Der Fall "Frau ohne Gehirn": Eine Analyse verschiedener neurologischer Anomalien

Der menschliche Körper ist ein komplexes System, in dem jedes Organ eine spezifische und entscheidende Rolle spielt. Das Gehirn, als Kontrollzentrum, steuert Kognition, Emotionen und Verhalten. Was passiert jedoch, wenn ein Teil des Gehirns fehlt oder beschädigt ist? Dieser Artikel untersucht verschiedene Fälle, in denen Einzelpersonen mit ungewöhnlichen neurologischen Bedingungen leben, einschliesslich des Fehlens oder der Beschädigung von Hirnarealen, und die Auswirkungen auf ihr Leben.

Der Fall SM: Wenn die Angst verschwindet

Die Forscher um Justin Feinstein von der University of Iowa untersuchten systematisch in verschiedenen angstauslösenden Situationen die Reaktion einer Frau, die sie als SM abkürzten. SM leidet am Urbach-Wiethe-Syndrom, einer sehr seltenen Erkrankung, die ihren Mandelkern zerstört hat. Der Mandelkern hat sich in Tierexperimenten als Sitz der Furcht herausgestellt. Auch von anderen Menschen ohne funktionierende Amygdala ist bekannt, dass ihr Furchtempfinden gestört ist.

SM hatte vor dem Besuch im Zooladen eine klare Meinung, die sie öfter preisgegeben hatte: Sie möge keine Spinnen und Schlangen und gehe ihnen daher aus dem Weg. Die Wissenschaftler waren gespannt, ob SM die Tiere, die bei vielen Menschen Angst auslösen, tatsächlich meiden würde.

Im Zooladen erstaunte SM ihre Begleiter: Sie war sofort von den Schlangen in den Terrarien fasziniert und stimmte zu, eine zu halten. Auf einer Skala von 0 (keine Angst) bis 10 (extreme Angst) nannte sie nie einen Wert größer 2. Stattdessen war sie aufgeregt - und wollte mehr. Akribisch zählten die Wissenschaftler mit, wie oft sie darum bat, eine der größeren, gefährlicheren Schlangen anzufassen, obwohl ihr gesagt wurde, das sei zu gefährlich: 15 Mal. Sie versuchte auch, eine Tarantel zu berühren - und musste gestoppt werden, da die Gefahr bestand, dass die Spinne beißt. Den Forschern entgegnete sie, sie sei neugierig gewesen.

Ein weiterer Test bestätigte, dass SM andere Gefühle empfindet, in dem sie sich Filmclips ansah, die verschiedene Emotionen auslösen: Furcht, Ärger, Ekel, Freude, Traurigkeit, Überraschung. Angst blieb aus. Stattdessen meinte sie, die Angst einflößenden Filmausschnitte seien aufregend und unterhaltsam und bat um einen der Titel, um sich den gesamten Film besorgen zu können. Im Tagebuch, in dem SM drei Monate lang ihre Gefühle notierte, spielt Angst ebenfalls keine Rolle. Dabei hat SM in ihrem Leben zahlreiche traumatische Erlebnisse überstanden. Die dreifache Mutter war wiederholte Male Opfer von Verbrechen. Sie wurde mit Schusswaffe und Messer bedroht und in einem Fall häuslicher Gewalt beinahe getötet.

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Justin Feinstein sagt: "Angst ist ein überlebenswichtiger Mechanismus und der Mandelkern hilft uns, indem wir Situationen, Menschen oder Objekten aus dem Weg gehen, die uns in Gefahr bringen. Weil ihr Mandelkern nicht arbeitet, kann SM Gefahren weder erkennen noch meiden. Es ist erstaunlich, dass sie noch lebt." Völlige Furchtlosigkeit birgt offensichtlich ganz eigene Gefahren.

