Neuer Bluttest erkennt Multiple Sklerose Jahre vor Ausbruch

Weltweit leiden 2,8 Millionen Menschen an Multipler Sklerose (MS), einer chronisch-entzündlichen Autoimmunerkrankung des zentralen Nervensystems. Die Diagnose ist oft schwierig und langwierig, da die Symptome vielfältig und unspezifisch sind. Doch nun gibt es Hoffnung auf eine frühere Erkennung und Behandlung: Ein neuer Bluttest, entwickelt von einem Forschungsteam der MedUni Wien, kann das Risiko für MS bereits Jahre vor dem Auftreten erster Symptome erkennen.

Die Bedeutung der Früherkennung bei MS

Eine frühzeitige Diagnose ist bei MS entscheidend, um den Krankheitsverlauf durch eine Therapie und angepasstes Alltagsverhalten positiv beeinflussen zu können. Bisher ist die Diagnose jedoch oft ein langer Weg, da es keinen spezifischen Test für MS gibt und die Symptome auch bei anderen Erkrankungen auftreten können. Die Fachärztin oder der Facharzt schließt dabei andere Krankheiten aus, die identische Symptome aufweisen können. Dazu gehören z. B.

Der neue Bluttest: Ein Hoffnungsschimmer für die Früherkennung

Der neue Bluttest misst die Menge an Antikörpern, die u. a. das Epstein-Barr-Virus (EBV) binden. Die Infektion mit diesem Virus ist einer der Indikatoren für MS. Konkret werden durch den Test Autoantikörper erkannt, also Antikörper gegen körpereigene Strukturen, die auf einen bestimmten Abschnitt des EBV-Proteins EBNA-1 (Epstein-Barr nuclear antigen 1) gerichtet sind. Diese Antikörper treten bereits innerhalb von drei Jahren nach einer EBV-Infektion auf - lange bevor bei den betroffenen Personen klinische Symptome einer MS beobachtet werden. Durch die wiederholte Messung dieser Antikörperspiegel kann ein deutlich erhöhtes Risiko für eine spätere MS-Diagnose erkannt werden.

Wie funktioniert der Test?

Die neue Methode basiert auf einem immunologischen Test, der spezifische Antikörper gegen ein Protein des Epstein-Barr-Virus (EBV) identifiziert. Die Forschenden verglichen Blutproben von 704 Menschen mit MS-Diagnose und fast 5400 gesunden Kontrollpersonen. Dabei fanden sie heraus: Im Blut der MS-Patienten kommen Antikörper häufiger vor, die ein Protein des Epstein-Barr-Virus binden, aber auch Gehirn-Neuronen zerstören. Bei 98 Prozent der MS-Patienten wurden diese Antikörper im Blut gefunden, jedoch nur bei 78 Prozent der Kontrollpersonen.

Der Zusammenhang zwischen EBV und MS

Multiple Sklerose ist eine chronisch-entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems, von der weltweit rund 2,8 Millionen Menschen betroffen sind. Ihre Entstehung ist mit immunologischen Prozessen verbunden, die u.a. durch eine Infektion mit dem Epstein-Barr-Virus angestoßen werden können. Nahezu alle Menschen (90%-95%) infizieren sich im Laufe ihres Lebens mit dem EBV, das dann lebenslang im Körper verbleibt. Die Infektion verläuft oft unbemerkt, kann aber auch als infektiöse Mononukleose (Pfeiffer’sches Drüsenfieber) symptomatisch werden.

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Frühe Erkennung durch den Antikörperwert

Der Antikörperwert eignet sich als zuverlässiger Biomarker für eine Multiple Sklerose. Sie kamen im Blut der MS-Patienten bereits zwischen neun Monaten und drei Jahren nach der Virusinfektion vor - im Schnitt 5,4 Jahre, bevor bei ihnen MS-Symptome auftraten. „Unsere Untersuchungen zeigen, dass Personen, bei denen diese Antikörper an mindestens zwei Messzeitpunkten nachweisbar sind, mit hoher Wahrscheinlichkeit in den Folgejahren eine MS entwickeln“, erklärt Dr. Hannes Vietzen. Der Bluttest könnte daher künftig genutzt werden, um Personen mit besonders hohem MS-Risiko zu identifizieren. Denkbar wäre etwa, vorsorglich das Blut von Menschen zu untersuchen, die nach einer EBV-Infektion Pfeiffersches Drüsenfieber entwickelt hatten.

