Stell dir vor, ein einziges Molekül könnte zwischen unstillbarer Qual und tiefer Erleichterung entscheiden - willkommen in der faszinierenden, aber auch gefährlichen Welt der Opiate. Opiate sind Substanzen, die vom Schlafmohn (Papaver somniferum) stammen und direkt aus dem Milchsaft des Schlafmohns gewonnen werden. In diesem Artikel erfährst du, was Opiate wirklich sind, wie sie im Körper wirken, wie sie zu medizinischer Rettung oder gesellschaftlichem Problem werden können - und mit welchen Risiken ihr Gebrauch verbunden ist. Es wird auf die Wirkung von Fentanyl auf die Synapsen und den zugrunde liegenden Mechanismus eingegangen und die Frage beantwortet, wie es zur Schmerzlinderung und Sucht führen kann.
Was sind Opiate? Definition und Ursprung
Der Begriff „Opiate“ klingt geheimnisvoll - vielleicht denkst du an uralte Heilmittel, gefährliche Drogen oder den Mythos vom schmerzstillenden Schlafmohn. Tatsächlich stammen Opiate von der Mohnpflanze (Papaver somniferum) und sind Substanzen, die direkt aus dem Milchsaft des Schlafmohns gewonnen werden. Die „Definition Opiate“: Es handelt sich um natürliche, im Schlafmohn vorkommende Verbindungen wie Morphin, Codein und Thebain. Opiate sind ausschließlich Wirkstoffe, die direkt aus dem Naturstoff Opium gewonnen werden (z. B. Morphin und Codein). Sie sind Gegenstück zu den „Opioiden“, also Substanzen, die zwar an dieselben Rezeptoren andocken, aber halb- oder vollsynthetisch hergestellt werden (z.B. Heroin, Methadon, Fentanyl). Opioide ist der Überbegriff für alle Substanzen, die an Opiatrezeptoren wirken - hierzu zählen auch künstlich hergestellte Medikamente wie Tilidin oder Fentanyl. Kurz gesagt: Opiate sind die naturbelassenen, aus dem Opium der Mohnpflanze isolierten Wirkstoffe.
Schon vor tausenden Jahren wussten die Menschen um die Wirkung des Mohns. In Babylon, Ägypten und Griechenland galt Opium als Traumbringer, Heilmittel und magische Substanz. Im 19. Jahrhundert veränderten Opiate Medizin, Literatur und Politik: Von Goethes Zeitgenossen, die Laudanum (Opiumtinktur) tranken, über die Morphiumwellen in Kriegen, bis hin zur Opiumkrise im China des 19. Jahrhunderts und der heutigen Opioidkrise in den USA reichen die Spuren dieser Substanzen.
Studenten fragen häufig: Was ist der Unterschied zwischen Opiaten und Opioiden? Die Antwort steckt im chemischen Ursprung: Opiate sind, wie bereits gelernt, ausschließlich natürlich und aus Schlafmohn hergestellt (z.B. Morphin, Codein). Wenn du heute eine Notfallstation betrittst, kannst du beinahe sicher sein, dass im Giftschrank Morphin steht - das wohl bekannteste Opiat.
Beispiele für Opiate
- Morphin: Das stärkste natürliche Opiat, in der Medizin eingesetzt zur Behandlung starker Schmerzen etwa nach Operationen, bei Tumoren oder schweren Verletzungen. Morphin ist der Maßstab, an dem andere Schmerzmittel gemessen werden. Morphin oder Morphium bekämpft den Schmerzen, ohne dass es Einfluß auf das Bewusstsein nimmt. Morphin verhindert die Wahrnehmung eines Schmerzreizes dadurch, dass es im Gehirn bzw. Rückenmark an Opioid-Rezeptoren bindet und damit die Schmerzweiterleitung unterbunden wird.
