschen einen Schlaganfall. Je schneller ein Patient nach einem Schlaganfall behandelt wird, desto mehr Nervenzellen im Gehirn können gerettet werden. Daher gilt der Leitsatz „Time is brain“ (Zeit ist Gehirn).
Diagnose und Akutbehandlung
Bei Verdacht auf einen Schlaganfall wird die Diagnose unter anderem mittels bildgebender Verfahren wie CT und MRT gestellt. Die Akutbehandlung zielt darauf ab, die Schäden im Gehirn zu minimieren. In vielen Kliniken gibt es spezielle Abteilungen für Schlaganfallpatienten, sogenannte „Stroke Units“, die auf die multidisziplinäre Behandlung von Schlaganfällen spezialisiert sind.
Wenn ein Blutgerinnsel den Schlaganfall ausgelöst hat, erfolgt - wenn möglich - die Thrombolyse oder „Lyse-Therapie“, bei der Medikamente verabreicht werden, die das Blutgerinnsel auflösen sollen. Alternativ kann eine Thrombektomie durchgeführt werden, bei der das verschlossene Gefäß mit einem Katheter wiedereröffnet wird.
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Ist der Schlaganfall Folge einer Hirnblutung, kann eine Operation am offenen Gehirn notwendig sein, um den Blutdruck zu senken und Komplikationen zu vermeiden. Bewusstlose oder beatmungspflichtige Patienten werden auf der Intensivstation überwacht.
Ziele der Ergotherapie nach Schlaganfall
Ergotherapie unterstützt Menschen jeden Alters, die durch Krankheit, Verletzung oder Behinderung in ihrer Handlungsfähigkeit eingeschränkt sind. Ziel ist es, bedeutungsvolle Tätigkeiten in den Bereichen Selbstversorgung, Produktivität und Freizeit wieder ausführen zu können. Im Kontext der neurologischen Rehabilitation nach einem Schlaganfall verfolgt die Ergotherapie spezifische Ziele:
- Wiedererlangung und Verbesserung motorischer Fähigkeiten: Verbesserung der Funktion der betroffenen oberen Extremität, insbesondere bei Hemiparese.
- Verbesserung der sensorischen Verarbeitung und Wahrnehmung: Maßnahmen zur Verbesserung der Oberflächen- und Tiefensensibilität, um die Körperwahrnehmung zu schärfen.
- Training kognitiver Funktionen im konkreten Handlungsbezug: Anwendung im Alltag, um Fähigkeiten wie Gedächtnis, Aufmerksamkeit, Konzentration, Problemlösung und Planungsfähigkeit zu üben.
- Förderung der größtmöglichen Selbstständigkeit bei Aktivitäten des täglichen Lebens (ADL): Basale Selbstversorgungsaktivitäten (Waschen, Anziehen, Essen, Toilettengang) und instrumentelle ADLs (Haushaltsführung, Einkaufen) werden systematisch geübt und angepasst.
Methoden und Maßnahmen der Ergotherapie
Die Ergotherapie nach einem Schlaganfall ist keine Standardtherapie, sondern wird individuell auf den Patienten abgestimmt. Sie beginnt mit einer umfassenden Befunderhebung, auf deren Basis gemeinsam mit dem Patienten ein Therapieplan erstellt wird. Dieser orientiert sich an den spezifischen Problemen und persönlichen Zielen des Patienten.
Motorisch-funktionelle Therapie
Hier steht das gezielte Training der betroffenen Extremitäten im Vordergrund, insbesondere der Arm- und Handfunktion.
- Forced Use Therapy (Constraint-Induced Movement Therapy - CIMT): Die gesunde Hand/der gesunde Arm wird für einen Großteil des Tages ruhiggestellt, um den Gebrauch der betroffenen Extremität zu fördern.
- Spiegeltherapie: Durch einen Spiegel wird die Illusion erzeugt, dass sich die betroffene Körperhälfte normal bewegt, was die Aktivierung der betroffenen Gliedmaßen fördert.
- Aufgabenorientiertes Training (AOT): Verbesserung einzelner Bewegungsabläufe mit konkretem Alltagsbezug, wie das Führen einer Tasse zum Mund oder das An- und Ausziehen.
- Bobath-Konzept: Verbesserung der funktionellen Fähigkeiten durch Regulierung des Muskeltonus und Anbahnen normaler Bewegungsmuster.
- Arm-Robot-Therapie: Einsatz von Robotern zur Unterstützung der Arm- und Handbewegungen, insbesondere bei schweren Lähmungen.
- Elektrostimulation: Unterstützung der Signalweiterleitung vom Gehirn zu den Muskeln, um Bewegungsabläufe wieder zu erlernen und einer Spastikentwicklung vorzubeugen.
Alltagstraining (ADL-Training)
Dieser Bereich ist zentral für die Ergotherapie und umfasst:
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- Selbstversorgungstätigkeiten: An- und Ausziehen, Körperpflege (Waschen, Duschen, Zähneputzen, Kämmen), selbstständiger Toilettengang.
- Haushaltsaktivitäten: Zubereiten einfacher Mahlzeiten, Kaffeekochen, Tischdecken, Abwaschen, Einkaufen, leichte Putzarbeiten oder Wäschepflege.
Kognitives Training im Alltag
- Übungen zur Verbesserung von Gedächtnis, Aufmerksamkeit und Konzentration werden direkt mit Handlungen verknüpft.
