Fokale Epilepsie (ICD-10 G40.-)

Einführung

Epilepsie, klassifiziert unter dem ICD-10-Code G40, ist eine neurologische Erkrankung, die durch wiederholte, unprovozierte Anfälle gekennzeichnet ist. Diese Anfälle resultieren aus einer plötzlichen, abnormalen elektrischen Aktivität im Gehirn. Es handelt sich um einen Oberbegriff für zerebrale Funktionsstörungen, die auf einer neuronalen Netzstörung beruhen, wobei wiederholte Anfälle das Leitsymptom darstellen. Ein epileptischer Anfall wird definiert als ein vorübergehendes Auftreten subjektiver Zeichen und/oder objektivierbarer Symptome aufgrund einer pathologisch exzessiven und/oder synchronisierten neuronalen Aktivität im Gehirn. Abhängig von Ort und Ausprägung der Anfälle kann die Phänomenologie beträchtlich variieren.

Was ist fokale Epilepsie?

Bei der fokalen Epilepsie beschränken sich die epileptischen Anfälle meist auf einen bestimmten Bereich des Körpers. Die Anfälle haben ihren Ursprung in einem begrenzten Neuronensystem innerhalb einer Hemisphäre des Gehirns. Diese Anfälle werden entsprechend der motorischen Initialsymptomatik klassifiziert und in Anfälle mit und ohne Bewusstseinsstörung unterteilt.

Es ist wichtig zu beachten, dass Betroffene die epileptischen Anfälle meist nicht bewusst wahrnehmen können.

Symptome der fokalen Epilepsie

Die Symptome der unterschiedlichen Epilepsieformen variieren stark. Das klinische Bild richtet sich nach der Lokalisation und dem Ausmaß der neuronalen Fehlerregung sowie nach der Art des Anfallgeschehens.

Mögliche Symptome sind:

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  • Parästhesien auf der Haut (Parietallappenanfälle)
  • Orale Automatismen wie Schmatzen und Kauen (Temporallappenanfälle)
  • Visuelle Halluzinationen (Okzipitallappenanfälle)
  • Komplexe Anfallsbewegungen (frontale Anfälle)
  • Mischbilder

Die ILAE unterscheidet grundsätzlich zwischen Anfällen mit fokaler, generalisierter oder unbekannter Ausbreitung. Darüber hinaus werden diese in Formen mit motorischen und nicht-motorischen Bewegungsstörungen eingeteilt. Bei fokal beginnenden Anfällen wird zusätzlich unterschieden, ob der Patient bei Bewusstsein ist oder nicht. Fokale und generalisierte Anfälle können einzeln (inklusive mehrerer fokaler oder generalisierter Ereignisse) oder zusammen auftreten.

Fokale Anfälle mit motorischer Initialsymptomatik

Ein Beginn mit motorischen Störungen kann gekennzeichnet sein durch:

  • Automatismen (zum Beispiel unwillkürliches Lecken der Lippen, Schmatzen, Gestikulieren und Wortwiederholungen)
  • Atonische Anfälle (Reduktion oder Verlust des Muskeltonus)
  • Klonische Anfälle (unwillkürliche rhythmische Muskelzuckungen)
  • Epileptische Spasmen (rasche blitzartige Muskelanspannungen)
  • Hyperkinetische Anfälle (agitierte Motorik)
  • Myoklonische Anfälle (unwillkürliche kurze, nicht-rhythmische Muskelzuckungen)
  • Tonische Anfälle (Muskelanspannung bzw. Versteifung einzelner Muskelgruppen)

Wie jeder epileptische Anfall kann auch ein fokal beginnender Anfall mit motorischen Symptomen in einen Status epilepticus (SE) übergehen und stunden- oder sogar tage- bis wochenlang andauern (Epilepsia partialis continua, Koževnikov-Status).