- Codein: Wird meist als Hustenstiller oder leichtes Schmerzmittel verschrieben. Seine Wirkung ist schwächer als die von Morphin, dafür ist das Suchtpotenzial geringer. Codein wird besonders als Hustenblocker bei trockenem Husten verschrieben.
- Thebain: Wichtiger Ausgangsstoff für die Herstellung weiterer Wirkstoffe (z.B. Oxycodon).
Weitere historische Beispiele sind das Rohopium selbst (kaum mehr medizinisch genutzt), während einige Mohnalkaloide als „Räuchermittel“ oder in traditionellen Ritualen eingesetzt wurden.
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Wie wirken Opiate auf den Körper? Der Mechanismus
Aber was passiert eigentlich genau in deinem Körper, wenn ein Opiat eingenommen wird? Opiate binden sich im Gehirn und im Nervensystem an spezielle Andockstellen, die sogenannten Opiatrezeptoren. Diese Opiatrezeptoren, die zu den sogenannten µ-, δ- und κ-Rezeptoren gehören, funktionieren wie molekulare Andockstellen für die körpereigenen „Opioidpeptide“ (z.B. Endorphine). Dadurch blockieren sie die Weiterleitung von Schmerzsignalen - man spürt weniger oder gar keinen Schmerz. Wird ein Opiat wie Morphin verabreicht, blockiert es die Weiterleitung von Schmerzsignalen und löst zugleich ein tiefes Wohlgefühl aus - daher die extreme Schmerzlinderung bei gleichzeitigem Suchtpotenzial. Opiate können zudem ein Gefühl von Entspannung und manchmal sogar Euphorie auslösen, was ihren Missbrauch besonders riskant macht. Nebenwirkungen wie Übelkeit, Müdigkeit oder Verstopfung sind häufig.
Opiate greifen im Gehirn an sogenannten Opiatrezeptoren an und wirken hauptsächlich schmerzlindernd und beruhigend. Die Opioide sind eine Wirkstoffgruppe, welche an den körpereigenen Opioidrezeptoren ihre Wirkung entfalten. Da bei einer Stressreaktion (Bsp.: Kampf ums Überleben) die Schmerzwahrnehmung stören würde, wird diese durch Ausschüttung endogener Opioidpeptide (β-Endorphin, Enkephalin, Dynorphin) auf Rückenmarksebene (spinal) und im Gehirn (supraspinal) gehemmt. Derselbe Mechanismus wird pharmakologisch bei der Gabe von exogenen Opioiden genutzt. Die Hauptwirkung der Opioide ist damit die Analgesie.
Agonismus oder Partialagonismus an den endogenen Opioidrezeptoren
- Präsynapse: Bindung führt zur Senkung von intrazellulärem cAMP. Dadurch wird der Einstrom von Calcium in die Präsynapse und damit die Transmitterfreisetzung (Glutamat) reduziert.
- Postsynapse: Bindung führt zu einer erhöhten Öffnungswahrscheinlichkeit von postsynaptischen Kaliumkanälen. Der Ausstrom von Kalium (positiv geladene Ionen) führt zu einer Hyperpolarisation, wodurch ebenfalls die Signalweiterleitung unterdrückt wird.
Opioidanlagetika wirken als Agonisten, Partialagonisten, gemischten Agonisten-Antagonisten und Antagonisten über sogenannte Opioidrezeptoren, heterotrimere G-Proteine. Diese Rezeptoren sind auf der Zelloberfläche von unter anderem Nervenzellen zu finden. Man unterscheidet drei verschiedene Subtypen, den μ-, den κ- und den δ-Opioidrezeptor, von denen der μ-Opioidrezeptor die häufigste Zielstruktur von Opioidanlagetika ist. Durch Hemmung dieser endogenen Opioidrezeptoren werden Schmerzimpulse direkt an den Nervenzellen beziehungsweise ihren Synapsen in den Schmerzbahnen spinal als auch supraspinal unterbrochen. Man differenziert zwischen zentralen und peripheren Effekten.
