Fremdsprachen lernen: Wie die Forschung unser Gehirn neu entdeckt

Menschenaffen sind bemerkenswert intelligent. Sie nutzen Werkzeuge, zeigen Empathie und kommunizieren mit spezifischen Lauten. Sie können sogar einzelne Symbole oder Laute mit verschiedenen Dingen verknüpfen. Die Fähigkeit jedoch, Wörter nach bestimmten Regeln zu kombinieren, komplexe Sätze zu bilden und Grammatik zu beherrschen, ist einzigartig für uns Menschen. Das Erlernen einer Fremdsprache ist ein komplexer Prozess, der unser Gehirn auf vielfältige Weise fordert und verändert. Die moderne Hirnforschung hat in den letzten Jahren faszinierende Einblicke in die neuronalen Grundlagen des Sprachenlernens gewonnen.

Die neuronalen Grundlagen der Sprache: Broca- und Wernicke-Areal

Um eine Fremdsprache zu erlernen, greift das Gehirn auf Strukturen zurück, die bereits für die Muttersprache vorhanden sind. Neurowissenschaftler haben zwei zentrale Sprachregionen identifiziert, mit denen wir bereits auf die Welt kommen:

  • Das Broca-Areal: Diese Region im linken Stirnlappen ist verantwortlich für den Aufbau von Sätzen nach bestimmten Regeln, also für die Syntax.
  • Das Wernicke-Areal: Diese Region im linken Schläfenlappen verarbeitet die Bedeutung von Wörtern und Sätzen, also die Semantik.

Bereits Säuglinge nutzen die Wernicke-Region, um Wörter zu erlernen und abzuspeichern. Ab einem Alter von etwa sechs Monaten sind Babys in der Lage, Gegenständen einen Begriff zuzuordnen und sogar Fehler zu erkennen, noch bevor sie selbst sprechen. In diesem Alter ist das Gehirn besonders plastisch und nimmt neue Wörter wie ein Schwamm auf. Ab etwa einem Jahr beginnen Kinder, die gelernten Wörter zu kategorisieren. Mit drei Jahren verstehen sie mithilfe der Wernicke-Region mühelos einfache Sätze. Sechsjährige Kinder können Sätze wie "Der Fuchs fängt den Hasen" durch die Broca-Region problemlos verstehen. Schwieriger sind jedoch Sätze wie "Den Hasen fängt der Fuchs". Diese komplexeren grammatikalischen Strukturen können Kinder in der Regel erst mit zehn Jahren begreifen, da sich die beiden Sprachregionen erst miteinander verbinden müssen, um solche Sätze zu durchschauen.

Bei Erwachsenen vernetzen dicke Bündel von Nervenfasern das Wernicke- mit dem Broca-Areal und ermöglichen uns so, komplexe Sprache zu verstehen und uns auszudrücken.

Fremdsprachenlernen im Gehirn: Ähnliche Prozesse wie beim Mutterspracherwerb

Wenn ein Schüler eine Fremdsprache lernt, laufen im Gehirn ähnliche Prozesse ab wie bei einem Kind, das seine Muttersprache lernt. Auch hier ist zunächst das Wernicke-Areal aktiv. Zuerst versuchen wir, die Bedeutung von Wörtern anhand von Mimik und Gestik zu verstehen und speichern neue Vokabeln ab. Sobald ein Basis-Wortschatz vorhanden ist, achten wir verstärkt auf Besonderheiten und grammatikalische Strukturen in Sätzen. Je mehr wir die Grammatik erlernen, desto stärker schaltet sich das Broca-Areal hinzu.

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Bei Kindern, die zweisprachig aufwachsen, laufen diese Prozesse parallel für zwei Sprachen ab. Dabei schaffen es die Kleinen, beide Sprachen zu trennen und nicht zu vermischen. Wie genau Kinder diese Leistung erbringen, ist noch nicht vollständig geklärt. Es scheint jedoch wichtig zu sein, dass die Eltern in der jeweiligen Muttersprache mit dem Kind sprechen, um die Sprachen auseinanderzuhalten.

Die Rolle der Hirnforschung beim Fremdsprachenlernen

Neurowissenschaftler untersuchen weiterhin, wie sich der Lernprozess bei der Fremdsprache im Vergleich zur Muttersprache unterscheidet. Ist eine der Sprachregionen vermehrt aktiv? Sind weitere Hirnregionen beteiligt?

