Fokale Läsionen im Gehirn sind Schädigungen oder Veränderungen, die auf einen bestimmten, abgegrenzten Bereich des Hirngewebes beschränkt sind. Sie können im Rahmen einer Magnetresonanztomographie (MRT) sichtbar gemacht werden und vielfältige Ursachen haben. Dieser Artikel beleuchtet die möglichen Ursachen fokaler Läsionen im Gehirn, insbesondere im Zusammenhang mit Multipler Sklerose (MS), und geht auf diagnostische und therapeutische Aspekte ein.
Multiple Sklerose und Läsionen im Gehirn
Die Multiple Sklerose (MS) ist eine chronisch-entzündliche Autoimmunerkrankung des zentralen Nervensystems (ZNS). Bei MS greift das Immunsystem fälschlicherweise die Myelinscheiden der Nervenfasern im Gehirn und Rückenmark an. Das Myelin, eine fetthaltige Schutzschicht, unterstützt die elektrische Signalübertragung im Nervensystem. Neben der Demyelinisierung kommt es auch zur Schädigung der Axone selbst und der Zellkörper im Bereich der grauen Substanz.
Entstehung von Plaques bei MS
Eine Entzündung im Zentralnervensystem führt zur Bildung von Narben. Wenn mehrere vernarbte Stellen größere Herde bilden, spricht man von Plaques, die als multifokale Areale abweichenden Signals in der Magnetresonanztomographie (MRT) sichtbar sind. Die konventionelle MRT hat einen zentralen Stellenwert bei der Diagnose von MS und der Beurteilung von subklinischer Krankheitsaktivität.
Lokalisation der Läsionen
Jahrelang wurde davon ausgegangen, dass sich diese Veränderungen auf die weiße Gehirnsubstanz beschränken. Durch den zunehmenden Einsatz von Magnetresonanztomographie (MRT) mit hoher Feldstärke (drei Tesla und mehr) hat sich jedoch gezeigt, dass die von der schubförmig verlaufenden Erkrankung verursachten Läsionen auch an anderen Stellen des zentralen Nervensystems gefunden wurden.
- Graue Hirnsubstanz: Die Plaques lassen sich auch in der grauen Hirnsubstanz nachweisen.
- Juxtakortikale Plaques: Besonders schwierig zu entdecken sind die juxtakortikalen Plaques, also Ablagerungen an der Grenze zwischen weißer und grauer Substanz.
- Rückenmark: Plaques entstehen bei MS aber auch im Rückenmark.
Differenzialdiagnose
Es ist wichtig zu beachten, dass Läsionen in der weißen Gehirnsubstanz nicht immer auf MS zurückzuführen sind. „Fünf bis zehn Prozent der unter 50-Jährigen haben Läsionen in der weißen Gehirnsubstanz“, unterstreicht Prof. Dr. Frederik Barkhof. Diese haben meist eine andere Ursache, nämlich eine Ischämie in Folge von Diabetes, Bluthochdruck oder schlicht und einfach des Alterns. Diese Läsionen freilich kommen nur in der weißen Substanz, nicht im Rückenmark vor. „Wenn nicht klar ist, ob eine Läsion im Gehirn auf MS oder eine Ischämie zurückzuführen ist, muss man einen Blick auf das Rückenmark werfen“, betont Barkhof.
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Weitere Ursachen für fokale Läsionen im Gehirn
Neben MS gibt es zahlreiche andere Ursachen für fokale Läsionen im Gehirn:
- Ischämie: Durchblutungsstörungen im Gehirn, beispielsweise durch einen Schlaganfall, können zu fokalen Läsionen führen.
- Trauma: Ein Schädel-Hirn-Trauma (SHT) kann das Gehirn dauerhaft schädigen und Betroffene entsprechend beeinträchtigen. Die Verletzungen bei einem SHT reichen von leichten Gehirnerschütterungen bis hin zu massiven Schädelbrüchen mit schweren Schädigungen des Gehirns.
- Infektionen: Entzündungen des Gehirns, wie beispielsweise Enzephalitis oder Meningitis, können fokale Läsionen verursachen.
- Tumore: Sowohl gutartige als auch bösartige Tumore im Gehirn können zu fokalen Läsionen führen.
- Gefäßerkrankungen: Erkrankungen der Blutgefäße im Gehirn, wie beispielsweise Aneurysmen oder Angiome, können zu fokalen Läsionen führen.