Zentrale Effekte
- Analgesie: Im Rückenmark hemmen Opioidanalgetika die Freisetzung von primär-afferenten Transmittern wie Glutamat oder Substanz P. Dadurch sinkt die Reizübertragung vom Rückenmark auf zentrale Bereiche im Gehirn über den Tractus spinothalamicus. Gleichzeitig werden umgekehrt im Mittelhirn absteigende Nervenbahnen stimuliert, die den Tractus spinothalamicus inhibieren. Im Thalamus, dem sensomotorischen Cortex und dem limbischen System werden zusätzlich Opioidrezeptoren stimuliert, sodass sich die Stärke des Schmerzempfindens und die emotionale Bewertung des Schmerzes ändern.
- Euphorie: Opioidrezeptoren im Mittelhirn (Area tegmentalis ventralis) hemmen inhibitorische GABAerge Interneurone. Dadurch wird mehr Dopamin freigesetzt und die Schmerzangst sinkt. Gegensätzlich zu ihr entsteht aber Euphorie, die zur Suchtentwicklung beitragen kann. Chronisch Schmerzkranke sind davon ausgenommen, denn bei ihnen entsteht unter Opioidanalgetika zumeist kein Euphoriegefühl. Heroin löst subjektiv positive Empfindungen aus.
- Sedierung, Antitussiva und emetische Wirkung: Opioidanalgetika hemmen Neuronen im aufsteigenden Teil der Formatio reticularis. So kann es zu einer Sedierung kommen, die die Fahrtüchtigkeit beeinträchtigt. Ebenso hemmen sie die Erregbarkeit des Hustenzentrums und stimulieren Rezeptoren in der Chemorezeptor-Triggerzone der Medulla oblongata, die Erbrechen auslösen können.
- Atemdepression: Im medullären Atemzentrum regulieren Opioidagonisten die CO2-Empfindlichkeit herab. Dadurch wird der Atemrhythmus beeinflusst.
Periphere Effekte
Auch periphere Nervenendigungen nozizeptiver Afferenzen verfügen über Opioidrezeptoren. An dieser Stelle können Opioidanalgetika analgetisch eingreifen und die Sensibilisierung der Nozizeptoren hemmen. Ebenso verfügen viele Organe über periphere Opioidrezeptoren wie unter anderem der Magen-Darm-Trakt, der Sphincter Oddi und die Harnblasenschließmuskel. Besonders Medikamente, die am oder im zentralen Nervensystem wirken, können mit Opioidanalgetika wechselwirken und unter anderem eine Atemdepression auslösen. Aber auch verstärkende Interaktionen wurden beobachtet.
Anwendungsgebiete von Opiaten
Es gibt Lebenslagen, in denen Opiate buchstäblich Leben retten oder Leid lindern: Bei schwersten Verletzungen, in der Palliativmedizin oder in der Anästhesie ist der gezielte Einsatz von Opiaten zentral.
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- Schmerzlinderung: Unangefochten das wichtigste Anwendungsgebiet. Opiate werden dann eingesetzt, wenn andere Schmerzmittel nicht mehr ausreichen - etwa bei starken, akuten Schmerzen nach Operationen, schweren Verletzungen oder bei der Behandlung von Krebsschmerzen. Sie sind ein fester Bestandteil des WHO-Stufenschemas zur Schmerztherapie - je stärker der Schmerz, desto eher kommen Opioide/Opiate zum Einsatz.
- Hustenstillende Wirkung: Codein wird besonders als Hustenblocker bei trockenem Husten verschrieben.
- Substitutionstherapie: Bei Opiatabhängigkeit, z.B. mit Methadon.
- Anästhesie: In der Anästhesie werden vor allem Opioid-Analgetika aus der Fentanyl-Gruppe verwendet.
Sie müssen immer ärztlich verschrieben und gut überwacht werden, da die Risiken (z. B. Abhängigkeit) hoch sind.
