Monoklonale Antikörper in der Behandlung der Multiplen Sklerose: Wirkungsweise und Anwendungsbereiche

Multiple Sklerose (MS) ist bis heute nicht ursächlich heilbar. Allerdings können Immuntherapien das Risiko für Schübe reduzieren und so ein Fortschreiten der Erkrankung eindämmen. Diese Therapien wirken direkt auf Bestandteile des Immunsystems ein, reduzieren Entzündungsaktivitäten im zentralen Nervensystem und tragen zur Besserung von Krankheitssymptomen bei. Ergänzend dazu werden im Rahmen der symptomatischen Therapie weitere Strategien eingesetzt, um Symptome zu lindern und die Lebensqualität zu steigern. Bei einem akuten Schub gilt es zusätzliche Maßnahmen einzuleiten, um Entzündungsaktivitäten rasch zu unterdrücken.

Die Rolle der Immuntherapie bei Multipler Sklerose

Die immunologische Therapie ist ein Eckpfeiler der MS-Behandlung. Alle von uns angebotenen medikamentösen Immuntherapien zielen darauf ab, Ihren Krankheitsverlauf positiv zu beeinflussen. Das bedeutet, weitere Schübe und Entzündungsaktivität im Gehirn und Rückenmark, die sogenannten „Herde“, möglichst zu verhindern und somit die Krankheitsaktivität zu kontrollieren. Der überwiegende Teil der Medikamente dient der Verhinderung von Schüben, einige eignen sich auch zur Eindämmung der Krankheitsverschlechterung.

Wie Immuntherapien wirken

Alle Medikamente der MS-Therapie wirken, indem sie außer Kontrolle geratene Komponenten des Immunsystems (u. a. T-Lymphozyten, B-Lymphozyten und ihre Antikörper sowie Makrophagen, sogenannte „Fresszellen“) in Schach halten: Einerseits unterdrücken sie die Anzahl oder Aktivität der überaktiven Immunzellen, andererseits versperren sie Immunzellen den Weg in das zentrale Nervensystem - sie „dichten“ also die Blut-Hirn-Schranke ab.

Monoklonale Antikörper: Ein wichtiger Bestandteil der Immuntherapie

Monoklonale Antikörper sind in den vergangenen Jahren bei zahlreichen Indikationen zu wichtigen Therapieoptionen geworden, darunter auch bei Multipler Sklerose. Als Wirkstoff entwickelte monoklonale Antikörper gehören zu den Biologicals (biotechnologisch hergestellte Arzneimittel). Sie sind an der typischen Namensendung „-mab“ (z. B. Ocrelizumab, Natalizumab, Alemtuzumab) zu erkennen.

Was sind monoklonale Antikörper?

Wird das Immunsystem mit einem Antigen konfrontiert, erkennt es auf dessen Oberfläche verschiedene spezifische Strukturen, die sogenannten Epitope. Aktivierte B-Lymphozyten reifen daraufhin zu Plasmazellen und bilden sodann Antikörper gegen dieses Antigen. Dabei bilden verschiedene B-Zellen jeweils zu einem Epitop passende Antikörper. Isoliert man einzelne B-Lymphozyten und vermehrt die von dieser Zelle produzierten Antikörper künstlich, so erhält man monoklonale Antikörper: Diese Immunglobuline richten sich spezifisch nur gegen ein Oberflächenmerkmal des Antigens.

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Vorteile monoklonaler Antikörper

Monoklonale Antikörper ermöglichen es, zielgerichtet bestimmte Strukturen im Körper zu erreichen. Sie können dabei sowohl als Wirkstoffe als auch als Vehikel für einen anderen Wirkstoff fungieren. Verglichen mit einer im gesamten Körper wirkenden systemischen Therapie können so Nebenwirkungen minimiert werden. Als Proteine sind monoklonale Antikörper nicht magensäurebeständig und müssen deshalb injiziert werden.

Beispiele für monoklonale Antikörper in der MS-Therapie

  • Alemtuzumab: Dabei handelt es sich um einen monoklonalen Antikörper mit langandauernden immunsuppressiven Eigenschaften. Ziel ist, die Anzahl reifer Lymphozyten (Untergruppe der weißen Blutkörperchen, Leukozyten) im Blut zu verringern. Alemtuzumab bindet an das Oberflächenprotein CD52, das besonders stark auf zirkulierenden B- und T-Lymphozyten exprimiert ist. Nach Bindung des Antikörpers werden diese Zellen relativ rasch zerstört. Damit sind die Immunzellen dieses Typs erst einmal aus dem Blutkreislauf entfernt. Das Immunsystem erholt sich zwar innerhalb eines Jahres, aber dabei wird es nicht 1:1 wiederhergestellt, sondern rekonditioniert. So scheint sich die mit der Multiplen Sklerose (MS) einhergehende Imbalance zwischen autoreaktiven T-Effektorzellen und regulatorischen T-Zellen (Treg) zugunsten der Treg zu verschieben.

  • Natalizumab: Dieser Wirkstoff ist ein monoklonaler Antikörper, der ein Eiweißmolekül auf der Zelloberfläche von weißen Blutkörperchen blockiert und damit das Einwandern von Entzündungszellen in das Gehirn hemmt. Dieser verhindert - über Neutralisierung eines Integrinmoleküls - das Einwandern von Immunzellen (weiße Blutkörperchen) in die Entzündungsherde des ZNS (zentrales Nervensystem, bestehend aus Gehirn und Rückenmark).