- Epilepsie: Neurologen vermuten, dass bei Kindern mit EEG-Verlangsamung oder -Abschwächung akute fokale Läsionen auftreten, die später zu einer Epilepsie führen können.
Diagnostik von fokalen Läsionen im Gehirn
Die Diagnose von fokalen Läsionen im Gehirn umfasst in der Regel folgende Schritte:
- Anamnese und neurologische Untersuchung: Der Arzt erfragt die Krankengeschichte des Patienten und führt eine umfassende neurologische Untersuchung durch, um mögliche Symptome und neurologische Defizite zu erfassen.
- Magnetresonanztomographie (MRT): Die MRT ist das wichtigste bildgebende Verfahren zur Diagnose von fokalen Läsionen im Gehirn. Sie ermöglicht eine detaillierte Darstellung des Gehirngewebes und kann Art, Größe und Lokalisation der Läsionen darstellen. Bei MS ermöglicht die MRT, sowohl die räumliche als auch die zeitliche Dissemination der Entzündungsherde in Gehirn und Rückenmark nachzuweisen.
- Computertomographie (CT): In bestimmten Fällen kann auch eine CT-Untersuchung durchgeführt werden, insbesondere zur Beurteilung von Knochenstrukturen und Blutungen.
- Liquoruntersuchung: Eine Lumbalpunktion zur Entnahme von Nervenwasser (Liquor) kann bei Verdacht auf entzündliche oder infektiöse Ursachen der Läsionen durchgeführt werden. Die Lumbalpunktion dient dem Nachweis liquorspezifischer oligoklonaler Banden (OKB), die eine intrathekale Immunaktivität anzeigen. Dieser Befund kann als Ersatz für den DIT-Nachweis herangezogen werden und hilft insbesondere in diagnostisch unklaren Situationen oder bei atypischer MRT-Befundlage.
- Weitere Untersuchungen: Je nach Verdacht können weitere Untersuchungen wie beispielsweise Elektroenzephalographie (EEG) zur Messung der Hirnströme oder evozierte Potentiale zur Messung der Nervenleitgeschwindigkeit durchgeführt werden.
Therapie von fokalen Läsionen im Gehirn
Die Therapie von fokalen Läsionen im Gehirn richtet sich nach der zugrunde liegenden Ursache.
- Multiple Sklerose: Die Behandlung der MS umfasst in der Regel eine Immuntherapie zur Reduktion der Krankheitsaktivität und eine symptomatische Therapie zur Linderung der Beschwerden. Die Therapie von akuten MS-Schüben erfolgt standardmäßig mit hochdosierten Glukokortikosteroiden, in der Regel Methylprednisolon (MP). Ziel ist die rasche Linderung neurologischer Defizite. Bei unzureichendem Ansprechen kann eine Eskalation erfolgen, etwa durch erneute Hochdosis-Gabe oder Plasmapherese - insbesondere bei anhaltender, alltagsrelevanter Beeinträchtigung.
- Ischämie: Bei einem Schlaganfall ist eine schnelle Behandlung zur Wiederherstellung der Durchblutung des Gehirns entscheidend.
- Trauma: Ein Schädel-Hirn-Trauma (SHT) muss schnellstmöglich diagnostiziert und behandelt werden, weil unbehandelte Hirnverletzungen zu schweren Komplikationen führen können.
- Infektionen: Entzündungen des Gehirns werden in der Regel mit Antibiotika oder antiviralen Medikamenten behandelt.
- Tumore: Tumore im Gehirn können operativ entfernt, bestrahlt oder mit Chemotherapie behandelt werden.
- Epilepsie: Die Behandlung von Epilepsie erfolgt in der Regel mit Antiepileptika.
MRT-Protokolle zur Diagnose und Überwachung von MS-Läsionen
Um den effizienten Einsatz der MRT in der klinischen Routine sicherzustellen, wurden die Empfehlungen zur Anwendung der MRT bei der Diagnose und Überwachung der MS von einem Expertengremium überarbeitet. Eine Standardisierung der MRT-Protokolle für Gehirn und Rückenmark wurde eingeführt, um eine bessere Interpretation und Vergleichbarkeit der Befunde zu gewährleisten. Insbesondere wird die Bedeutung der 3-D-FLAIR-Sequenz (FLAIR: „fluid-attenuated inversion recovery“) für die zerebrale Diagnostik hervorgehoben.
