Myasthenia gravis ist eine Autoimmunerkrankung, die durch Muskelschwäche gekennzeichnet ist. Diese Schwäche beginnt oft im Bereich der Augen, kann aber auch andere Körperbereiche betreffen. Die Intensität der Muskelschwäche kann stark variieren und sich im Laufe des Tages verändern, wobei sie oft bei Belastung zunimmt und abends stärker ausgeprägt ist. Verschiedene Medikamente, einschließlich bestimmter Antibiotika, können die Symptome der Myasthenia gravis beeinflussen oder verstärken. In diesem Artikel wird die Wechselwirkung zwischen Erythromycin, einem häufig verwendeten Antibiotikum, und Myasthenia gravis detailliert untersucht.
Myasthenia Gravis im Detail
Die Muskelschwäche bei Myasthenia gravis, auch Myasthenie genannt, manifestiert sich typischerweise durch:
- Doppelbilder
- Hängende Augenlider (Ptosis), die ein- oder beidseitig auftreten können
- Schwierigkeiten beim Sprechen, Kauen und Schlucken
- Schwäche in Armen und Beinen, was das Treppensteigen oder Aufrichten erschwert
- Schwäche der Kopf haltenden Muskeln
- Veränderte Mimik, wenn die Gesichtsmuskeln betroffen sind
Die Symptome können individuell stark variieren und im Laufe der Zeit schwanken. Einige Betroffene haben nur leichte Symptome, während andere eine rasche Verschlechterung der Muskelschwäche erleben. Viele Patienten leiden zusätzlich unter Fatigue, die sich durch Energielosigkeit, Apathie, erhöhtes Schlafbedürfnis und Konzentrationsprobleme äußert.
Erythromycin: Anwendungsgebiete und Wirkweise
Erythromycin ist ein Makrolid-Antibiotikum, das zur Behandlung verschiedener bakterieller Infektionen eingesetzt wird. Es wirkt, indem es die bakterielle Proteinsynthese hemmt. Erythromycin wird sowohl äußerlich zur Vorbeugung und Behandlung von Hautinfektionen als auch innerlich bei:
- Entzündungen der Atemwege (Bronchien, Lunge)
- Keuchhusten
- Entzündungen im Hals-, Nasen- und Ohrenbereich
- Hautinfektionen (z.B. Akne, Wundrose, Scharlach)
- Bindehautentzündung
- Diphtherie
- Darmentzündungen
- Harnröhrenentzündung
- Gonorrhöe
- Syphilis
- Aktinomykose
- Lymphogranuloma inguinale
Es ist wichtig zu beachten, dass Erythromycin nur bei Infektionen wirksam ist, die durch Erythromycin-empfindliche Erreger verursacht werden.
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Gegenanzeigen und Vorsichtsmaßnahmen bei der Anwendung von Erythromycin
Erythromycin darf nicht verwendet werden bei:
- Überempfindlichkeit gegen Erythromycin oder andere Makrolid-Antibiotika
- Gleichzeitiger Einnahme bestimmter Antiarrhythmika, Cisaprid, Pimozid, Terfenadin und Astemizol (Gefahr lebensbedrohlicher Herzrhythmusstörungen)
- Erhöhtem Risiko für Herzrhythmusstörungen (QT-Verlängerung, verlangsamter Herzschlag, schwere Herzmuskelschwäche, Kalium- oder Magnesiummangel)
- Schwerer Leberfunktionsstörung (nur nach sorgfältiger Nutzen-Risiko-Abwägung)
Während der Schwangerschaft und Stillzeit muss der Arzt Nutzen und Risiko sorgfältig abwägen.
Besondere Vorsicht ist geboten bei Patienten mit Lebererkrankungen oder Myasthenia gravis. Bei Anzeichen einer Lebererkrankung (fehlendes Verlangen nach Nahrung, Gelbsucht, Dunkelfärbung des Urins, Juckreiz, Druckempfindlichkeit des Bauches) oder einer Verstärkung der Myasthenia gravis-Symptome muss Erythromycin abgesetzt und ein Arzt aufgesucht werden.
