Gehirn gegen Herz: Ein Vergleich der komplexen Wechselwirkungen und Auswirkungen auf die Gesundheit

Lange Zeit wurden Herz und Gehirn als getrennte Einheiten betrachtet, doch die moderne Forschung zeigt, dass diese beiden Organe eng miteinander verbunden sind und sich gegenseitig beeinflussen. Die neurokardiologische Achse, die die Interaktion zwischen Gehirn und Herz beschreibt, spielt eine entscheidende Rolle für unsere körperliche und geistige Gesundheit. Dieser Artikel beleuchtet die komplexen Wechselwirkungen zwischen Herz und Gehirn, die Auswirkungen von Erkrankungen auf beide Organe und die Bedeutung einer ganzheitlichen Betrachtung in Prävention und Therapie.

Die enge Verbindung: Herz und Gehirn im Dialog

Das Herz ist weit mehr als nur eine Pumpe, die den Körper mit Blut versorgt. Es verfügt über ein eigenes Nervensystem, das sogenannte "Herzgehirn", das aus etwa 40.000 Nervenzellen besteht und mit dem Gehirn in ständiger Kommunikation steht. Diese Kommunikation erfolgt über verschiedene Wege, darunter das Nervensystem und minimale elektrische Impulse.

Kommunikationswege zwischen Herz und Gehirn:

  • Nervensystem: Sympathische Nervenfasern beschleunigen die Herzfrequenz, während parasympathische Fasern, die vom Nervus vagus ausgehen, für Entspannung und Verlangsamung des Herzschlags sorgen.
  • Hormone: Das Herz produziert Hormone, die den Blutdruck regulieren und auf das Gehirn wirken können.
  • Sensorische Informationen: Sensoren im Herzen, wie die Barorezeptoren, messen die Dehnung des Herzvorhofs und leiten Signale an das Gehirn weiter, um die Flüssigkeitsausscheidung über die Nieren zu regulieren.
  • Elektrische Impulse: Das Herz sendet minimale elektrische Impulse, die von den Nervenzellen ausgehen.

Diese vielfältigen Kommunikationswege ermöglichen es dem Herzen, wichtige Informationen an das Gehirn zu übermitteln und umgekehrt. Das Herz beeinflusst nicht nur körperliche Funktionen wie den Blutdruck, sondern auch psychische Prozesse wie Emotionen und Kognition.

Körper-Hirn-Zustände: Eine untrennbare Einheit

Ein neues Konzept der Forschung geht von integrierten Körper-Hirn-Zuständen aus. Dabei geht jeder körperliche Vorgang, wie zum Beispiel Herzschlag, Blutdruckveränderung und jede Änderung des Metabolismus automatisch mit einem mentalen oder geistigen Prozess einher. Das bedeutet, dass beide untrennbar verbunden sind. Unterschiedliche Dauer: Die Körper-Hirn-Zustände spielen sich auf verschiedenen zeitlichen Skalen ab, die als dynamisches System beschrieben werden: Kurz andauernde Körper-Hirn-Zustände („Microstates“) entsprechen zum Beispiel Emotionen wie Ärger oder Freude. Ein Beispiel für länger andauernde Körper-Hirn-Zustände („Mesostates“) ist akuter oder chronischer Stress. Psychische und kardiovaskuläre Erkrankungen reflektieren sich in langdauernden Körper-Hirn-Zuständen („Macrostates“). „Dabei haben psychische Erkrankungen immer auch eine kardiovaskuläre Komponente, die aber noch ohne klinische Symptome sein kann und ebenso umgekehrt. Die hohe Koinzidenz von psychischen und kardiovaskulären Erkrankungen könnte man daher mit der Spitze des Eisbergs vergleichen“, sagt Arno Villringer, Direktor der Abteilung Neurologie am Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften.

Die Auswirkungen von Stress und Emotionen auf Herz und Gehirn

Stress, Schlafmangel und Trauer können die neurokardiologische Achse stark beeinflussen und sowohl das Gehirn als auch das Herz schädigen.