Risiken und Nebenwirkungen
Die Anwendung unterliegt strengen gesetzlichen Regelungen. Vor allem der missbräuchliche Konsum von Opiaten (z.B. Heroin, hohe Morphindosen) ist mit massiven Risiken verbunden: Bei Injektionen drohen Infektionen (HIV, Hepatitis), Abszesse oder Blutvergiftungen. Kaum ein anderes Medikament birgt ein so hohes Risiko, dass der Körper und die Psyche süchtig werden. Aber warum ist das so? Das Geheimnis liegt im Belohnungssystem des Gehirns: Opiate steigern dort die Ausschüttung von Dopamin, das zentrale Glückshormon.
Die Entstehung einer Abhängigkeit ist abhängig von genetischer Veranlagung, psychischer Stabilität, sozialen Faktoren und Verfügbarkeit des Suchtmittels. Opiate können in der Medizin Segen sein - in den falschen Händen entwickeln sie sich jedoch zum Treiber sozialer Krisen. Auf individueller Ebene bedeutet Abhängigkeit häufig soziale Ausgrenzung, Arbeitsplatzverlust, Beschaffungskriminalität oder Verwahrlosung. Infektionskrankheiten (HIV, Hepatitis) verbreiten sich besonders unter Nutzern, die Drogen injizieren.
Zugleich löst ein verantwortungsvoller Umgang ethische und gesellschaftliche Debatten aus: Wer hat Zugang zu Schmerztherapie? Wie kann man Sucht vorbeugen, ohne Patienten mit echten Schmerzen zu stigmatisieren? Eine Opiatabhängigkeit entwickelt sich oft schleichend. Warnzeichen sind etwa der starke Wunsch nach dem Medikament, das Vernachlässigen anderer Aktivitäten, sowie eine ständige Dosiserhöhung. Körperlich zeigen sich Entzugserscheinungen (Unruhe, Schweißausbrüche, Muskel- und Knochenschmerzen) beim Versuch, das Mittel abzusetzen.
Entzugserscheinungen und Toleranzentwicklung
Heroin setzt sich an die Rezeptoren, blockiert somit die Bildung von cAMP. Dies führt zu chaotischen physiologischen Verhältnissen, Rauschzustand. Der Körper reagiert. Die cAMP-Menge soll gleich gehalten werden, also werden in der Folge neue Rezeptoren gebildet. Der Normalzustand ist wieder hergestellt…um den Rauschzustand zu erreichen muss mehr Heroin verwendet werden. Absetzen Heroin: alle Rezeptoren produzieren die Freisetzung von cAMP: Überreaktion mit Erbrechen, Schüttelfrost, Schmerzen. Entwöhnung von Heroin erfolgt, indem Körper Rezeptoren langsam abbaut…
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Langfristige Opiatausschüttung führt zu Gegenreaktionen der Zelle. Die Anzahl der Rezeptoren in der postsynaptischen Membran wird erhöht mit dem Ziel die cAMP-Konzentration in der Zelle konstant zu halten. Die Opiatrezeptoren müssen erhöht werden, um den Effekt der Droge aufrecht erhalten zu können …. Der Teufelskreis beginnt. Es kommt bei Opiatentzug zu massiven cAMP-Ausschüttungen in der Zelle. Erst durch langsames zurückregulieren der Rezeptoranzahl in der postsynaptischen Membran verschwinden die Suchteffekte.
Opioidabhängige Patient:innen haben in der Regel einen erhöhten Opioidbedarf. Der Partialagonist Buprenorphin kann zu Entzugssymptomen führen und ist daher bei opioidabhängigen Patient:innen kontraindiziert. Naloxon (Opioidrezeptor-Antagonist) Achtung: Naloxon hat eine kürzere Halbwertszeit als die meisten Opioide. Es kann daher zu einem Rebound-Phänomen mit Remorphinisierung kommen!
Mythen und Fakten über Opiate
Rund um Opiate kursieren zahlreiche Mythen - von der angeblich direkten Suchtgefahr durch Mohnbrötchen bis zur völligen Ablehnung in der Medizin.
