Hypoxischer Hirnschaden: Ursachen, Folgen und schrittweise Rehabilitation

Ein hypoxischer Hirnschaden (HIE), auch hypoxisch-ischämische Enzephalopathie genannt, entsteht durch einen schweren Sauerstoffmangel im Gehirn. Dieser Mangel kann schwerwiegende Folgen haben, da die Nervenzellen des Gehirns, insbesondere die für höhere kognitive Funktionen zuständigen, sehr empfindlich auf Sauerstoffmangel reagieren. In diesem Artikel werden die Ursachen, Folgen und die schrittweise Rehabilitation eines hypoxischen Hirnschadens beleuchtet.

Ursachen eines hypoxischen Hirnschadens

Eine Unterversorgung des Gehirns mit Sauerstoff kann vielfältige Ursachen haben. Häufig tritt ein hypoxischer Hirnschaden nach einem Kreislaufstillstand mit erfolgreichen Wiederbelebungsmaßnahmen (Reanimation) auf. Weitere mögliche Ursachen sind:

  • Komplikationen vor und während der Geburt: Eine vorzeitige Plazentalösung, eine eingeklemmte Nabelschnur oder eine Nabelschnur, die sich um den Hals des Kindes gewickelt hat, können zu einer Mangelversorgung des Gehirns mit Sauerstoff führen.
  • Herz-Kreislauf-Stillstand: Wenn das Herz plötzlich stehen bleibt und der Kreislauf zusammenbricht, wird die betroffene Person innerhalb weniger Sekunden bewusstlos.
  • Hirnblutungen: Blutungen im Gehirn können die Blutzufuhr unterbrechen und zu einem Sauerstoffmangel führen.
  • Herz-Kreislauf-Versagen: Ein Versagen des Herz-Kreislauf-Systems kann ebenfalls die Sauerstoffversorgung des Gehirns beeinträchtigen.
  • Schädel-Hirn-Verletzungen: Schwere Verletzungen des Schädels und des Gehirns können die Blutzufuhr zum Gehirn unterbrechen.
  • Hirninfarkte: Ein Hirninfarkt, auch Schlaganfall genannt, kann die Blutzufuhr zu bestimmten Bereichen des Gehirns blockieren.
  • Vergiftungen: Schwere Vergiftungen können die Gehirnfunktion beeinträchtigen und zu einem Sauerstoffmangel führen.
  • Herzinfarkt: Bei einem Herzinfarkt wird die Blutversorgung des Herzens eingeschränkt oder unterbrochen, was indirekt zu einer Unterversorgung des Gehirns führen kann.

Folgen eines hypoxischen Hirnschadens

Das Ausmaß des hypoxischen Hirnschadens hängt unter anderem von der Dauer der Unterversorgung des Gehirns ab. Dauert die Unterversorgung nur kurz an, können sich Symptome wie Koordinations-, Wahrnehmungs- und Gedächtnisstörungen meist wieder zurückbilden. Bei einer länger andauernden Unterversorgung kommt es jedoch zu schwerwiegenderen Folgen.

  • Bewusstlosigkeit bis hin zum Koma: Eine längere Unterversorgung des Gehirns mit Sauerstoff kann zu einer tiefen Bewusstlosigkeit, dem Koma, führen.
  • Neurologische Störungen: Individuell unterschiedlich stark ausgeprägte neurologische Störungen bis hin zu Komazuständen oder einem Wachkoma können auftreten.
  • Irreversible Schädigung des Gehirns: Die Nervenzellen des Gehirns sterben aufgrund des Sauerstoffmangels innerhalb weniger Minuten ab. Da sich diese Nervenzellen nicht wieder nachbilden, wird das Gehirn irreparabel geschädigt.
  • Kognitive Defizite: Gedächtnisprobleme, Verwirrung, Orientierungslosigkeit, motorische Probleme und Sprachstörungen können auftreten.
  • Hirntod: Bei einer schweren Hirnschädigung kann der Druck im Gehirn so stark ansteigen, dass kein Blut mehr fließt und die Hirnzellen absterben. Dies führt zum Hirntod, dem endgültigen und unumkehrbaren Ausfall der gesamten Hirnfunktionen.

