Gehirnleistung in den Wechseljahren: Ein umfassender Überblick

Die Wechseljahre sind eine transformative Phase im Leben einer Frau, die oft von einer Vielzahl von körperlichen und emotionalen Veränderungen begleitet wird. Schlafstörungen, Stimmungsschwankungen und Gedächtnisprobleme sind häufige Begleiter dieser Zeit, deren Ursprung im Gehirn liegt. Dieser Artikel beleuchtet die komplexen Veränderungen, die im Gehirn während der Wechseljahre stattfinden, und untersucht die Auswirkungen auf die kognitive Leistungsfähigkeit und das psychische Wohlbefinden.

Die Menopause: Ein neurologischer Umbruch

Die Menopause, definiert als die Zeit nach der letzten Menstruationsblutung, markiert das Ende der Fortpflanzungsfähigkeit einer Frau. Die Jahre vor und nach diesem Zeitpunkt, die Perimenopause, sind durch hormonelle Schwankungen und vielfältige Symptome gekennzeichnet. Studien zeigen, dass etwa 80 Prozent der Frauen unter Hitzewallungen leiden, während 70 Prozent zusätzlich depressive Verstimmungen, Schlafstörungen oder Gedächtnisprobleme erleben. Diese Symptome können über die Wechseljahre hinaus bestehen bleiben und die Lebensqualität erheblich beeinträchtigen.

Die Neurowissenschaftlerin Roberta Diaz Brinton von der University of Arizona betont, dass all diese Symptome ihren Ursprung im Gehirn haben. Die Perimenopause kann als ein neurologischer Umbruch betrachtet werden, der tiefgreifende Veränderungen im Denkorgan auslöst.

Östrogen: Der zentrale Akteur

Eine Schlüsselrolle in den Wechseljahren spielt das weibliche Geschlechtshormon Östrogen. Es wird hauptsächlich in den Eierstöcken gebildet und steuert den Menstruationszyklus. Darüber hinaus wirkt es an zahlreichen Prozessen im Gehirn mit. Östrogenrezeptoren finden sich in vielen Hirnregionen, darunter im Hippocampus (zuständig für Lern- und Gedächtnisvorgänge), der Amygdala (verarbeitet emotionale Gedächtnisinhalte) und dem Hypothalamus (steuert Körpertemperatur und Schlaf-wach-Rhythmus).

Östrogen beeinflusst auch die Arbeit der Mitochondrien in den Neuronen, den Kraftwerken der Zellen. Experimente haben gezeigt, dass das Hormon Hirnzellen dazu anregt, vermehrt Zuckermoleküle aufzunehmen und zur Energiegewinnung zu verdauen. Brinton bezeichnet Östrogen als einen "Master-Regulator", der viele Systeme im Gehirn auf komplexe Weise beeinflusst.

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Während der Wechseljahre sinkt der Östrogenspiegel langfristig ab, was sich auf den Zellstoffwechsel auswirkt. In der Umstellungsphase kann es zu Engpässen kommen, woraufhin das Gehirn auf Ketonkörper als Notration zurückgreift. Diese Energieträger werden aus Fetten hergestellt, wobei sich die Neuronen unter anderem an der fettreichen weißen Substanz bedienen. Dieser Prozess aus Abbau und Aufbau kostet viel Energie und kann zu Problemen führen.

Denkschwierigkeiten auf Zeit

Studien haben gezeigt, dass die Perimenopause das Gehirnvolumen verringern und Verbindungen zwischen Hirnregionen beeinträchtigen kann. So schrumpft die graue Substanz im Hippocampus, in der Amygdala und im Thalamus. Auch die weiße Substanz verliert an Volumen. Zudem verstoffwechselt das Gehirn in der Perimenopause geringere Zuckermengen und produziert weniger Energie, was mit einem Knick in der geistigen Leistungsfähigkeit einhergeht.

Kognitive Probleme können sich während der Wechseljahre unterschiedlich äußern. Wissenschaftlerinnen haben festgestellt, dass Frauen in der Perimenopause insbesondere Defizite bei der Aufmerksamkeit, den motorischen Fähigkeiten und dem Sprach- sowie Arbeitsgedächtnis zeigen. Viele Frauen berichten von "Brain Fog", einem Zustand neurokognitiver Einschränkungen, der sich durch Wortfindungsstörungen, Konzentrationsdefizite und Vergesslichkeit äußert.

Petra Stute, Chefärztin für gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin, erklärt, dass viele Frauen in dieser Zeit Schwierigkeiten haben, sich an Wörter, Zahlen und Namen zu erinnern. Objektiv messbar ist eine solche Verschlechterung der kognitiven Leistung jedoch nur bei einem Teil der Betroffenen.

