Gangliosid-Antikörper-assoziierte Polyneuropathien: Ursachen, Diagnose und Therapie

Entzündliche periphere Neuropathien umfassen ein breites Spektrum klinischer Symptome. Diese Erkrankungen sind häufig mit Antikörpern gegen Ganglioside assoziiert. Ganglioside sind komplexe Sphingolipide, die als Bestandteil der Zellmembran deren Eigenschaften mitbestimmen. Innerhalb der Membran interagieren die Ganglioside mit transmembranen Rezeptormolekülen und Signaltransduktions-Molekülen. Autoantikörper gegen Ganglioside gelten als Markerantikörper für die Diagnostik und Differenzialdiagnostik von peripheren autoimmunen Neuropathien.

Klinische Manifestationen und beteiligte Antikörper

Meist stehen motorische Symptome im Vordergrund wie beim Guillain-Barré-Syndrom (GBS; Muskelschwäche, Lähmungen und Areflexie, kombiniert mit sensiblen und vegetativen Funktionsstörungen) und dem Miller-Fisher-Syndrom (Augenmuskellähmungen, Schluckstörungen, Parästhesien). Die multifokale motorische Neuropathie (MMN) ist durch eine langsam progrediente Muskelschwäche, Faszikulationen und Muskelatrophie gekennzeichnet. Bei der chronisch-entzündlichen demyelinisierenden Polyneuropathie (CIDP) werden neben Sensibilitätsstörungen Muskelschwäche in Armen und Beinen und Müdigkeit beobachtet. Vielfach sind junge Erwachsene betroffen, Männer häufiger als Frauen. Nachgewiesen werden Antikörper gegen die Ganglioside GM1, GM2, GM3, GD1a, GD1b, GT1b und GQ1b.

Ursachen und Pathogenese

Häufig tritt eine entzündliche Neuropathie als Folge einer apparenten oder inapparenten Infektion mit Campylobacter jejuni und CMV auf, seltener nach einer EBV-, Mycoplasma pneumoniae- oder Haemophilus influenzae-Infektion. Im Rahmen der Infektion werden Antikörper gegen Gangliosidstrukturen der Erreger gebildet, die mit Gangliosiden von Nervenzellen kreuzreagieren.

Diagnostisches Vorgehen bei Verdacht auf Polyneuropathie

Bei Verdacht auf eine Polyneuropathie gehören Anamnese, eine klinisch-neurologische Untersuchung und elektrophysiologische Untersuchungen (Elektroneurografie und Elektromyografie) zur Basisdiagnostik. Bei Polyneuropathie sollte eine Suche nach Paraprotein erfolgen. Mittels Serumelektrophorese, Immunfixationselektrophorese und der Bestimmung der freien Leichtketten können monoklonale Gammopathien detektiert und typisiert werden. Bei Nachweis von freien Leichtketten sollte an die AL-Amyloidose gedacht werden. Bei Nachweis von IgM-Paraprotein sollten MAG-Antikörper (MAG-Neuropathie) sowie Gangliosid-Antikörper (CANOMAD) getestet werden; bei fehlendem Nachweis spezifischer Antikörper kann eine DADS-Neuropathie vorliegen. Bei Vorliegen von Nicht-IgM-Paraprotein sollte das POEMS-Syndrom in Betracht gezogen werden.

Autoantikörper als diagnostische Marker

Autoantikörper gegen Ganglioside gelten als Markerantikörper für die Diagnostik und Differenzialdiagnostik von peripheren autoimmunen Neuropathien.

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Labordiagnostik

Die Teststreifen, die mit gereinigten Antigenen beschichtet sind, werden im ersten Schritt mit den verdünnten Patientenproben inkubiert. Spezifische Antikörper der Klasse IgG bzw. IgM binden sich an die jeweiligen Antigene. Um diese Antikörper darzustellen, wird in einem zweiten Schritt mit einem Enzym-markierten Anti-Human-IgG bzw. Reagenzien: EUROLINE Anti-Ganglioside- Profil 2 (IgG) bzw. Labor u. Diagnose(L. Thomas, Hrsg.) H-Books Verlagsgesellschaft mbH, Frankfurt/Main 2012 8.

Paraproteinämische Neuropathien

Eine Paraproteinämie tritt häufig bei lymphoproliferativen Erkrankungen auf und kann einer Polyneuropathie Vorschub leisten. Der Begriff Paraproteinämie bezeichnet das Auftreten von Paraprotein im Blut (monoklonale Gammopathie). Paraproteine sind Immunglobuline oder Immunglobulinfragmente (freie leichte oder schwere Ketten), die von entarteten mono-klonalen B-Zellen produziert werden und meist keine spezifische Antikörperfunktion besitzen. Die Prävalenz einer Paraproteinämie steigt mit dem Lebensalter. Bei bis zu 10 % aller über 80-Jährigen ist ein Paraprotein nachweisbar. Die Kombination dieser Untersuchungen detektiert eine Paraproteinämie mit einer Sensitivität von >95 %. Patienten mit einem relevanten Paraprotein sollten hämatoonkologisch vorgestellt werden. Verschiede Formen von Polyneuropathien können im Rahmen einer Paraproteinämie auftreten.

