Gehirn schaltet ab bei Stress: Ursachen und Lösungen

Stress ist ein allgegenwärtiges Phänomen in unserer modernen Gesellschaft. Er kann uns helfen, in bestimmten Situationen Höchstleistungen zu erbringen, aber chronischer Stress kann sich negativ auf unsere Gesundheit auswirken, insbesondere auf unser Gehirn. Dieser Artikel beleuchtet die Ursachen, wie das Gehirn bei Stress "abschaltet" und welche Strategien helfen können, den schädlichen Auswirkungen entgegenzuwirken.

Flucht oder Kampf: Die Ursprünge der Stressreaktion

Stellen Sie sich vor, Sie begegnen einem Bären. Dann haben Sie genau zwei Möglichkeiten: Flucht oder Kampf! Diese Entscheidung sicherte schon unseren Vorfahren das Überleben. Verantwortlich dafür, wie wir uns entscheiden, ist unter anderem ein Areal in unserem Gehirn: der Anteriore Cinguläre Cortex, kurz ACC.

Der ACC beschäftigt sich mit Unsicherheiten, vergleicht Strategien und wägt ihr Risiko ab. Nun begegnen wir zwar im Alltag keinen Bären mehr, unser ACC spult sein mit anderen Hirnarealen verbundenes, komplexes Entscheidungsprogramm aber dennoch in Dauerschleife ab. Termindruck, Alltagssorgen, Hektik, Lärm versetzen das Hirn in eine Art Dauerkrisenmodus. Es muss permanent Entscheidungen treffen. Wir fühlen uns wie in einem Hamsterrad. Negativer Stress entsteht.

Stress im Gehirn: Ein komplexes Zusammenspiel

Die Stressreaktion entsteht im Gehirn und wird durch die innere Bewertung äußerer Reize ausgelöst. Im Falle einer Aktivierung wird der Organismus „bis zur letzten Zelle“ über das Nerven- und Hormonsystem in einen Alarmzustand versetzt. Die sog. Stressreaktion wurde vom Begründer des Stresskonzepts Prof. Hans Selye erforscht und erstmals beschrieben. Selye setzte Versuchstiere unterschiedlichen Extrembelastungen aus. Bei den Belastungen handelte es sich um Reize wie Infektion, Vergiftung, Trauma, nervöse Beanspruchung, Hitze, Kälte, Muskelanstrengung oder Röntgenstrahlung.

Eine sehr wichtige Hirnregion für unser Stresserleben ist die Amygdala, das Angstzentrum unseres Gehirns. Sie spielt eine große Rolle bei der Verarbeitung von Emotionen. Hier ist vor allem die Entstehung von Wut und Angstgefühlen verankert. Die Amygdala wird aktiv, sobald unser Gehirn eine Situation als neu oder potenziell gefährlich interpretiert.

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Um die Kampf- und Fluchtreaktion auszulösen, nutzt die Amygdala zwei Wege. Der schnellere Weg läuft über das sogenannte sympathische Nervensystem, das den Körper auf Aktivität einstimmt. Etwas langsamer ist der Weg über den Hypothalamus. Der Hypothalamus ist ein komplexes Gebilde im Zwischenhirn, das grundlegende Funktionen unseres Körpers steuert. Für die Stressreaktion setzt er eine ganze Kaskade von Hormonen in Gang.

Was im Körper passiert: Die Ausschüttung von Stresshormonen

Hält dieser Zustand an und wir finden keine Lösung, setzt der Körper Stresshormone, wie Cortisol, frei. Cortisol erhöht den Blutzucker und mobilisiert Energie, unser Herzschlag wird schneller, die Atemfrequenz steigt, der Fettstoffwechsel wird aktiviert. Dank Cortisol sind wir in Stresssituationen hoch konzentriert, aufmerksam und leistungsbereit.

Über einen komplexen Regelmechanismus des Gehirns führt Stress zu einer Ausschüttung von Cortisol aus der Nebennierenrinde. Unter hoher Stressbelastung kommt es zunächst zu einer vermehrten Freisetzung von Cortisol aus der Nebennierenrinde. Cortisol führt als Hormon zu zahlreichen körperlichen und psychischen Veränderungen wie Gewichtszunahme, Anstieg des Blutzuckers, Schlafstörungen und Reizbarkeit.

Zuviel Stress, zuviel Cortisol: Die negativen Folgen

Schädlich ist Cortisol aber dann, wenn es andauernd ausgeschüttet wird, weil wir uns andauernd dem Alltagsdruck ausgesetzt fühlen und einfach nicht mehr „runterkommen“. Das führt zu körperlichen und psychischen Problemen. Wenn Stress über lange Zeit oder sehr häufig auftritt, gerät unser Körper aus seinem natürlichen Gleichgewicht.

Anhaltender Stress führt dazu, dass sich bestimmte Zellen in der Amygdala stärker vermehren und die neuronalen Verbindungen zu anderen Hirnregionen gestärkt werden. Die Amygdala wird dann schneller überstimuliert. Wir fühlen uns überfordert und hilflos, werden nervös und reizbar. Immer mehr Erinnerungen werden so mit Angst und Gefahr verbunden. Dadurch bleibt der Cortisolspiegel konstant hoch. Wenn der Körper dauerhaft auf Gefahr eingestellt ist, hemmt das Gehirn Funktionen, die bei akuter Gefahr nicht notwendig sind.