Der Hirntod

Der Hirntod ist ein Zustand, bei dem alle Funktionen des Gehirns irreversibel erloschen sind. Dies bedeutet, dass sowohl lebenswichtige Körperfunktionen als auch das menschliche Bewusstsein betroffen sind. Aus medizinischer und rechtlicher Sicht ist der Hirntod mit dem Tod eines Menschen gleichzusetzen.

Feststellung des Hirntods

Um den Hirntod festzustellen, führen Ärzte bestimmte Untersuchungen durch (Hirntoddiagnostik). In Deutschland gilt bei der Diagnose des Irreversiblen Hirnfunktionsausfalls das Vier-Augen-Prinzip. Zwei erfahrene Intensivmediziner, von denen mindestens einer ein neurologischer oder neurochirurgischer Facharzt sein muss, untersuchen den Patienten. Die Diagnostik des Hirntodes folgt einem dreischrittigen Vorgehen:

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  1. Prüfung der Voraussetzungen: Dazu gehört das Stellen einer medizinischen Diagnose, die den Zustand des Patienten erklärt.
  2. Prüfung der Hirnstammreflexe: Diese Reflexe steuern wichtige Körperfunktionen, wie z. B. Schlucken, Augenbeweglichkeit oder Atmung.
  3. Nachweis der Irreversibilität: Der Nachweis der Irreversibilität dieser Symptome, also der Unumkehrbarkeit, ist erforderlich.

Folgen des Hirntods

  • Verlust der Körperfunktionen: Das Gehirn steuert alle wichtigen Prozesse im Körper, etwa die Atmung, die Regulierung der Körpertemperatur oder den Blutdruck. Wenn ein Mensch hirntot ist, fällt auch die Herz-Kreislauf-Funktion aus - sie kann dann nur noch künstlich aufrechterhalten werden.
  • Verlust des Bewusstseins: Ein hirntoter Mensch hat kein Bewusstsein mehr. Das bedeutet, er oder sie empfindet keine Gefühle mehr, kann nicht denken, lernen oder interagieren. Auch das Schmerzempfinden ist nicht mehr vorhanden.

Organspende nach Hirntod

Nach Feststellung des Hirntodes stellt sich die Frage der Organspende. Hat der oder die Verstorbene in einem Organspendeausweis oder dem Organspende-Register dokumentiert, ob die Organe im Todesfall gespendet werden sollen, so ist diese Entscheidung bindend. Andernfalls werden die Angehörigen befragt.

Wenn eine Zustimmung zur Organ- oder Gewebespende vorliegt, setzen die Ärzte die intensivmedizinischen Maßnahmen bis zur Entnahmeoperation fort. Ist eine Organspende nicht gewünscht, wird das Beatmungsgerät abgeschaltet und auf den Hirntod folgt der Herz-Kreislauf-Stillstand.

Frührehabilitation bei hypoxischem Hirnschaden

Die Frührehabilitation bei einem hypoxischen Hirnschaden (HIE) beginnt in der Regel, sobald der Zustand des Patienten stabil genug ist. Sie zielt darauf ab, die durch den Sauerstoffmangel verursachten Schäden zu minimieren und die Wiederherstellung der körperlichen und geistigen Funktionen der Betroffenen zu fördern.

Schrittweiser, multidisziplinärer Ansatz

Die Rehabilitation erfolgt in einem schrittweisen, multidisziplinären Ansatz, der sich an den individuellen Bedürfnissen und Fähigkeiten des Patienten orientiert.