- Mythos 1: „Mohnbrötchen machen sofort süchtig.“ Falsch. Die Mengen an enthaltenen Opiaten sind viel zu gering.
- Mythos 2: „Opiate führen immer zu Organschäden.“ Bei medizinisch kontrollierten, kurzfristigen Anwendungen ist das Risiko gering.
- Mythos 3: „Schmerzpatienten werden zwangsläufig abhängig.“ Die Suchtgefahr steigt mit falscher Dosierung, fehlender Verlaufsbeobachtung und psychischen sowie sozialen Risikofaktoren.
Alternativen zu Opiaten
Ja, insbesondere bei leichteren oder mittelstarken Schmerzen stehen viele andere Medikamente zur Verfügung, zum Beispiel Nicht-Opioid-Schmerzmittel wie Ibuprofen oder Paracetamol. Außerdem können Physiotherapie, psychologische Betreuung oder Entspannungsverfahren helfen, Schmerzen zu lindern und Opiate zu vermeiden. Wichtig: Für schwere Schmerzen (z. B. nach Operationen) sind Opiate oft unersetzlich.
Fentanyl im Detail: Wirkung, Toleranz und Hyperalgesie
In der Anästhesie werden vor allem Opioid-Analgetika aus der Fentanyl-Gruppe verwendet. Im vorliegenden tierexperimentellen Aufbau veranschaulicht die neurobiologischen Zusammenhänge bei der zentralen Sensibilisierung unter inhalativer Anästhesie. Bei dem Versuch wurde zunächst der Nervus Ischiadicus des Versuchstiers frei präpariert, und mit einer Elektrode umfasst. Anschließend wurde im Hinterhorn des Rückenmarks mittels einer Glaselektrode ein Feldsummenpotential abgeleitet. Eine Reizung der Elektrode am Ischiasnerv führte dazu, dass zuerst Aß-Fasern und - mit einer Verzögerung von ungefähr 80ms - C-Fasern im Rückenmark abgeleitet wurden. Im weiteren Verlauf wurde der Reiz alle 5 Minuten ausgelöst und die Größe des C-Faser evozierten Potentials auf 100 normiert. Es zeigte sich, dass über einen stabilen Zeitraum die Größe des C-Faser evozierten Potentials konstant gleich groß blieb. Im nächsten Schritt wurde die Elektrode, die um den Nervus Ischiadicus herumgeschlungen war, einmalig stark erregt. Dadurch wurde das C-Faser evozierte Potential im Rückenmark deutlich größer. Durch einen einmaligen Reiz hatte sich die Reizübertragungsstärke im Hinterhorn des Rückenmarks dramatisch verändert. Das Experiment konnte zeigen, dass extrem starken Schmerzen unter Vollnarkose offensichtlich dazu führen, dass sich das Reizantwortverhalten an der Synapse im Hinterhorn des Rückenmarks deutlich verändert. Der Effekt war unabhängig davon, ob eine Vollnarkose mit Isofluran oder mit Sevofluran durchgeführt wurde.
Im nächsten Schritt erhielten die Versuchstiere Fentanyl, so wie es auch Patienten zur Narkose erhalten. Zunächst wurden 6 µ/kg/h gegeben. Dies wirkte sich noch kaum aus. Mit zunehmender Medikamenten-Dosis reduziert sich die Größe dieses Feldsummenpotentials erwartungsgemäß. Eine Synapse im Hinterhorn des Rückenmarks hat eine präsynaptische und postsynaptische Seite. Durch einen Reiz von außen, verschmelzen diese Vesikel mit Hilfe von Calcium. Glutamat wird freigesetzt und kann auf der gegenüberliegenden Seite eine nozizeptive Information weiterleiten. Die µ-Opiatrezeptoren auf der präsynaptischen Seite, werden durch den Agonisten gehemmt, Glutamat freizusetzen. Durch einen Kaliumeinstrom wird die Zelle auf der postsynaptischen Seite weniger stark erregbar, sogenannte „Hyperpolarisation“.