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Wenn die Amygdala durch dauerhaften Stress überstimuliert wird, beeinträchtigt das auch die Funktion anderer Bereiche im Gehirn. Im Hippocampus, der unter anderem für Lernen und Erinnern zuständig ist, werden dadurch weniger Gehirnzellen produziert. Das wirkt sich negativ auf unser Gedächtnis aus.

Dauerstress führt dazu, dass hier Nervenverbindungen verloren gehen. Unser Urteilsvermögen ist beeinträchtigt und durch die Überaktivierung der Amygdala werden Situationen emotionaler bewertet als üblich. Langanhaltender Stress bringt unser neuronales Netzwerk aus dem Gleichgewicht und kann zu dauerhaften Veränderungen in unserer Hirnstruktur führen. Die Amygdala wird größer, der Hippocampus und der präfrontale Kortex schrumpfen. Das ebnet den Weg für eine Reihe an körperlichen und psychischen Beschwerden. Wir fühlen uns erschöpft, gereizt und überfordert. Wir schlafen schlecht und werden vergesslich.

Toxischer Stress und seine Auswirkungen

Fehlen uns Ruhe und Entspannung, wird dieser Stress auf Dauer „toxisch“ - und macht uns krank. Toxischer Stress führt zu einer ganzen Reihe von Beschwerden, darunter:

  • Übergewicht
  • Schlafstörungen
  • Ein geschwächtes Immunsystem
  • Erhöhter Blutdruck
  • Ein erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen
  • Diabetes
  • Verdauungsprobleme
  • Hautkrankheiten
  • Kopfschmerzen

Toxischer Stress kann außerdem das Gedächtnis beeinträchtigen, die Konzentration und Aufmerksamkeit verringern und zu Angstzuständen, Burn-out und Depressionen führen.

Blackout bei Stress: Wenn das Gehirn "abschaltet"

Einen Blackout hat man häufig in Situationen, die man als stressbehaftet erlebt. Dabei werden enorme Mengen von Glukokortikoiden, dazu gehört zum Beispiel das Cortisol, ausgeschüttet. So wird dem Gehirn und der Muskulatur viel Energie zur Verfügung gestellt. Daneben wirkt es aber auch aufs Gehirn, unter anderem auf den Hippocampus. Der Hippocampus reagiert zunächst mit einer Leistungssteigerung, wenn wenig von diesen Glukokortikoiden, diesen Stresshormonen im Blut sind. Steigt der Level aber stark an, ist es zellschädigend. Das heißt, Zellen im Hippocampus sterben ab, werden irreversibel geschädigt. Um das zu verhindern, schaltet sich der Hippocampus komplett aus. Man kann richtig sehen, wie der offline geht. Die Nervenzellen reagieren überhaupt nicht mehr, leiten keine Informationen mehr weiter, rufen auch keine ab. Und dies ist genau die Blackout-Situation.

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Was tun bei einem Blackout?

Was man in einer solchen Situation tun kann, ist zum einen ein Stück selber wieder zurückzuspulen - bis zu einer Erinnerung, was man erzählen wollte, was man schreiben wollte, was man rechnen wollte, um dort wieder anzufangen. Das nächste ist, dass man sich noch mal klar macht: Ich kann die Situation beeinflussen, ich bin einer Situation nicht ausgeliefert, ich kann etwa Atemtechniken machen. Manchmal ist es ein simpler Yogatrick, der darin besteht, dass man unter Anspannung die Zunge nach oben gegen den Gaumen drückt. Schon eine solche Übung erleben das Gehirn und der Körper eines Menschen als Entspannung.

Stress und Gedächtnis

Fast jeder Mensch hat zu einem gewissen Grad mit Stress zu kämpfen. Dass Stress sich negativ auf unsere Gesundheit auswirkt, ist allgemein bekannt. Weniger bekannt ist vielleicht, dass Stress auch Gedächtnis- und Konzentrationsstörungen auslösen kann, die uns im Alltag massiv beeinträchtigen, z.B. Vergessen von Vorhaben, Terminen, Aufträgen, Störungen der Merkfähigkeit und der Konzentration, Wortfindungsstörungen, Blockaden beim Abruf von Gedächtnisinhalten (z.B.

Bei sehr großem, aber auch bei chronischem Stress können Stresshormone die Gedächtniszentrale im Gehirn überlasten, und es kommt zu Blockaden und Aussetzern. Außerdem neigen Menschen im Stress dazu, innerlich abgelenkt zu sein: Sie grübeln über vergangene Konfliktsituationen und zukünftige Schwierigkeiten. Wenn man nun diese Gedächtnisaussetzer an sich bemerkt, setzt manchmal ein psychischer Prozess ein, der in einen „Teufelskreis" einmündet: Man bemerkt die Gedächtnisfehler und macht sich Sorgen darüber, dass etwas mit einem nicht stimmen könnte. Nun schenkt man den Gedächtnisfehlern wiederum mehr Beachtung. So entsteht wieder neuer Stress und der Teufelskreis schließt sich.