- Exekutivfunktionen (Planen, Problemlösen, Organisieren) werden anhand realer Aufgaben trainiert, wie der Planung eines Wocheneinkaufs oder der Organisation der Medikamenteneinnahme.
Hilfsmittelberatung und -anpassung
- Identifizierung des Bedarfs an Hilfsmitteln (z.B. Anziehhilfen, Greifhilfen, Rollatoren, Badewannenlifter).
- Gemeinsames Erproben der Hilfsmittel mit dem Patienten und Training des korrekten Umgangs.
- Beratung zu sinnvollen Anpassungen des Wohnraums, wie die Installation von Haltegriffen oder die Entfernung von Stolperfallen.
Der Ablauf der Ergotherapie
- Befunderhebung: Umfassende Untersuchung der motorischen, sensorischen, kognitiven und psychischen Fähigkeiten des Patienten.
- Zielsetzung: Gemeinsame Festlegung individueller Therapieziele mit dem Patienten.
- Therapieplanung: Erstellung eines individuellen Therapieplans, der die spezifischen Bedürfnisse und Ziele des Patienten berücksichtigt.
- Durchführung der Therapie: Anwendung verschiedener ergotherapeutischer Methoden und Maßnahmen, um die gesteckten Ziele zu erreichen.
- Anpassung des Therapieplans: Regelmäßige Überprüfung und Anpassung des Therapieplans an die Fortschritte des Patienten.
- Entlassungsplanung: Vorbereitung des Patienten auf die Entlassung aus der Therapie und Beratung zu weiterführenden Maßnahmen.
Interdisziplinäre Zusammenarbeit
Die Rehabilitation nach einem Schlaganfall erfordert die enge Zusammenarbeit verschiedener Fachdisziplinen. Im interdisziplinären Rehabilitationsteam arbeiten Experten aus verschiedenen Gesundheitsberufen Hand in Hand, um gemeinsam mit dem Patienten die bestmöglichen Ergebnisse zu erzielen.
- Physiotherapeuten: Konzentrieren sich auf die Wiederherstellung und Verbesserung von Bewegungsfunktionen, Kraft, Ausdauer, Gleichgewicht und Mobilität.
- Logopäden: Behandeln Sprach- und Schluckstörungen.
- Neuropsychologen: Diagnostizieren und behandeln kognitive Störungen sowie emotionale und psychische Folgen des Schlaganfalls.
- Pflegefachkräfte: Gewährleisten die pflegerische Versorgung, unterstützen bei den Aktivitäten des täglichen Lebens und beobachten den Patienten kontinuierlich.
Die Ergotherapie nimmt innerhalb dieses Teams eine spezifische und unverzichtbare Rolle ein, indem sie die Brücke zwischen isolierten Funktionsverbesserungen und deren Anwendung in bedeutungsvollen Tätigkeiten schlägt.
Langfristige Unterstützung und Nachsorge
Die positive Wirkung der Ergotherapie endet nicht mit dem Abschluss der Rehabilitationsphase. Die erlernten Fähigkeiten, Strategien und Anpassungen haben oft nachhaltige Effekte und tragen maßgeblich zur langfristigen Verbesserung der Lebenssituation von Schlaganfall-Betroffenen bei.
- Verbesserung der Lebensqualität: Erhöhung der Selbstständigkeit bei alltäglichen Verrichtungen, Stärkung des Selbstwertgefühls und Reduzierung der Abhängigkeit von fremder Hilfe.
- Berufliche Wiedereingliederung: Unterstützung bei der Analyse der Arbeitsplatzanforderungen, Durchführung von Belastungserprobungen, Training arbeitsrelevanter Fähigkeiten und Beratung bei notwendigen Arbeitsplatzanpassungen.
- Prävention von Sekundärkomplikationen: Vermeidung oder Minderung von Folgeproblemen wie Stürzen, erlerntem Nichtgebrauch und Dekubitus.
- Unterstützung für ein selbstbestimmtes Leben (Empowerment): Hilfe bei der optimalen Nutzung der verbliebenen Fähigkeiten, Entwicklung neuer Strategien zur Bewältigung von Herausforderungen und aktive Gestaltung des Lebens trotz bleibender Einschränkungen.
Ergotherapeutische Übungen für zu Hause
Auch wenn die Therapie eine gute Anleitung zur Stabilisierung alltäglicher Bewegungsabläufe und Tätigkeiten darstellt, sollten Betroffene die ergotherapeutischen Übungen und Hausaufgaben gewissenhaft und mehrmals täglich durchführen, um den Prozess der Rehabilitation zu beschleunigen.
- Feinmotorische Übungen:
- Bewegen eines oder mehrerer Würfel zwischen Daumen sowie Zeige- und Mittelfinger.
- Wiederholtes Ausführen der Bewegung des Klavierspielens auf der Tischplatte.
- Rasches Hin- und Herwerfen eines Tennis- oder Jonglierballes zwischen beiden Händen.
- Bauen von Türmchen aus kleinen Holzklötzen.
- Übungen zur Verbesserung der Greiffähigkeit:
- Erfassen von Figuren oder Gegenständen in einem Behältnis mit Bohnen, Linsen oder Kies.
- Übungen zur Verbesserung der Schreibfähigkeiten:
- Häufiges Kritzeln und Zeichnen auf einem Blatt Papier.
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