Die Pubertät ist eine Lebensphase, die oft mit Stimmungsschwankungen, Reizbarkeit und verändertem Verhalten einhergeht. Viele Eltern fragen sich, was mit ihren Kindern geschieht, wenn sie diese Phase durchlaufen. Die Antwort liegt in einem komplexen Umbauprozess im Gehirn, der während der Pubertät stattfindet. Dieser Artikel beleuchtet die Zusammenhänge zwischen den Veränderungen im Gehirn und dem Lernverhalten von Jugendlichen und gibt Eltern praktische Tipps, wie sie ihre Kinder in dieser Zeit unterstützen können.
Einführung: Die Baustelle im Kopf
In der Pubertät durchläuft das Gehirn massive Veränderungen, die mit einer Großbaustelle verglichen werden können. Es werden Nervenzellen neu miteinander verbunden, ungenutzte Verbindungen abgebaut und wichtige Gehirnbereiche umstrukturiert. Diese Prozesse können zu Verhaltensweisen führen, die für Eltern oft schwer nachvollziehbar sind. Die Jugendlichen reagieren impulsiver oder ziehen sich zurück. Doch es ist wichtig zu verstehen, dass diese Veränderungen eine wichtige Funktion haben: Sie bereiten das Gehirn auf die Anforderungen des Erwachsenenalters vor.
Die Entwicklung des Gehirns: Von der Kindheit zur Pubertät
Die Entwicklung des Gehirns beginnt bereits in der frühen Kindheit. Bis zum Alter von etwa sechs Jahren wächst das Gehirn rasant und bildet zahlreiche Verbindungen zwischen den Nervenzellen. Bis in die 1970er Jahre hinein ging man davon aus, dass die Gehirnentwicklung mit dem Abschluss des starken Kopfwachstums in der frühen Kindheit weitgehend abgeschlossen ist. Doch diese Annahme ist überholt. Die Forschung hat gezeigt, dass sich die Struktur und Funktion des Gehirns auch nach dem sechsten Lebensjahr noch massiv verändern - insbesondere in der Pubertät.
Jay Giedd, ein US-amerikanischer Neurowissenschaftler, begann 1989 mit seinen Kollegen, die Gehirne von Kindern alle zwei Jahre mit einer Magnetresonanztomographie (MRT) zu untersuchen. Die Forscher konnten auf 1171 Scans von 618 sich normal entwickelnden jungen Menschen im Alter von 5 bis 25 Jahren zurückblicken. Während der Teenage-Jahre fanden sie Umbauten, die der Verwandlung im Inneren der Schmetterlingspuppe kaum nachstehen.
Der Frühjahrsputz im Gehirn
Ab einem Alter von ungefähr elf Jahren beginnt das Gehirn mit der Optimierung seiner neuronalen Netzwerke. Dabei werden ungenutzte Verbindungen zwischen den Nervenzellen abgebaut, während jene Verbindungen, die häufig genutzt werden, stabilisiert und verstärkt werden. Dieser Prozess wird auch als "Synaptic Pruning" bezeichnet. Vor allem der Cortex dünnt sich ab ungefähr dem 10. Lebensjahr stark aus. Das liegt weniger an absterbenden Zellen als daran, dass massenhaft Synapsen, die Kontaktstellen zwischen den Zellen, verloren gehen - und zwar vor allen solche, die wenig genutzt werden. Gleichzeitig nimmt die weiße Substanz im Gehirn weiter zu: Oligodendrozyten, eine besondere Form von Gliazellen, umwickeln immer mehr Axone. Die so gebildete fettreiche Myelinscheide, die der weißen Substanz auch ihre Farbe verleiht, erlaubt es den Axonen, Signale bis zu dreitausend mal schneller zu übertragen.
Lesen Sie auch: Faszination Nesseltiere: Wie sie ohne Gehirn leben
Der Frühjahrsputz unter den während der Kindheit verschwenderisch gebildeten Synapsen und die aufgemotzten Axone sorgen für mehr Effizienz im jugendlichen Gehirn. Doch diese stellt sich keineswegs überall gleichzeitig ein. Stattdessen folgen die Umbauarbeiten einer komplexen Choreographie, die auch Erklärungen für absonderliches Teenagergebaren anbieten.
Die unterschiedliche Reifung der Gehirnbereiche
Die Generalüberholung arbeitet sich nämlich von schlichteren zu komplexeren kognitiven Funktionen vor. Sie beginnt mit acht oder neun Jahren im sensorischen und motorischen Cortex im Scheitellappen, die Sinne und motorischen Fähigkeiten zu schärfen und erfasst dann ab ungefähr dem 10. Geburtstag Bereiche im Stirnlappen, die für Koordinierungsaufgaben zuständig sind, zum Beispiel für sprachliche Ausdrucksfähigkeit und räumliche Orientierung. Als letztes ziehen im Stirn- und Schläfenlappen diejenigen Regionen nach, die eine besonders wichtige Rolle bei höheren, integrativen kognitiven Funktionen wie z. B. der Willensbildung, Handlungsplanung und Impulskontrolle spielen.