Feinstein hofft trotzdem, mit seiner Arbeit einmal Menschen mit Angststörungen helfen zu können. Wenn die Prozesse im Gehirn entschlüsselt seien, wäre es vielleicht möglich, Hirnareale zu beeinflussen, die dafür sorgen, dass die Angst das gesamte Leben bestimmt. SM löst dagegen vielleicht etwas Furcht bei den Mitarbeitern eines bekannten Spukhauses aus, das die Wissenschaftler mit ihr besuchten. Obwohl sie sich wiederholt mühten, die Frau zu erschrecken, lächelte und lachte SM nur begeistert - und versuchte, mit den Monstern ins Gespräch zu kommen.

Die Ergebnisse ihrer Forschung, so hoffen sie, könnten einmal Menschen helfen, die unter Angststörungen oder einer posttraumatischen Belastungsstörung leiden. Fachmagazin "Current Biology" berichten, schneidet SM bei Tests, die das Gedächtnis, Sprachverständnis, die Wahrnehmung und die Intelligenz prüfen, im normalen Bereich ab. Sie ist auch in der Lage, andere Emotionen wie etwa Freude, Trauer oder Wut zu empfinden.

Leben ohne Kleinhirn: Der Fall einer chinesischen Frau

Eine 24 Jahre alte Chinesin, Mutter einer kleinen Tochter, erfuhr nach einer Untersuchung im Krankenhaus, dass sie kein Kleinhirn hat. Sie war wegen Schwindel und Übelkeit eingeliefert worden. Anstelle des Kleinhirns hat sie einen mit Hirnflüssigkeit gefüllten Raum, der in der Computertomographie als großer schwarzer Fleck zu sehen ist. Die Frau gehört zu einer bemerkenswerten Gruppe von neun lebenden Personen, die ihren Alltag ohne den Teil des Gehirns meistern, der die meisten Nervenzellen hat. Wer mit einer solchen Fehlbildung zur Welt kommt, stirbt meist früh.

Das Kleinhirn steuert Motorik, Balance und das Erlernen von Bewegungsabläufen. Die Chinesin, deren Gehirn auf dem Bild zu sehen ist, konnte erst mit vier Jahren alleine stehen. Mit sieben Jahren konnte sie ohne Unterstützung und mit schwankenden Schritten gehen. Die Frau hat nie springen oder laufen gelernt. Verständlich sprechen konnte sie erst mit sechs Jahren. Ihre Stimme ist zittrig und ihre Aussprache undeutlich, aber sie hat ein intaktes Wortgedächtnis und kann sich verständlich ausdrücken. Eine Schule hat sie nie besucht. Wenn sie ihre Nase mit der Fingerspitze berühren soll, tippt sie leicht daneben.

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Feng Yu und ihre Kollegen schreiben in der Zeitschrift „Brain“ (doi: 10.1093/brain/awu239): „Ihre Einschränkungen sind deutlich moderater, als man es für jemanden ohne Kleinhirn erwarten würde“.

Schlaganfall: Wenn die Durchblutung des Gehirns gestört ist

Jedes Jahr erleiden 270.000 Menschen in Deutschland einen Schlaganfall. Bei einem Schlaganfall kommt es zu einer Durchblutungsstörung im Gehirn. Bei etwa 80 Prozent der Betroffenen liegt das laut der Stiftung Deutsche Schlaganfallhilfe an einer verstopften Arterie, etwa durch ein Blutgerinnsel. In beiden Fällen werden betroffene Bereiche im Gehirn nicht mehr ausreichend durchblutet. Dadurch fehlt den Nervenzellen Sauerstoff und sie beginnen abzusterben. Je länger die Durchblutungsstörung andauert, desto mehr Nervenzellen sterben ab.

Andrea Eißer konnte Schlimmeres durch ein schnelles Eingreifen verhindert werden. Ihr damaliger Lebensgefährte hat ganz schnell reagiert und den Krankenwagen und ihre Eltern angerufen. Mit dem Krankenwagen wurde Andrea in die "Stroke-Unit" des Uniklinikums Schleswig-Holstein in Lübeck gefahren. "Stroke-Units" sind spezielle Schlaganfall-Behandlungseinheiten, die von Neurologen geführt werden und eine speziell für die Behandlung von akuten Schlaganfall-Patienten konzipierte Überwachungsstation haben.

