Sauerstoff ist für die Funktion aller Körperzellen unerlässlich, besonders aber für das Gehirn. Ein Mangel an Sauerstoff, auch Hypoxie genannt, kann zu schweren Hirnschäden führen. Dieser Artikel beleuchtet die Ursachen von Sauerstoffmangel im Gehirn, die daraus resultierenden Schäden und die verfügbaren Therapieansätze.
Was ist Hypoxie und wie wirkt sie sich auf das Gehirn aus?
Hypoxie bezeichnet eine Unterversorgung des Körpers oder einzelner Körperteile mit Sauerstoff. Das Gehirn reagiert besonders empfindlich auf Sauerstoffmangel, da es einen hohen Energiebedarf hat und auf eine kontinuierliche Sauerstoffzufuhr angewiesen ist. Bereits nach wenigen Minuten ohne ausreichende Sauerstoffversorgung können Nervenzellen absterben, was zu einem hypoxischen Hirnschaden führt. In einem Gewebe, in dem nicht nur zu wenig Sauerstoff (Hypoxie), sondern gar keiner mehr vorhanden ist, sprechen Mediziner von Anoxie.
Akute und chronische Hypoxie
Eine akute Hypoxie entsteht plötzlich, beispielsweise durch einen Druckabfall im Flugzeug, einen starken Blutverlust oder eine Vergiftung. Häufiger ist jedoch eine chronische Hypoxie, die sich langsam entwickelt und beispielsweise durch chronische Lungenerkrankungen wie COPD oder neuromuskuläre Erkrankungen wie ALS verursacht wird.
Ursachen von Sauerstoffmangel im Gehirn
Eine Unterversorgung des Gehirns mit Sauerstoff kann vielfältige Ursachen haben. Diese lassen sich grob in folgende Kategorien einteilen:
Erkrankungen der Atemwege und der Lunge
- Verengung oder Verlegung der Atemwege: Fremdkörper, allergische Reaktionen, Tumore oder Erkrankungen wie Asthma und COPD können die Atemwege verengen oder verlegen und so die Sauerstoffaufnahme beeinträchtigen.
- Lungenentzündung (Pneumonie): Eine Entzündung des Lungengewebes kann den Gasaustausch stören und zu einer Sauerstoffuntersättigung des Körpers führen.
- Pleuraerguss und Pneumothorax: Flüssigkeitsansammlungen oder Luftansammlungen zwischen Brustkorb und Lunge können die Lungenfunktion einschränken und eine Hypoxie verursachen.
- Lungenfibrose ("Lungenverhärtung"): Durch das verhärtete, vernarbte Lungengewebe ist die Beweglichkeit und somit Funktionsfähigkeit der Lunge eingeschränkt, was die Belüftung der Lunge erschwert.
- Lungenödem: Aufgrund einer erhöhten Durchblutung des Lungengewebes, zum Beispiel bei einer Herzschwäche, sammelt sich Flüssigkeit in der Lunge und die Lungenfunktion ist gestört. Flüssigkeit in den Lungenbläschen verhindert den Gasaustausch, was letztlich zu einer Sauerstoffunterversorgung führt.
- Lungenembolie: Durch ein Gerinnsel, das in die Lungenarterien gelangt und diese verstopft, kommt es zu einer Minderdurchblutung der Lunge. Diese Perfusionsstörung führt dazu, dass weniger Blut mit Sauerstoff angereicht wird und der Körper unterversorgt ist.
- Cystische Fibrose (Mukoviszidose): Ein Gendefekt löst eine verstärkte Schleimbildung in verschiedenen Organen wie zum Beispiel der Lunge aus. Die feinen Bronchien sind dadurch verengt und die Lungenfunktion gestört.
Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems
- Herzinsuffizienz: Eine Herzschwäche kann dazu führen, dass das Blut nicht mehr ausreichend durch den Körper gepumpt wird, was zu einer Sauerstoffunterversorgung der Organe, einschließlich des Gehirns, führen kann.
- Lungenembolie: Ein Blutgerinnsel in den Lungenarterien kann den Blutfluss behindern und die Sauerstoffaufnahme beeinträchtigen.
- Gefäßverschlüsse: Verstopfte Arterien, beispielsweise durch Atherosklerose, können die Sauerstoffversorgung einzelner Körperteile oder des gesamten Gehirns beeinträchtigen. Ein Schlaganfall ist ein typisches Beispiel für eine zerebrale Hypoxie infolge eines Gefäßverschlusses.