Besonders wichtig für solche Vernunft-Leistungen ist der präfrontale Cortex, und gerade dieser entwickelt sich besonders langsam, bis über den 20. Geburtstag hinaus. Jugendliche lassen sich zum Beispiel bei Denkaufgaben noch deutlich leichter ablenken als Erwachsene und zeigen dabei vor allem im präfrontalen Cortex andere Aktivitätsmuster.
Das limbische System und die Hormone
Während der präfrontale Kortex, der für rationale Entscheidungen und Impulskontrolle zuständig ist, noch im Umbau ist, erlebt das limbische System, das für Emotionen und Belohnungen zuständig ist, eine rasante Entwicklung. Die Spätzündung im präfrontalen Cortex bedeutet auch, dass sich früher entwickelnde, emotional betonte Gehirnregionen in der Pubertät vergleichsweise ungezügelt austoben können. Männliche und weibliche Geschlechtshormone leisten dazu einen direkten Beitrag, vor allem im limbischen System, das eine wichtige Rolle bei der Verarbeitung von Emotionen und der Steuerung von Impulsen spielt und viele Hormonrezeptoren vorweisen kann. Testosteron fördert das Wachstum der Amygdala (des Mandelkerns), Östrogen eher das des Hippocampus. Beide Regionen sind Teil des Belohnungssystems, und die Amygdala wirkt als emotionaler Verstärker, gerade wenn es um Angst oder Wut geht. Wie genau hormonelle Veränderungen die Struktur und Funktion dieser Gehirnregionen beeinflussen, ist zwar noch längst nicht klar, aber gerade die Amygdala gilt als heißer Kandidat für einen Motor pubertären Verhaltens. Bestens vernetzt mit anderen Gehirnarealen mischt sie vermutlich bei vielen Jugendexzessen mit - seien es Stimmungsschwankungen, erhöhte Aggression, Furchtlosigkeit und Risikofreude oder die Suche nach aufregenden Kicks.
In der Amygdala nimmt die graue Substanz bei Teenagern entgegen dem Trend sogar zu - insbesondere bei Jungs, die schließlich auch mehr Testosteron produzieren. Jedenfalls die Erkennung von Gesichtern und Gefühlen anderer - eine weitere wichtige Funktion der Amygdala - klappt in der Pubertät zeitweise weniger gut als in der Kindheit oder im Erwachsenenalter. Der Neurowissenschaftler Peter Uhlhaas von der Universität Glasgow in Schottland fand Hinweise darauf, dass so ein vorübergehendes Leistungstief bei 15- bis 17jährigen direkt mit den Umbauarbeiten im jugendlichen Kopf zusammenhängt. Ihre Gehirne schwingen im EEG anders als die jüngerer oder älterer Probanden. Gerade hochfrequente Schwingungsmuster, die ein Indiz dafür liefern, wie gut die Kommunikation zwischen unterschiedlichen Gehirnregionen läuft, wurden in dieser Altersgruppe schwächer und weniger synchron. „Wir beobachten eine einzigartige chaotische Phase, einen richtigen Bruch in der Entwicklung“, sagt Uhlhaas. Kurze Zeit später ist der Spuk schon wieder vorbei und aus dem Chaos entpuppen sich die für das reife Gehirn typischen hocheffizienten funktionalen Netzwerke, in denen auch weit voneinander entfernte Areale in synchroner Harmonie schwingen. Die Verwandlung ist komplett.
Lesen Sie auch: Lesen Sie mehr über die neuesten Fortschritte in der Neurowissenschaft.
Auswirkungen auf das Verhalten
Diese unterschiedliche Reifung der Gehirnbereiche führt zu einem Ungleichgewicht zwischen Emotionen und Vernunft. Jugendliche haben einen riesigen Bedarf an Belohnung und Anerkennung, insbesondere durch Gleichaltrige. Gleichzeitig fällt es ihnen schwer, ihr Verhalten zu kontrollieren, ihre Emotionen zu steuern und ihre Arbeit zu organisieren. Sie vergessen die Hausaufgaben, bereiten sich nicht auf Klassenarbeiten vor und reagieren impulsiv auf Situationen.
Lernen in der Pubertät: Herausforderungen und Chancen
Die Veränderungen im Gehirn beeinflussen auch das Lernverhalten von Jugendlichen. Einerseits können die Umbauprozesse im Gehirn zu einer vorübergehenden Lernschwäche führen. Andererseits eröffnet die Pubertät auch neue Chancen für das Lernen.