Für Marcus Ohlrich, Neurologe in den Sana Kliniken in Lübeck, ist das eine gute Quote: "Für den Rettungsdienst ist von den meisten Standorten in Schleswig-Holstein aus eine schnelle Erreichbarkeit gegeben. Nicht von jeder Insel in der Nordsee, zugegebenermaßen. Nicht immer können Ärztinnen und Ärzte Folgen wie Lähmungen, Seh- oder Schluckstörungen verhindern. Mehr als 60 Prozent der Betroffenen braucht laut der Stiftung Deutsche Schlaganfallhilfe auch ein Jahr nach dem Schlaganfall Hilfsmittel, Pflege oder ist auf Therapien angewiesen.

Andrea Eißer geht seit dem Anfall vor 22 Jahren zur Physio- und Ergotherapie. Mit Erfolg: Schulter und Mundwinkel hingen anfangs stark herunter. Heute sind sie gerade. Ihren alten Beruf als Bürokauffrau musste Andrea aufgeben. Ihr Kopf macht irgendwann zu, erzählt sie. Heute bekommt sie eine Erwerbsminderungsrente. Stillsitzen ist nichts für sie: Mehrmals die Woche arbeitet sie in einer Schule, leitet eine Selbsthilfegruppe für Menschen mit Schlaganfall und arbeitet als Schlaganfallhelferin in den Sana Kliniken in Lübeck. Für Andrea hat ihr Schlaganfall auch positive Seiten: Einige ihrer liebsten Menschen hätte sie ohne die Erkrankung nie kennengelernt. Diese Einstellung versucht sie weiterzugeben: "Ich möchte Menschen motivieren, sich nicht hängen zu lassen und weiterhin am Leben teilzunehmen.

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Andreas Handgriff ist routiniert. Mit der rechten Hand schnappt sie sich ein Brötchen, klemmt es in eine auf einem Schneidebrett montierte Halterung und teilt es mit einem Messer in zwei Hälften. Um die Marmelade zu verteilen, spießt sie eine Brötchenhälfte auf ein Frühstücksbrettchen mit zwei Plastikspießen. "Das Problem ist, dass ich mit einer Hand - die linke Hand kann ich ja nicht bedienen - das Brötchen nicht aufschneiden kann," erklärt die Ostholsteinerin. Seit ihrem Schlaganfall vor 22 Jahren ist ihr linker Arm gelähmt. Gemeinsam mit ihrer Mutter erinnert sich die heute 47-Jährige: "Ich weiß, dass es etwa morgens 7 Uhr war. Mein Hund saß neben mir, wollte mein Brötchen haben. Dann bin ich einfach vom Sofa gerutscht." Auch für Andreas Mutter ist die Erinnerung schmerzhaft: "Das hat man immer präsent. Ich hatte danach Panikattacken - man denkt ja weiter als Eltern, was noch passieren kann. Aber wir haben es akzeptiert. Sie kocht, backt, braucht ganz wenig Hilfe.

Der Fall Adriana Smith: Hirntod und Schwangerschaft

Im US-Bundesstaat Georgia hat eine hirntote Frau ihr Kind geboren. Wegen des strengen Abtreibungsrechts war sie bis jetzt künstlich am Leben gehalten worden.

Im US-Bundesstaat Georgia ist eine schwangere, hirntote Frau entbunden worden. Der Junge sei bereits am Freitag frühzeitig durch einen Notkaiserschnitt zur Welt gekommen und befinde sich auf der Intensivstation, teilte die Familie der Frau dem Sender WXIA mit. Der Fall der 31-jährigen Adriana Smith hatte international für Aufmerksamkeit gesorgt. Sie wurde seit ihrem Hirntod im Februar künstlich beatmet, weil die Klinik nach Angaben ihrer Familie nicht gegen das strenge Recht zu Schwangerschaftsabbrüchen in Georgia verstoßen wollte.

