Der Hypothalamus ist eine kleine, aber entscheidende Region im Gehirn, die eine Vielzahl lebenswichtiger Funktionen reguliert. Er befindet sich unterhalb des Thalamus und ist durch den Hypophysenstiel mit der Hypophyse verbunden, wodurch beide eine funktionelle Einheit bilden. Der Hypothalamus empfängt Nervenimpulse aus allen Organen und Sinneszellen und steuert so Körpertemperatur, Blutdruck, Atmung, Schlaf-Wach-Rhythmus, Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme, Bewusstsein, Gedächtnis, Lernfähigkeit und Sexualverhalten. Erkrankungen des Hypothalamus können daher gravierende Auswirkungen haben und vielfältige Symptome und Störungen verursachen.
Die zentrale Rolle von Hypothalamus und Hypophyse
Hypothalamus und Hypophyse bilden eine funktionelle Einheit, die eine Schlüsselrolle bei der Steuerung des Hormonsystems spielt. Der Hypothalamus, ein Gehirnbereich im Zwischenhirn unterhalb des Thalamus, koordiniert Wasser- und Salzhaushalt, Blutdruck, Körpertemperatur und Nahrungsaufnahme. Er beeinflusst auch Gefühle, Sexualverhalten sowie den Schlaf-Wach-Rhythmus. Als Steuerorgan des Hormonsystems reguliert er die Hormonproduktion.
Der Hypothalamus bildet verschiedene Hormone in Nervenzellen. Sogenannte "Releasing"-Hormone (z.B. Gonadotropin-Releasing-Hormon (GnRH), Thyreotropin-Releasing-Hormon (TRH), Growth Hormone-Releasing-Hormon (GH-RH), Corticotropin-Releasing-Hormon (CRH)) fördern die Hormonproduktion und -ausschüttung in der Hirnanhangsdrüse (Hypophyse). "Inhibiting"-Hormone (z.B. Somatostatin, Prolaktin-Inhibiting-Hormon (PIH), auch Dopamin) hemmen die Hormonausschüttung.
Die Hypophyse, auch Hirnanhangsdrüse genannt, nimmt eine Sonderstellung unter den endokrinen Drüsen ein, da sie alle anderen Hormondrüsen beeinflusst. Sie ist verantwortlich für die Produktion, Speicherung und Freisetzung einer Vielzahl von Hormonen, die lebenswichtige Steuerungsprozesse im Körper regulieren. Die Hypophyse besteht aus einem Vorder- und Hinterlappen und ist über einen dünnen Nervenstrang mit dem Hypothalamus verbunden.
Die von der Hypophyse produzierten Hormone sind:
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- Wachstumshormon (GH)
- Thyreoidea-stimulierendes Hormon (TSH)
- Adrenokortikotropes Hormon (ACTH)
- Luteinisierendes Hormon (LH)
- Follikelstimulierendes Hormon (FSH)
- Prolaktin (PRL)
Der Hypophysenhinterlappen speichert und setzt die im Hypothalamus gebildeten Hormone Adiuretin (ADH) und Oxytocin frei.
Ursachen von Hypothalamus- und Hypophysenerkrankungen
Erkrankungen des Hypothalamus können durch verschiedene Faktoren ausgelöst werden, darunter:
- Tumore: Raumforderungen im Bereich des Hypothalamus oder der Hypophyse können zu einer Defizienz eines oder mehrerer der hypothalamischen Releasing-Faktoren führen. Ein Hypophysenadenom ist ein gutartiger Hirntumor (Adenom) an der Hypophyse. Bei ungefähr 10 Prozent der Hirntumore handelt es sich um ein Adenom der Hypophyse. Meist tritt es in den Lebensjahren zwischen 30 und 40 auf. Es gibt meist keine erkennbare Ursache, warum ein Hypophysentumor entsteht. Die Ausnahme bildet eine bestimmte Erbkrankheit, das MEN-1-Syndrom. Bei dieser Erkrankung wachsen Tumore an Organen, die Hormone produzieren.
- Entzündungen: Autoimmunreaktionen, Medikamente oder Komplikationen anderer Erkrankungen (z.B. Tuberkulose, Sarkoidose, Vaskulitiden) können eine Hypophysitis (Entzündung der Hirnanhangsdrüse) verursachen.
- Infektionen: Meningitis oder Enzephalitis können den Hypothalamus schädigen.
- Blutungen: Einblutungen in den Hypothalamus oder die Hypophyse können zu Funktionsstörungen führen.
- Genetische Faktoren: Angeborene Mutationen in Genen, die an der Entwicklung der Hypophyse beteiligt sind, können zu einem Hypopituitarismus (Mangel an einem oder mehreren Hypophysenhormonen) führen.
- Traumatische Verletzungen: Schädel-Hirn-Traumata oder operative Eingriffe im Bereich des Hypothalamus oder der Hypophyse können zu Schädigungen führen.
- Durchblutungsstörungen: Ischämie (Sauerstoffmangel durch verminderte Durchblutung) kann den Hypothalamus oder die Hypophyse schädigen.