Die pubertäre Lernschwäche
Amerikanische Hirnforscher haben eine neue Ursache für die pubertäre Lernschwäche entdeckt: Veränderungen im Hippocampus des Gehirns. Sie zeigten, dass mit Beginn der Pubertät im Hippocampus ein bestimmter Rezeptortyp, genannt GABAA, vermehrt gebildet wird. Die Bildung dieses Rezeptortyps beeinträchtige dann einen speziellen Lernvorgang, die sogenannte Langzeit-Potenzierung, bei der gewöhnlich die Signalübertragungen zwischen Nervenzellen eine Zeit lang verstärkt und somit neue Gedächtnisinhalte gespeichert werden. Als Folge der Gehirnveränderungen schnitten pubertierende Mäuse in einem Lerntest deutlich schlechter ab als vorpubertäre Artgenossen.
Die Chancen der Pubertät
Trotz der Herausforderungen bietet die Pubertät auch einzigartige Chancen für das Lernen. Die Jugendlichen entwickeln die Fähigkeit zum abstrakten Denken, die Komplexität des Denkens und Fühlens nimmt zu, und die Kreativität erreicht ihren Höhepunkt. Die höhere Risikobereitschaft kann mutiger machen, sich Neues zu erschließen.
Die Bedeutung sozialer Interaktion
Während der Adoleszenz öffnet sich vermutlich ein sensibles Zeitfenster für soziales und emotionales Lernen, in dem neurochemische Veränderungen das Gehirn besonders aufnahmebereit für soziales Lernen machen. Junge Menschen wollen schlicht nicht von Erwachsenen bevormundet werden.
Lesen Sie auch: Tinnitus und Gehirnaktivität: Ein detaillierter Einblick
Wie Eltern ihre Kinder unterstützen können
Eltern können ihre Kinder in dieser herausfordernden Zeit unterstützen, indem sie Verständnis für die Veränderungen im Gehirn zeigen und ihnen helfen, ihre Emotionen zu regulieren und ihre Lernstrategien anzupassen.
Verständnis zeigen
Zunächst einmal sollten Sie sich bewusst machen, was die Baustelle im Kopf für Ihr Kind bedeutet. Das hilft, Verständnis für das manchmal schwer erträgliche Verhalten aufzubringen. Teilen Sie Ihrem Kind Ihre Sorgen mit - zum Beispiel im Hinblick auf Drogen oder Mutproben.
Auf regelmäßigen Schlaf achten
Achten Sie so gut wie möglich auf regelmäßigen und ausreichenden Schlaf. Die hormonellen Umstellungen in der Pubertät wirken sich auch auf einen Teil des Gehirns aus, der den Tag-Nacht-Zyklus mit kontrolliert: Die Zirbeldrüse schüttet Melatonin aus, das Hormon, dass uns müde macht. Bei Jugendlichen tut sie dies allerdings mit bis zu zwei Stunden Verspätung. Deshalb werden Teens später müde und kommen morgens nur schwer aus dem Bett.
Offene Kommunikation
Reden Sie mit Ihrem Kind über seine Gefühle und Erfahrungen. Hören Sie ihm aufmerksam zu und nehmen Sie seine Sorgen ernst. Vermeiden Sie es, zu moralisieren oder zu kritisieren. Versuchen Sie stattdessen, eine offene und vertrauensvolle Beziehung zu Ihrem Kind aufzubauen.
Klare Regeln und Grenzen setzen
Auch wenn Jugendliche nach mehr Freiheit streben, brauchen sie dennoch klare Regeln und Grenzen. Diese geben ihnen Sicherheit und helfen ihnen, ihr Verhalten zu kontrollieren. Achten Sie darauf, dass die Regeln altersgerecht sind und gemeinsam mit Ihrem Kind aufgestellt werden.
Unterstützung bei der Organisation
Helfen Sie Ihrem Kind, seine Aufgaben zu organisieren und Prioritäten zu setzen. Erstellen Sie gemeinsam einen Wochenplan, in dem alle wichtigen Termine und Aufgaben festgehalten werden. Unterstützen Sie Ihr Kind dabei, seine Hausaufgaben zu erledigen und sich auf Klassenarbeiten vorzubereiten.
Förderung von Selbstständigkeit
Ermutigen Sie Ihr Kind, eigene Entscheidungen zu treffen und Verantwortung für sein Handeln zu übernehmen. Lassen Sie ihm Freiraum, seine Interessen und Talente zu entdecken und zu entwickeln. Unterstützen Sie es dabei, seine Ziele zu verfolgen und seine Träume zu verwirklichen.
Professionelle Hilfe suchen
Wenn Sie das Gefühl haben, dass Ihr Kind unter den Veränderungen in der Pubertät stark leidet oder psychische Probleme entwickelt, suchen Sie professionelle Hilfe. Es gibt viele Beratungsstellen und Therapeuten, die auf die Bedürfnisse von Jugendlichen spezialisiert sind.
tags: #gehirn #pubertät #lernen #zusammenhang