Smith befand sich in der neunten Schwangerschaftswoche, als der Hirntod eintrat. Smiths Familie bezog nicht explizit Position dazu, dass Smith am Leben erhalten wurde, kritisierte aber, dass der Familie kein Mitspracherecht eingeräumt worden sei. In Georgia gelten strenge Regelungen für Schwangerschaftsabbrüche, seit der oberste Gerichtshof der USA das landesweite Recht auf Schwangerschaftsabbrüche 2022 aufgehoben hatte. Seither gilt in dem Bundesstaat ein sogenanntes Herzschlaggesetz.

Die Mutter von Smith, April Newkirk, teilte mit, dass es der frühen Entbindung gut gehe.

Das Drama, das sich in der renommierten Klinik der Emory Universität im US-Bundesstaat Georgia abspielt, hätte düsterer kaum inszeniert werden können. Adriana Smith arbeitete hier einst als Krankenschwester. Jetzt liegt sie als Patientin in ihrer ehemaligen Arbeitsstätte - hirntot seit Februar, mit Maschinen am Leben erhalten. Sterben darf sie vorerst nicht, weil ihr Fötus in der 24. Schwangerschaftswoche noch wächst.

Als die schwarze Frau das Krankenhaus wegen starker Kopfschmerzen aufsuchte, schickten die Ärzte sie mit Medikamenten nach Hause. Nur einen Tag später kehrte sie zurück. Die Diagnose: ein Blutgerinnsel im Gehirn. Wenige Stunden danach erklärten die Ärzte sie für hirntot. Seitdem wird ihr Körper künstlich beatmet, ohne Mitspracherecht der Familie.

Monica Simpson, Aktivistin der Organisation "Sister Song", die sich für "reproduktive Gerechtigkeit" einsetzt, meint: "Es ist tödlich, schwarz und schwanger zu sein". Tatsächlich gehört Georgias Mütter- und Kindersterblichkeit zu den höchsten in den USA, wobei schwarze Frauen doppelt so häufig sterben wie weiße. In Georgia gilt seit Aufhebung des liberalen Grundsatzurteils "Roe v. Wade" durch das Oberste Gericht im Jahr 2022 ein sogenanntes Herzschlaggesetz. Es verbietet Abtreibungen, sobald Herztöne messbar sind. Typischerweise ist das nach der sechsten Schwangerschaftswoche. Ab diesem Zeitpunkt hat der Fötus in Georgia alle Persönlichkeitsrechte - ein langgehegtes Ziel der Anti-Abtreibungsbewegung. Das Gesetz spielt nun auch im Fall der hirntoten Adriana eine Rolle und sorgt für Verunsicherung bei allen Beteiligten.

Juraprofessorin Mary Ziegler von der University of California analysiert die Situation in Georgia: "Ärzte wollen kein rechtliches Risiko eingehen". Die Möglichkeit strafrechtlicher Konsequenzen bewirke einen Wandel in der medizinischen Versorgungspraxis. An der Emory-Uniklinik in Atlanta führt dies dazu, dass man Adriana nicht sterben lässt, um das ungeborene Kind zu retten.

Kimberly Mutcherson, Professorin an der Rutgers Law School in Camden, New Jersey, beschreibt die Situation: "Die Gesetzgeber hätten nicht vorhergesehen, was es bedeute, wenn eine schwangere Frau tot sei". In der "New York Times" kritisierte sie eine "Unfähigkeit von Politikern ohne medizinische Expertise, jede Notfallsituation vollständig vorherzusehen".

Die demokratische Senatorin Nabilah Islam Parkes bat Carr in einem Brief um umfassende Klarstellung. Sie bezeichnete den aktuellen Fall als eine "groteske Verdrehung der medizinischen Ethik". Dass die Interpretation des Gesetzes die hirntote Frau zu einem Brutkasten degradiere, sei "nicht nur medizinisch unhaltbar, sondern schlichtweg unmenschlich".