Wechselwirkungen von Erythromycin mit anderen Medikamenten
Erythromycin kann mit einer Vielzahl von Medikamenten interagieren, was zu verstärkten Nebenwirkungen oder einer verringerten Wirksamkeit der anderen Medikamente führen kann. Zu den wichtigsten Wechselwirkungen gehören:
- Vermeidung von Kombinationen: Tetrazyklinen, Chloramphenicol, Clindamycin, Lincomycin, Streptomycin oder Colistin (Wirkungen können sich gegenseitig aufheben).
- Erhöhte Konzentrationen im Blut: Sildenafil, Tadalafil und Vardenafil (Mittel gegen erektile Dysfunktion), Theophyllin, Carbamazepin, Clozapin, Phenytoin und Valproinsäure.
- Verstärkte Wirkungen und Nebenwirkungen: Alfentanil, Bromocriptin, Chinidin, Disopyramid, Pentamidin, Felodipin, Methylprednisolon, Midazolam, Triazolam, Tacrolimus, Digoxin, Zopiclon, Antikoagulanzien und Mutterkornalkaloide.
- Gefahr lebensbedrohlicher Herzrhythmusstörungen: Bestimmte Antiarrhythmika, Cisaprid, Pimozid, Terfenadin oder Astemizol.
- Erhöhtes Risiko schwerer Nebenwirkungen: Protease-Inhibitoren und Cimetidin (hemmen den Abbau von Erythromycin).
- Gegenseitige Erhöhung der Konzentration im Blut: Omeprazol.
- Auflösung der Muskulatur (Rhabdomyolyse): Lovastatin.
- Verstärkte nierenschädigende Wirkung: Ciclosporin A.
- Beeinträchtigung der Wirkung von Östrogen-Gestagen-Kombinationen zur Verhütung (Pille): Zusätzliche empfängnisverhütende Maßnahmen erforderlich.
- Lebensgefährlicher Blutdruckabfall: Calciumkanalblocker (besonders bei älteren Patienten).
Bei Kombination mit Calciumkanalblockern sollte der Arzt auf Azithromycin zurückgreifen.
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Erythromycin und Myasthenia Gravis: Die Verbindung
Erythromycin gehört zu den Medikamenten, die eine bestehende oder latente Myasthenie verstärken können. Andere Antibiotika, die ebenfalls mit Vorsicht zu genießen sind, umfassen Aminoglykoside, Ampicillin, Fluorochinolone (Gyrasehemmer), Makrolide wie Azithromycin, Telithromycin und Tetrazykline. Cephalosporine gelten dagegen als sicher bei Myasthenie.
Der Mechanismus, durch den Erythromycin die Myasthenia gravis-Symptome verschlimmern kann, ist nicht vollständig geklärt. Es wird jedoch vermutet, dass Erythromycin die neuromuskuläre Übertragung beeinträchtigt, was zu einer verstärkten Muskelschwäche führt. Dies ist besonders relevant, da die Myasthenia gravis selbst bereits eine Störung der neuromuskulären Übertragung darstellt.
Fallbericht:
Es wurde über einen Fall berichtet, bei dem ein Patient nach der Einnahme von Erythromycin aufgrund von Muskelschwäche, Dyspnoe oder schwerer akuter Ateminsuffizienz verstarb.
Klinische Implikationen und Empfehlungen
Aufgrund des potenziellen Risikos einer Verschlechterung der Myasthenia gravis sollten Erythromycin und andere problematische Antibiotika bei Patienten mit dieser Erkrankung nur mit Vorsicht eingesetzt werden. Es ist wichtig, die Notwendigkeit einer Antibiotikatherapie sorgfältig abzuwägen und alternative Antibiotika in Betracht zu ziehen, die als sicherer gelten.