Obgleich sich die Einschränkungen zum Teil dramatisch anfühlen, lassen sie im Normalfall mit der Zeit nach. Mit Ende der Menopause verschwinden sie überwiegend von selbst. Bei Frauen in der Postmenopause nimmt die graue Substanz meist wieder zu, und Neurone produzieren erneut mehr Energie. Parallel dazu steigt die geistige Fitness der Frauen an.

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Stimmung im Wechsel

Neben den kognitiven Fähigkeiten leidet auch die Psyche vieler Frauen in den Wechseljahren. Das Risiko für Depressionen steigt im Vergleich zu der Zeit davor um das Eineinhalb- bis Dreifache an. Sexualhormone spielen hier wahrscheinlich ebenfalls eine zentrale Rolle. Ein sinkender Östrogenspiegel könnte direkt eine depressive Stimmung herbeiführen, da das Hormon die Hirnchemie beeinflusst, insbesondere den Neurotransmitter Serotonin.

Östrogen bedingt unter anderem, dass Serotonin nach seiner Ausschüttung verzögert erneut in Neurone aufgenommen wird, wodurch es länger an seinem Wirkort verweilt. Mit sinkendem Östrogenspiegel könnte Nervenzellen deshalb weniger Serotonin zur Verfügung stehen, mit entsprechenden Konsequenzen für die Stimmung.

Studien deuten darauf hin, dass Frauen häufigere und intensivere Stimmungstiefs erleben, wenn sie bereits vor der Menopause entsprechend auf schwankende Östrogenspiegel reagieren. Es wird auch diskutiert, ob Östrogenschwankungen indirekt depressive Beschwerden anstoßen können, etwa indem sie die körperliche Stressantwort aus dem Gleichgewicht bringen.

Viel Tiefschlaf, wenig Erholung

Hormonelle Veränderungen sind nicht der einzige Faktor, der zur erhöhten Depressionsgefahr in den Wechseljahren beiträgt. Schlafstörungen, die häufig mit Hitzewallungen einhergehen, können ebenfalls die Stimmung beeinträchtigen. Auch Angstzustände, die durch Schlafprobleme, Hitzewallungen und einen Östrogenabfall begünstigt werden, können eine Rolle spielen. Zusätzlich könnten niedrige Konzentrationen des Sexualhormons Progesteron zu den Beschwerden beitragen.

Schlafstörungen kommen in der Perimenopause häufig vor. Eine gestörte Nachtruhe kann auf eine Depression hindeuten oder eine solche weiter verschärfen. Einiges spricht dafür, dass die Sexualhormone Östrogen, Progesteron sowie das follikelstimulierende Hormon (FSH) den Schlaf beeinflussen. Problematisch scheinen vor allem die relativen Konzentrationsänderungen im Laufe eines Menstruationszyklus zu sein.

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Während des Schlafs festigt das Gehirn neue Gedächtnisinhalte. Östrogen spielt hierbei womöglich ebenfalls eine Rolle. Sowohl der Abfall des Östrogenspiegels als auch die häufig beobachteten Schlafstörungen in der Menopause könnten somit beide die Erinnerungsfähigkeit stören.

Risikofaktor für Demenz?

Wenn Frauen älter werden, sind sie deutlich eher in Gefahr, an Alzheimer-Demenz zu erkranken, als Männer. Im Hinblick auf die Alzheimer-Krankheit, die 60 Prozent aller Demenzfälle ausmacht, sind mehr als zwei Drittel der Patienten weiblichen Geschlechts. Zudem schreitet die Krankheit bei ihnen, so zeigen manche Studien, deutlich schneller voran.

Forscher haben herausgefunden, dass Östrogene mehrere Gehirnregionen beeinflussen, indem sie auf hochkomplexe Weise die Aktivität bestimmter Gene regulieren. So tragen die Östrogene dazu bei, dass Neurone, die etwa durch Gifte oder wegen mangelnder Durchblutung geschädigt sind, nicht sofort absterben, sondern länger überleben. Insbesondere verhindern diese Sexualhormone die Bildung jener Eiweißablagerungen in den Nervenzellen, die sehr wahrscheinlich langfristig zu Alzheimer-Demenz führt. Zudem verbessern sie die Durchblutung des Gehirns und damit die Versorgung der Nervenzellen.

Der rapide Hormonentzug in den Wechseljahren hat auch dann noch Auswirkungen auf das Gehirn, wenn die Symptome der Wechseljahre längst abgeklungen sind. Er hinterlässt langfristig Spuren. Der Grund: Sobald der vormals schützende Effekt der Östrogene nahezu vollständig entfallen ist, sinkt die Lebensdauer vieler Nervenzellen, sodass die Wahrscheinlichkeit einer Demenz-Erkrankung ansteigt.

Was hilft?