Fokale Anfälle ohne motorische Initialsymptomatik

Fokale Anfälle ohne initial-motorische Störungen können folgenden Charakter haben:

  • Autonom (zum Beispiel epigastrales Wärmegefühl, Schwitzen, Hautblässe, Inkontinenz oder Piloerektion)
  • Mit Arrest-Symptomatik (Innehalten mit völligem Bewegungsverlust)
  • Kognitiv (zum Beispiel Träumen oder verzerrte Zeitwahrnehmung)
  • Emotional (zum Beispiel Wut-, Angst- oder Glücksgefühle)
  • Sensorisch (vor allem visuelle, auditive, gustatorische, olfaktorische, vertiginöse und sensible Veränderungen)

Daneben gibt es fokal beginnende und zu bilateral tonisch-klonischen Anfällen übergehende Ereignisse.

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Fokal beginnende Anfälle ohne Bewusstseinseinschränkung

Fokal beginnende Anfälle ohne Bewusstseinseinschränkung entsprechen den bisher als „einfach-fokal“ bezeichneten Anfällen. Die Anfälle weisen häufig auf eine intrazerebrale Läsion hin. Sie können im Verlauf zu einer Bewusstseinsstörung führen oder in generalisierte Anfälle übergehen. Bisher hat man fokal beginnende Anfälle ohne Bewusstseinseinschränkung, die mehr oder weniger regelhaft in generalisierte Anfälle übergehen, als Auren bezeichnet. Da eine Aura definitionsgemäß aber selbst ein epileptisches Ereignis darstellt, verwendet die neue Klassifikation diesen Begriff nicht mehr.

Wesentliche Formen im klinischen Alltag sind:

  • Fokal beginnende Anfälle mit motorischen Symptomen und Ausbreitungstendenz (Jackson-Anfälle):

    • beginnen mit rhythmischen klonischen Muskelkontraktionen in einem Körperabschnitt (am häufigsten in Hand und Fingern, seltener in Gesicht, Bein und Rumpf)
    • bei Beteiligung des Mundwinkels Speichelfluss und Sprechstörungen als Begleitsymptomatik
    • selten initial tonische Komponenten
    • Muskelzuckungen breiten sich von distal nach proximal fortschreitend aus (march) und bleiben auf eine Körperhälfte begrenzt
    • in etwa 60 Prozent der Fälle handelt es sich um rein motorische Anfälle, die restlichen gehen mit sensiblen Symptomen einher, die vor oder während der Kloni auftreten können
    • Dauer meist einige Sekunden bis Minuten
    • im Intervall normaler klinisch-neurologischer Befund
    • im EEG oft Herdbefunde in der kontralateralen Präzentralregion
    • häufige Ursachen sind lokalisierte Hirnschädigungen, im Erwachsenenalter vor allem Tumore
    • keine bestimmten Altersgruppen bevorzugt
    • auf fokale motorische Anfälle folgt oft eine vorübergehende schlaffe Parese oder Plegie der vom Anfall betroffenen Körperpartie (Todd-Lähmung)
  • Fokal beginnende Anfälle mit motorischen Symptomen ohne Ausbreitungstendenz:

    • lokalisierte motorische Anfälle, die sich klonisch äußern
    • häufig mit tonischer Komponente zu Beginn des Anfalls ohne Ausbreitung der klinischen Symptome
    • meist von kurzer Dauer (Sekunden bis wenige Minuten)
    • Bewusstseinsstörung im Verlauf möglich, ebenso der Übergang in einen bilateralen tonisch-klonischen Anfall

Ursachen der fokalen Epilepsie

Es gibt verschiedene Ursachen für eine Epilepsie, einschließlich der fokalen Epilepsie. Epilepsien können zum Beispiel erblich bedingt sein oder durch andere Erkrankungen ausgelöst werden.