Wenn Erythromycin dennoch erforderlich ist, sollten Patienten engmaschig auf Anzeichen einer Verschlechterung der Myasthenie überwacht werden. Dies umfasst die Überwachung von Muskelschwäche, Atemproblemen und anderen Symptomen. Bei Auftreten solcher Symptome sollte die Behandlung mit Erythromycin sofort abgebrochen und ein Arzt konsultiert werden.
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Es ist auch wichtig, dass Patienten mit Myasthenia gravis ihren behandelnden Arzt über ihre Erkrankung informieren, bevor sie mit einer neuen Medikation beginnen, einschließlich Antibiotika. Dies ermöglicht es dem Arzt, die potenziellen Risiken und Vorteile der Behandlung sorgfältig abzuwägen und die am besten geeignete Therapie auszuwählen.
Weitere Aspekte der Myasthenia Gravis
Diagnose
Neben der klinischen Untersuchung und der Bestimmung von Autoantikörpern spielt die elektrische Endplattentestung eine wichtige Rolle bei der Diagnose der Myasthenia gravis. Dabei wird eine Amplitudenabnahme von mindestens 10 % zwischen dem 1. und 5. Reiz gemessen. Auch Testsubstanzen, die zu einer vorübergehenden Besserung der Muskelschwäche oder Doppelbilder führen (Edrophoniumchlorid, Pyridostigminbromid), werden eingesetzt.
Therapie
Die Therapie der Myasthenia gravis zielt darauf ab, die Symptome zu lindern und die zugrunde liegende Autoimmunreaktion zu kontrollieren. Zu den wichtigsten Therapieansätzen gehören:
- Cholinesterase-Inhibitoren: Diese Medikamente (z.B. Pyridostigmin) verbessern die neuromuskuläre Übertragung und führen zu einer symptomatischen Besserung der Muskelschwäche.
- Immunsuppressiva und Immunmodulatoren: Kortison-Präparate, Azathioprin, Mycofenolat-Mofetil, MTX, Cyclosporin A, i.v. Immunglobuline oder Rituximab sowie neuere Therapien wie Eculizumab, Ravulizumab und Zilucoplan (C5-Komplement-Inhibitoren) sowie Efgartigimod und Rozanolixizumab (FcRn-Inhibitoren) wirken Verlaufsmodifizierend, indem sie die autoimmune Entzündung unterdrücken.
- Thymektomie: Insbesondere bei früh manifestierter Myasthenia gravis mit Vergrößerung der Thymusdrüse oder Nachweis eines Thymusrests kann die Entfernung der Thymusdrüse in Erwägung gezogen werden.
Differentialdiagnose
Bei der Diagnose der Myasthenia gravis müssen andere Erkrankungen ausgeschlossen werden, die ähnliche Symptome verursachen können. Dazu gehören:
- Kongenitale myasthenen Syndrome
- Endokrine Orbitopathie (bei Schilddrüsenerkrankungen)
- Episodische dyskaliämische Lähmungen
- Erkrankungen des Hirnstammes
- Andere neuromuskuläre Erkrankungen
Lambert-Eaton-Syndrom (LEMS)
Eine wichtige Differentialdiagnose ist das Lambert-Eaton-Syndrom (LEMS), eine seltene autoimmunogene Erkrankung der präsynaptischen neuromuskulären Endplattenregion. Bei mehr als > 85% der Patienten finden sich Autoantikörper gegen spannungsabhängige Calciumkanäle (VGCC-AK). Im Gegensatz zur Myasthenia gravis findet sich in der elektrophysiologischen Endplattentestung nach muskulärer Anspannung über 10 Sekunden ein deutlicher Amplitudenzuwachs. Hervorzuheben ist, dass das LEMS als paraneoplastisches Syndrom in ca. der Hälfte aller Fälle auf eine Tumorerkrankung hinweisen kann (z.B. kleinzelliges Bronchial-Ca.).
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