Die klinische Erfahrung zeigt jedoch, dass die Dauergabe von Opiaten nicht automatisch immer den gleichen analgetischen Effekt bewirkt. So ist zu beobachten, dass Patienten auf der Intensivstation, die über längere Zeit, das heißt über mehrere Tage hinweg, mit Opiaten zur Analgosedierung versorgt werden müssen, sich offensichtlich an diese Opiatdosierung gewöhnen. Bei diesen Patienten ist es häufig erforderlich, die Opioid-Dosis täglich zu erhöhen, um den gleichen klinischen Effekt zu erzielen. Ein Blick in die zellulären Mechanismen zeigt, dass der Opiatrezeptor über ein G-Protein funktioniert. Hohe Opiatdosierungen führen offensichtlich dazu, dass das G-Protein vom Rezeptor intrazellulär abgekoppelt wird. Ein weiterer Effekt der lang anhaltenden, hochdosierten Erregung ist, dass Opiatrezeptoren komplett von der Zelloberfläche verschwinden. In Folge dessen wird mehr Opiat benötigt, um die restlichen Rezeptoren, die auf der postsynaptischen Seite liegen, erregen zu können.
Um die klinische Narkosesituation realistisch abzubilden erhielten die Versuchstiere im oben genannten Versuch zunächst Fentanyl in einer Dosis von 40 µ/kg und anschließend eine Fentanyl Dauerdosierung von 96 µ/kg/h. Nach der initialen Fentanyl-Gabe zeigte sich eine deutliche Reduktion des C-Faser evozierten Potentials, was ein Hinweis auf eine gute analgetische Wirkung bedeutet. Nach etwa einer Stunde unter Isofluran-Narkose plus Fentanyl wurde wiederum ein einmaliger starker Schmerzreiz gesetzt, in dessen Folge sich eine Langzeitpotenzierung im Rückenmark zeigte. Weitere Untersuchungsreihen konnten zeigen, dass dieser Effekt dosisabhängig ist. Wurde wenig Opiat eingesetzt, konnte eine starke Langzeitpotenzierung beobachtet werden. Wurde ein mittlerer Dosisbereich verwendet, konnte eine Langzeitpotenzierung verhindert werden. Unter hoher Opiat-Dosis war eine Langzeitpotenzierung jedoch auslösbar. Fazit: Je mehr Opiat gegeben wird, umso höher ist die Wahrscheinlichkeit, eine Langzeitpotenzierung auslösen. In einem mittleren Opiatbereich ist das offensichtlich nicht möglich.
Wenn Opiatrezeptoren stark erregt werden, können NMDA Rezeptoren über die Proteinkinase C (PKC), phosphoryliert werden. Das bedeutet eine erhöhte Aktivierung. Je länger und je mehr Opiat verabreicht wird - wie in dem Versuchsaufbau gezeigt - umso höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass nicht nur die analgetische Wirkung nachlässt, sondern auch, dass eine Langzeitpotenzierung ausgelöst wird. Die Phosphorylierung des NMDA Rezeptors ist eine wichtige Erklärung für die Opiat-induzierte Hyperalgesie und für die Opiat-induzierte Toleranz. Bereits im Jahr 2005 hat die Arbeitsgruppe von Herrn Koppert aus Hannover diese Zusammenhänge in ihrem Review-Artikel „Mr. Jekyll und Dr. Hyde der Opiattherapie“ beschrieben und bildlich dargestellt. Die Autoren zeigen, dass wenn ein Opiat über eine längere Zeit gegeben wird, also zum Beispiel auf der Intensivstation oder Remifentanil zur Dauergabe intraoperativ, der analgetische Effekt nachlässt. Zudem läßt sich klinisch beobachten, dass es bei längerer Anwendung sogar zu einer Schmerzverstärkung im Sinne einer Hyperalgesie kommen kann.