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  • Stress: Chronischer Stress am Arbeitsplatz erhöht das Risiko für Vorhofflimmern, eine häufige Herzrhythmusstörung.
  • Trauer: Der Verlust eines geliebten Menschen kann das Risiko für einen Schlaganfall oder Herzinfarkt erhöhen, insbesondere bei älteren Menschen.
  • Traumata: Menschen, die in ihrer Kindheit Traumata, Missbrauch oder Vernachlässigung erlebt haben, haben ein höheres Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall.
  • Schlafprobleme: Chronische Schlafprobleme erhöhen das Risiko für Herzversagen.
  • Lärm: Verkehrslärm kann das Risiko für Herzinfarkt erhöhen.

Diese Stressfaktoren können zu einer permanenten Stressreaktion im Körper führen, die sich negativ auf Herz und Gehirn auswirkt. Stresshormone wie Adrenalin und Cortisol werden ausgeschüttet, was zu einem erhöhten Herzschlag, Blutdruck und Atemfrequenz führt. Auf Dauer kann dies zu Schäden an den Blutgefäßen, Entzündungen und einer erhöhten Anfälligkeit für Herzerkrankungen führen.

Kardiovaskuläre Erkrankungen und ihre Auswirkungen auf die Kognition

Kardiovaskuläre Erkrankungen wie Herzinsuffizienz, Herzinfarkt und Vorhofflimmern können die kognitiven Fähigkeiten beeinträchtigen und das Risiko für Demenz erhöhen.

  • Herzinsuffizienz: Patienten mit Herzinsuffizienz weisen häufig kognitive Defizite in Bereichen wie Gedächtnis, Aufmerksamkeit und Reaktionszeit auf. MRT-Aufnahmen zeigen Auffälligkeiten im Temporallappen des Gehirns, der für die Gedächtnisbildung wichtig ist.
  • Herzinfarkt: Ein Herzinfarkt kann den geistigen Abbau beschleunigen und das Risiko für vaskuläre Demenz erhöhen.
  • Vorhofflimmern: Vorhofflimmern erhöht das Risiko für Schlaganfälle, die zu kognitiven Beeinträchtigungen führen können.

Die beeinträchtigte Hirnfunktion bei Herzinsuffizienz kann dazu führen, dass Patienten Schwierigkeiten haben, ihren Therapieplan einzuhalten, was die Behandlung der Herzerkrankung erschwert.

Neurologische Erkrankungen und ihre Auswirkungen auf das Herz

Neurologische Erkrankungen wie Schlaganfall, Hirnblutungen und epileptische Anfälle können das Herz beeinträchtigen und das Broken-Heart-Syndrom (Takotsubo-Syndrom) auslösen.

  • Schlaganfall: Ein Schlaganfall kann zu einem Broken-Heart-Syndrom führen, bei dem sich die linke Herzkammer typisch verformt.
  • Broken-Heart-Syndrom: Das Broken-Heart-Syndrom ist eine Herzmuskelerkrankung, die durch emotionalen oder körperlichen Stress ausgelöst werden kann. In einigen Fällen kann sie auch durch neurologische Erkrankungen verursacht werden.

Patienten mit vorangegangenen neurologischen Erkrankungen haben ein höheres Risiko für schwere Verläufe des Broken-Heart-Syndroms.

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Die hohe Koinzidenz von kardiovaskulären und psychischen Erkrankungen

Es besteht eine hohe Übereinstimmung zwischen kardiovaskulären und psychischen Erkrankungen, wie Bluthochdruck und Depressionen. Diese Verbindung erfordert ein neues Konzept zur Erklärung. Es gibt eine Reihe von Erklärungsansätzen für diese hohe Koinzidenz, von denen bisher aber keiner definitiv belegt werden konnte. So werden zum Beispiel negative psychische Reaktionen bei Diagnose einer kardiovaskulären Erkrankung als Grund für die Entstehung psychischer Erkrankungen angeführt. Andererseits wird eine ungesunde Lebensweise bei Vorliegen psychischer Erkrankungen als Risikofaktor für die Entstehung von kardiovaskulären Erkrankungen angesehen.