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Die aktualisierte ILAE-Klassifikation besitzt eine dreistufige Grundstruktur: Zunächst soll der Anfallstyp bzw. die Anfallsform bestimmt werden. Hier unterscheidet man zwischen generalisiertem, fokalem und unklarem Beginn. Die nächste Stufe betrifft die Art der Epilepsie. Epilepsien und die damit verbundenen Anfälle sind auf eine Vielzahl von Ursachen zurückzuführen. Aktuell werden folgende Ätiologien unterschieden:

Strukturelle Ursachen

Eine strukturelle Epilepsie ist mit umschriebenen pathologischen Hirnveränderungen assoziiert. Diese können erworben oder genetisch bedingt sein. Epileptogene Läsionen sind beispielsweise Hirntumore und Hirninfarkte, Kontusionsdefekte, vaskuläre Malformationen, Enzephalozelen, fokale kortikale Dysplasien, Polymikrogyrie der kortikalen Neurone, hypothalamische Hamartome oder eine Hippocampussklerose. Ebenso kann eine perinatale Hirnschädigung, oft infolge von Sauerstoffmangel während des Geburtsvorgangs, eine Epilepsie verursachen.

Genetische Ursachen

In den letzten Jahren wurden mehrere Hundert Gene und Gen-Veränderungen identifiziert, die vermutlich oder sicher eine Epilepsie (mit)verursachen. Die Mehrzahl der Fälle der idiopathischen generalisierten Epilepsien (IGE) sind polygenetische Erkrankungen. Das Erkrankungsrisiko hängt von verschiedenen genetischen Suszeptibilitätsfaktoren und Umwelteinflüssen ab. Sehr viel seltener ist nur ein Gen betroffen (zum Beispiel Ionenkanal-Gene oder Neurotransmitter assoziierte Gene). Die Mutation kann vererbt werden oder de novo auftreten.

Ferner können nicht läsionelle fokale Epilepsien (non-acquired focal epilepsy, NAFE) in Teilen genetisch determiniert sein (speziell DEPDC5-Mutationen). So gibt es eine Reihe familiärer fokaler Epilepsiesyndrome, die klassischen Mendel’schen Erbgängen folgen - etwa die autosomal-dominante nächtliche Frontallappenepilepsie (ADNFLE) oder die autosomal-dominante laterale Temporallappenepilepsie (ADLTE).

Infektiöse Ursachen

Infektionen sind die weltweit häufigste Ursache von Epilepsie. Eine infektiöse Ätiologie bezieht sich auf Patienten mit Epilepsie und nicht auf Patienten, die Anfälle im Verlauf einer akuten Infektion erleiden. Infektiöse Ursachen können regional variieren; typische Beispiele sind Neurozystizerkose, Tuberkulose, HIV, zerebrale Malaria, subakute sklerosierende Panenzephalitis, zerebrale Toxoplasmose und kongenitale Infektionen - etwa durch das Zika- oder Zytomegalie-Virus. Zudem sind post-infektiöse Entwicklungen einer Epilepsie möglich, beispielsweise nach einer viralen Enzephalitis.

Metabolische Ursachen

Eine metabolisch verursachte Epilepsie ist direkte Folge einer Stoffwechselstörung, die epileptische Anfälle als Kernsymptomatik aufweist. Es wird angenommen, dass die meisten metabolisch bedingten Epilepsien einen genetischen Hintergrund haben und nur selten erworben sind.

Mit einer Epilepsie assoziierte Erkrankungen/Situationen sind u.a.:

  • Hypoparathyreoidismus
  • Hämochromatose
  • Porphyrie
  • Störungen des Aminosäurestoffwechsels
  • Pyridoxin-abhängige Epilepsie (PDE)
  • Hyponatriämie beim Syndrom der inadäquaten ADH-Sekretion (SIADH)
  • Urämie
  • Hyper-/Hypoglykämie
  • Zerebraler Folsäuremangel

Immunologische Ursachen

Eine immunologische Epilepsie ist auf eine autoimmun vermittelte Entzündung des ZNS zurückzuführen. Hierzu gehören vor allem die Kalium-Kanal-Antikörper (LGI1)-bedingte limbische Enzephalitis und die NMDA-Rezeptor-Antikörper assoziierte Enzephalitis (NMDA = N-Methyl-D-Aspartat).