Weitere Ursachen
- Vergiftungen: Substanzen wie Kohlenmonoxid, Zyanid, Opiate, Alkohol oder bestimmte Medikamente können die Sauerstoffaufnahme oder -verwertung im Körper beeinträchtigen.
- Blutarmut (Anämie): Ein Mangel an roten Blutkörperchen oder Hämoglobin kann die Sauerstofftransportkapazität des Blutes verringern.
- Erkrankungen und Verletzungen des Gehirns: Schädel-Hirn-Trauma, Schlaganfall oder andere neurologische Erkrankungen können die Atemfunktion und somit die Sauerstoffversorgung beeinträchtigen.
- Höhenkrankheit: In großen Höhen ist der Sauerstoffgehalt der Luft geringer, was zu einer Hypoxie führen kann.
- Komplikationen während der Geburt: Eine vorzeitige Plazentalösung, eine eingeklemmte Nabelschnur oder eine Nabelschnur, die sich um den Hals des Kindes gewickelt hat, können zu einer Sauerstoffunterversorgung des kindlichen Gehirns führen.
- Narkosemittel: Dabei sendet das Atemzentrum im Hirnstamm nicht die erforderlichen Impulse an die Atemmuskulatur, um beispielsweise das Einatmen auszulösen.
Arten von Hypoxie
Mediziner unterscheiden verschiedene Arten von Hypoxie, die auf unterschiedliche Weise entstehen:
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Hypoxämische Hypoxie (Hypoxämie)
Diese Form von Hypoxie ist am häufigsten. Sie ist durch einen zu niedrigen Sauerstoffdruck im Arterienblut gekennzeichnet, das bedeutet, dass das Blut nur unzureichend mit Sauerstoff angereichert ist. Das liegt zum Beispiel daran, dass die Atemluft zu wenig Sauerstoff enthält (etwa die dünne Luft in großer Höhe, "Höhenkrankheit") oder die Lunge nicht genug belüftet ist (Ventilationsstörung). Auch eine mangelhafte Durchblutung der Lunge (Perfusionsstörung) sowie ein gestörter Gasaustausch in den Lungenbläschen (Diffusionsstörung) lösen eine Hypoxämie aus.
Anämische Hypoxie
Bei der anämischen Hypoxie ist die Sauerstoffkapazität des Blutes, also seine Fähigkeit, Sauerstoff zu transportieren, verringert. Es liegt ein Sauerstoffmangel im Blut vor. Das liegt zum Beispiel an einem Mangel an Hämoglobin, wie er etwa durch eine Eisenmangel-Anämie verursacht wird (Eisen ist ein Hauptbestandteil von Hämoglobin). Auch ein Mangel an roten Blutkörperchen, etwa infolge eines starken Blutverlusts oder einer Störung der Erythrozytenbildung, zieht unter Umständen eine anämische Hypoxie nach sich. In anderen Fällen von anämischer Hypoxie ist die Sauerstoffbindung an Hämoglobin gestört. Der Grund dafür sind zum Beispiel eine angeborene Störung der Hämoglobin-Bildung (wie die angeborene Sichelzellanämie) oder eine sogenannte Methämoglobinämie.
Ischämische Hypoxie
Wenn Gewebe oder ein Organ zu wenig durchblutet ist, steht den Zellen zu wenig Sauerstoff zur Verfügung. Mögliche Ursachen einer solchen ischämischen Hypoxie sind zum Beispiel ein Herzinfarkt oder eine andere Form von Thrombose (Gefäßverschluss durch ein vor Ort gebildetes Blutgerinnsel) sowie eine Embolie (Gefäßverschluss durch ein mit dem Blut angeschwemmtes Blutgerinnsel).
Zytotoxische (histotoxische) Hypoxie
Bei dieser Form der Hypoxie gelangt zwar genug Sauerstoff in die Zellen hinein, allerdings ist dessen Verwertung im Zellinneren zur Energiegewinnung (die Zellatmung) beeinträchtigt. Mögliche Ursache ist zum Beispiel eine Vergiftung mit Zyanid (Salz der Blausäure) oder einem bakteriellen Giftstoff (Bakterientoxin).