  1. Medizinische Stabilisierung: Unmittelbar nach dem Ereignis steht die medizinische Stabilisierung im Vordergrund. Diese umfasst die Sicherstellung der Atmung, die Kreislaufstabilisierung und die Überwachung der neurologischen Funktionen.
  2. Umfassende Diagnostik: Sobald die betroffene Person stabil ist, wird eine umfassende Diagnostik durchgeführt, um das Ausmaß der Hirnschäden zu bestimmen und den Rehabilitationsbedarf zu ermitteln. Bildgebende Verfahren wie Ultraschall (Dopplersonografie), Magnetresonanztomografie (MRT) und Computertomografie (CT) können eingesetzt werden. Neurologische Untersuchungen geben Aufschluss darüber, ob und welche Nerven in welchem Ausmaß betroffen sind.
  3. Frühmobilisation: Um die motorischen Fähigkeiten zu erhalten und unerwünschten Folgen wie Muskelatrophie oder Gelenksteifigkeit vorzubeugen, wird sobald wie möglich mit der Frühmobilisation begonnen. Die Physiotherapie spielt hierbei eine zentrale Rolle. Moderne Therapien unterstützen diesen Prozess, zum Beispiel robotergestützte Trainingsgeräte wie der Lokomat® für das Gehen oder der Armeo® für Arm- und Handübungen.
  4. Ergotherapie: Parallel zur Physiotherapie wird mit der Ergotherapie begonnen. Ziel ist, dass die Patienten ihre Alltagskompetenz zurückerlangen und unabhängiger werden.
  5. Logopädie: Ist die Sprach- oder Schluckfunktion beeinträchtigt, wird eine logopädische Therapie eingesetzt. Logopäden unterstützen die Patienten dabei, ihre Kommunikationsfähigkeit zu verbessern. Schluckstörungen sind eine häufige Folge von Einblutungen in das Hirngewebe. Um den Schluckakt bewerten zu können, werden bildgebende und endoskopische Verfahren wie die funktionelle endoskopische Evaluation des Schluckens (FEES) eingesetzt.
  6. Neuropsychologische Therapie: Kognitive Defizite sind bei HIE keine Seltenheit. Die neuropsychologische Therapie zielt darauf ab, Gedächtnis, Aufmerksamkeit und exekutive Funktionen (für Kontrolle und Selbstregulation zuständig) zu verbessern.
  7. Einbindung der Angehörigen: Es ist wichtig, dass auch die Angehörigen aktiv in die Frührehabilitation eingebunden werden. Durch Schulungen und Anleitungen lernen sie, wie sie die Patient:innen im Alltag unterstützen können.
  8. Langfristige Rehabilitationsplanung: Die Frührehabilitation mündet in eine langfristige Rehabilitationsplanung, die ambulante Therapien, Nachsorgeangebote und gegebenenfalls Anpassungen im häuslichen Umfeld umfasst. Dadurch sollen die erzielten Fortschritte gesichert werden.

Weitere Therapien

  • Botulinumtoxin: Botulinumtoxin kann überaktive Muskeln entspannen und so schmerzhafte Verkrampfungen lindern. Auch übermäßiger Speichelfluss lässt sich damit verringern.

Laienreanimation

Mehr als 60.000 Menschen erleiden in Deutschland jährlich einen Herz-Kreislauf-Stillstand außerhalb eines Krankenhauses. Da schon nach etwa 3-5 Minuten ohne ausreichende Sauerstoffversorgung das Gehirn irreversibel geschädigt wird, ist schnelles Handeln entscheidend. Bis der Rettungsdienst eintrifft, vergehen durchschnittlich 8 Minuten, manchmal mehr.

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Prüfen - Rufen - Drücken

  1. Prüfen: Sprechen Sie eine Person an und prüfen Sie, ob sie reagiert. Wenn eine Person nicht reagiert, also bewusstlos ist, aber atmet, muss sie in die stabile Seitenlage gebracht werden. Sollte eine Person bewusstlos sein und nicht mehr atmen, muss mit der Herzdruckmassage sofort begonnen werden. Die Atmung lässt sich überprüfen, in dem man den Brustkorb beobachtet und den Atem hört und fühlt.
  2. Rufen: Rufen Sie den Rettungsdienst unter 112. Bitten Sie nach Möglichkeit auch umstehende Personen um Hilfe.
  3. Drücken: Für die Herzdruckmassage muss die Person auf dem Rücken liegen. Drücken Sie fest (etwa 5 cm tief) im unteren Drittel des Brustkorbs bzw. zwischen den Brustwarzen. Nach jeder Kompression muss der Brustkorb vollständig entlastet werden, das heißt, man drückt und entlastet im Wechsel in einer Frequenz von 100-120 Mal pro Minute. Um die Herzdruckmassage im richtigen Takt auszuüben, gibt es Musik, an der man sich orientieren kann, zum Beispiel „Staying Alive“ von den Bee Gees.

Faustregel für alle Ersthelfenden: Die Herzdruckmassage ist wichtiger als die Atemspende. Wer sich mit der Mund-zu-Mund-Beatmung unsicher fühlt oder davor ekelt, sollte nur die Herzdruckmassage durchführen. Sie reicht in der Regel aus, um das Gehirn mit Sauerstoff zu versorgen, bis der Rettungsdienst kommt.

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