Unbekannte Ursachen

Neben den zuverlässig differenzierbaren Epilepsien gibt es Formen, deren Ursache (noch) nicht bekannt ist. Eine spezifischere Diagnose als die elektro-klinische Einordnung, etwa als Frontallappenepilepsie, ist bei diesen Patienten nicht möglich. Bislang sind die neurobiologischen Zusammenhänge der Epileptogenese nicht bis ins letzte Detail verstanden.

Diagnose

Die Diagnose wird nach den Vorgaben der International League Against Epilepsy (ILAE) anhand des Anfallgeschehens und durch Zusatzbefunde erhoben, die auf eine Prädisposition für weitere epileptische Anfälle hindeuten. Dazu gehören beispielsweise epilepsietypische Potenziale im Elektroenzephalogramm (EEG) und/oder zum Anfallsereignis passende strukturelle Läsionen in der Bildgebung.

Behandlung

Die Behandlung basiert nahezu immer auf einer medikamentösen Therapie, gegebenenfalls begleitet von nicht-pharmakologischen Maßnahmen wie ketogener Diät und Psychotherapie.

Epidemiologie

Epilepsien gehören zu den häufigsten neurologischen Erkrankungen. Die Prävalenz in Industrieländern wird mit 0,5-0,9 Prozent angegeben. Die Neuerkrankungsrate liegt bei 40-70/100.000 Einwohnern pro Jahr. Die jährliche kumulative Inzidenz aller Epilepsien beträgt über alle Altersgruppen hinweg 67,77/100.000 Personen.

Hier sind jedoch zwei Spitzen zu verzeichnen: eine in den ersten fünf Lebensjahren (Early-onset-Epilepsie) und eine weitere jenseits des 50. Lebensjahrs (Late-onset-Epilepsie). Im Alter wird die höchste altersadjustierte Inzidenz von Epilepsien gemessen. Bei den über 65-Jährigen liegt die Inzidenz bei 90-150/100.000 Personen. Ebenso nimmt die Prävalenz mit dem Alter zu und steigt auf 1-2 Prozent bei den über 85-Jährigen. Der Häufigkeitsgipfel in der letzten Lebensdekade ist insbesondere mit dem Auftreten von Epilepsien nach Schlaganfällen und Hirntumoren sowie bei Demenzerkrankungen assoziiert. Bei den Demenzen haben Formen wie die Early-onset-Alzheimer-Erkrankung und die vaskuläre Demenz das größte Risiko, eine Epilepsie zu entwickeln.

Schätzungsweise erleiden circa 5 Prozent der Bevölkerung mindestens einmal im Leben einen Krampfanfall, ohne dass sich daraus eine aktive Epilepsie entwickelt. Bei Kindern und Jugendlichen kann ein solcher Anfall bei etwa 4-10 Prozent beobachtet werden. Dazu gehören Fieberkrämpfe, akut symptomatische Anfälle oder unprovozierte epileptische Anfälle. Mit 20 Jahren wird aber nur bei 1 Prozent die Erkrankung Epilepsie, das heißt sich wiederholende epileptische Anfälle, diagnostiziert. Die Hälfte der Epilepsie-Erkrankungen beginnt vor dem 10. Lebensjahr, 2/3 vor dem 20. Lebensjahr.

Klassifikation

Aus pragmatischen Gründen teilte man Epilepsien lange Zeit in symptomatische, idiopathische und kryptogene Formen ein. 2017 überarbeitete die internationale Liga gegen Epilepsie ihre Klassifikation und Terminologie.

Zusatzkennzeichen (ICD-Code)

Auf ärztlichen Dokumenten wird der ICD-Code oft durch Buchstaben ergänzt, die die Sicherheit der Diagnose oder die betroffene Körperseite beschreiben:

  • G: Gesicherte Diagnose
  • V: Verdacht
  • Z: Zustand nach
  • A: Ausschluss
  • L: Links
  • R: Rechts
  • B: Beidseitig

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