MAG-Neuropathie

Die häufigste Form der paraproteinämischen Neuropathie ist die MAG-Neuropathie (MAG, engl. anti-myelin-associated glycoprotein), bei der die Ablagerung klonaler Immunglobuline die Myelinscheiden peripherer Nerven schädigt. Die MAG-Neuropathie tritt häufig bei einer monoklonalen Gammopathie unklarer Signifikanz (MGUS) oder dem Multiplen Myelom (MM) auf. Als häufigste gut definierte paraproteinämische Neuropathie gilt die MAG-Neuropathie, die in Zusammenhang mit IgM-MGUS auftritt. Es handelt sich um eine demyelinisierende Neuropathie, bei der es zur Ablagerung von IgM-Antikörpern kommt, die gegen das Myelin-assoziierte Glykoprotein gerichtet sind. Die MAG-Neuropathie zeigt meist einen charakteristischen Phänotyp mit distal betonter sensomotorischer Beteiligung der Hände und Füße, was sich in Tremor und Ataxie äußert. Die Nervenleitgeschwindigkeit ist in aller Regel verlangsamt mit verlängerten distal motorischen Latenzen. Ein hochtitriger MAG-Antikörper ist wegweisend für die Diagnosestellung. Mithilfe der Elektronenmikroskopie lässt sich die für das Krankheitsbild typische Aufspaltung von Myelinscheiden nachweisen. Die Elektronenmikroskopie gilt jedoch als aufwendig und artefakt-anfällig. Sie wird daher in nur wenigen Kliniken in Deutschland hochstandardisiert durchgeführt.

Weitere Neuropathien mit Paraproteinämie

Weitere bedeutsame Neuropathien mit Paraproteinämie sind CANOMAD, das POEMS-Syndrom und die AL-Amyloidneuropathie. Bei diesen Neuropathien sind in der Regel spezifische Antikörper nachweisbar. Eine Variante, bei der sich zwar Paraprotein, aber keine spezifische Antikörper detektieren lassen, ist die DADS-Neuropathie.

CANOMAD

Eine systematische Beschreibung des Syndroms ist erstmalig im Jahr 2001 von H. J. Willison publiziert worden. Die charakteristischen klinischen Zeichen sind eine Ophthalmoplegie und Ataxie. Die Antikörperdiagnostik und die Bestimmung von Kälteagglutininen aus Serum sind essenziell für die Diagnosestellung.

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Kryoglobulinämie

Temperaturabhängige Agglutinine sind bei verschiedenen Erkrankungen vorzufinden und können Ursache für eine Polyneuropathie sein. Kryoglobuline können der IgG- oder IgM-Klasse angehören. Etwa 50 % der Patienten mit Kryoglobulinämie weisen im Verlauf eine Neuropathie auf. Kryoglobulinämien sind häufig mit Vaskulitiden assoziiert, die durch kältepräzipitierende Serumimmunglobuline ausgelöst werden. Zu den charakteristischen Hautsymptomen der Kryoglobulinämie gehören Purpura, Akrozyanose, Nekrosen der Akren sowie das Raynaud-Syndrom. In vielen Fällen liegt der Kryoglobulinämie eine chronische Hepatitis C zugrunde; Kryoglobuline kommen jedoch auch gehäuft bei lymphoproliferativen Erkrankungen wie dem MM vor. Die Bestimmung von Kryoglobulinen, Kryofibrinogen und Kälteagglutininen sollte regelhaft im Rahmen der Neuropathiediagnostik erfolgen. Sollte im Rahmen einer Polyneuropathiediagnostik eine Kryoglobulinämie festgestellt werden, ist stets eine weiterführende rheumatologische und hämatologische Abklärung anzuraten. Die Quantifizierung von Kryoglobulinen erfolgt im Kryokrit-Röhrchen nach Wintrobe; die Blutprobe muss warm in das untersuchende Labor versandt werden.

DADS-Neuropathie

Das Akronym DADS steht für: distale erworbene, demyelinisierende, symmetrische (engl. distal acquired demyeliniating symmetric) Neuropathie. Dieses Syndrom ist ebenfalls durch den Nachweis von IgM-Paraprotein charakterisiert; jedoch fehlt bei dieser Neuropathievariante zumeist der Nachweis spezifischer Antikörper. Das klinische Bild ähnelt dem Bild einer CIDP. Die DADS-Neuropathie schreitet in der Regel nur langsam voran. Dennoch kann die Erkrankung unbehandelt langfristig zu signifikanten klinischen Einschränkungen führen.