Symptome von Hypothalamus- und Hypophysenerkrankungen
Die Symptome von Hypothalamus- und Hypophysenerkrankungen sind vielfältig und hängen von der Art und dem Ausmaß der Funktionsstörung ab. Sie können sich in Form von Hormonstörungen, neurologischen Ausfällen oder allgemeinen Beschwerden äußern.
Hormonelle Symptome
Eine Erkrankung der Hypophyse beeinflusst sehr häufig den Hormonhaushalt, was je nach Hormon unterschiedliche Symptome nach sich zieht. Die Symptome und Ausprägungen von Hypophysenerkrankungen sind abhängig davon, welches Hormon betroffen ist, und ob es zu einer Hormonüberproduktion oder einem Hormonmangel kommt.
Symptome einer Hormonüberproduktion:
- Prolaktinom (Prolaktin-produzierend):
- Frauen: Zu seltene oder ausbleibende Regelblutung, unerfüllter Kinderwunsch, Milchproduktion der Brüste außerhalb von Schwangerschaft/Stillzeit, Osteoporose.
- Männer: Unterfunktion der Hoden (Hypogonadismus), erektile Dysfunktion, unerfüllter Kinderwunsch, Milchproduktion der Brüste, Osteoporose.
- Somatotropes (GH-produzierendes) Adenom (Akromegalie):
- Vergröberte Gesichtszüge, vorstehender Unterkiefer, Vergrößerung der Zunge, vergrößerte Hände und Füße.
- Übermäßiges Wachstum (bei Kindern: Riesenwuchs).
- Vergröberte Haut, übermäßiges Schwitzen.
- Gelenkschmerzen, Karpaltunnel-Syndrom, Kopfschmerzen.
- Bluthochdruck.
- Atemaussetzer während des Schlafs (Schlafapnoe).
- Kortikotropes (ACTH-produzierendes) Adenom (M. Cushing):
- Fettleibigkeit v. a. an Oberkörper, Bauch und Hüfte (stammbetonte Adipositas), Stiernacken, Vollmondgesicht.
- Dünne Haut, Dehnungsstreifen, Hauteinblutungen.
- Muskelschwäche.
- Osteoporose, Knochenschmerzen.
- Bluthochdruck, Diabetes mellitus.
- Depression.
- Frauen: Übermäßige Körperbehaarung, Zyklusstörungen.
- Thyreotropes (TSH-produzierendes) Adenom (Hyperthyreose):
- Erhöhter Puls, Herzstolpern.
- Nervosität, Zittern.
- Schwitzen, Wärmeintoleranz.
- Gewichtsabnahme trotz guten Appetits, gesteigerte Stuhlfrequenz.
- Gonadotropes (LH- oder FSH-produzierendes) Adenom:
- In den meisten Fällen keine klinisch relevante Hormonüberproduktion.
- In seltenen Fällen: Überstimulation der Eierstöcke oder Zwischenblutungen bei Frauen, vorzeitige Pubertät oder Vergrößerung der Hoden bei Männern.
Symptome einer Hypophyseninsuffizienz:
- Hypophysenvorderlappen-Insuffizienz:
- Wachstumshormon (GH): Reduzierte Leistungsfähigkeit, stammbetonte Adipositas, Fettstoffwechselstörungen, Arterienverkalkung (Atherosklerose), Kleinwuchs (bei Kindern).
- Follikelstimulierendes Hormon (FSH) und luteinisierendes Hormon (LH): Unterfunktion der Eierstöcke/Hoden (Hypogonadismus), Menstruationsstörungen, Infertilität, Rückgang des Brustvolumens (bei Frauen), erektile Dysfunktion, Infertilität (bei Männern).
- Thyreoideastimulierendes Hormon (TSH): Kälteintoleranz, Verstopfung, Gewichtszunahme, trockene Haut, reduzierter Puls, Myxödemkoma (endokrinologischer Notfall).
- Adrenokortikotropes Hormon (ACTH): Schwäche, Müdigkeit, Blässe, Gewichtsverlust, Übelkeit, Erbrechen, Unterzuckerung, Addison-Krise (endokrinologischer Notfall).
- Hypophysenhinterlappen-Insuffizienz:
- Ausfall von ADH (Diabetes insipidus): Erhöhte Urinmenge, nächtlicher Harndrang, übermäßiges Durstgefühl, Entwicklung eines hypovolämischen Schocks.
Neurologische Symptome
Raumfordernde Prozesse im Bereich des Hypothalamus oder der Hypophyse können zu neurologischen Symptomen führen, insbesondere wenn sie auf benachbarte Strukturen wie den Sehnerv drücken.
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- Sehstörungen: Gesichtsfelddefekte (z.B. beidseitige Halbseitenblindheit durch Druck auf die Sehnervenkreuzung), Doppelbilder, Störungen der Sehschärfe, seltener Störungen der Augenbewegung.
- Kopfschmerzen: Insbesondere bei akuter Einblutung mit Größenzunahme (Apoplex) der Hirnanhangdrüse.