Prävention und Therapie: Eine ganzheitliche Betrachtung

Die Erkenntnisse über die enge Verbindung zwischen Herz und Gehirn haben wichtige Konsequenzen für die Prävention und Therapie von Erkrankungen. Es ist entscheidend, sowohl kardiovaskuläre als auch psychische Aspekte zu berücksichtigen, auch wenn anfänglich nur einer der Aspekte im Vordergrund steht.

Präventionsmaßnahmen:

  • Stressmanagement: Stress reduzieren durch Entspannungstechniken wie Achtsamkeitstraining, progressive Muskelentspannung oder Meditation.
  • Gesunder Lebensstil: Ausgewogene Ernährung, regelmäßige Bewegung, ausreichend Schlaf und Vermeidung von Rauchen und übermäßigem Alkoholkonsum.
  • Soziale Aktivitäten: Teilnahme an sozialen Aktivitäten, um soziale Kontakte zu pflegen und Einsamkeit zu vermeiden.
  • Regelmäßige Kontrollen: Regelmäßige Blutdruckmessung und Überprüfung der Cholesterinwerte, insbesondere bei erhöhtem Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen.

Therapeutische Ansätze:

  • Integrierte Behandlung: Berücksichtigung sowohl kardiovaskulärer als auch psychischer Aspekte bei der Behandlung von Erkrankungen.
  • Kognitive Verhaltenstherapie: Behandlung von Depressionen und Angststörungen, die häufig mit Herzerkrankungen einhergehen.
  • Herzinsuffizienz-Schwestern: Unterstützung von Patienten mit Herzinsuffizienz durch speziell ausgebildete Pflegekräfte, die den Therapieplan erklären, die Medikamenteneinnahme kontrollieren und die Patienten regelmäßig kontaktieren.
  • Kardiale Rehabilitation: Teilnahme an einem kardialen Rehabilitationsprogramm nach einem Herzinfarkt, um die körperliche und geistige Gesundheit zu verbessern.

Schlaganfall und kardiale Ursachen

In Deutschland ist der Schlaganfall die vierthäufigste Todesursache und außerdem die häufigste Ursache für erworbene Behinderungen. Jedes Jahr treten in Deutschland etwa 270.000 Schlaganfälle auf. Häufig hat der Schlaganfall kardiale Ursachen. Etwa 20 % sind auf Vorhofflimmern zurückzuführen. Der ischämische Schlaganfall ist in vielen Fällen Folge einer systemischen Gefäßerkrankung.

Diagnostik und Therapie bei Schlaganfallpatienten:

  • Kardiale Diagnostik: Alle Patienten nach ischämischem Schlaganfall sollen eine kardiale Diagnostik erhalten, um eine kardiale Schlaganfallursache zu finden und das kardiovaskuläre Risiko zu bestimmen und zu behandeln.
  • EKG: Ein EKG gehört zur Basisdiagnostik.
  • Echokardiografie: Die Basis der bildgebenden Diagnostik ist die transthorakale Echokardiografie.
  • Rhythmusüberwachung: Für alle Patienten mit ischämischem Schlaganfall oder transitorisch ischämischer Attacke wird eine Rhythmusüberwachung über mindestens 72 Stunden empfohlen, um intermittierende Phasen von Vorhofflimmern zu erkennen.
  • Interventioneller Verschluss eines persistierenden Foramen ovale (PFO): Eine Therapieoption für jüngere Patienten mit ischämischem Schlaganfall.

Kognitive Beeinträchtigungen und Depressionen bei Herzerkrankungen

Depression und kognitive Beeinträchtigung sind häufige Begleiterkrankungen bei Herzinsuffizienz und Vorhofflimmern. Wenn der Verdacht auf eine kognitive Einschränkung oder eine Demenz besteht, sollte ein geriatrisches Assessment erfolgen. Etwa jeder fünfte Patient mit Herzinsuffizienz leidet an einer Depression, ein Drittel der Herzinsuffizienzpatienten berichten über eine vermehrte depressive Symptomatik. Patienten mit Herzinsuffizienz und Depression haben eine schlechtere Prognose als Patienten mit Herzinsuffizienz ohne Depression. Auch Angststörungen sind häufig zu finden.

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