Der republikanische Senator Ed Setzler bezog die Gegenposition: "Es ist vollkommen angemessen, dass das Krankenhaus alles tut, um das Leben des Kindes zu retten." Unterstützung bekommt der konservative Politiker von der Organisation "Students for Life of America", die erklärt: "Adriana kann zwar nicht mehr für sich selbst sprechen, aber das Leben ihres Sohnes ist ihr wichtig." Der Fötus sei ein "einzigartiger Patient".

April Newkirk, die Mutter von Adriana, äußerte sich differenzierter. "Ich sage nicht, dass wir uns für einen Schwangerschaftsabbruch entschieden hätten, aber die Entscheidung hätte uns überlassen werden sollen - nicht dem Staat." Im Interview eines Regionalsenders berichtete sie vom Entwicklungsstand ihres noch ungeborenen Enkels, der bereits Zehen und Arme habe. Zugleich deutete sie an, dass der Junge mit Behinderungen zur Welt kommen könnte, falls der geplante Kaiserschnitt vorgenommen werde.

Steven Ralston, Leiter der Mutter-Kind-Abteilung der George Washington University, dämpft die Erwartungen. Die Chancen, dass das Kind gesund zur Welt komme, seien "sehr, sehr gering". Die Ärzte des Emory-Krankenhauses planen dennoch, den Jungen Anfang August per Kaiserschnitt zu entbinden.

Der Hirntod meint das unwiderrufliche Ende aller Funktionen des Großhirns, des Kleinhirns und des Hirnstamms aufgrund von weiträumig absterbenden Nervenzellen. Er ist als Todeskriterium mit wenigen Ausnahmen weltweit anerkannt.

Alfred Simon von der Akademie für Ethik in der Medizin der Universität Göttingen sagt dem Deutschen Ärzteblatt (DÄ): „Es geht dabei unter anderem um das Selbstbestimmungsrecht schwangerer Frauen über ihren eigenen Körper - ein Recht, das in den USA durch das Erstarken konservativer Kräfte und die Aufhebung des landesweiten Rechts auf Schwangerschaftsabbrruch im Jahr 2022 teils stark eingeschränkt wurde“. Zudem stelle sich die Frage nach dem rechtlichen und moralischen Status des ungeborenen Kindes sowie nach der systematischen Benachteiligung Schwarzer Patientinnen.

Er selbst sehe den Fall weniger unter dem Aspekt des Schwangerschaftsabbruchs, so Simon, sondern vielmehr als ethisches Problem im Zusammenhang mit einer Therapiebegrenzung. Dabei erkennt der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Ethik der Ständigen Kommission Organtransplantation der Bundesärztekammer (BÄK) Parallelen zur Organspende: „Bei einer postmortalen Organspende muss die intensivmedizinische Behandlung bis zur Organentnahme aufrechterhalten werden“, erklärt er. „Ebenso wurde bei der hirntoten Adriana Smith die intensivmedizinische Versorgung fortgeführt, damit das Kind zur Welt gebracht werden konnte.“

Solche Maßnahmen seien nach seiner Auffassung jedoch nur dann ethisch und - in Deutschland - auch rechtlich zulässig, wenn sie entweder auf einer vorherigen Zustimmung der Patientin beruhen oder - falls diese fehlt - die Angehörigen stellvertretend einwilligen. „Wenn es keine Einwilligung gibt, muss die Behandlung beendet werden“, betont Simon. Im Fall von Adriana Smith wäre dann auch das Kind gestorben. „Aber das wäre als Folge der Therapiebegrenzung zu werten gewesen - nicht als Schwangerschaftsabbruch.“

„Eine intensivmedizinische Weiterbehandlung ohne Zustimmung der hirntoten Patientin oder ihrer Angehörigen stellt in meinen Augen eine schwere Verletzung ihres fortwirkenden Persönlichkeitsrechts dar“, sagt der Medizinethiker dem DÄ. Die Aufrechterhaltung der Maßnahmen sei ferner mit einer „ethisch äußerst fragwürdigen Instrumentalisierung des Körpers“ der Frau einhergegangen, die sich auch durch die (Aussicht auf eine) erfolgreiche Geburt des Kindes nicht rechtfertigen lasse.