Weitere Symptome
- Störungen des Schlaf-Wach-Rhythmus:
- Appetitstörungen:
- Veränderungen des Körpergewichts:
- Störungen der Körpertemperaturregulation:
Diagnose von Hypothalamus- und Hypophysenerkrankungen
Die Diagnose von Hypothalamus- und Hypophysenerkrankungen erfordert eine umfassende Untersuchung, die Anamnese, körperliche Untersuchung, Hormonanalysen und bildgebende Verfahren umfasst.
- Anamnese und körperliche Untersuchung: Erhebung der Krankengeschichte und Erfassung der aktuellen Beschwerden.
- Hormonanalysen: Blutuntersuchungen zur Bestimmung der Hormonspiegel in der Hypophyse, Schilddrüse, den Nebennieren oder in den Eierstöcken/Hoden. Bei bestimmten Hormonveränderungen sind weitere Tests wie ein oraler Glukosetoleranztest (OGTT) erforderlich.
- Augenärztliche Untersuchung: Bei Sehstörungen zur Beurteilung des Gesichtsfelds und der Sehschärfe.
- Bildgebende Verfahren:
- Magnetresonanztomografie (MRT) mit Kontrastmittel: Kann Tumoren ab einer Größe von 2 mm erfassen. Dabei können auf sogenannten „Sella-Zielaufnahmen“ Mikroadenome sehr detailliert dargestellt werden.
- Computertomografie (CT): Zur Bestätigung größerer Tumoren geeignet.
- Röntgenaufnahme des Schädels: Kann indirekte Hinweise auf ein Hypophysenadenom geben.
Therapie von Hypothalamus- und Hypophysenerkrankungen
Ziel der Therapie ist es, die Ursache der Erkrankung zu behandeln, die Hormonspiegel zu normalisieren und neurologische Ausfälle zu beheben. Die Behandlungsmöglichkeiten umfassen:
- Operation: Abgesehen von Prolaktinomen ist bei fast allen hormonell aktiven Tumoren eine Operation erforderlich. Die Operation ist in den meisten Fällen über einen minimalinvasiven Zugang durch die Nasennebenhöhlen/Stirnhöhlen möglich. Bei durch Zufall entdeckten Hypophysenadenomen (Inzidentalom) kann ein abwartendes Verhalten gerechtfertigt sein.
- Strahlentherapie: Wenn trotz Operation oder medikamentöser Behandlung ein Resttumor oder Hormonüberschuss verbleibt, kann eine Strahlentherapie erfolgen. Auch bei Rückfällen von großen hormoninaktiven Adenomen mit Druck auf die benachbarten Strukturen kann eine Strahlentherapie eingesetzt werden.
- Medikamentöse Behandlung:
- Prolaktinome: Medikamente hemmen die Ausschüttung von Prolaktin, wodurch in ca. 80 % der Fälle der Tumor schrumpft. Wenn die medikamentöse Behandlung nicht zum Erfolg führt oder nicht vertragen wird, ist eine Operation notwendig.
- Akromegalie und Cushing-Syndrom: Medikamentöse Behandlung möglich, wenn eine Operation nicht durchführbar oder erfolgreich ist.
- Hypophysenhinterlappen-Insuffizienz (Diabetes insipidus): Medikamentöse Behandlung zur Regulation des Wasserhaushaltes.
- Hormonersatztherapie: Bei Hormonmangel zur Substitution der fehlenden Hormone.
Notfälle wie Myxödemkoma, Addison-Krise oder Diabetes insipidus erfordern eine sofortige stationäre und ggf. intensivmedizinische Behandlung. Symptomlose, hormoninaktive Hypophysentumore können je nach Größe zuerst beobachtet werden („Wait and Scan”).
Prognose von Hypothalamus- und Hypophysenerkrankungen
Die Prognose ist abhängig von der bestehenden Hormonfunktion, der Tumorgröße und den Begleiterkrankungen. Da fehlende Hormone meist gut mit Medikamenten ersetzt werden können, können viele Patient*innen mit Hypophyseninsuffizienz ein weitgehend normales Leben führen, wenn die Diagnose früh genug gestellt wurde und die Therapie konsequent (meist lebenslang) erfolgt. Durch eine verspätete Diagnose von hormonaktiven Tumoren können u. a. Herz-Kreislauf-Komplikationen, Diabetes mellitus und Infertilität auftreten. Es kann zum Wiederauftreten von Hypophysenadenomen kommen, die entsprechend behandelt werden müssen. Auch im Rahmen der Operation sind Komplikationen wie Entzündungen, Fehlfunktionen von Hirnanhangsdrüse und Hypothalamus, Sehverschlechterungen oder Durchblutungskomplikationen möglich. Im Vergleich zur Normalbevölkerung ist die Sterblichkeit sowohl bei hormonaktiven als auch bei hormoninaktiven Adenomen erhöht. Die interdisziplinäre Nachsorge beinhaltet Kontrollen des Hormonstatus, MRT-Kontrollen und augenärztliche Kontrollen.
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