  • Ocrelizumab: Dies ist ein weiterer monoklonaler Antikörper, der spezifisch die Zahl der B-Lymphozyten verringert. Ocrelizumab neutralisiert bestimmte B-Lymphozyten und verzögert nachweislich das Fortschreiten der Erkrankung.

  • Ofatumumab: Ist ein humaner monoklonaler Antikörper (IgG1), der spezifisch an ein Epitop bindet, das die kleine und die große extrazellulären Schleifen des CD20-Moleküls umfasst. Die Bindung von Ofatumumab an CD20 führt hauptsächlich mittels komplementabhängiger Zytolyse (Complement-dependent Cytotoxicity, CDC), in geringerem Umfang aber auch über die antikörperabhängige zellvermittelte Zytotoxizität (Antibody-dependent Cell-mediated Cytotoxicity, ADCC) zur Lyse CD20-positiver B-Zellen.

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Auswahl der geeigneten Immuntherapie

Das für Sie geeignete Medikament zur Schubvorbeugung versuchen wir stets mit Ihnen gemeinsam auszuwählen. Dabei berücksichtigen wir Ihre medizinischen Voraussetzungen (Alter, Geschlecht, Begleiterkrankungen, Risikofaktoren), aber auch Ihre persönlichen Wünsche (Lebenssituation, Lebensplanung, Einstellung zu Medikamenten und Risiken). Bevor wir eine Therapie beginnen, klären wir Sie über die Stärken, aber auch Grenzen des Medikaments auf und besprechen mit Ihnen mögliche Nebenwirkungen. Je nach Krankheitsverlauf unterstützen wir Sie mit unterschiedlichen medikamentösen Strategien.

Therapie bei schubförmiger MS

  • Hohe Entzündungsaktivität: Bei schweren oder häufig auftretenden Schüben ist ein rasches und massives Unterdrücken des Immunsystems erforderlich - dabei kann es im Einzelfall gerechtfertigt sein auch ein höheres Nebenwirkungsrisiko in Kauf zu nehmen. Einige der Medikamente werden als Infusion verabreicht, die meisten zählen zur Gruppe der sogenannten „Immunsuppressiva“. Medikamente sind: Alemtuzumab, Cladribin, Fingolimod, Natalizumab, Ocrelizumab.
  • Milder Verlauf: Liegt ein milderer Verlauf vor, kann auf Medikamente mit einem besonders gut bekannten Sicherheitsprofil zurückgegriffen werden. Diese sogenannte „Basistherapie“ ist oft mit einem etwas günstigeren Nebenwirkungsprofil verbunden - daher empfehlen wir einige der Medikamente (Beta-Interferone, Glatirameracetat) auch Patientinnen, die eine Schwangerschaft planen. Medikamente sind: Beta-Interferone (IFN-ß), Dimethylfumarat, Glatirameracetat, Teriflunomid.

Therapie bei sekundär chronisch progredientem Verlauf

Bei einem Verlauf mit drastischer Beschwerdezunahme in kurzer Zeit ist das Immunsuppressivum Mitoxantron eine bewährte Option. Mitoxantron wird üblicherweise alle drei Monate als Infusion verabreicht. Bei weiter bestehenden Schüben werden auch Beta-Interferone eingesetzt.

Therapie bei primär progredientem Verlauf

Seit Anfang 2018 gibt es mit Ocrelizumab erstmals ein zugelassenes Medikament für Patienten mit primär progredientem Verlauf der MS. Ocrelizumab neutralisiert bestimmte B-Lymphozyten und verzögert nachweislich das Fortschreiten der Erkrankung. Die Behandlung besteht aus einer alle sechs Monate durchgeführten Infusion.

Therapie bei Sonderformen der MS

Wenn die Abgrenzung zu anderen Autoimmunerkrankungen schwierig ist oder wenn andere MS-Medikamente nicht angewendet werden können, kann Azathioprin eingesetzt werden. Dieses Präparat ist für viele Autoimmunerkrankungen zugelassen und hemmt als Immunsuppressivum die Vermehrung und Aktivität von B- und T-Lymphozyten.

Wichtiger Hinweis

Die in den obigen Absätzen genannten Medikamente können nur einen allgemeinen Überblick über das medikamentöse Behandlungsspektrum geben. Ihr behandelnder Arzt berät Sie gerne über in einem persönlichen Gespräch über spezifische Wirkungen und Nebenwirkungen.

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Schubtherapie

Während eines akuten MS-Schubes wird in der Regel zur Entzündungs­hemmung hochdosiertes Cortison (in Form so genannter Corticosteroide wie Methyl­prednisolon) eingesetzt. Bei unzureichender Rückbildung der Beschwerden wird die Cortisonbehandlung in höherer Dosis wiederholt. Bei sehr schweren, nicht auf Cortison reagierenden Schubsymptomen, bieten wir ein Plasmareinigungsverfahren, die Immunadsorption, an. Bei diesem Verfahren handelt es sich um eine Art „Blutwäsche“: Das Blut wird von Antikörpern, die gegen das Nervensystem gerichtet sind, sowie weiteren Eiweißmolekülen gereinigt und anschließend in den Körper zurückgeführt.

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