April Newkirk, die Mutter von Smith, hat dem BMJ zufolge später zu Protokoll gegeben: „Ich denke, alle Frauen sollten die Möglichkeit haben, über ihren Körper zu entscheiden. Und ich denke, ich möchte, dass die Leute das wissen.“

Am 13. Juni wurde der Junge namens Chance per Notkaiserschnitt entbunden.

Der Fall der Sauerstoffabschaltung: Wenn menschliches Handeln zum Tod führt

Weil sich eine 72-jährige Patientin in einer Klinik durch das Geräusch einer Sauerstoffmaschine offenbar massiv gestört fühlte, soll die Frau in einer Klinik ihrer Bettnachbarin kurzerhand das Gerät ausgeschaltet haben. Kurz darauf ist die Dame gestorben.

Ende Dezember soll eine 79-Jährige in einem Mannheimer Krankenhaus gestorben sein, nachdem ihre Bettnachbarin ihr einen Monat zuvor gleich zweimal das Sauerstoffgerät abgeschaltet hatte. Die Frau soll sich von den Geräuschen gestört gefühlt haben. Die Seniorin wurde zunächst reanimiert, verstarb dann jedoch überraschend. Die verstorbene Patientin wurde inzwischen beigesetzt - jedoch ohne Gehirn. Das befinde sich derzeit noch in der Gerichtsmedizin. Dies habe die Staatsanwaltschaft bestätigt. Die Angehörigen der Verstorbenen sollen davon nichts gewusst haben.

Die Tochter der Frau zitiert die „Bild“: „Ich bin total geschockt“. Die Staatsanwältin sagte der Zeitung, sie ginge davon aus, dass die Familie noch informiert werde. Die Tochter hingegen fordert eine Entschuldigung: „Ich fühle mich von den Behörden hintergangen. (…) So geht man doch nicht mit Toten und deren Hinterbliebenen um.“

Die Bild-Zeitung berichtet, dass die 79-jährige Patientin diese Unterbrechung der Sauerstoffzufuhr nicht überlebt hat. Nach einer Reanimation sei sie auf dem Weg der Besserung gewesen, doch dann sei sie verstorben. Nun werde der Leichnam von der Gerichtsmedizin obduziert.

Der Anwalt der Opfer-Familie sagte gegenüber dem Blatt: „Falls es sich herausstellen sollte, dass die Frau durch Spätfolgen der beiden Anschläge verstorben ist, wird sich ihre Peinigerin für deren Tod verantworten müssen“. Die 72-jährige Patientin, welche das Gerät offenbar ausgeschaltet hatte, sitzt im Moment wegen versuchten Totschlags in U-Haft.

Die 72-jährige Frau, welche in einem Krankenhaus in Mannheim untergebracht war, steht im dringenden Verdacht am Dienstag (29. November) den Hauptschalter des Sauerstoffgeräts ihrer 79-jährigen Mitpatientin ausgeschaltet zu haben, obwohl diese auf die maschinelle Sauerstoffversorgung angewiesen war, teilten Staatsanwaltschaft und Polizeipräsidium Mannheim in einer gemeinsamen Pressemeldung mit. Demnach habe die 72-Jährige zu einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt vor 20 Uhr das Gerät das erste Mal ausgeschaltet, nachdem sie sich durch die von dem Sauerstoffgerät ausgehenden Geräusche gestört gefühlt habe. Zu diesem Zeitpunkt noch ohne Folgen, da die abgeschaltete Maschine bemerkt und wieder aktiviert wurde.

Obwohl die Tatverdächtige durch das Krankenhauspersonal im Anschluss an dem ersten Vorfall hingewiesen wurde, dass es sich bei der Sauerstoffzufuhr um eine lebensnotwendige Maßnahme handelte, soll sie das Gerät nur eine Stunde später, gegen 21 Uhr, erneut abgestellt haben. In der weiteren Folge musste die 79-jährige Patientin vom Klinikpersonal reanimiert werden. „Mittlerweile ist die Frau außer Lebensgefahr, muss jedoch weiterhin intensivmedizinisch behandelt werden“, heißt es in der Mitteilung.