Die Theorie der Gegenregulation beschreibt den Zusammenhang anschaulich. Die Summe dieser beiden gegenläufigen Effekte zeigt sich in einer Abnahme der Wirkung des Opiats. Die Analgesiestärke wird immer geringer. Es tritt ein Toleranzeffekt ein. Wird das Opiat abgesetzt, verschwinden die antinozizeptiven Mechanismen innerhalb kurzer Zeit. Anders verhält es sich hingegen bei den pronozizeptiven Mechanismen. Es dauert einige Zeit, bis sich der Körper wieder fein reguliert hat. Dieser Mechanismus zeigt sich als Opiat-induzierte Hyperalgesie. Dass dieser Zusammenhang klinisch relevant ist, verdeutlicht das nachfolgende Beispiel: Immer wieder beobachtet man Patienten im Aufwachraum, die Opiate zur Therapie postoperativer Schmerzen erhalten ohne jedoch eine ausreichende Wirkung zu berichten. Diese Patienten erhalten dann oftmals mehr und mehr Opiate, und verspüren dennoch Schmerzen. Der NMDA Rezeptor ist von zentraler Bedeutung in der Opiat-induzieren Hyperalgesie. Auch bei der Opiat-induzierten Toleranz spielt er eine gewichtige Rolle. Es liegt also nah, den NMDA Rezeptor zu blockieren, um so die Schmerztherapie zu verbessern.
In einer weiteren Untersuchungsphase wurde die Wirkung von Ketamin auf die Auslösung und die Aufrechterhaltung einer zentralen Sensibilisierung überprüft. Nach einer Stunde Narkosedauer erhielten die Versuchstiere Ketamin. Die Dosierung war subanästhetisch und hatte keinen Einfluß auf die akute Nozizeption. Nach einer weiteren Stunde wurde ein hochfrequenter Reiz ausgelöst, die Langzeitpotenzierung wurde jedoch unterdrückt. Die Grafik rechts zeigt den Verlauf. Der Versuch beweist, dass die Blockade des NMDA Rezeptor noch bevor die Patienten intraoperativ einen starken Schmerzreiz erfahren, das Rückenmark vor einer Langzeitpotenzierung schützt. Die Gabe von Fentanyl führt zu einer dramatischen Reduktion des C-Faser evozierten Potentials. Klinisch bedeutete das eine gute Analgesie. Anschließend lässt sich jedoch eine Langzeitpotenzierung auslösen. Diesen Befund kennen Sie bereits. Dem gegenüber verhindert die gleichzeitige Gabe von Fentanyl und Ketamin die Langzeitpotenzierung, trotz guter Analgesie. Fazit: Die Kombination von Fentanyl, also einem hoch wirksamen Opiat, plus Ketamin, führt zu einer guten Analgesie und zum Schutz vor Langzeitpotenzierung.In einem anderen Versuchsaufbau hat die Gruppe von Célèrier ebenfalls das Phänomen der Fentanyl-induzierten Hyperalgesie untersucht. von Versuchstieren beobachtet. Den Tieren wurde zunächst ein Gewicht von 300 Gramm auf die Pfote gelegt, woraufhin diese die Pfote wegzogen. In der folgenden Phase des Experiments wurde den Tieren NaCl intraperitoneal gespritzt. Die Druckschmerzschwelle verändert sich nicht, auch nicht während einiger Stunden und auch nicht während einiger Tage nach der NaCl-Gabe. Anschließend wurden die Versuchstiere mit Fentanyl behandelt. Die Druckschmerzschwelle stieg auf das Doppelte an, nämlich von 300 Gramm auf 600 Gramm. Erst bei dieser Belastung zogen die Tiere ihre Pfote weg. Der Aufbau zeigt, dass Fentanyl gut wirkt und die Tiere ausreichend analgesiert sind. Auch an den Folgetagen erhielten die Tiere jeweils 60 µg Fentanyl. Dabei zeigte sich, dass die Druckschmerzschwelle am 1., am 2. und am 3. Folgetag reduziert war, bis sie am Tag 4 wieder Normalität erreicht hatte. Auch in diesem Experiment haben die Autoren Ketamin eingesetzt. Analog dem oben beschriebenen Laborexperiment erhielten die Versuchstiere erst Ketamin und danach Fentanyl. Dabei wurde eine Verdoppelung der Druckschmerzschwelle beobachtet. Diese normalisiert sich nach etwa sechs Stunden.