Was kann man gegen Stress tun? Tipps zur Stressbewältigung

Es gibt also viele gute Gründe, den ACC zu beruhigen und etwas gegen den toxischen Stress zu tun. Die gute Nachricht ist: die schädlichen Wirkungen von Stress auf unseren Körper und Geist scheinen weitgehend umkehrbar zu sein. Hier ein paar Tipps:

  • Bewegen Sie sich. Bewegung setzt Endorphine und „Wohlfühlhormone“ frei, entspannt den Körper und beruhigt den Geist. Körperliche Aktivität bringt deinen Hippocampus wieder in Schwung.
  • Entspannen Sie sich. Meditation, Yoga, Progressive Muskelentspannung oder Atemübungen beruhigen Körper und Geist. Gezielte Entspannung durch Progressive Muskelentspannung oder Autogenes Training bringen deinen Hippocampus wieder in Schwung.
  • Schlafen Sie ausreichend. Gut und ausreichend zu schlafen ist wichtig, denn während des Schlafs sinkt der Cortisolspiegel.
  • Tauschen Sie sich aus. Gespräche mit guten Freunden, Familie oder Therapeuten über Sorgen und Ängste sorgen für Stressabbau und bringen Erleichterung.
  • Gehen Sie achtsam mit sich um. Machen Sie sich bewusst, was Ihnen guttut und nehmen Sie sich Zeit für sich selbst. Tun Sie Dinge, die Sie glücklich machen.
  • Ernähren Sie sich gut. Eine ausgewogene Ernährung trägt dazu bei, den Körper mit den notwendigen Nährstoffen zu versorgen, um Stress zu bewältigen. Achten sollte man hier auf Kohlenhydrate aus Vollkorn, mehrfach ungesättigte Fettsäuren (etwa aus Nüssen, Avocados oder Lachs), Eiweiß (vor allem aus mageren Milchprodukten, Eiern, Fisch, Hülsenfrüchten und Nüssen), Gemüse und Obst sowie mindestens anderthalb Liter Wasser oder ungesüßten Tee pro Tag.

Stress abbauen und Symptome heilen

Bereits eingetretene körperliche Erkrankungen wie ein manifester Bluthochdruck oder eine Zuckerkrankheit lassen sich oft nicht mehr im Sinne einer Heilung beeinflussen. Hier besteht die Zielsetzung das Fortschreiten der Erkrankung und das Auftreten von anderen Erkrankungen zu verhindern. Auch bei Allergien und Autoimmunerkrankungen gibt es nicht wirklich „einen Rückwärtsgang“. Symptome wie Herzrasen, Atemnot, Kopfschmerzen oder Rückenschmerzen bilden sich jedoch regelhaft nach erfolgreichem Stressabbau auch tatsächlich vollständig zurück. Eine Heilung ist also am ehesten möglich so lange es sich noch um Symptome und nicht um Erkrankungen handelt.

Ähnlich verhält es sich mit den mit Stress in Verbindung stehenden psychischen Erkrankungen. So heilt ein durch Stress verursachter Erschöpfungszustand nach erfolgreichem Stressabbau meist folgenlos aus. Eine durch Stress ausgelöste Depression ist hingegen deutlich schwerer und langwieriger zu behandeln. Bei stressbedingten Symptomen und Erkrankungen sollte deshalb möglichst früh und möglichst ursächlich in den Krankheitsprozess eingegriffen werden.

Brain Fog: Wenn der Nebel im Gehirn die Sicht trübt

Neben den genannten Auswirkungen kann Stress auch zu Brain Fog führen. Vergesslichkeit, Konzentrationsschwierigkeiten und Probleme beim Strukturieren von Handlungen: Wenn das Gehirn wie in Wolken liegt, kann das den Alltag schwer beeinträchtigen. Es ist mühsam, sich zu konzentrieren. Man ringt nach Begriffen oder Namen. Dinge, die gerade noch im Bewusstsein waren, fallen einem plötzlich nicht mehr ein. „Verpeilt“, „neben der Spur“ oder „durch den Wind“ sagt der Volksmund dazu.

Die unter dem Begriff „Brain Fog“ zusammengefassten Beschwerden können durch unterschiedliche Ursachen ausgelöst werden. Ein Übermaß an Stress kann ebenfalls für Nebel im Gehirn sorgen.

Was hilft gegen Brain Fog?

Punktgenaue Behandlungen gegen „Brain Fog“ existieren in solchen Fällen leider nicht, hilfreich kann es aber schon sein, gesünder zu schlafen, sich mehr zu bewegen oder Stress abzubauen. Auch eine gute Ernährung sorgt dafür, dass das Gehirn optimal mit Nährstoffen versorgt wird.

Solange das keine Linderung bringt, können Betroffene versuchen, sich mit den Symptomen zu arrangieren, um ihr Leben bestmöglich weiterzuführen. Pausen geben im Alltag dem Gehirn die Möglichkeit, sich zu erholen.

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