Eine Polizeisprecherin sagte über den Vorfall vom Dienstagabend: „Das ist auch für uns nicht alltäglich“. Ob die beiden Frauen sich kannten, war zunächst unklar. Durch die Staatsanwaltschaft Mannheim wurde beim Amtsgericht Mannheim Haftbefehl gegen die 72-Jährige erwirkt. Die Beschuldigte wurde dann am Mittwoch (30. November) dem Haft- und Ermittlungsrichter des Amtsgerichts Mannheim vorgeführt. Er setzte den Haftbefehl wegen versuchten Totschlags in Vollzug. Im Anschluss wurde die genug genesene 72-jährige in eine Justizvollzugsanstalt eingeliefert.

Der Fall Phineas Gage: Ein Fenster zur Funktion des Frontallappens

Im Jahr 1848 erlitt der 25-jährige Phineas Gage einen schweren Unfall, als er als Vorarbeiter beim Bau einer Eisenbahnlinie arbeitete. Bei einer Sprengung wurde eine Eisenstange durch seinen Kopf geschossen. Gage überlebte den Unfall, aber seine Persönlichkeit veränderte sich dramatisch. Vor dem Unfall war er ein fleißiger und zuverlässiger Mann, nach dem Unfall wurde er unzuverlässig, impulsiv und respektlos.

Der Arzt John Harlow untersuchte Gage und stellte fest, dass die Eisenstange große Teile von Gages linken Frontallappens zerstört hatte. Harlow schloss daraus, dass der Frontallappen für die Persönlichkeit und das soziale Verhalten verantwortlich ist.

Bereits kurz nach seinem Unfall war Gage zu einer kleinen Berühmtheit geworden: Ein Mann, der sich eine Eisenstange durch den Kopf schießt und überlebt, ist gefundenes Fressen für die Presse. Als Gage die Öffentlichkeit zu viel wird, zieht es ihn in den Süden: Er wird Kutscher in Chile, nach einigen Jahren reist er zu Verwandten in San Francisco. Dort stirbt der jetzt 36-jährige, ehemalige Eisenbahnarbeiter 1860 an einem epileptischen Anfall, vermutlich eine Spätfolge seines Unfalls.

Es ist sein ehemaliger Arzt John Harlow, der Phineas Gage zum wohl berühmtesten Fall der Neurowissenschaft macht. Wie alle Mediziner seiner Zeit muss Harlow sich auf solche sogenannte Läsionstudien verlassen, die Forscher versuchten aus dem Verhalten von Hirnverletzten zu schließen, welche Prozesse im Gehirn wo stattfinden. Um lebenden Menschen „ins Gehirn schauen" zu können, brauchte es moderne Technologien wie die Aktivitätsmessungen durch Elektroenzephalografen (EEG) oder bildgebende Verfahren wie Positronenemissions- (PET) und Magnetresonanztomografie (MRT).

Lange überwiegt die Meinung, die Eisenstange habe nur große Teile von Gages linken Frontallappens zerstört. Doch die Forschung an Gages Gehirn war damit noch lange nicht abgeschlossen: 1994, knapp 150 Jahre nach dem Unfall in Vermont, versuchte ein amerikanisches Forscherteam zu zeigen: Auch Gages rechter Frontallappen wurde getroffen. Dafür verwenden die Wissenschaftler erstmals ein dreidimensionales Model von Gages Schädel, das sie auf der Basis von Fotografien und Röntgenaufnahmen erstellt haben. Doch zehn Jahre später zeigt eine digitale Rekonstruktion, dass der rechte Frontallappen wohl doch unverletzt geblieben ist.

Bis heute taucht Gages Fall mit all seinen Rätseln in vielen Lehrbüchern auf. Wie so oft im wissenschaftlichen Diskurs, ist wohl auch das letzte Wort im Fall Phineas Gage noch nicht gesprochen.

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