Weitere Biomarker und Diagnoseverfahren bei MS

Neben dem neuen Bluttest gibt es weitere Biomarker und Diagnoseverfahren, die bei der Diagnose von MS eine Rolle spielen:

Magnetresonanztomographie (MRT)

Die MRT ist erste Wahl bei der Diagnose von MS. Sie bildet die Gewebestrukturen von Gehirn und Rückenmark in Schichten ab und kann Entzündungsherde sichtbar machen, auch wenn sich die MS noch im Anfangsstadium befindet und der Betroffene selbst noch keine Krankheitsanzeichen hat.

Oligoklonale Banden (OKB)

Dieser klassische Biomarker ist neben MRT wichtig für die Diagnose von MS. OKB weisen auf eine erhöhte Bildung von Antikörpern in Folge eines entzündlichen Prozesses im ZNS hin.

Neurofilament-Leichtketten (NfL)

NfL könnten als Marker für neuronale Schäden und daher für die Krankheitsaktivität bei Patienten mit MS eine zentrale Rolle einnehmen. NfL werden in den Liquor bzw. ins Blut freigesetzt, wenn Nervenzellen des ZNS zerstört werden.

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Gliales fibrilläres saures Protein (GFAP)

GAFP ist ebenfalls ein Filamentprotein, das in einer bestimmten Zellart, den sogenannten Astrozyten (Sternzellen), im zentralen Nervengewebe vorkommt.

Extrazelluläre Vesikel (EVs)

Diese kleinen Partikel im Blut und Liquor enthalten Proteine, die mit der Krankheitsaktivität in Verbindung stehen.

Serum-basierte Biomarker wie sCD40L und Zytokine

Diese Biomarker werden intensiv erforscht, um ihre Rolle bei der Vorhersage von MS-Schüben und -Progression zu untersuchen.

Liquortest (Lumbalpunktion)

Für einen gesicherten Befund der Multiple Sklerose ist die Untersuchung des Liquors wichtig - also des Nervenwassers, das Gehirn und Rückenmark umfließt. Um Nervenwasser zu gewinnen, führt die Ärztin oder der Arzt eine sogenannte Lumbalpunktion durch. So findet sich bei rund 90 Prozent der MS-Betroffenen ein ganz bestimmtes Muster an Antikörper und Eiweißen. Einige Eiweiße können bei MS auf Entzündungsherde hinweisen.

Wer sollte sich testen lassen?

Da sich fast alle Menschen im Laufe ihres Lebens mit dem Epstein-Barr-Virus infizieren, stellt sich die Frage, bei wem ein solcher Test künftig sinnvoll wäre. Prof. Thomas Berger, Leiter der Universitätsklinik für Neurologie an der MedUni Wien, erklärt, dass ein entsprechender Test bei Personen sinnvoll wäre, die tatsächlich das Krankheitsbild Pfeiffersches Drüsenfieber entwickeln. Diese könne man auf anhaltend hohe Antikörperspiegel untersuchen. Interessant wären vor allem jene, bei denen ein oder zwei Jahre nach der Erkrankung immer noch diese hohen Antikörperwerte nachweisbar sind.

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Die Zukunft der MS-Diagnostik und -Therapie

Bevor der Test zur Anwendung kommen könne, seien jedoch weitere klinische Studien mit größeren Patientenzahlen nötig. Damit könnten diagnostische und therapeutische Maßnahmen in Zukunft so früh gesetzt werden, dass der Ausbruch der Erkrankung verzögert oder sogar verhindert werden kann.

Kann ein früher Therapiebeginn MS verhindern?

In dem Fall wäre es vorstellbar, mit einer MS-Therapie zu beginnen, selbst wenn der oder die Betreffende noch keine neurologischen Beschwerden hat. So ließe sich der Ausbruch einer MS-Erkrankung bei möglichst allen verhindern, hofft der Forscher. Ob das tatsächlich der Fall ist, müssen künftige großangelegte Untersuchungen allerdings erst noch zeigen.

Potenzielle Vorteile einer frühzeitigen Diagnostik

Aktuell gibt es zu den therapeutischen Vorteilen einer Früherkennung von MS keine Studien. Wenn die Erkrankung allerdings ausgebrochen ist, das heißt, erste Entzündungsherde im Gehirn nachweisbar sind, ohne dass bereits klinische Symptome aufgetreten sind (Radiologisch isoliertes Syndrom), kann eine frühe Behandlung das Auftreten von MS-Symptomen verzögern oder sogar verhindern. Entsprechend würde man annehmen, dass eine Behandlung von Patienten im Prodrom der Erkrankung - das heißt, vor dem Ausbruch von Entzündungsaktivität im ZNS - eine gute Chance hätte, den Ausbruch der MS-Erkrankung zu verhindern. Dies ist allerdings eine Annahme, die aktuell nicht durch Studien untermauert ist.

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