Die oben beschriebenen Zusammenhänge lassen sich gut auf die klinische Situation übertragen. Zunächst eine antihyperalgetische Ketamindosierung für den OP-Bereich. Präoperativ bedeutet in diesem Fall nicht prä-anästhetisch oder prä-anästhe-siologisch, sondern, dass der Patient zunächst narkotisiert wird und einen Ketamin-Bolus von 0,5mg/kg erst vor dem eigentlichen operativen Trauma erhält. Während des Eingriffs können als Ersatz für einen Periduralkatheter beispielsweise 0,2 mg/kg/h als Infusion verabreicht werden. Sofern die organisatorischen Voraussetzungen gegeben sind, sollte die Ketamingabe in einer Minimaldosierung von 0,1mg/kg/h für die ersten ein bis zwei Tage nach dem Eingriff fortgesetzt werden. Diese geringe Dosierung hat sich auch bei Patienten bewährt, die sich mit einer hohen Opiat-Dosis vorstellen und dennoch unter starken Schmerzen leiden. Bei diesen Patienten wird 0,1mg/kg/h Ketamin beispielsweise über eine PCA-Pumpe gegeben.
LONTS-Leitlinien und hochdosierte Opiatgabe
Was steht in den LONTS-Leitlinien zum Thema „hochdosierte Opiatgabe“? Was bedeutet Hochdosistherapie? In den LONTS-Leitlinien gibt es hierzu eindeutige Vorgaben. „Vor einer Dosiserhöhung > 120 mg/Tag orales Morphinäquivalent ist zu überprüfen: Liegt eine relevante Toleranzentwicklung vor? Gibt es Hinweise für die Entwicklung einer Opioidabhängigkeit? Liegen andere Hinweise für eine mögliche missbräuchliche Verwendung der rezeptierten Medikamente vor? Ist der/die Patient/in ggf. mit einem Opioidauslassversuch einverstanden? Fazit: Opiat-induzierte Toleranz und Opiat-induzierte Hyperalgesie haben bereits Einzug in die LONTS-Leitlinien gefunden. Es sind also nicht lediglich theoretische Überlegungen sondern klinisch relevante Phänomene. In vielerlei Hinsicht hat sich die LONTS-Leitlinie als nützliches Hilfsmittel für den klinischen Alltag erwiesen. Dort wird beispielsweise auch definiert: Was ist ein Fehlgebrauch, was ist Missbrauch, was ist Abhängigkeit?
Hochdosierte Opiate sind unverzichtbar für die Schmerztherapie unter Narkose, die postoperative Schmerztherapie aber auch chronische Schmerztherapie und nicht zuletzt die Tumorschmerztherapie. Das Wissen um Opioid-Wirkungen und -Nebenwirkungen muss allerdings beherrscht werden, auch wenn dies zunächst banal erscheint. Phänomene wie Opiat-induzierte Toleranz und Opiat-induzierte Hyperalgesie durch hohe Dosierungen und durch zu lange Anwendung sind klinisch äußerst relevant und müssen stets im Auge behalten werden. Behandler sollten bei Wirkungsabnahme ihr Augenmerk jedoch nicht allein auf Toleranz und Hyperalgesie richten, sondern auch auf die anderen Kriterien achten, die in den LONTS-Leitlinien als mögliche Ursachen einer Abnahme der Wirkung von hochpotenten und selbstverständlich in der Schmerztherapie einzusetzenden Opioiden festgeschrieben sind.
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