Wissenschaftler vom Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften haben beispielsweise deutschlernende Russen, Holländer, Japaner und Franzosen untersucht. Sie spielten ihnen grammatikalisch falsche Sätze vor und verglichen ihre Gehirnantworten mit denen deutscher Muttersprachler. Bei Muttersprachlern schaltet sich bei Sätzen wie "Das Brot werden gegessen" sofort das Broca-Areal wie eine Alarmanlage ein. Auch die Deutschlerner erkennen den Fehler, brauchen aber länger, um ihn zu bemerken. Ihr Gehirn hat die automatische Alarmanlage noch nicht installiert. Bei fortgeschrittenen Lernern konnten die Forscher jedoch erkennen, dass sich das Broca-Areal bei falschen Sätzen aktiviert. Bei Probanden, die fließend und nahezu perfekt Deutsch sprechen, verläuft die Hirnantwort schließlich genauso ab wie bei einem Muttersprachler.

Mehrsprachigkeit: Ein Training für das Gehirn

Lange Zeit glaubten Lehrer und Eltern, dass Zweisprachigkeit Kinder vom Lernen abhält. Bis in die 1960er Jahre vermuteten Experten sogar, dass bilinguale Menschen weniger intelligent seien. Eine Intelligenzstudie aus Kanada, wo viele Menschen Englisch und Französisch sprechen, widerlegte diese Annahme jedoch. Die Studie zeigte, dass Kinder, die beide Sprachen beherrschten, im Intelligenztest besser abschnitten als einsprachige Kinder.

Seitdem haben Wissenschaftler mehrsprachige Menschen genauer untersucht und weitere Vorteile des Fremdsprachenlernens entdeckt. Dieser Prozess ist für das Gehirn ein ständiges Training. Mehrsprachigen fällt es leichter, zwischen Aufgaben hin- und herzuwechseln. Dieses Gehirn-Training kommt besonders älteren Menschen zugute. Bei bilingualen Senioren konnten Forscher mehr intakte weiße Substanz nachweisen als bei gleichaltrigen Einsprachigen. Das permanente Sprachwechseln sorgt dafür, dass Abbauprozesse im Alter langsamer verlaufen und Demenzerkrankungen um vier bis fünf Jahre verzögert werden können. Dieser schützende Effekt tritt auch dann ein, wenn Personen erst spät im Leben mit Fremdsprachen beginnen.

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Neue Nervenverbindungen durch Fremdsprachenlernen

Wissenschaftler haben herausgefunden, dass sich das Gehirn von Erwachsenen verändert, wenn sie eine neue Sprache lernen. Es bilden sich neue Nervenverbindungen in und zwischen den Arealen, die üblicherweise Sprache verarbeiten. Unterstützt wird das Lernen einer Fremdsprache aber auch durch Gehirnregionen in der rechten Hirnhälfte, die sonst nicht für Sprache zuständig sind.

Eine Studie des Max-Planck-Instituts (MPI) für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig untersuchte, wie sich das Gehirn von arabischen Muttersprachlern veränderte, als sie in einem sechsmonatigen Intensivkurs Deutsch lernten. Mithilfe hochauflösender Magnetresonanztomographie (MRT) beobachteten die Forscher, wie sich die verschiedenen Gehirnareale beim Lernen der Fremdsprache miteinander verknüpften.

Die Ergebnisse zeigten, dass sich innerhalb der Areale des Sprachnetzwerks in der linken Gehirnhälfte die Nervenverbindungen durch das Sprachenlernen verstärkten. Zudem waren zusätzliche Regionen in der rechten Hemisphäre aktiv, und auch dort entstanden neue Nervenverbindungen. Interessanterweise nahmen die funktionalen Verbindungen zwischen den beiden Gehirnhälften während des Sprachenlernens ab. Die Wissenschaftler schließen daraus, dass die sprachdominante linke Hemisphäre während des Erlernens einer Zweitsprache die rechte Hemisphäre weniger stark hemmt als beim Erlernen der Muttersprache. Dadurch werden wahrscheinlich zusätzliche Ressourcen in der rechten Gehirnhälfte frei, um die neue Sprache zu lernen.