Zur Linderung schwerer Hitzewallungen tragen nachweislich sogenannte bioidentische Hormone bei. Im Frühjahr wurde ein nichthormonelles Präparat zugelassen, das die Thermoregulation im Gehirn verbessern soll. Die Leitlinie für Ärztinnen und Ärzte in Deutschland spricht neben der Hormonersatztherapie (HRT) auch Präparaten mit Isoflavonen und Cimicifuga in manchen Fällen eine gewisse Wirkung zu, auch eine kognitive Verhaltenstherapie ist demnach eine Option.

Es gibt bisher keine großen Studien, um zu testen, ob eine HRT kognitive Symptome in der Perimenopause verbessert. Möglicherweise lichtet sich der Nebel im Kopf dennoch unter einer HRT, einfach weil die Nächte nicht mehr so durchwacht oder verschwitzt sind, weil sich die Stimmung bessert - genaueres gibt die Studienlage derzeit nicht her.

Bewegung und ein gesunder Lebensstil wirken in jedem Fall positiv. Eine kleine Studie konnte zeigen, dass bestimmte Biomarker des Gehirns sich nach der Menopause weitgehend stabilisierten, und sich das Volumen der grauen Substanz in wichtigen Gehirnregionen erholte. Allerdings ist die Zahl der untersuchten Patientinnen recht übersichtlich so dass die Ergebnisse nicht ohne Weiteres verallgemeinerbar sind.

Weitere Forschung ist notwendig

Obwohl weltweit bis zum Jahr 2030 über eine Milliarde Frauen die Wechseljahre erreichen werden, ist diese für die körperliche und seelische Gesundheit der Frauen kritische Lebensphase bislang noch wenig erforscht. Es ist wichtig, die hormonellen Veränderungen in der Menopause und ihr erhebliches Risiko für die Gesundheit des Gehirns, die kognitiven Funktionen und das emotionale Wohlbefinden zu untersuchen und gleichzeitig die Anfälligkeit für altersbedingte Krankheiten wie z.B. Alzheimer zu erhöhen.

Forschungsnetzwerke wie MenoBrain zielen darauf ab, diese Wissenslücke zu schließen und den Zusammenhang der Gehirngesundheit mit der Menopause zu untersuchen. Sie erforschen z. B. wie sich die Hormontherapie in den Wechseljahren auf die kognitive Leistungsfähigkeit, die Darm-Hirn-Kommunikation und den Alterungsverlauf auswirkt, identifizieren Biomarker zur Früherkennung kognitiver Beeinträchtigungen, entwickeln neue Therapieansätze und fördern die personalisierte Medizin für Frauen in den Wechseljahren.

Tipps für ein gesundes Gehirn in den Wechseljahren

  • Ausreichend trinken: Das Gehirn benötigt ausreichend Flüssigkeit, um effektiv arbeiten zu können. Mindestens 3 Liter täglich trinken, idealerweise Wasser, Saftschorlen oder ungesüßte Tees.
  • Gesunde Ernährung: Eine ausgewogene Ernährung mit gesunden Fetten, insbesondere DHA-Fetten, ist wichtig für die Gehirnfunktion. Lebensmittel wie Seefisch, Algen, Avocados, Nüsse und Saaten sollten regelmäßig auf dem Speiseplan stehen.
  • Stress vermeiden: Dauerhafter Stress führt zur Produktion von Cortisol, welches die Gehirnfunktion beeinträchtigen kann. Phasen der Entspannung sind wichtig, um den Körper in Balance zu halten.
  • Regelmäßige Bewegung: Sport aktiviert den gesamten Organismus und verbessert die Durchblutung im Gehirn. Regelmäßige Bewegung kann die geistige Leistungsfähigkeit steigern.
  • Verzicht auf Nikotin und Alkohol: Nikotin verengt die Blutgefäße und verhindert den Transport von Sauerstoff und Nährstoffen. Alkohol hemmt die Kommunikation der cerebralen Zellen und unterbindet die Übertragung von Informationen ins Gedächtnis.
  • Geistige Herausforderungen: Das Gehirn benötigt Input, um aktiv zu bleiben. Eine neue Sprache erlernen, ein Instrument spielen oder einen VHS-Kurs besuchen - all das kann die geistige Leistungsfähigkeit fördern.
  • Natürliche Hilfsmittel: Viele Pflanzen können dank ihrer Inhaltsstoffe verschiedenste Wechseljahresbeschwerden auf sanfte aber effektive Weise lindern. In den meisten Fällen sind diese auch nebenwirkungsfrei.
  • Hormonersatztherapie: Bei starken Beschwerden, die das Leben beeinträchtigen und die Lebensqualität einschränken, kann eine Hormonersatztherapie in Erwägung gezogen werden.

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