Symptome von Sauerstoffmangel im Gehirn
Die Symptome eines Sauerstoffmangels im Gehirn können je nach Schweregrad und Dauer der Unterversorgung variieren. Zu den häufigsten Symptomen gehören:
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- Kurzatmigkeit (Dyspnoe)
- Beschleunigte (Tachypnoe) oder verlangsamte Atmung
- Erhöhte oder erniedrigte Atemfrequenz
- Herzrasen (Tachykardie)
- Erhöhter Blutdruck
- Schwitzen
- Marmorierte Haut: Blasse Hautfarbe mit grau-blauen Linien
- Bläuliche Verfärbung der Haut, Fingernägel und/oder Lippen (Zyanose)
- Unruhe, Angst, Verwirrtheit, Reizbarkeit, Aggressivität
- Schwindel
- Kopfschmerzen
- Benommenheit bis zur Apathie
- Bewusstseinsverlust
- Koma
Chronischer Sauerstoffmangel kann sich auch durch Uhrglasnägel und Trommelschlegelfinger äußern.
Diagnose von Sauerstoffmangel im Gehirn
Um einen Sauerstoffmangel festzustellen, führt der Arzt zunächst eine körperliche Untersuchung durch und erkundigt sich nach den Beschwerden und der Krankengeschichte des Patienten. Wichtige diagnostische Maßnahmen sind:
- Pulsoximetrie: Messung der Sauerstoffsättigung im Blut mithilfe eines Clips am Finger oder Ohrläppchen.
- Blutgasanalyse: Entnahme von arteriellem Blut zur Bestimmung des Sauerstoff- und Kohlendioxidgehalts sowie des pH-Werts.
- Weitere Blutuntersuchungen: zur Abklärung möglicher Ursachen wie Anämie oder Vergiftungen.
- Bildgebende Verfahren: Röntgenaufnahme der Lunge, CT oder MRT des Schädels zur Beurteilung von Lungen- und Hirnstruktur.
- Dopplersonografie: Ultraschalluntersuchung der hirnversorgenden Arterien.
- EEG (Elektroenzephalogramm): Zur Feststellung von Allgemeinveränderungen sowie eventuell verdeckte Zeichen für Epilepsie
Therapie von Sauerstoffmangel im Gehirn
Die Behandlung eines Sauerstoffmangels im Gehirn zielt darauf ab, die Sauerstoffversorgung des Gehirns schnellstmöglich wiederherzustellen und die Ursache der Hypoxie zu beheben.
- Sauerstofftherapie: Verabreichung von Sauerstoff über eine Nasensonde, eine Sauerstoffmaske oder in schweren Fällen über eine künstliche Beatmung.
- Behandlung der Grunderkrankung: Je nach Ursache der Hypoxie kommen verschiedene Therapien in Frage, z.B. Medikamente gegen Asthma oder COPD, Antibiotika bei Lungenentzündung, Thrombolyse bei Lungenembolie oder Bluttransfusionen bei Anämie.
- Frührehabilitation: Nach einer längeren Phase der Unterversorgung des Gehirns mit Sauerstoff ist eine frühzeitige Rehabilitation wichtig, um die bestmögliche Erholung der neurologischen Funktionen zu erreichen. Die Patienten erhalten eine interdisziplinäre Therapie, die Behandlungen aus den Bereichen Krankengymnastik (Physiotherapie), Ergotherapie, Sprachtherapie (Logopädie), Neuropsychologie und therapeutisch-aktivierende Pflege angeboten.
Folgen von Sauerstoffmangel im Gehirn
Die Folgen eines Sauerstoffmangels im Gehirn können je nach Dauer und Schweregrad der Unterversorgung unterschiedlich sein. Bei kurzzeitiger Unterversorgung können sich die Symptome wie Koordinations-, Wahrnehmungs- und Gedächtnisstörungen meist wieder zurückbilden. Länger andauernder Sauerstoffmangel kann jedoch zu schweren, bleibenden Schäden führen, darunter:
- Hypoxischer Hirnschaden: Absterben von Nervenzellen im Gehirn, was zu neurologischen Ausfällen wie Lähmungen, Spastik, Koordinationsstörungen, Sprachstörungen, Gedächtnisproblemen und kognitiven Einschränkungen führen kann.
- Koma: Tiefe Bewusstlosigkeit, aus der der Patient nicht mehr aufweckbar ist.
- Hirntod: Irreversibler Ausfall aller Hirnfunktionen.
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