Mehrsprachigkeit und visuelles Erinnerungsvermögen

Eine Forschungsgruppe der Northwestern University in den USA hat herausgefunden, dass Mehrsprachigkeit auch das visuelle Erinnerungsvermögen verbessern kann. In ihrer Studie untersuchten die Forschenden das Erinnerungsvermögen von einsprachigen und zweisprachigen Testpersonen. Die Ergebnisse zeigten, dass Mehrsprachigkeit einen Einfluss darauf haben kann, wie wir unsere Umgebung wahrnehmen. Dabei beeinflusst sie, worauf wir unsere Aufmerksamkeit richten.

Die Zusammenarbeit der Hirnhälften beim Fremdsprachenerwerb

Eine Langzeitstudie des Max-Planck-Instituts hat neue Erkenntnisse darüber gewonnen, wie die linke und die rechte Hirnhälfte beim Fremdsprachenerwerb zusammenarbeiten. Die Neurologen untersuchten Syrerinnen und Syrer, die nach ihrer Ankunft in Deutschland einen Intensivsprachkurs absolvierten. Dabei konnten sie beobachten, dass der Spracherwerb die Nervenverbindungen zwischen den Hirnhälften deutlich stärkte, insbesondere zwischen den Bereichen, die die Bedeutung und den Klang von Wörtern verarbeiten. Später nahm die Verbindungsstärke zwischen den Gehirnhälften jedoch wieder ab.

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Die Verringerung der Nervenverbindungen zwischen den Hälften bewirkt den Forschern zufolge, dass die rechte Hirnhälfte gegenüber der linken Vorrang bekommt und ihre Stärken voll ausspielen kann, ohne von links gehemmt zu werden. Die linke Hirnhälfte lässt die rechte Hirnhälfte in diesem Fall "machen", weil die rechte Hirnhälfte es besser kann.

Fremdsprachenlernen: Ein umfassendes Gehirntraining

Das Erlernen einer neuen Sprache ist nicht nur ein Weg zu neuen Kulturen, Kontinenten und Menschen, sondern hat auch signifikante Auswirkungen auf das Gehirn. Es stärkt das Gedächtnis, die Konzentrationsfähigkeit und die Flexibilität für neue kognitive Herausforderungen.

Professorin Ellen Bialystok von der York University in Kanada erforscht, welche Auswirkungen die Zweisprachigkeit in verschiedenen Lebensphasen auf das Gehirn hat. Sie und ihre Kollegen setzen moderne bildgebende Verfahren ein, um die neuronalen Grundlagen der Zweisprachigkeit zu untersuchen.

Die Vorteile der Zweisprachigkeit

  • Verbesserte exekutive Funktionen: Zweisprachige nutzen Exekutivfunktionen in einem größeren Ausmaß als Einsprachige, um irrelevante Informationen auszublenden. Dies führt zu einer stärkeren Aktivierung von Hirnregionen im präfrontalen Cortex, was wiederum die kognitive Leistung bei Aufgaben verbessert, die auf diesen Funktionen basieren.
  • Verzögerung des Ausbruchs von Alzheimer: Studien haben gezeigt, dass Zweisprachigkeit den Ausbruch von Alzheimer um bis zu vier Jahre verzögern kann.

Die Plastizität des Gehirns beim Sprachenlernen

Das Erlernen einer Zweitsprache führt zu Veränderungen im Gehirn. Forschende konnten zeigen, dass sich beim Erlernen einer neuen Sprache im Gehirn die Verbindungen zwischen den Regionen der Sprachverarbeitung dynamisch verändern. Die sprachdominante linke Hemisphäre übt weniger Kontrolle über die rechte Hemisphäre aus, wodurch Ressourcen in der rechten Gehirnhälfte frei werden, um die neue Sprache zu integrieren.

Fremdsprachenlernen: Ein Training für die grauen Zellen

Das Erlernen einer neuen Sprache ist wie ein Training fürs Gehirn. Neurowissenschaftler sind der Ansicht, dass Menschen, die mehrere Sprachen sprechen, Informationen anders verarbeiten als Menschen, die nur eine Sprache sprechen. Die neuronalen Strukturen des Gehirns verändern sich physisch, ein Prozess, der als Neuroplastizität bezeichnet wird.

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