POEMS-Syndrom

Das POEMS-Syndrom ist im Gegensatz zur IgM-assoziierten MAG-Neuropathie mit einer monoklonalen IgA- oder IgG-Expression vergesellschaftet. Endokrinopathie oder Ödeme (engl. Hautveränderungen (engl. Neben den diagnostischen Hauptkriterien (demyelinisierende Polyneuropathie, monoklonale Plasmazellerkrankung, Castleman-Krankheit, Knochenläsionen und erhöhter Vascular Endothelial Growth Factor (VEGF)-Spiegel) finden sich als Nebenkriterien bei den Betroffenen häufig Organomegalie, Papillenödem, periphere Ödeme, Endokrinopathie, Thrombozytämie und hyperpigmentierte Hautveränderungen. Die Erkrankung kann neurografisch einer CIDP sehr ähnlich sein. Diese Erkrankung spricht jedoch auf die typische CIDP-Therapie nicht an.

AL-Amyloidneuropathie

Amyloidosen sind seltene Proteinfaltungskrankheiten, bei denen sich Proteine als unlösliche fibrilläre Aggregate in diversen Organsystemen ablagern. Die AL-Amyloidose (Leichtketten-Amyloidose) ist eine systemische Komplikation monoklonaler Gammopathien. Sie stellt die häufigste Form der Amyloidose dar. Patienten mit AL-Amyloidose zeigen initial meist eine unspezifische Symptomatik. Im weiteren Verlauf kommt es zu Organschädigungen durch Amyloidablagerungen. Häufig sind Herz und Niere betroffen. Die AL-Amyloidneuropathie kann sich initial als Small-Fiber-Neuropathie äußern. Im Verlauf manifestiert sich nicht selten eine schmerzhafte Neuropathie; eine vegetative Beteiligung kommt bei der AL-Amyloidneuropathie ebenfalls häufig vor. Eine Nervenbiopsie (zumeist aus dem Nervus suralis) kann eine Amyloidneuropathie direkt bestätigen; die Diagnose stützt sich auf den histologischen oder elektronenmikroskopischen Nachweis von nervalen Amyloidablagerungen. Diese Verfahren sind jedoch technisch recht anspruchsvoll. Alternativ kann der Nachweis von Amyloidablagerungen anhand Knochenmark-, Bauchfett- oder Speicheldrüsenbiopsie die Diagnose stützen.

Therapie

Die Therapie dieser Krankheitsbilder orientiert sich an den Empfehlungen für die chronisch inflammatorische demyelinisierende Polyradikuloneuropathie (CIDP), bei der Kortikosteroide, intravenöse Immunglobuline und eine therapeutische Plasmaseparation zum Einsatz kommen. Jedoch spricht etwa die Hälfte aller Patienten mit paraproteinämischen Polyneuropathien auf diese Therapien nicht an.

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Gemäß Leitlinienempfehlung der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) kann die MAG-Neuropathie analog zur chronisch inflammatorischen demyelinisierenden Polyradikuloneuropathie (CIDP) behandelt werden, was den Einsatz von intravenösen Immunglobulinen (IVIg), Kortikosteroiden oder Plasmapherese einschließt. Allerdings sprechen IgM-assoziierte Neuropathien im Vergleich zur CIDP meist schlechter auf diese Therapien an. Eine kleine randomisierte kontrollierte Studie sowie unkontrollierte Studien belegen eine moderate Wirksamkeit für den Anti-CD20-Antikörper Rituximab bei MAG-Neuropathie; die Behandlung erfolgt allerdings off Label, eine Zulassung für Rituximab besteht bei der MAG-Neuropathie bisher nicht. IVIg und Plasmapherese stellen Therapien der ersten Wahl für die MAG-Neuropathie dar; mit einer zumindest moderaten klinischen Verbesserung ist bei etwa 50 % der Behandelten zu rechnen. Immunglobuline können alternativ auch subkutan verabreicht werden.

Die Therapie der Kryoglobulinämie erfolgt durch Behandlung der Grunderkrankung; zudem sind häufig Immunsuppression (z. B.

Zur Behandlung von Patienten mit POEMS-Syndrom erfolgt eine onkologische Plasmozytomtherapie, ggf.

Die kausale Behandlung der AL-Amyloidneuropathie hängt von der zugrunde liegenden Erkrankung ab. Diagnostik und Therapie müssen mit onkologischer Beteiligung erfolgen.

Für die Therapieeskalation bei refraktären paraproteinämischen Neuropathien stehen nur wenige evidenzbasierte Optionen zur Verfügung. Bei schwer betroffenen und ansonsten therapierefraktären Patienten kann nach Ausschluss von Differenzialdiagnosen ein Therapieversuch mit Cyclophosphamid als intravenöse Pulstherapie erfolgen. Für die autologe Stammzelltransplantation liegen Wirksamkeitsdaten für refraktäre Verläufe bei CIDP vor. Eine neuere Arbeit untersuchte Therapieeffekte der autologen Stammzelltransplantation bei mehr als 60 Patienten mit refraktärer CIDP. Die Überlebensrate betrug 97 %, die medikationsfreie 5-Jahres-Remissionsrate >80 %. Randomisierte kontrollierte Studien zur Bestätigung dieser positiven Ergebnisse stehen allerdings noch aus.

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