Empfehlungen für MRT-Protokolle
Die Konsensusempfehlungen, die von den Fachgesellschaften Magnetic Resonance Imaging in Multiple Sclerosis (MAGNIMS), Consortium of Multiple Sclerosis Centers (CMSC) und North American Imaging in Multiple Sclerosis (NAIMS) im Jahr 2021 publiziert wurden, haben zu einer Standardisierung der MRT-Protokolle geführt.
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- Der Kern eines jeden Untersuchungsprotokolls sollten T2-gewichtete und FLAIR-Bilder sowie bei erstmaliger Diagnostik kontrastverstärkte T1-gewichtete Bilder sein.
- Für FLAIR- und T1-gewichtete Sequenzen werden vorzugsweise dreidimensionale Techniken verwendet, da sie eine bessere Detektion von Läsionen ermöglichen.
- Sagittale 3-D-FLAIR-Sequenzen gelten aufgrund ihrer hohen Sensitivität als Schlüsselsequenz für die Diagnose und Überwachung der MS.
- In Zentren, die nicht in der Lage sind, hochwertige 3-D-FLAIR-Bilder zu erstellen, können alternativ zweidimensionale (2-D-)Sequenzen mit einer Schichtdicke von ≤3 mm und ohne Lücken („gap“) verwendet werden.
- T1-gewichtete Sequenzen ohne Gadolinium-haltige Kontrastmittel müssen nicht mehr routinemäßig durchgeführt werden.
- Es liegen keine überzeugenden Daten vor, dass der Einsatz von 3-Tesla-MRT-Scannern zu einer früheren Diagnosestellung der MS führt, auch wenn dadurch mehr Läsionen nachweisbar sind. Es wird davon ausgegangen, dass 1,5-Tesla-Scanner weiterhin ausreichen, solange die Scans ein ausreichendes Signal-Rausch-Verhältnis aufweisen und eine räumliche Auflösung von ≤1 mm mal 1 mm Pixel bieten. Der Einsatz von MRT-Scannern mit Feldstärken <1,5 Tesla wird nicht empfohlen.
- Bei der Erstuntersuchung wird weiterhin Kontrastmittel verwendet, um eine mögliche DIT schon bei einmaliger Untersuchung zu detektieren.
Spinale MRT
Die spinale MRT spielt eine wichtige Rolle für die MS-Diagnostik. Sie unterstützt die Differenzialdiagnostik und kann MS-Läsionen beispielsweise von Gefäßerkrankungen oder einer Rückenmarkskompression zuverlässig abgrenzen. Die spinale MRT dient auch dem Nachweis von DIS und DIT. Bei Patienten, die sich initial mit einem KIS vorstellen, kann die spinale MRT klinisch asymptomatische Rückenmarksläsionen aufdecken und zur MS-Diagnose führen.
- Das Protokoll für die spinale MRT sollte mindestens zwei der folgenden drei sagittalen Sequenzen umfassen: T2-gewichtete Spin-Echo-Sequenzen (Turbo- oder schnelle Sequenzen) mit moderaten Echozeiten, PD(Protonendichte)-gewichtete Sequenzen oder kurze STIR-Sequenzen.
- Nach der Verabreichung von Kontrastmittel sollte bei der Erstuntersuchung zur Diagnosestellung eine sagittale T1-gewichtete Spin-Echo-Sequenz hinzugefügt werden. Präkontrastbilder werden nicht mehr routinemäßig angefertigt, da ihr Nutzen begrenzt ist.
- Bei den sagittalen Bildern werden Schichtdicken ≤3 mm ohne Lücken („gap“) zwischen den Schichten empfohlen, um die langgezogene und schmale Anatomie des Rückenmarkes ausreichend zu erfassen.
- Optional können ergänzend axiale T2-gewichtete Sequenzen durchgeführt werden; hierbei ist es ebenfalls wichtig, keine Lücken („gap“) zwischen den Schichten zuzulassen, um die typischerweise kurzstreckigen MS-Läsionen nicht zu übersehen. Empfohlen sind hier Schichtdicken ≤5 mm. Die axialen Bilder helfen, die genaue Lage und Ausdehnung der Läsionen zu erfassen.
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